3.4.1. Theoretische Vorbemerkung: Michel Foucaults Diskursanalyse
         unter besonderer Berücksichtigung des Begriffs der diskursiven Strategie.

Foucault entwickelt seine Diskursanalyse systematisch in der "Archäologie des Wissens". Er verortet sein Vorgehen ausdrücklich in einer allgemeinen Entwicklung, die die Geschichtsschreibung weg von Systematiken der "kontinuierlichen Chronologie der Vernunft" (ANM: Michel Foucault, Archäologie des Wissens, S. 17) und dem Thema des Ursprungs führt. Anstelle dessen ist das Diskontinuierliche "jetzt eines der grundlegenden Elemente der historischen Analyse geworden." (ANM: Michel Foucault, Archäologie des Wissens, S. 17)


Zu Foucaults Diskursbegriff

Eine eindeutige Definition des verwendeten Begriffs 'Diskurs' findet sich kaum in den Schriften Foucaults. Die Verwendung und jeweilige Bedeutung des Diskursbegriffs variiert in seinen Schriften durchaus, weshalb es schwierig ist, den Begriff klar und in einem griffigen Satz zu definieren. (ANM: Vgl. hierzu: Hubert I. Dreyfus/Paul Rabinow, Foucault, S. 92ff; Thomas Lemke, Eine Kritik der politischen Vernunft, S. 49ff)

Als Annäherung kann der in der Archäologie des Wissens gegebene Hinweis genommen werden, demnach unter einem Diskurs "eine Menge von Aussagen, die einem gleichen Formationssystem zugehören" (ANM: Michel Foucault, Archäologie des Wissens, S. 156) zu verstehen ist. Im knapp zehn Jahre später verfassten "Der Wille zum Wissen" wird der Diskursbegriff hingegen wesentlich schärfer unter dem Blickwinkel des Themas der Macht spezifiziert: "Die Diskurse sind taktische Elemente oder Blöcke im Feld der Kraftverhältnisse: es kann innerhalb einer Strategie verschiedene und sogar gegensätzliche Diskurse geben: sie können aber auch zwischen entgegengesetzten Strategien zirkulieren, ohne ihre Form zu ändern." (ANM: Foucault, Der Wille zum Wissen, S. 123)


Foucault geht grundsätzlich davon aus, daß "die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird", (ANM: Foucault, Die Ordnung des Diskurses, S. 11) die Entstehung und Existenzweise von Diskursen also bestimmten Regeln unterliegt. Als diesbezüglich von Außen auf die Diskurse wirkende Prozeduren lassen sich binär strukturierende Regulierungsmechanismen wie Verbote sowie die Gegensatzpaare 'Vernunft/Wahnsinn' und 'Wahr/Falsch' bestimmen. (ANM: VGl. Foucault, Die Ordnung des Diskurses, S. 11-17)

Diesen können diskursimmanente Mechanismen zur Seite gestellt werden: Foucault gibt hier die Formen des Kommentars, dessen Aufgabe darin besteht, "das schließlich zu sagen, was dort schon verschwiegen artikuliert war" (ANM: Foucault, Die Ordnung des Diskurses, S. 19), des Autors (ANM: Vgl. Abschnitt 4.2.1.) und der Disziplinen (ANM: Vgl. Foucault, Die Ordnung des Diskurses, S. 22ff), die sich als Formen der Wissensorganisation bezeichnen lassen, an.


Die grundlegende Einheit der Aussage

Fundamentale Einheit der Diskursanalyse ist die Kategorie der Aussage. Foucault begreift Aussagen als diskursive Performanzen, die als das genommen werden können, was sie sind. Die Existenz buchstäblicher Bedeutung befreit das Vorgehen von der Suche nach tieferer Bedeutung. Um die Aussage zu situieren, muß sie demnach in den aktuellen Kontext anderer Aussagen, in dem sie jeweils auftaucht, gestellt werden. Daher ist die Identität der Aussage "relativ und schillert gemäß dem Gebrauch, den man von der Aussage macht, und gemäß der Weise, auf die man sie handhabt. ... Die Beständigkeit der Aussage, die Aufrechterhaltung ihrer Identität durch die besonderen Ereignisse der Äußerungen, ihre Spaltungen durch die Identität der Formen hindurch, alles das ist Funktion des Anwendungsfeldes, in das sie sich eingehüllt findet." (ANM: Michel Foucault, Archäologie des Wissens, S. 152)

Derart bestimmt ist die Aussage ein strikt historisches Ereignis, das stets als Singularität verstanden werden muá. Die gleiche inhaltliche Aussage an verschieden Orten in Zeit und Raum oder von verschiedenen Aussagenden getroffen, kann gänzlich differente Funktionen und Wirkungen entfalten. Um dem Rechnung zu tragen, wird die Aussage als performativer Akt situiert, der als singuläres Phänomen betrachtet werden muß.

Foucaults Bestimmung der Kategorie der Aussage abstrahiert sowohl von deren Wahrheits- als auch von deren Bedeutungsanspruch. Er untersucht die Aussage weder hinsichtlich der Frage, ob sie wahr ist, noch hinsichtlich der Interpretation ihres konkreten Aussagegehalts. Die gleiche Bewegung vollzieht sich auch in der Frage, welche Facetten von Diskursen für sein analytisches Vorgehen von Interesse sind. Auch hier spielen deren Wahrheit und Bedeutung keine Rolle, sondern werden demgegenüber sogar systematisch ausgeklammert. Foucault ö"chte sich also, so weit wie möglich, auf den spezifischen Bereich des Diskursiven beschränken.


