Foucault entwickelt seine Diskursanalyse systematisch in der "Archäologie des
Wissens". Er verortet sein Vorgehen ausdrücklich in einer allgemeinen Entwicklung,
die die Geschichtsschreibung weg von Systematiken der "kontinuierlichen Chronologie
der Vernunft" (ANM: Michel Foucault, Archäologie des Wissens, S. 17) und dem Thema
des Ursprungs führt. Anstelle dessen ist das Diskontinuierliche "jetzt eines der
grundlegenden Elemente der historischen Analyse geworden." (ANM: Michel Foucault,
Archäologie des Wissens, S. 17)
Zu Foucaults Diskursbegriff
Eine eindeutige Definition des verwendeten Begriffs 'Diskurs' findet sich kaum in den
Schriften Foucaults. Die Verwendung und jeweilige Bedeutung des Diskursbegriffs variiert
in seinen Schriften durchaus, weshalb es schwierig ist, den Begriff klar und in einem
griffigen Satz zu definieren. (ANM: Vgl. hierzu: Hubert I. Dreyfus/Paul Rabinow, Foucault,
S. 92ff; Thomas Lemke, Eine Kritik der politischen Vernunft, S. 49ff)
Als Annäherung kann der in der Archäologie des Wissens gegebene Hinweis genommen werden,
demnach unter einem Diskurs "eine Menge von Aussagen, die einem gleichen
Formationssystem zugehören" (ANM: Michel Foucault, Archäologie des Wissens, S. 156)
zu verstehen ist. Im knapp zehn Jahre später verfassten "Der Wille zum Wissen"
wird der Diskursbegriff hingegen wesentlich schärfer unter dem Blickwinkel des Themas der
Macht spezifiziert: "Die Diskurse sind taktische Elemente oder Blöcke im Feld der
Kraftverhältnisse: es kann innerhalb einer Strategie verschiedene und sogar
gegensätzliche Diskurse geben: sie können aber auch zwischen entgegengesetzten
Strategien zirkulieren, ohne ihre Form zu ändern." (ANM: Foucault, Der Wille zum
Wissen, S. 123)
Foucault geht grundsätzlich davon aus, daß "die Produktion des Diskurses zugleich
kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird", (ANM: Foucault, Die
Ordnung des Diskurses, S. 11) die Entstehung und Existenzweise von Diskursen also
bestimmten Regeln unterliegt. Als diesbezüglich von Außen auf die Diskurse wirkende
Prozeduren lassen sich binär strukturierende Regulierungsmechanismen wie Verbote sowie
die Gegensatzpaare 'Vernunft/Wahnsinn' und 'Wahr/Falsch' bestimmen. (ANM: VGl. Foucault,
Die Ordnung des Diskurses, S. 11-17)
Diesen können diskursimmanente Mechanismen zur Seite gestellt werden: Foucault gibt hier
die Formen des Kommentars, dessen Aufgabe darin besteht, "das schließlich zu sagen,
was dort schon verschwiegen artikuliert war" (ANM: Foucault, Die Ordnung des
Diskurses, S. 19), des Autors (ANM: Vgl. Abschnitt 4.2.1.) und der Disziplinen (ANM: Vgl.
Foucault, Die Ordnung des Diskurses, S. 22ff), die sich als Formen der Wissensorganisation
bezeichnen lassen, an.
Die grundlegende Einheit der Aussage
Fundamentale Einheit der Diskursanalyse ist die Kategorie der Aussage. Foucault
begreift Aussagen als diskursive Performanzen, die als das genommen werden können, was
sie sind. Die Existenz buchstäblicher Bedeutung befreit das Vorgehen von der Suche nach
tieferer Bedeutung. Um die Aussage zu situieren, muß sie demnach in den aktuellen Kontext
anderer Aussagen, in dem sie jeweils auftaucht, gestellt werden. Daher ist die Identität
der Aussage "relativ und schillert gemäß dem Gebrauch, den man von der Aussage
macht, und gemäß der Weise, auf die man sie handhabt. ... Die Beständigkeit der
Aussage, die Aufrechterhaltung ihrer Identität durch die besonderen Ereignisse der
Äußerungen, ihre Spaltungen durch die Identität der Formen hindurch, alles das ist
Funktion des Anwendungsfeldes, in das sie sich eingehüllt findet." (ANM: Michel
Foucault, Archäologie des Wissens, S. 152)
Derart bestimmt ist die Aussage ein strikt historisches Ereignis, das stets als
Singularität verstanden werden muá. Die gleiche inhaltliche Aussage an verschieden Orten
in Zeit und Raum oder von verschiedenen Aussagenden getroffen, kann gänzlich differente
Funktionen und Wirkungen entfalten. Um dem Rechnung zu tragen, wird die Aussage als
performativer Akt situiert, der als singuläres Phänomen betrachtet werden muß.
Foucaults Bestimmung der Kategorie der Aussage abstrahiert sowohl von deren Wahrheits- als
auch von deren Bedeutungsanspruch. Er untersucht die Aussage weder hinsichtlich der Frage,
ob sie wahr ist, noch hinsichtlich der Interpretation ihres konkreten Aussagegehalts. Die
gleiche Bewegung vollzieht sich auch in der Frage, welche Facetten von Diskursen für sein
analytisches Vorgehen von Interesse sind. Auch hier spielen deren Wahrheit und Bedeutung
keine Rolle, sondern werden demgegenüber sogar systematisch ausgeklammert. Foucault
ö"chte sich also, so weit wie möglich, auf den spezifischen Bereich des Diskursiven
beschränken.
