4.1.3. Das Subjekt
         in der postmodernen Kultur

Im Folgenden soll die Frage des Subjekts aus der Perspektive der strukturellen Verfaßtheit postmoderner Kultur dargestellt werden. Das Vorgehen wird sich dabei weitgehend auf Frederic Jamesons Aufsatz "Postmoderne - Zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus" (ANM: in: Andreas Huyssen/Klaus R. Scherpe, Postmoderne - Zeichen eines kulturellen Wandels, S. 45-102) stützen.

Dort definiert Jameson die Postmoderne als eine "Erscheinung, die (...) auf die Annahme eines radikalen Bruchs Ende der 50er oder in den frühen 60er Jahren" (ANM: Frederic Jameson, Postmoderne, S. 45) zurückgeht. Diesen Bruch begreift Jameson nicht als rein kulturspezifisches Phänomen, sondern er durchzieht die Gesellschaften in ihrer ganzen Breite: es lassen sich also adäquate Strukturveränderungen beispielsweise im Politischen oder Ökonomischen finden. Per definitionem gilt es, die "Postmoderne nicht als Stilrichtung, sondern als kulturelle Dominante zu begreifen: eine Konzeption, die es ermöglicht, die Präsenz und die Koexistenz eines Spektrums ganz verschiedener, jedoch einer bestimmten Dominanz untergeordneter Elemente zu erfassen." (ANM: Frederic Jameson, Postmoderne, S. 48)

Jameson gibt vier konstitutive Merkmale der Postmoderne an:



Die Kategorie des Ausdrucks im Modell von Innen/Außen

In der postmodernen Kultur findet sich die ästhetische Produktion innerhalb der allgemeinen Warenproduktion integriert. Jameson führt als dies symbolisierendes Beispiel die bekannten Siebdrucke Andy Warhols an und folgert auf ein "Verschwinden des Affekts aus der postmodernen Kultur". (ANM: Frederic Jameson, Postmoderne, S. 55) Zwar kann man sich nur schwerlich ein vollständiges Verschwinden von Emotionen und Subjektivität aus Kunstwerken vorstellen, dennoch läßt sich mit Warhols Drucken ohne weiteres eine Bewegung des Freimachens der Kunstwerke von den gängigen Motiven tieferliegender Bedeutung und eines sich in ihnen ausdrückenden Subjekts verbinden.

Jameson beschreibt diese Bewegung als eine Dekonstruktion der Kategorie des Ausdrucks. "Der Begriff Ausdruck selber setzt eine Spaltung innerhalb des Subjekts voraus und impliziert jene große Metaphysik des Innen und Außen, des stummen Schmerzes der Monade und des Augenblicks, in dem die Emotion kathartisch nach Außen projiziiert und entäußert wird (...)" (ANM: Frederic Jameson, Postmoderne, S. 56)

Demnach funktioniert die Kategorie des Ausdrucks stets als Apologie des Subjekts und restatuiert dieses als in sich abgeschlossene Monade. Die Ausdrucksform basiert auf der Vorstellung, daß etwas im Subjekt empfunden wird und dann durch Projektion (ANM: vgl. Frederic Jameson, Postmoderne, S. 60) und die konkrete Performanz des Subjekts in ein Außen getragen wird. Kulturelle Formen des Ausdrucks, seien es Kunstwerke oder Diskurse, reproduzieren daher jeweils die Vorstellung des Subjekts als in sich abgeschlossener Entität neu, konstituieren dessen eigene Innerlichkeit und setzen dem die Welt als Außen entgegen. Diese für das Ausdrucksthema konstitutive innere Spaltung kann in einem breiteren Zusammenhang im allgemeinen Modell von Innen und Außen situiert werden. Jameson gibt als weitere Spezifikationen des Innen-Außen-Schemas "das dialektische Modell von Wesen und Erscheinung (...), das Freudsche Modell von Latentem und Manifestem (...), das existentialistische Modell von Authentizität und Nichtauthentizität (...) und die große semiotische Opposition von Signifikant und Signifikat" (ANM: Frederic Jameson, Postmoderne, S. 57f) an.


