Bologna und BA/MA: Zugpferde neoliberaler Politikharmonisierung auf europäischer Ebene


Hinter dem Schlagwort Bologna-Prozess, der derzeit auch die Umbaubestrebungen bei uns an der Frankfurter Uni anleitet, verbirgt sich ein bereits 1998 durch die BildungsministerInnen Frankreichs, Italiens, Großbritanniens und Deutschlands angestoßener Prozess, der vordergründig zum Ziel hat, einen gemeinsamen europäischen Rahmen der Bildungssysteme zu schaffen. Die 1998 verabschiedete sog. Sorbonne-Erklärung#1# steckte sich vor allem die Ziele einer Annäherung der allgemeinen Rahmenbedingungen für Studiengänge und –abschlüsse innerhalb eines europäischen Hochschulraums und der Schaffung eines gemeinsamen Systems mit vergleichbaren gestuften Studienabschlüssen. Zudem stand die Steigerung und Erleichterung der Mobilität von Studierenden und Lehrenden im Zentrum der Planungen. Interessant ist, dass in der Erklärung selbst die Rede davon ist, dass der europäische Prozess und Europa nicht allein dasjenige des Euro, der Banken und der Ökonomie seien. Vielmehr gehe es darum, die intellektuellen, kulturellen, sozialen und technischen Dimensionen »unseres Kontinents« zu stärken. Gleichwohl sei es auch wichtig, die internationale Anerkennung des »attraktiven europäischen Potentials« zu stärken, was eben zur Voraussetzung hat, dass interne Barrieren abgebaut und gemeinsame Standards aufgebaut würden. In der Folgekonferenz von 1999 in Bologna unterzeichneten 29 BildungsministerInnen die sog. Bologna-Erklärung zur Schaffung eines europäischen Hochschulraums bis 2010, und, wie es in einer allgemeinen Zusammenfassung kurz und knapp heißt, »zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Europas als Bildungsstandort weltweit.«


Nur ein klein wenig Kritik ...

Kurz vor der nächsten Zusammenkunft der europäischen Bildungsminister im Mai 2001 in Prag verabschiedete die National Unions of Students in Europe (ESIB) in Göteborg ihre Deklaration zum Bologna-Prozess. Ihr Anliegen ist es weniger, den Prozess als solchen in Frage zu stellen, als vielmehr darauf hinzuweisen, dass die damit verbundenen sozialen Folgen in der Bologna-Erklärung ungenügend beachtet werden. Gefordert wird, dass alle Bürgerinnen gleichermaßen Zugang zu höherer Erziehung haben, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft. Das bedeute, so die Göteborg-Deklaration, dass ein adäquates »funding in the form of study grants« gewährleistet sein muss. In der »Logik« des Bologna-Prozesses wird dann weiter gefordert, dass gewährleistet sein muss, dass alle »programmes of higher education institutions are compatible and exchangeable«. Deshalb sei es notwendig, einen gemeinsamen europäischen Rahmen der Akkreditierungskriterien zu schaffen, »in order to make sure that credits accumulated in different countries or at different institutions are transferable and lead to a recognisable degree.« Und weiter: »To guarantee and improve the quality of higher education, a strong European cooperation of the national quality assurance systems is needed. Accreditation, being a certification of a programme, takes into account, among other criteria, the quality assurance processes and should be used as a tool to promote quality.« Fragt sich nur was auch immer »Qualität« ausmacht und wie sie gemessen werden kann?


... das dann auch niemanden interessiert

Positiv zu vermerken ist allerdings, dass die Göteborg-Deklaration fordert, dass alle ausländischen Studierenden die gleichen Rechte wie inländische haben sollen. Diese Forderungen wurden beim Prager Bildungsministertreffen im Mai 2001 dann »zur Kenntnis genommen«, wie auch die aktive Teilnahme des ESIB gewürdigt wird. Das Prager Communiqué bekennt sich offener als zuvor zum Wettbewerbsgedanken der höheren Bildungseinrichtungen in Europa; ein Gedanke, der auch in der Konferenz 33 europäischer HochschulministerInnen in Berlin im September 2003 deutlich zum Ausdruck gebracht wird.