Zur Analyse diskursiver Formationen
Als Oberbegriff für die Vorstellung eines größeren und zusammenhängenden
diskursiven Blocks aus Aussagen führt Foucault den Term der diskursiven Formation ein.
"In dem Fall, wo man in einer bestimmten Zahl von Aussagen ein ähnliches System der
Streuung beschreiben könnte, in dem Fall, in dem man bei den Objekten, den Typen der
Äußerung, den Begriffen, den thematischen Entscheidungen eine Regelmäßigkeit (...)
definieren könnte, wird man übereinstimmend sagen, daß man es mit einer diskursiven
Formation zu tun hat". (ANM: Michel Foucault, Archäologie des Wissens, S. 58)
Eine diskursive Formation ist demnach eine größere Einheit, in der sich Aussagen und
Diskurse zusammenfassen lassen. Als Beispiele lassen sich entweder wissenschaftliche
Disziplinen oder ein bestimmtes Thema, wie etwa das der Sexualität oder aber auch der
Gegenstand dieser Arbeit, die Diskurse der Techno-Kultur heranziehen.
Foucault unterscheidet vier Kategorien, hinsichtlich denen diskursive Formationen
untersucht werden können: Objekte, Subjekte oder Äußerungstypen, Begriffe sowie
diskursive Strategien, welche die thematischen Entscheidungen strukturieren.
Ich werde diese vier Kategorien im Folgenden kurz darstellen. Dabei handelt es sich
prinzipiell um gleichberechtigte Kategorien, von denen keine den anderen übergeordnet
oder die anderen beeinhaltend vorgestellt werden darf. In einer Metapher illustriert: die
vier Kategorien stellen quasi vier mögliche Blickwinkel dar, aus denen diskursive
Formationen betrachtet und analysiert werden können. Nichtsdestotrotz ergeben sich
zwangsläufig begriffliche und thematische Überschneidungen. Wenn man hinsichtlich einer
der Kategorien analysiert, können durchaus die anderen in dieser Analyse auftauchen. Da
im weiteren Vorgehen der Analyse von Diskursen aus der Techno-Kultur insbesondere die
Kategorie der diskursiven Strategien benötigt wird, werde ich diese wesentlich
ausführlicher behandeln.
Die Funktion des Diskurses im Feld des Nicht-Diskursiven
Unter dem Term der Funktionen, die Diskurse im Feld des Nicht-Diskursiven ausüben, kann
sich prinzipiell eine ganze Palette möglicher Funktionsweisen sozialer, ökonomischer,
politischer, psychologischer oder anderer Art, vorgestellt werden.
Ich möchte zur Illustration zwei mögliche Varianten anführen:
Eine erste mögliche Funktion umreißt Foucault beispielhaft mit der Assoziation des
Konzepts der diskursiven Strategie mit dem Thema des Besitzes des Diskurses. Der Besitz
des Diskurses wird dabei folgendermaßen aufgefasst: "... gleichzeitig als Recht zu
sprechen, Kompetenz des Verstehens, erlaubter und unmittelbarer Zugang der bereits
formulierten Aussagen, schließlich als Fähigkeit, diesen Diskurs in Entscheidungen,
Institutionen oder Praktiken einzusetzen, verstanden - in der Tat (manchmal auf
reglementierende Weise sogar) für eine bestimmte Gruppe von Individuen reserviert".
(ANM: Michel Foucault, Archäologie des Wissens, S. 100) Eine erste Funktion kann also
darin bestehen, den Zugang zum Diskurs zu reglementieren und bestimmte Ausschließungen
vorzunehmen.
Eine zweite mögliche Funktion situiert den Diskurs quasi psychologisch im Verhältnis zum
Verlangen:"Schließlich charakterisiert sich diese Instanz durch die möglichen
Positionen des Verlangens im Verhältnis zum Diskurs: dieser kann in der Tat Ort für
gaukelhafte Inszenierung, Element der Symbolisierung, Form des Verbots, Instrument der
abgeleiteteten Befriedigung sein." (ANM: Michel Foucault, Archäologie des Wissens,
S. 100)
Eine weitere Funktion des Diskurses kann demnach auf psychologischen oder emotionalen
Ebenen angesiedelt werden.Die analysierten Funktionen des Diskurses sind - derart
begriffen - nichts dem Diskurs quasi von Außen Übergestülptes oder Aufoktroyiertes,
sondern konstitutiver Bestandteil des Diskurses selbst. Als solche wirken sie bereits bei
der konstituierenden Produktion des Diskurses mit, sind also an dessen Entstehung
mithervorbringend beteiligt.
Im Folgenden sollen also schriftlich vorliegende Diskurse aus der Techno-Kultur mithilfe
Foucaults dargestellter Analyse-Kriterien untersucht werden. Die Untersuchung wird sich
allerdings nicht im strengen Sinne an die von ihm explizierten Methodik halten.
Dies scheint eher abwegig, da Foucault die Entwicklung seiner Methodik eng an das Thema
der "Wissenschaften vom Menschen" koppelt. (ANM: Vgl. Foucault, Archäologie des
Wissens, S. 33)
Demgegenüber kann kaum davon ausgegangen werden, daß der Analysegegenstand Techno-Kultur
allzu viel mit der organisatorischen Verfasstheit einer Wissenschaft zu tun haben wird.
Nichtsdestotrotz soll die Konzeption der "Archäolgie des Wissens" im Folgenden
eine wichtige Orientierungshilfe darstellen. Eine zentrale Rolle wird im Fortgang der
Untersuchung dabei Foucaults Begriff der diskursiven Strategie spielen, der sich im
erweiterten Sinn sehr gut auf die Diskurse der Techno-Kultur beziehen lässt.