editorial



Es ist nicht, was es ist! Überall an der Universität Frankfurt wird reformiert und restrukturiert. Wettbewerb und Leistungsorientierung sind die Zauberwörter, die die Lösung aller »Probleme« mit sich bringen sollen. Was derzeit als alternativlose Anpassung an die Notwendigkeit präsentiert wird, ist jedoch bei genauerem Hinsehen die hektische »Umsetzung« eines politischen Programms. Die Universität und jedes ihrer Mitglieder sollen im Rahmen des neoliberalen Programms für die Gesellschaft in Wert gesetzt werden. Was nicht unmittelbar der ökonomischen Wettbewerbsfähigkeit ihres Standortes dient (wie die Wirtschafts- und Rechtswissenschaften), steht damit zur Disposition, abgewickelt zu werden. Fächer und Lehrende werden gezwungen, ihre Daseinsberechtigung als unmittelbar »nützlich« zu formulieren. Wer dies nicht kann, findet sich schnell als barmherzig geduldetes »Orchideenfach« und unmittelbar folgend auch schon als nicht mehr zu finanzierender Luxus wieder.

Allerdings bleibt dennoch völlig unklar, ob das verfolgte und immer wieder nach Gutdünken veränderte Programm der Ökonomisierung aller Bereiche auch tatsächlich »funktioniert«. Vor allem: So funktioniert, wie es den Damen und Herren in ihrer neoliberalen Phantasie/Ideologie vorschwebt. Denn auch die neidisch beäugten erstrangigen Vorbilduniversitäten aus dem anglo-amerikanischen Raum haben gravierende Probleme, so dass zum Beispiel – entgegengesetzt zu den hiesigen Debatten – in den USA wieder das in Deutschland als veraltet geltende Diplom als Modell diskutiert wird.

Hier wiederum machen sich Protagonisten wie der Universitätspräsident immer wieder lächerlich, indem sie ihre eigene Borniertheit in neuen Slogans wie »Hier wird Wissen Wirklichkeit« und »Reformen mit System« vorführen. In eben jenem neuen Corporate Identity-Slogan der Frankfurter Universität erscheint unverhohlen das ganze Programm: Nicht kritische Reflexion dessen, was sich als Wirklichkeit darstellt, ist das Ziel – vielmehr rückt statt dessen die Produktion nutzbringenden und konformen Wissens ins Zentrum des Interesses. Nutzbringend und somit realitätstauglich ist zweifelsohne nur das, was sich verwerten lässt. Alles, was auch nur in irgendeiner ominösen Weise den Anschein hat, über die Erzeugung kompatibler Arbeitskräfte hinauszugehen, wird verhindert oder aufgelöst.

Trotz offenkundiger Lächerlichkeit eines »Hier wird Wissen Wirklichkeit« ist allerdings in diesem Zusammenhang schon mancher das Lachen im Halse stecken geblieben: Weil sich nämlich kein breiterer Widerstand regt und sich die »Betroffenen« lieber einzeln eindosen lassen und die Unileitung sowie die Landesregierung so ohne Bedenken manchen unbequemen Fachbereich oder Lehrstuhl abschaffen oder mit genehmen Personen besetzen kann. Ein beliebtes und nahezu unnachahmlich erfolgsträchtiges Modell dabei scheint zu sein, die Autorität zur Selbstverstümmelung den Fachbereichen selbst zu übertragen, so dass diese sich hinfort darüber zerfleischen, wer oder was jetzt genau eingespart werden soll und darüber ihre gemeinsame Not in tragikomischem Gebaren gänzlich verleugnen (und aus ihrem erhitzten Bewusstsein verbannen).

Entgegen den Behauptungen der ReformerInnen, »inhaltsneutral« zu sein, wird dabei gezielt die Verhinderung kritischer Wissenschaft betrieben. So verhinderte der Universitätspräsident immer wieder und zuletzt im vergangenen Sommer zusammen mit dem Wissenschaftsministerium anhand von fadenscheinigen Argumenten und Verfahrenstricks die Berufung einzelner WissenschaftlerInnen.