Subjektivität im Übergang zur Postmoderne

Die Dekonstruktion des Ausdrucksthemas beseitigt gleichzeitig die Vorstellung von Tiefenebenen. Die Annahme, in der Ausdrucksform komme jeweils eine Sichtweise oder ein Gefühl des Subjekts, also Produkte dessen Innerlichkeit ans Licht der Welt, läßt sich als Konstruktions- und Konstitutionsmethode tieferer Bedeutungsschichten beschreiben. In der Regel sind diese Tiefen als bedeutsame, der Wahrheit nähere Seinsebenen codiert. Die postmoderne Kultur funktioniert demgegenüber tiefenlos (ANM: Vgl. Frederic Jameson, Postmoderne, S. 58) und formiert eine "neue Oberflächlichkeit ..., die das vielleicht auffälligste formale Charakteristikum aller Spielarten der Postmoderne ist." (ANM: Frederic Jameson, Postmoderne, S. 54)Die gesamte Bewegung des Übergangs zur postmodernen Kultur kann daher vielleicht auch als Nivellierung der Affekte beschrieben werden.

Für die Moderne galt noch: man konstituiert "seine individuelle Subjektivität als sich selbst genügende und geschlossene Einheit, so ist man eben dadurch von allem anderen abgetrennt und zur Einsamkeit der fensterlosen Monade verdammt, lebendig begraben und in ein Gefängnis ohne Ausgang verbannt." (ANM: Frederic Jameson, Postmoderne, S. 60)Jameson sieht diese Themen der Angst und Entfremdung als untaugliche adäquate Beschreibungsfiguren der Erfahrungsmuster in der Postmoderne.
Diese Psychopathologien des Ichs (ANM: Vgl. Frederic Jameson, Postmoderne, S. 60) funktionieren also nicht länger unter den Bedingungen nun postmoderner Kultur. Das skizzierte Ich der Moderne wird aufgelöst. Gleichzeitig verschwinden allmählich kulturelle Wahrnehmungsmuster, die auf diesem Subjektivitätsmodell basieren, wie insbesondere die künstlerische Kategorie des Stilbegriffs. Dieser kann nicht länger im schöpferischen Sinne des Hervorbringens von Einmaligen und Persönlichen durch das Künstler-Subjekt vorgestellt werden. "Das heißt nicht, daß die kulturellen Produkte der postmodernen Ära vollkommen gefühllos sind, sondern eher, daß Gefühle, die besser und genauer als Intensitäten zu fassen sind, sozusagen im Raum frei flottieren, nicht mehr personengebunden sind und überdies von einer merkwürdigen Euphorie überlagert sind ..." (ANM: Frederic Jameson, Postmoderne, S. 60)


Das Subjektivitäts-Modell der Schizophrenie


"Wenn das Subjekt tatsächlich seine Fähigkeit verloren hat, sich in einem variablen Zeitgefüge aktiv nach vorn und rückwärts auszurichten und zu erweitern und seine Vergangenheit und Zukunft in einer kohärenten Erfahrung zu organisieren, dann wird es recht schwierig sich vorzustellen, daß die kulturelle Produktion eines solchen Subjekts etwas anderes als angehäufte Fragmente und eine Praktik des Ziellos-Heterogenen, Fragmentarischen und vom Zufall Abhängigen hervorbringen könnte." (ANM: Frederic Jameson, Postmoderne, S. 70)

