Stadtrundfahrt mit dem Antifa-Express


Sehr verehrte Reisende,

wir begrüßen sie herzlich an Bord unserer Straßenbahn. Mit unserem Reiseplan, heute auf einer alltäglichen Route der Linie 11, werden Sie an vielen Sehenswürdigkeiten vorbeikommen. Erleben sie mit uns historische Orte Frankfurts, lernen sie die Geschichte dieser Orte kennen, tauchen Sie mit uns ein in vergangene Zeiten dieser Stadt! Wir bedanken uns vielmals, dass Sie sich für unsere historische Stadtrundfahrt entschieden haben. Wir wünschen Ihnen eine gute Fahrt!


I. Teil

Lassen Sie uns im Osten der Stadt auf dem Osthafengelände entlang der Hanauer Landstraße beginnen: Im Sommer 1937 wird in der Dieselstraße das »Wohnlager für Zigeuner« eingerichtet. Nach den frühen Verfolgungen von AntifaschistInnen 1933 sind Sinti und Roma die ersten, die systematisch in Frankfurt in Lager eingesperrt und von der Polizei dort überwacht werden. Nachdem die heute noch dort ansässige und damals kriegswirtschaftlich wichtige Firma Matra das Gelände für eigene Zwangsarbeitende aus der Sowjetunion, Frankreich, Italien, Belgien und den Niederlanden benötigte, wurde das »Zigeunerlager« 1942 in die Kruppstraße verlegt. Von hier beginnt im März 1943 die Deportation der verbliebenen Roma und Sinti in Vernichtungslager, vor allem nach Auschwitz-Birkenau, wo viele von ihnen ermordet werden. Verfahren gegen die Frankfurter Haupttäter wurden nach 1945 eingestellt, der ehemalige Lagerleiter Johannes Himmelheber setzte seinen Dienst bei der Polizei bis zur Pensionierung fort.

Am Eingang der Matra-Werke (Dieselstraße 30-40) und der U-Bahn-Haltestelle Kruppstraße sind seit 1994 Gedenktafeln angebracht, die an die Ermordung von Roma und Sinti erinnern. Dies war jedoch nur durch eine private Spende möglich, da die Stadt Frankfurt die Tafeln von der Finanzierungsliste strich, weil sie den Gedenktafel-Etat bereits aufgebraucht hatte. Bis heute kämpfen Sinti und Roma vergeblich um eine angemessene Wiedergutmachung, bis heute werden Roma und Sinti diskriminiert und ausgegrenzt.

Bleiben wir kurz bei einigen Orten an der Hanauer Landstraße: Während des Nationalsozialismus gibt es in einigen Betrieben des Osthafens kommunistische Widerstandsgruppen, die z.B. Flugblätter herstellen oder ausländische Radiosender abhören und Informationen an ihre KollegInnen weitergeben. Im Schwimmbad Molenkopf im Osthafen werden in der Zeit Apparate und Materialien für das Drucken der Informationsschriften versteckt. Eine der Gruppen fliegt 1935 bei der Firma Meuser in der Hanauer Landstraße 475 auf.

In der Hanauer Landstraße 142-172 (Firma Voigt und Häffner) befindet sich während des Nationalsozialismus eines der insgesamt 155 Lager für ausländische Zwangsarbeitende in Frankfurt, in denen Menschen dazu gezwungen werden u.a. in Rüstungs- und Metallfabriken Waffen und Maschinen herzustellen. Viele ausländische Zwangsarbeitende leisten hier Widerstand, indem sie langsam arbeiten, bewusst Ausschuss produzieren oder auch, indem sie ein umfangreiches Netz zur Übermittlung von Nachrichten über die Kriegsentwicklung aufbauen.

Wir erreichen nun die Frankfurter Großmarkthalle, zwischen 1933 und 1945 der Hauptausgangspunkt für die Deportationen jüdischer Bürgerinnen und Bürger, nicht nur aus Frankfurt. Die Großmarkthalle ist auch Endstation für alle diejenigen, die seit 1933 aus umliegenden Gemeinden nach Frankfurt geflohen sind, in der Hoffnung durch die Anonymität der Großstadt der Verfolgung zu entgehen. Die Nazis halten die jüdischen BürgerInnen in den Kellern der Großmarkthalle gefangen, bis sie schließlich in Güter- und Viehwagen abtransportiert werden. Fast 10000 Menschen werden zwischen 1941 und 1944 über die Gleisanlagen der Großmarkthalle in Vernichtungslager gebracht.