Aus der bereits in der Sorbonner-Erklärung 1998 formulierten Idee, gestufte Studiengänge aus undergraduate und graduate Studienprogrammen zur Grundlage eines einheitlichen europäischen Hochschulraums zu machen, wurde in der Realität die europaweite Einführung von Bachelor (BA) und Master (MA). Diese seien, so bspw. auf der Homepage des Akkreditierungsrats nachzulesen, »international bekannte und anerkannte Hochulgrade (...), die sich auf dem >akademischen Weltmarkt< bewährt haben.«#2#


BA/MA in der Kritik

Nun ist es ein mittlerweile offenes Geheimnis, dass diese international anerkannten und angeblich Arbeitgeberwünschen entgegenkommenden Abschlüsse vielfach weder bekannt noch gewünscht sind. So wusste von 17 im Vorfeld der Berliner Konferenz von 2003 befragten Arbeitgeberverbänden keiner so recht was mit den genannten Studienabschlüssen anzufangen (FR v. 13.1.2004). Selbst das nun nicht für seine kritisch-progressive Linie bekannte Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) muss feststellen: »Der Bachelorgrad ist noch weitgehend unbekannt ... Die genaue Verortung der neuen Abschlüsse kann aber nicht dem Markt überlassen werden« (FAZ v. 7.11.03). Entsprechend fragt dann auch Wolfgang Kemp in der FAZ: »Wozu der ganze Aufstand, wenn Titel wie Diplom weltweit gut gehen und sich ganze Bildungslandschaften wie Südostasien nach dem deutschen Modell reformiert haben?« (Ebd.)

Und: der Aufstand ist beträchtlich, wenn man die damit verbundene Zeit und den Organisationsaufwand betrachtet, der schon spötteln ließ, dass an deutschen Unis vor lauter BA/MA nicht mehr geforscht werde. Leider bleibt einem das Lachen im Hals stecken, wenn man weiß, dass die notwendige Zertifizierung eines solchen Studiengangs gut und gern zehntausend Euro und mehr kostet; Geld, das den eh schon permanent klammen Unis noch zusätzlich fehlen wird.

Zudem ist das mit der Zertifizierung auch so eine Sache: Sie wird von sogenannten Akkreditierungsagenturen vorgenommen, die wiederum vom Akkreditierungsrat autorisiert werden. Dieser setzt sich aus insgesamt 17 Vertretern der Länder, der Hochschulen, der Studierenden und der Berufspraxis zusammen. Das dabei vielfach die Unklarheit der Kriterien nach denen Qualitätssicherung vorgenommen wird moniert wird, hemmt den Boom dieser Branche keineswegs.


Der Bolognaprozess als trojanisches Pferd...

Alles in allem scheint damit ein Prozess losgetreten worden zu sein, der weder wirklich die angestrebten Ziele erfüllt (Einheitlicher Bildungsraum, Vergleichbarkeit), noch scheint der Aufwand in irgend einem Verhältnis zur derzeitigen materiellen Situation an den deutschen Hochschulen zu stehen, in denen nach wie vor große Mangelverwaltung bei gleichzeitigem Stellen- und Angebotsabbau herrscht.

Bei dieser Kritik geht es nicht um das vielfach von konservativer Seite vorgebrachte Lamento, dass das »gute deutsche Diplom« oder der Magister sich doch bewährt hätten und so merkwürdige angelsächsische Abschlüsse (die auch in der angeblich dort so einheitlichen akademischen Welt vielfach nicht vergleichbar sind) hier einfach nicht herpassen.