Als Systematisierung des Modells von Subjektivität in der postmodernen Kultur führt Jameson die an Lacan orientierte Konzeption von Schizophrenie an. Schizophrenie wird hier nicht im klinischen Sinne, sondern als beschreibendes ästhetisches Modell verwendet. Lacan beschreibt nach Jameson die Schizophrenie als Zerreißen der Signifikantenkette. "Sein Konzept der Signifikantenkette beruht im wesentlichen (...) auf dem Theorem, daß Sinn nicht auf einer direkten Beziehung zwischen Signifikant und Signifkat (...) beruht." (ANM: Frederic Jameson, Postmoderne, S. 71) Entsprechend der diagnostizierten neuen Oberflächlichkeit bestreitet Lacans Konzept das substantielle Vorhandensein von dem Diskurs vorausgehenden Signifikaten. Lacans Vorgehen basiert auf einer Grundvorstellung des Sozialen in Form einer Sprache. Für ihn stellen sich die Signifkate daher erst als Sinneffekte der Signifikantenkette her. (ANM: Vgl. Frederic Jameson, Postmoderne, S. 71)

"Schizophrenie entsteht, wenn die Glieder der Signifikantenkette zerspringen: ein Trümmerhaufen aus selbstständigen und nicht miteinander in Verbindung stehenden Signifikanten." (ANM: Frederic Jameson, Postmoderne, S. 71) Schizophrenie meint demnach eine Wahrnehmungs- und Organisationsform des dekontextualisierten Nebeneinanders unzähliger Signifikanten. Schizophrene Erfahrungen funktionieren also nur in der Form fragmentarisierter Ereignisse, die nicht zusammenhängend vorgestellt werden können. Jameson will den Gedanken auch hinsichtlich der Zeitebene verstanden wissen, daher kann er von einem Zusammenbruch der Zeitlichkeit (ANM: Vgl. Frederic Jameson, Postmoderne, S. 71) sprechen.

Das Subjekt verfügt folglich in der postmodernen Kultur nicht länger über kohärente und zusammenhängende Erfahrungs- und Wahrnehmungsweisen. Das ehemalige Außen, die Welt, kann genauso wie das ehemalige Innen, die Innerlichkeit des Subjekts, nicht länger als kohärenter Zusammenhang erfahren werden. Die Grenzen zwischen beiden verschwinden daher und an die Stelle dieser dualistischen Ordnungsstruktur rückt die Erfahrungsweise fragmentarisierter Ereignisse, Diskurse und Praktiken. Das Subjekt selbst unterliegt gleichfalls dieser fragmentarisierenden Bewegung und dezentriert sich zunehmend. (ANM: Vgl. Abschnitt 4.3.)

Die Identität des Subjekts löst sich so im Kontext postmoderner Kultur tendenziell auf. Wie Jameson formuliert: "Persönliche Identität ist nichts anderes als der Effekt einer gegenwärtig bestimmbaren zeitlichen Verkoppelung von Vergangenheit und Zukunft. Zum anderen: Diese aktive zeitliche Verkettung ist selbst eine Funktion der Sprache, besser noch des Satzes (...) Wenn wir nicht in der Lage sind, die Vergangenheit, Gegenwart und die Zukunft eines Satzes zusammenzuschließen, dann können wir ebensowenig die Vergangenheit, Gegenwart und die Zukunft unserer eigenen Lebensführung und unserer Psyche als Einheit fassen." (ANM: Frederic Jameson, Postmoderne, S. 71)
Die postmoderne Tendenz zur Fragmentarisierung und die von Foucault analysierte stärkere Bedeutung eines auf Prizipien des Diskontinuierlichen basierenden Verständnisses von Geschichte (ANM: Vgl. Michel Foucault, Arch"ologie des Wissens, S. 17ff) führen dazu, daß das Subjekt in der Postmoderne nicht mehr unter dem Aspekt von Identität gefaßt werden kann. Die Kategorie des Subjekts dekonstruiert sich in der Postmoderne, Identität liegt nicht mehr im strengen Sinne des Wortes vor. Anstelle dessen muß von fragmentarisierten und von zahlreichen Brüchen und Diskontinuitäten durchzogenen Formen von Identität ausgegangen werden.