Sex sells – Beziehung sucks

Sexualität und Beziehungen: ein Dauerbrenner in Flurgesprächen, Treffen, Szeneklatsch, Freundschaftskontexte und: Themenschwerpunkt – gerade wenn sich der feministische Anspruch durch alle Texte ziehen soll(te).

Die Befürchtung, dass die Diskussionen um Themen wie Sexualität und Beziehungen entweder sehr distanziert und abstrakt geführt oder aber zu persönlich, zu nah und daher auch konfliktreich stattfinden, hat sich bestätigt. Allerdings sind auch beide Befürchtungen gleichzeitig eingetroffen.
Das lässt sich an den Texten in diesem Heft sehen: Der Ausgangspunkt von theoretischen Überlegungen – wie beispielsweise die Diskussion um das »Kontrasexuelle Manifest« – ist durchaus teilweise genutzt worden, um über alltagspraktische Fragen, den Bezug zur eigenen Person, zur eigenen Beziehung nachzudenken. Daneben steht ein Text, der sich theoriegeschichtlich mit der Übersetzungsarbeit im »Kontrasexuellen Manifest« auseinandersetzt. Beide Zugänge zum Thema sind wichtig, können aber auch für Brisanz in den Diskussionen sorgen. Einerseits herrschte Enttäuschung über die Distanz und fehlende alltagspraktische Reflektion der theoretischen Ansätze. Andererseits ist die Redaktion bei dem Versuch gescheitert, »klassische« Themen wie sexuelle Gewalt, patriarchale Strukturen in linken Zusammenhängen oder die Wirkungsmächtigkeit von Verletzungsoffenheit und -mächtigkeit der Geschlechter als leibliche Realität erfahrene Struktur (Körper haben / Körper sein unter Bezugnahme auf körperliche Integrität und sexuelle Selbstbestimmung), in die Debatte um Beziehungen mitaufzunehmen.

Im Laufe der Heftproduktion stellte sich zudem die Frage, welche Form der Beziehung eine Redaktion eigentlich darstellt, die durch keine formalen Arbeitsteilungen reguliert wird und im schmalen Freiraum zwischen den notwendigen Reproduktionsarbeiten – müde – abgesessen wird. Wie viel Zeit kann von wem aufgebracht werden – für die Arbeit und vor allem für die zusätzlich anfallende Beziehungsarbeit (in einem durch verschiedene Freundschaften und Politkontexte durchzogenen Raum)?

Fallstricke und Baustellen –
Was auch nicht vorkommt …

… eine Auseinandersetzung über das Verhältnis zwischen Raum, architektonisch materialisierten und anderweitig konstituierten, zu sexuellen und Beziehungspraxen. Trotz aller öffentlichen Anerkennung schwulen Lebens (Homoehe etc.) besteht die Bedrohung der Nutzer von Klappen, cruising areas und des Straßen-Strichs durch staatliche Repression fort. So wurde erst vor einigen Monaten bekannt, dass bei der Polizei einiger Bundesländer noch immer Karteien, vergleichbar den Rosa Listen des NS, kursieren, die die Nutzer solcher Orte verzeichnen. Zugleich konnten wir ebenso wenig auf die lustvollen Aspekte des (sexuellen) Lebens an den Rändern der Sichtbarkeit, die queeren Aneignungspraxen hegemonialer Texte, laufen sie nun über die Leinwand oder manifestieren sie sich in der heteronormativen Architektur der öffentlichen Toilettenanstalten, eingehen.

Eine textliche Annäherung an den ›Praxisgap‹ zwischen queeren und feministischen Theorien ist in der Redaktion sehr persönlich und intensiv diskutiert und schließlich in der vorliegenden Form abgelehnt worden. Wie damit umgehen? Es gab teilweise massive Bedenken, für die Problematisierung von Hipness, Bodyperformance, Labeling oder Attraktivitätsanforderungen und dem damit verbundenen Scheitern an bestimmten Normen, eine Beschreibung von Szeneverhalten als Grundlage zu nehmen, die Gefahr läuft, als denunziatorische Hinterfragung wahrgenommen zu werden. Andererseits bliebe eine abstrakte Formulierung schwammig und nicht nachvollziehbar. Noch einmal mehr ist deutlich geworden, dass das Verhältnis von feministischen Queeren, queeren Feministinnen, nicht feministischen Queeren, nicht queeren Feministinnen zuweilen recht diffizil ist. Ein Fallstrick liegt in der Trägheit einer angemessenen Übersetzung im deutschsprachigen Kontext: Erst die Übersetzung von queer in pervers würde auch die Verletzungen und die Aneignung einer Beschimpfung sicht- und nachvollziehbar nach außen transportieren.