Der Zweck, der v.a. mit diesen Umbaumaßnahmen verbunden zu sein scheint, ist vielmehr eine relativ breite Schicht Studierender mit »Bildung Light« abzufertigen, die dann mit dem »unteren Rest« der Gesellschaft in Konkurrenz treten. Jene teilen sich dann von einer durchaus auch finanziell so zu verstehenden Elite, denn: dass der erste, sog. »berufsqualifizierende« Studienabschluss – wie bislang in der Debatte vielfach versichert – gebührenfrei bleibt, bezieht sich dann höchstwahrscheinlich auf den in 6 Semestern zu erbringenden BA, für alles was danach kommt wird über kurz oder lang kräftig zur Kasse gebeten werden. Somit scheint die Einführung von BA und MA mit vorgeblichen Interessen seitens Studierender und der »Wirtschaft« eher ein trojanisches Pferd zu sein, mit dem zusehends der Zeit- und Kostendruck erhöht wird. Das Bildung Zeit braucht, und das hierin bislang bei allem Chaos an deutschen Unis ein (wenn auch unbeabsichtigter) »Vorteil« lag, wird schnell deutlich, wenn Mensch mal die Erfahrung an Unis im BA/MA »erprobten« Ausland gemacht hat.


...und Instrument zur Durchsetzung neoliberaler Politik

Die verschiedenen Erklärungen der europäischen Bildungsministerinnen im Zuge des Bolognaprozesses haben eine auffällige Gemeinsamkeit: Sie sind allesamt keine verpflichtenden Abkommen oder Verträge, sonder lediglich Absichtserklärungen. Gleichwohl wird auf nationalstaatlicher Ebene, aber auch von Seiten der hessischen Landesregierung so getan, als schreibe der Bolognaprozess bestimmte hochschulpolitische Umstrukturierungen vor. Der Bolognaprozess wird hier als Sachzwang dargestellt und dann vollkommen nach eigenem Gusto interpretiert und ausgelegt. In der realen Umsetzung der Bologna-Vereinbarungen werden wohlklingende Ziele wie »lebenslanges Lernen«, »Qualitätssicherung«, »Vergleichbarkeit von Studiengängen«, »die Beachtung sozialer Belange der Studierenden« etc. pp. als das enttarnt, was sie sind: Rechtfertigungsideologie für neoliberale Bildungspolitiken – von Griechenland bis Finnland, von Spanien bis ins Baltikum und auch von Bayern bis nach Schleswig-Holsstein.

Entgegen der Hoffnungen auch linker und fortschrittlicher Kräfte in der Bildungspolitik zeigt die Entwicklung des Bologna-Prozesses, dass im Großen eine (Mit-)Gestaltung im positiven Sinne nahezu unmöglich ist, wenn nicht auf nationalstaatlicher Ebene die politischen Kräfteverhältnisse merklich nach Links verschoben werden.

Gleichwohl gilt es die Köpfe nicht in den Sand zu stecken, sondern auch an den eigenen Hochschulen, an den Fachbereichen einzugreifen und beispielsweise, wenn es um Modularisierung und Akkreditierung von Studiengängen geht, diese möglichst lange zu blockieren und trotzdem zu versuchen bestimmte fachliche Ausrichtungen auch in den »neuen« Studiengängen zu verankern. Zudem sollte darüber informiert werden, wie sich der Bologna-Prozess auf die eigene Hochschule auswirkt, wer wie betroffen ist. Schlussendlich soll hier die Notwendigkeit des Protests noch einmal betont werden: Geht raus, organisiert euch, werdet aktiv,

Organisiert Gegenhegemonie!



#1# Die nachstehend zitierten Dokumente sind, wenn nicht anders angegeben, unter www.bologna-berlin2003.de zu finden.

#2# www.akkreditierungsrat.de



Zum Weiterlesen:

Stellungnahme des Bunds demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler: http://www.bdwi.de/stellungnahmen/bologna-prozess.pdf

Stefan Schmalz: Die Perspektiven des Studierendenprotests, Artikel aus Z – Nr. 57 März 2004, erschienen bei linksnet: http://www.linksnet.de/artikel.php?id=1176

Lars Schewe: Legenden und Wahrheit über den Bologna-Prozess, in: BdWi (Hrsg.): BdWi-Studienheft: Studiengebühren, Elitekonzeption & Agenda 2010, Marburg, 2004.