Zur Analyse diskursiver Formationen

Als Oberbegriff für die Vorstellung eines größeren und zusammenhängenden diskursiven Blocks aus Aussagen führt Foucault den Term der diskursiven Formation ein.

"In dem Fall, wo man in einer bestimmten Zahl von Aussagen ein ähnliches System der Streuung beschreiben könnte, in dem Fall, in dem man bei den Objekten, den Typen der Äußerung, den Begriffen, den thematischen Entscheidungen eine Regelmäßigkeit (...) definieren könnte, wird man übereinstimmend sagen, daß man es mit einer diskursiven Formation zu tun hat". (ANM: Michel Foucault, Archäologie des Wissens, S. 58)

Eine diskursive Formation ist demnach eine größere Einheit, in der sich Aussagen und Diskurse zusammenfassen lassen. Als Beispiele lassen sich entweder wissenschaftliche Disziplinen oder ein bestimmtes Thema, wie etwa das der Sexualität oder aber auch der Gegenstand dieser Arbeit, die Diskurse der Techno-Kultur heranziehen.
Foucault unterscheidet vier Kategorien, hinsichtlich denen diskursive Formationen untersucht werden können: Objekte, Subjekte oder Äußerungstypen, Begriffe sowie diskursive Strategien, welche die thematischen Entscheidungen strukturieren.

Ich werde diese vier Kategorien im Folgenden kurz darstellen. Dabei handelt es sich prinzipiell um gleichberechtigte Kategorien, von denen keine den anderen übergeordnet oder die anderen beeinhaltend vorgestellt werden darf. In einer Metapher illustriert: die vier Kategorien stellen quasi vier mögliche Blickwinkel dar, aus denen diskursive Formationen betrachtet und analysiert werden können. Nichtsdestotrotz ergeben sich zwangsläufig begriffliche und thematische Überschneidungen. Wenn man hinsichtlich einer der Kategorien analysiert, können durchaus die anderen in dieser Analyse auftauchen. Da im weiteren Vorgehen der Analyse von Diskursen aus der Techno-Kultur insbesondere die Kategorie der diskursiven Strategien benötigt wird, werde ich diese wesentlich ausführlicher behandeln.



Die Funktion des Diskurses im Feld des Nicht-Diskursiven


Unter dem Term der Funktionen, die Diskurse im Feld des Nicht-Diskursiven ausüben, kann sich prinzipiell eine ganze Palette möglicher Funktionsweisen sozialer, ökonomischer, politischer, psychologischer oder anderer Art, vorgestellt werden.
Ich möchte zur Illustration zwei mögliche Varianten anführen:

Eine erste mögliche Funktion umreißt Foucault beispielhaft mit der Assoziation des Konzepts der diskursiven Strategie mit dem Thema des Besitzes des Diskurses. Der Besitz des Diskurses wird dabei folgendermaßen aufgefasst: "... gleichzeitig als Recht zu sprechen, Kompetenz des Verstehens, erlaubter und unmittelbarer Zugang der bereits formulierten Aussagen, schließlich als Fähigkeit, diesen Diskurs in Entscheidungen, Institutionen oder Praktiken einzusetzen, verstanden - in der Tat (manchmal auf reglementierende Weise sogar) für eine bestimmte Gruppe von Individuen reserviert". (ANM: Michel Foucault, Archäologie des Wissens, S. 100) Eine erste Funktion kann also darin bestehen, den Zugang zum Diskurs zu reglementieren und bestimmte Ausschließungen vorzunehmen.

Eine zweite mögliche Funktion situiert den Diskurs quasi psychologisch im Verhältnis zum Verlangen:"Schließlich charakterisiert sich diese Instanz durch die möglichen Positionen des Verlangens im Verhältnis zum Diskurs: dieser kann in der Tat Ort für gaukelhafte Inszenierung, Element der Symbolisierung, Form des Verbots, Instrument der abgeleiteteten Befriedigung sein." (ANM: Michel Foucault, Archäologie des Wissens, S. 100)
Eine weitere Funktion des Diskurses kann demnach auf psychologischen oder emotionalen Ebenen angesiedelt werden.Die analysierten Funktionen des Diskurses sind - derart begriffen - nichts dem Diskurs quasi von Außen Übergestülptes oder Aufoktroyiertes, sondern konstitutiver Bestandteil des Diskurses selbst. Als solche wirken sie bereits bei der konstituierenden Produktion des Diskurses mit, sind also an dessen Entstehung mithervorbringend beteiligt.

Im Folgenden sollen also schriftlich vorliegende Diskurse aus der Techno-Kultur mithilfe Foucaults dargestellter Analyse-Kriterien untersucht werden. Die Untersuchung wird sich allerdings nicht im strengen Sinne an die von ihm explizierten Methodik halten.
Dies scheint eher abwegig, da Foucault die Entwicklung seiner Methodik eng an das Thema der "Wissenschaften vom Menschen" koppelt. (ANM: Vgl. Foucault, Archäologie des Wissens, S. 33)
Demgegenüber kann kaum davon ausgegangen werden, daß der Analysegegenstand Techno-Kultur allzu viel mit der organisatorischen Verfasstheit einer Wissenschaft zu tun haben wird.
Nichtsdestotrotz soll die Konzeption der "Archäolgie des Wissens" im Folgenden eine wichtige Orientierungshilfe darstellen. Eine zentrale Rolle wird im Fortgang der Untersuchung dabei Foucaults Begriff der diskursiven Strategie spielen, der sich im erweiterten Sinn sehr gut auf die Diskurse der Techno-Kultur beziehen lässt.