Protestbewegungen im globalen Kapitalismus. ende
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Editorial  
 

›Protestbewegeungen im globalen Kapitalismus‹ bzw. ›Globalisierung und Internationalisierung von Protest‹ lauteten die Seminarankündigungen, die im Sommer 2002 etwa 40 Studierende aus Kassel und Frankfurt für eine Woche ins Kleinwalsertal nach Österreich lockten. Bewaffnet mit gut 20 schriftlichen Ausarbeitungen zum thematischen Feld der Globalisierung und internationalen Protestbewegungen reisten wir an, um eine Woche lang in die Auseinandersetzung darum einzutauchen.

Das Phänomen der Globalisierung ist unlängst Gegenstand akademischer Debatten, wie auch die Auseinandersetzung mit sozialen Bewegungen. Doch scheint sich mit den Protesten von Seattle, Prag und Genua eine ›neue‹ Widerstandsbewegung formiert zu haben, die sogenannte ›globalisierungskritische Bewegung‹. Neu daran erscheint vor allem, dass nach der gesellschaftlichen Isolierung linker Positionen in den 90er Jahren mit anti-kapitalistischen Diskursen – oder zumindest anti-neoliberalen – wieder eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen war. Vor allem nach den Protesten von Genua im Sommer 2001 wurde nicht nur in linken Kreisen über ›Globalisierung und Widerstand‹ diskutiert, sondern auch die bürgerlichen Medien überschlugen sich in ihrer Berichterstattung über die ›neue rebellische Basisbewegung‹. Damit sind auch schon die beiden zentralen Themenblöcke benannt, die uns während unseres Aufenthaltes im Kleinwalsertal beschäftigen sollten. Auf der einen Seite der Prozess der ökonomischen Globalisierung mit seiner Bedeutung für Produktions- und Verteilungsverhältnisse weltweit und auf der anderen Seite Protestformen, die den Widerstand gegen die weltweite Durchsetzung des Neoliberalismus zum Ausgangspunkt ihres Handelns erheben. ›Globalisierung‹ ist längst zu einem Modewort avanciert, mit dem die unterschiedlichsten Vorstellungen assoziiert werden. In der öffentlichen Diskussion erscheint es als eines von zahlreichen Plastikwörtern, das fast inhaltsleer auf quasi alles angewendet werden kann, was eine internationale Verflechtung aufweisen kann. Daher ist es auch kaum verwunderlich, wenn manche die Rede von der Globalisierung als bloßen Mythos abtun. Auch wenn die polit-ökonomische Auseinandersetzung um den Begriff der Globalisierung für manche ein alter Hut ist, ist die klärende Debatte um den Begriff der Globalisierung nach wie vor mehr als notwendig, vor allem die Frage wie die politischen und ökonomischen Transformationsprozesse, die der Begriff der Globalisierung beschreibt, auf nationaler und internationaler Ebene aussehen. Hier gilt es vor allem, die sonst übliche rein ökonomisch geprägte Defintion von Globalisierung zu hinterfragen. Die Rolle von Nationalstaaten wird häufig nur am Rande betrachtet, obwohl auch hier dramatische Veränderungen eingesetzt haben. Einerseits wird allerorts der Verlust von Handlungsmöglichkeiten einzelner Staaten zugunsten von suprastaatlichen Institutionen wie EU, G8, Weltbank etc. beklagt, während andererseits übersehen wird, dass diese Institutionen ja von RegierungsvertreterInnen beherrscht werden. Auch müssen kulturelle Entwicklungen, wie z.B. in den Postcolonial Studies beschrieben, stärker berücksichtigt werden, da sich die Welt nicht nur in polit-ökomomischen Kategorien erfassen lässt.

In der Öffentlichkeit ebenso wenig beachtet ist die theoretische Auseinandersetzung mit Protest und Widerstand. Erst mit der These der Multitude, die Michael Hardt und Antonio Negri in ihrem Buch ›Empire‹ vertreten, eroberte eine Theorie von Protest die Feuilletons. In die Universitäten hat die Bewegungsforschung Anfang der 80er Jahre Einzug gehalten, zu einem Zeitpunkt also, als die neuen sozialen Bewegungen bereits ihren Zenitüberschritten hatten. Die Beschäftigung damit ist jedoch unumgänglich für eine Einordnung der derzeitigen Protestbewegungen. Womit wir auch schon bei der ›globalisierungskritischen Bewegung‹ wären. Diese zeichnet sich durch eine Vielzahl von AkteurInnen und auch Inhalten aus und muss daher genauer differenziert werden. Wer nun die globalisierungskritische Bewegung ist, welche Bezugspunkte es dafür in der Geschichte gibt und welche Kontroversen um diese Bewegung geführt werden, dominierte den zweiten Teil des Seminars.

Die breite Resonanz, auf die die Seminarankündigung unter Studierenden sowohl in Frankfurt als auch in Kassel stieß, ist ein Indiz für die Aktualität des Themas (was hoffentlich nicht heisst, dass es ein bloßes Modethema ist). Vor allem die Verbindung theoretischer Diskurse und politischer Praxis sprach eine Vielzahl von Studierenden an, wie sich bei der Vorstellungsrunde im Kleinwalsertal herausstellte. Dabei wurde auch deutlich, dass viele SeminarteilnehmerInnen in sehr verschiedenen politischen Gruppen organisiert sind (von Attac über Antifagruppen bis zum autonomen Spektrum), während andere sich bis dato vornehmlich theoretisch dem Thema genähert hatten. Diese recht spannende Mischung brachte allerdings trotz ›steiler Thesen‹ kaum Kontroversen im Verlauf des Seminars mit sich (schon eher beim Feierabendbier), was durchaus in der Abschlussrunde bemängelt wurde.
Doch trotz der fehlenden ›Streitlust‹ wurde am Ende eine fast durchweg positive Bilanz gezogen, die unter anderem diesen Reader zu Wege gebracht hat. Damit die zahlreichen Diskussionen, die wir im Verlauf des Seminars geführt haben, nicht verloren gehen, wurden diese in den schriftlichen Ausarbeitungen von den einzelnen ReferentInnen ergänzt. Somit ist eine Textsammlung entstanden, die den inhaltlichen Aufbau des Seminars widerspiegelt. Viele Texte stehen scheinbar unvermittelt nebeneinander, teilweise widersprechen sie sich sogar. Dies mag ein Ausdruck für die Heterogenität der Teilnehmenden sein, aber sicher auch dafür, wie widersprüchlich Globalisierung als Prozess und die diesen Prozess kritisch begleitenden Bewegungen sind.

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