II. Teil

Die Innenstadt von Frankfurt erreichend ist Ihr Blick vielleicht nach oben zu den Hochhaustürmen geschweift. Lassen Sie uns hier, am Börneplatz, den Blick kurz auf einige Fundamente richten. Am Börneplatz stand früher eine der acht jüdischen Synagogen in Frankfurt, welche (wie die Mehrheit der Synagogen in Frankfurt und in Deutschland) in der Pogromnacht am 09.November 1938 zerstört wurde. Ende der 1980er gibt es hier zahlreiche Proteste, als die Stadtwerke auf dem Gelände ihr neues Gebäude errichten. Teile der gefundenen Grundmauern in der alten Judengasse bzw. dem Frankfurter Ghetto auf diesem Gelände sind nun Teil des Museums Judengasse – Börneplatz.

Hier, in der Battonstraße (Verlängerung Berliner Straße) wird 1906 erstmals der damals neu aus den USA eingeführte Gummiknüppel gegen DemonstrantInnen eingesetzt. 1978 löst die Polizei hier eine antifaschistische Demonstration (nicht nur mit Gummiknüppeln) auf, die ein NPD-Deutschland-Treffen verhindern konnte.

Beachten Sie nun, in der Braubachstraße, rechts die Gedenktafel am Stadtgesundheitsamt, welche an die Opfer der nationalsozialistischen »Zigeunerverfolgung« erinnert, den Ort markiert, in dem das sogenannte »Erbarchiv« untergebracht wurde, TäterInnen benennt und die Kontinuitäten nach 1945 aufzeigt: Robert Ritter und Eva Justin waren mit ihren »rassen-biologischen« Forschungen maßgeblich am Himmler-Erlass 1942 zur Deportation von Sinti und Roma beteiligt. Beide arbeiteten ab 1947 für das Stadtgesundheitsamt und waren u.a. als »GutachterInnen« in Entschädigungsverfahren betroffener Roma und Sinti tätig. Für die Anbringung der Mahntafel im touri­stischen Zentrum der Stadt musste die Roma-Union mehr als zehn Jahre gegen den Widerstand von Frankfurter Behörden und politischen Institutionen kämpfen.

Weiterfahrend sehen Sie nun zu ihrer Linken das Frankfurter Rathaus, den Römer. Am 10.Mai 1933 werden Berge von Büchern auf Ochsenkarren auf den Römerberg gebracht und verbrannt. Bei diesen von den Nazis als sogenannte »undeutsche Literatur« bezeichneten Büchern handelte es sich um Werke von Rosa Luxemburg, Lion Feuchtwanger, Karl Kraus, Nelly Sachs, Carl Zuckmayer und anderen. Gleichzeitig werden diese Bücher aus den öffentlichen Bibliotheken verbannt, wer sie besaß, machte sich verdächtig.

Am 20.Dezember 1963 beginnt im Plenarsaal des Römers der Auschwitz-Prozess, in dem 20 Personen wegen unmittelbarer Beteiligung am Massenmord an Juden und Jüdinnen im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz angeklagt werden.

Seit Ende der 1980er sitzen im Römer auch Abgeordnete neofaschistischer Wahlparteien: 1989 der NPD, seit 1993 der Republikaner.

Wir befinden uns nun in der Weißfrauenstraße, in der die Degussa bis 2001 ihren Hauptsitz hatte. Ihre Vorgängerin die Deutsche Gold- und Silberscheideanstalt und ihre Beteiligungsgesellschaften setzen während des Nationalsozialismus in ihren Werken zahlreiche Zwangsarbeitende ein. Hier saß auch die Tochtergesellschaft Degesch (Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung), die zu dieser Zeit Zyklon B vertrieb, mit dem Millionen Menschen in den Gaskammern der Vernichtungslager ermordet wurden.

Wir fahren nun durch die Münchner Straße im Bahnhofsviertel. Hier werden im Mai 1993 Teilnehmende einer spontanen Protestdemonstration nach dem rassistischen Brandanschlag in Solingen von der Polizei brutal verprügelt und fest­ge

nommen.

Die nächste Seitenstraße ist die Moselstraße. Während des Nationalsozialismus befindet sich dort in der Nummer 30 eine Leihbücherei, in der Flugblätter der Roten Hilfe redigiert werden. Diese informierten z.B. über Verfolgungsmaßnahmen der Nazis und die Hintergründe des Reichstagsbrandes und waren eines der wenigen Foren für Gegen­informationen, die sich an alle richteten.