Mit der Bildung der sogenannten »Schwerpunkte« bei gleichzeitiger Einführung von Master- und Bachelor-Studiengängen im Zuge des Bologna-Prozesses werden schließlich nicht nur die letzten Möglichkeiten kritischer Interdisziplinarität zerstört. Analog dazu werden die Studierenden (nicht zuletzt über aufwendige Modularisierungsprogramme) in ein Zwangskorsett gepresst, welches nichts anderes bewirken soll, als möglichst schnell möglichst viele entsubjektivierte Subjekte auf die Arbeitsmärkte zu werfen, die das Konkurrenzprinzip zutiefst verinnerlicht haben. Die Möglichkeit, sich an der Universität mit kritischem Wissen über die Gesellschaft auseinander zu setzen, schrumpft proportional zu dem Durchschlagen einer neokonservativen Ideologie, die sich nicht einmal selbst zu legitimieren braucht und sich nachhaltig in der dazugehörigen Terminologie niederschlägt Damit ist bei weitem nicht gemeint, dass bisher die Universität der Hort kritischen Wissens über die Gesellschaft gewesen sei, jedoch fanden sich und existierten beharrlich einige Nischen, in denen die unmittelbare Verwertbarkeit des Wissens nicht zum höchsten Maßstab erklärt wurde. Zwar nicht, ohne durch Konkurrenz und Wissenschaftssprech deutlich wahrnehmbare Spuren in den Subjekten zu hinterlassen, aber doch mit einem Anspruch der Erkenntnis von Gesellschaftlichkeit und der Gesellschaft als Ganzes.

Allein der performative Charakter einer Sprache, die sich in Schlagworten der »Leistungsorientierung«, »Qualitätssicherung«, »Elitenförderung« und »Exzellenz« ausreizt und in das Denken der Subjekte einbrennt, macht sich aber die rechthaberische und radikale Unmündigkeit zum Programm, die aufzuheben das eigentliche Ziel des Denkens ist. Sie fördert und produziert gerade jene Subjektivitäten, die phantasielos und geduckt zukünftig nicht nur universitäre demokratiefeindliche Änderungen im Universitätskörper hinnehmen, sondern deren Logik auch mit der Akzeptanz von 1-Euro-Jobs und anderen gesamtgesellschaftlichen autoritären Umstrukturierungsprozessen konform geht.

Vor diesem Hintergrund ist es das ausdrückliche Ziel der in diesem Sommer von Studierenden und MitarbeiterInnen gegründeten AG Gegenhegemonie, diese scheinbar unverrückbare Normalität nicht nur anzukratzen, sondern auch im Sinne einer praktischen Kritik zu intervenieren. Dieses Heft ist ein erster theoretischer Schritt, zu dem parallel auch weitere praktischer Art in Arbeit sind: öffentlich sichtbare Kritik und Präsenz bei selbstverliebten Schönredereien von Universitätsleitung und Landesregierung, Bekanntmachung der willigen »ReformerInnen« der 2. Reihe aus den Fachbereichen, Verteidigung unserer Studienmöglichkeiten etc. Die AG lädt alle Mitglieder der Universität ein, sich an Kritik und Aktionen zu beteiligen.

Nichts muss so sein, wie es ist.


Dieses Sonderheft mit einigen Versuchen der Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation an den Universitäten, aus örtlichem Anlass mit Fokus auf die Frankfurter Uni, entstand aus der Zusammenarbeit der Redaktion der Zeitschrift diskus mit der AG-Gegenhegemonie. Es weicht deswegen ein wenig vom bekannten diskus ab und ist diesmal auch außerhalb Frankfurts kostenlos.




Die AG-Gegenhegemonie trifft sich dienstags am 12.,19. und 26.10. sowie den 2.11.04 um 18.00 Uhr im Kettenhofweg 130 (IVI). Kontakt: gegenhegemonie@web.de

Veranstaltung:

Nicht schweigen zur Anpassung

Thesen gegen diese Universität

26.10.04, 18.00 Uhr,

Institut für vergleichende Irrelevanz, Kettenhofweg 130

Nichts muss so sein, wie es ist. Das paralysierende, knirschende Schweigen, das die Anpassung an die scheinbaren Notwendigkeiten begleitet, muss in einen unüberhörbaren Lärm verwandelt werden, um in einer adäquaten Kritik artikuliert werden zu können. Die Überlegungen (siehe Artikel in diesem Heft) dafür stellt die AG Gegenhegemonie an diesem Abend öffentlich zur Diskussion.




Redaktion für dieses Sonderheft:

Oliver Schupp, Dietmar Flucke, Julia König, Lothar Eichhorn, Daniel Keil, Freunde und Mitglieder der AG-Gegenhegemonie