Sofakissen

 

Mit ungefähr dreizehn las ich in der Bravo in der Doktor Sommer Ecke von Gabi, 15, die sich mit einem Sofakissen selbst befriedigte. Das hörte sich sehr attraktiv an. Die Beschreibung war allerdings eher vage. Sie positionierte ein Sofakissen zwischen ihren Beinen und rieb sich daran bis sie zum Orgasmus kam. Prima. Orgasmus hatte ich bis dahin nicht gehabt, oder zumindest nicht selbst herbeigeführt (wie sich das genau anfühlte und was da passierte war mir nicht ganz klar). Die Kombination Orgasmus und Sofakissen schien eine super Option – weit entspannter, als etwa die auch oft beschworene Kombination Orgasmus und Petting. Außerdem war die Couch im Wohnzimmer überfüllt von Sofakissen in allen möglichen Größen und Beschaffenheiten. So einfach war es allerdings nicht. Es bedurfte einer längeren Test- und Experimentierphase um das richtige Kissen und die richtige Stellung zu finden. Um diese für eventuelle Nachahmer_innen eventuell (falls grob gleiche Erregungsmuster) etwas abzukürzen, hier eine kurze Zusammenfassung meiner Testergebnisse:

Das Kissen sollte viereckig sein (Runde rutschen tendenziell weg und haben nicht so eine große Reibefläche). Es sollte eine verstärkte Knopfleiste an einer Kante haben. (Reißverschlüsse schienen mir ungeeignet).

Die Alternative zu Knopfleisten an der Kante (es geht übrigens weniger um die Knöpfe selbst, die auch nerven können, als um die gestärkte, doppelt genähte Knopfkante) sind Sofakissen deren kompletter Rand von einer doppelt genähten Stoffkante gesäumt ist. (Umhäckelte Kissen fand ich eher unangenehm, weil rauh und kratzig)

Die Füllung des Kissens sollte nicht zu schwabbelig sein, aber auch nicht so prall, dass es nicht nachgibt.
Nun auf den Bauch legen und das Kissen mit der Kante gen Scheide zwischen die Beine klemmen. Unterarme aufstützen oder auch nicht, und am Kissen auf und ab bewegen. (Die Bewegung kommt aus dem Becken und nicht aus den Armen) Rhythmus und Druck nach Belieben und Stimmung variieren. Der Rest ist Übung und Ungestörtheit (ein Hoch auf die zumindest tagsüber zu genießende Privatsphäre von Schlüsselkindern).

Mein liebstes Kissen war eins aus weißem Leinen, das meine Oma in liebevoller Handarbeit mit furchtbaren Rosen bestickt hatte.

Mit der Zeit entwickelte sich das Sofakissen ficken zu einer ziemlichen Obsession. Tags, wenn meine Eltern auf der Arbeit waren oder abends, wenn sie endlich ins Bett gegangen waren, schlich ich ins Wohnzimmer und holte mir ein Kissen. Später legte ich es dann genau an die richtige Stelle zurück. Einmal, als ich mir zum Fernsehen das Oma-Rosen-Kissen in den Nacken klemmte, stieg mir eine Welle des leicht süßlichen Geruchs entgegen, den ich seit einiger Zeit aus meinen (länger nicht gewechselten) Unterhosen kannte. Schock. Da meine Eltern beide rauchten, ging ich jedoch davon aus, dass sie den Geruch nicht wahrnehmen würden und selbst wenn, dass sie nicht genug Phantasie hätten, seinen Ursprung zu rekonstruieren. Um sicher zu gehen, brach ich einen Streit über den ewigen Zigarettenqualm im Wohnzimmer vom Zaun und versprühte fortan täglich größere Mengen meines »My Melody« Parfüms.

Eines Morgens wachte ich auf und spürte das gute weiße Oma-Rosen-Kissen zwischen meinen Beinen. Oh Mist, Regelbruch – das musste schnell wieder an seinen Platz! Ich zog es unter der Decke hervor. Schock. Die Knopfkante hatte einen dicken rotbraunen Streifen. Mens-Attacke. Oh neeeiiin! Alles würde auffliegen. Wie peinlich. Ich konnte mir meine Eltern genau vorstellen, mit ihrem pseudo-verständnisvollen liberalala Hyänenlächeln. Alle würden es wissen und über mich lachen und mich merkwürdig finden. Aaahhh. Was sollte ich machen? Meinen Eltern Rattengift ins Müsli geben?

Mit meinem Oma-Rosen-Kissen im Gepäck nach Berlin auswandern und versuchen in einem besetzten Haus unterzukommen? Einen Brand in der Wohnung legen, bei dem alle Sofakissen zur Unkenntlichkeit verbrennen?

Natürlich machte ich nichts davon. Ich lies das Oma-Rosen-Kissen einfach in dem großen Müllschlucker vor dem Haus verschwinden.

ich rechnete täglich mit – weiß auch nicht genau was – einem Eklat. Und es passierte – nichts. Irgendwann fiel meiner Mutter auf, dass das furchtbare Rosenkissen fehlte. Als aber niemand etwas wusste, gab sie sich mit einem trockenen »Ein hässliches Sofakissen weniger« zufrieden. Mir war aber die Lust an Sofakissen vergangen. Das war mein letztes Mal mit einem Sofakissen.