Wir fahren jetzt auf den Hauptbahnhof zu. Von hier aus werden in der Nazizeit zahlreiche Juden und Jüdinnen, Sinti und Roma, Schwule und Lesben, Behinderte und WiderstandskämperInnen in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert.

Auch wenn wir jetzt rechts abbiegen, ein kleiner Hinweis. Linkerhand geht es in Richtung Main zum Niederräder Ufer. Dorthin zogen im Herbst 1933 quer durch die Innenstadt Arbeitslose mit geschulterten Spaten: hier wurde nicht nur die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit durch die Nazis inszeniert, sondern auch der »erste Spatenstich« für das Nazi-Projekt Reichsautobahnen.


III. Teil

Wir fahren nun die Mainzer Landstraße entlang zur Galluswarte. Links hinter uns sind die Adlerwerke (Kleyerstraße 45). Hier ist zwischen 1944 und 1945 das KZ-Außenlager Katzbach. Von den 1944 dem Arbeitslager zur Verfügung gestellten 1600 Häftlingen leben nach sieben Monaten nur noch 48. Der damalige Generaldirektor tritt bereits 1948 wieder den Vorsitz im Vorstand der Adlerwerke an.

Auf der anderen Seite geht es zum Haus Gallus, welches kurz nach dem Krieg 1945 erbaut wurde. Hier findet ab 1964 bis zur Urteilsverkündung 1965 der im Römer begonnene Auschwitzprozess statt.

Am 28.09.1985 bei einer Gegenveranstaltung zu einem NPD-Treffen im Haus Gallus wird davor in der Hufnagelstraße der Antifaschist Günter Saré von einem Wasserwerfer der Polizei überrollt und kommt dabei ums Leben. Niemand von den an der Tag beteiligten Polizisten ist bis heute verurteilt worden.

Bleiben wir noch ein Weilchen im Gallus und folgen der Mainzer Landstraße, auf denen sich während des Nationalsozialismus zahlreiche mehr oder weniger große Arbeitslager befinden, z.B. in der Nr. 145 (Margarine Werk Union) oder der Nr. 330 (Autohaus Opel). Die Arbeitslager waren Teil des nationalsozialistischen Programms der Vernichtung durch Arbeit. Etwa 25000 FremdarbeiterInnen und Kriegsgefangene waren während des Krieges ständig in Frankfurt als Arbeitskräfte eingesetzt.

Sie sehen jetzt links die Friedrich Ebert Siedlung. In den 1930ern wohnen hier viele, die gegen den aufkommenden und herrschenden Faschismus

Widerstand leisten. Am 10.04.1933 werden Zufahrtsstraßen gesperrt und in einer großen Razzia die ganze Siedlung durchsucht. Sozialistische Literatur und rote Fahnen werden von den Nazis beschlagnahmt, vermutete Waffen jedoch nicht gefunden. Das Gallus war insgesamt ein Arbeiterviertel, in dem die Nazis anfangs nur schwer Fuß fassen konnten.

Hier an der Ecke Mainzer Landstraße/Mönchhofstraße kommen wir nun zum Ende unserer Fahrt. Auf der anderen Seite geht es in Richtung Rebstockgelände, wo sich der erste Lufthafen der Stadt Frankfurt befand. Während der Zeit des Nationalsozialismus entstand der neue Flughafen an seinem jetzigen Standort. In diesem Zusammenhang wurde in Walldorf ein KZ-Außenlager errichtet.


Wir verabschieden uns nun bei Ihnen. Herzlichen Dank, dass Sie unser Angebot gewählt haben. Vielleicht können wir Sie schon bald auf einer unserer weiteren Angebote historischer Stadtrundfahrten - z.B. durchs Westend - begrüßen. Auf Wiedersehen!


Zusammengestellt von Katrin Amelang basierend auf einer Aktion und Material der Antirassistischen/Antifaschistischen Stadtteilgruppen Gallus & Gutleut 1993.



Weitere Materialien und Links:

Boehm/Parmentier/Wagner/Werner (1981) Das andere Frankfurt. Führer durch das demokratische und antifaschistische Frankfurt. Röderberg: Ffm

http://www.vvn-bda.de/

(VNN-BdA - Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten)

http://www.foerdervereinroma.de/

http://www.frankfurt1933-1945.de

http://antifa.frankfurt.org/Links.html