aphasie b-004:
missy elliott

Vor gut 100 Jahren wollte noch einer alle Werte umwerten und verzweifelte doch an diesem hehren Ziel. Heute kennt man das Spielchen bestens und meist hört es auf den Namen Pop. Begriffe lassen sich umcodieren, Bedeutungen werden verschoben, stigmatisierende Zuschreibungen können mit forscher Affirmation offensiv gewendet werden – Strategien, die im klar umgrenzten Mikro-Rahmen durchaus funktionieren, auch wenn der Pop-Stahlhelm über Nebenwidersprüche schimpft.

Neuestes Projekt aus dem Hause Umcodierungs-Pop: Missy Elliott, perfekt durchgestylte Rapperin, knöpft sich den Begriff der "bitch" vor. "Bitching" sangen einst die Stranglers und Missy Elliott hat nun daraus eine diskurspolitische Strategie gezimmert. Zu bestaunen auf ihrer aktuellen Platte "Da real world". Die "Bitch"-Programmatik springt dich beim Hören von allen Seiten an und Missy´s Ich ist fast im Sinne Rimbauds die andere: "She´s a bitch" heißt denn auch die Hitsingle. "Mir ist egal, was andere mit bitch meinen, meine Interpretation ist eine andere. Viele Frauen artikulieren sich immer vorsichtig. In dem Moment, wo du die Stimme hebst, bist du eine bitch". So also.

Das erklärt den Kanon, den Missy generieren möchte. Darin ist ganz selbstverständlich Platz für Whitney Houston und Mariah Carey – nach Missy´s Lesart eben auch bitches. Inwiefern sich das noch in Rastern des Politischen begreifen lässt – dahingestellt. So weit ist diese Strategie nicht von der görenhaften "Girlpower" der Spice Girls entfernt: ein Argument, das nicht gegen Missy, sondern eher für die Spiceworld spricht. Ausgeprägten Realismus und den hiphop-typischen Authentizitätsbonus hält man Missy regelmäßig zugute, wenn es darum geht, Kriterien zu finden, anhand derer sich ihre Musik distinktiv beschreiben lässt. Letztlich die schwere Keule eines zur Jahrtausendwende unhaltbaren Wahrheitsbegriffs – kein glücklicher Rückgriff, wohl nur eine neue alte Sackgasse.

Jenseits diskursiver Spagatschritte behauptet sich diese Platte trotzdem locker. Es dominieren Missy´s unerreichte Eleganz und Timbalands umwerfende Sounds. Darker Mimimal-Soul, klangliche Neudefinitionen grundlegender Funk-Patterns und durchästhetisiert-dahingeschnodderte bitch-Parolen. Hört euch die unglaublichen Beats in "Stickin chickens" an – keine soliden Drum-Schläge, sondern wabbelnde Membranen, die dir im Gehirn ewig nachschwingen – und ahnt mal wieder, wie die Freiheit riechen könnte.

Missy "misdemeanor" Elliott – "Da Real World". LP/CD auf Gold Mind/Elektra.