Uneinig waren wir uns darin, ob es um eine Form wechselseitiger solidarischer Kritik gehen muss und wie diese aussehen sollte, oder ob es andererseits nicht bereits problematisch ist diese (Wechsel-)Seiten als getrennte zu bestärken oder allererst zu konstruieren.

Einig waren wir uns hingegen in der Feststellung, dass es sich nicht um zwei gegensätzliche separate Vorhaben handelt, sondern um gegensätzliche, aufeinander bezogene Themen eines innerfeministischen Theorieprojektes, deren Beziehung nicht nur harmonisch ist, trotz/wegen ihrer vielen Verschränkungen, aber auch geteilten Erfahrungen.

Einerseits ist es unklug, vorschnell feministische und queere Theorien in eins zu setzen, andererseits bedeutet queer dem Anspruch nach gerade die Untrennbarkeit der Kritik an Heterosexualität, Zweigeschlechtlichkeit und Patriarchat.

Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass gegenüber einer extrem breiten Rezeption der Theorie im deutschsprachigen Raum, die Formierung einer queeren Szene als politisch-soziale Bewegung, wie beispielsweise »queers for economic justice« in den USA, möglicherweise erst am Anfang steht.

Die Problematik der (oft reflexhaften) Suche einer Definition, eines eigenen Ortes (insbesondere wenn queer nur die Funktion eines Platzhalters haben sollte) hat sich beispielhaft in der militanten Kritik an Kommerzialisierung unter dem Label queer während der Queeruption in Barcelona gezeigt: Ein schwules Viertel anzugreifen, ohne Rücksicht darauf, dass genau solche ›kommerziellen‹ Läden zur Sichtbarkeit beitragen und immer noch Schutzräume darstellen. In unserer Diskussion hieß es dann scherzhaft: Das waren keine Queers, das waren Linksradikale. Hier wird deutlich, dass es nach wie vor umkämpfte Begriffe sind, die verhandelt werden, was in der Selbstlabelung der eigenen Praxis und Kritik an bestimmten Strömungen mit zu reflektieren gilt. Zu schwierig ist es festzulegen, was und wer dann überhaupt als queer gelten soll und damit dem Konzept einer Verweigerung von Identität gerecht zu werden.

Stattdessen müsste es unseres Erachtens verstärkt darum gehen, nach Möglichkeiten zu suchen, das aus älteren Traditionen stammende feministische Wissen nicht einfach fallen zu lassen, sondern es in neuerer, nicht-essentialistischer Sprache zu reartikulieren, es wieder stärker politisch-strategisch zu repräsentieren, da es scheinbar an Attraktivität eingebüßt hat: »If we become angry about issues of sexism, we become ›the nagging female‹ who always complains. We are the ones who have to raise the issue from time to time, complaining, accusing. I can’t tell you how tired I am of that.« (indymedia-Nutzerin)

Es geht also darum, feministische Praxis- und Interventionsformen zu retten, um Themen wie geschlechtliche Arbeitsteilung, kaum veränderte Lohngefälle, fortwesende Antiabtreibungsparagraphen, sexistisches Redeverhalten, Macht- und Ressourcenverteilung usw. wieder auf die (alltags)politische Agenda zu setzen.

Das Unbehagen mit dem eigenen feministischen selbstkritischen Selbstverständnis ist geblieben. Aber, wie es bereits auf der ersten Seite von »gender trouble« so schön heißt: »Möglicherweise muss aber dieses Unbehagen nicht zwangsläufig mit einer negativen Wertigkeit behaftet sein.« Und weiter: »das Unbehagen ist unvermeidlich und […] die Aufgabe ist herauszufinden, wie man am besten mit ihm umgeht, welches der beste Weg ist, in Unbehagen zu sein.«

red.