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Panik Qulture sind eine kulturaktivistische Gruppe, die seit 2004 in Paris mit politischen Aktionen – ZAPs und Filmen – heteronormative, rassistische und bourgeoise/ klassizistische Praxen im kulturellen Feld kritisieren, sei es das Mainstream-Kino, das Pornokino, die Architektur oder die Theorie. Dazu gehört vor allem der Widerstand gegen eine Entmündigung von Aktivist_innen durch straighte Intellektuelle und selbst erklärte Expert_innen, die vor allem im Umgang mit Trans- und Intersexuellen eine scheußliche Normalität in Wissenschaft und Gesellschaft darstellt. Im Frühjahr störten sie die Konferenz anlässlich des Erscheinens von »Trouble dans le genre«, der französischen Übersetzung von Judith Butlers »Gender Trouble«, wo sie eine Kanonisierung Butlers Arbeit zuungunsten ihrer politischen und aktivistischen Seiten kritisierten. Kürzlich wendeten sie dieselbe Aktionsform gegen Beatriz Preciado an, die ebenfalls an der Pariser Elite-Hochschule ENS zu Post-Pornographie sprach und verliehen ihr den ironischen Preis des PQ d’or #1. Über ihre Kritik an Preciado und die Situation des Queeraktivismus in Frankreich spricht im folgenden Marcella Moustache für die Gruppe Panik Qulture.

_Welche Rolle hat Beatriz Preciado für die kulturelle Übersetzung von Queer Theory in den französischen Kontext gespielt?

Eigentlich war es Marie-Hélène Bourcier, die den Zoo #2 gestützt hat, dem die kulturelle Übersetzung der Queer Theory nach Frankreich zu verdanken ist. Die Arbeit des Zoo hat das anti-identitäre US-amerikanische ›queer‹, das eine universalisierende Tendenz hat, in ein französisches ›queer‹ überführt, welches gleichzeitig identitär und post-identitär ist und dessen Hauptziel es war, den republikanischen französischen Universalismus zu kritisieren, dessen Integrationssystem als Planierwalze gegen Differenz dient. ›Sich integrieren‹ in Frankreich heißt vor allem ein weißer Hetero-Mann zu werden! Die republikanische Maschine fängt langsam zu rosten an und immer weniger Minderheiten glauben ihr. Die ›Queer Theory made in Zoo‹ zielte auf eine Politik der Minoritäten-Koalitionen, die sich mit der Frage des straighten weißen Universalismus beschäftigt.

Beatriz Preciado ist erst später zum Zoo gekommen und ihr Hauptbeitrag zum Empfang und zur kulturellen Übersetzung von queer in Frankreich besteht in dem »Kontrasexuellen Manifest«, welches zudem nur mit der Hilfe eines sehr speziellen Produktionsdispositivs geschrieben werden konnte. Tatsächlich ist es nicht das Werk einer einzelnen Autorin, wie der Einband des Buches vermuten lässt. Preciado und Bourcier haben das Buch zusammen übersetzt/geschrieben auf der Basis von einem fünfzehnseitigen Manuskript Preciados, das in Englisch und Spanisch verfasst war. Diese Übersetzung ohne Original ist sehr bezeichnend für den ›theoretischen Verkehr‹ zwischen den Sprachen, der von der queer theory praktiziert wird. Denn indem Bourcier den Text übersetzt hat, hat sie ihn gleichermaßen betrogen, auf seinen Schreibprozess Einfluss genommen. Dieses Dispositiv des gleichzeitigen Schreibens/Übersetzens/Betrügens markiert das Ende des Autors, auch wenn, wie Bourcier es sagt, sie »vielleicht die politische Kohärenz hätten soweit treiben müssen, eine Art des ›Unterzeichnens‹ zu finden, die diesen begrüßenswerten Tod des Autors sichtbar gemacht hätte, der vorteilhaft durch eine Vermehrung von Schreibenden ersetzt wurde, von DJs ›der‹ Multikultur.«

_Wer liest Preciado in Frankreich und wie wird sie jeweils gelesen?

Im Gegensatz zu dem sonstigen Widerstand der politischen, theoretischen und medialen französischen Kontexte gegenüber dem ›queer‹, der versucht die Übersetzung, welche von minoritären Kontexten vollzogen wurde, rückgängig zu machen (zum Beispiel die beständige Auslöschung der Arbeit des Zoo), im Gegensatz dazu scheint mir das Werk von Beatriz Preciado eine einigermaßen positive Rezeption zu genießen. Man könnte sich fragen, warum das Manifest so gut aufgenommen wird, namentlich in den feministischen Kontexten, die mehr als reserviert der queerisation gegenüberstehen. Es scheint, dass dieser gute Empfang und diese weitreichende Verbreitung von Preciados Theorie daher kommt, dass sie sich in eine gewisse Logik des amerikanischen ›queers‹ einschreibt, und eben nicht in die des französischen ›queers‹. Das Manifest ist einer anti-identitären, universalisierenden Perspektive verschrieben. Die utopische kontrasexuelle Gesellschaft, die Preciado beschreibt, ist eine Gesellschaft, in der die Individuen identisch sind. Das macht natürlich viel weniger Angst als das minoritäre dirty queer des Zoo oder von Bourcier (siehe »Queer Zones« und »Sexpolitiques« von Bourcier), in einem Land, in dem man immer noch davon ausgeht, dass die sexuelle Identität aus dem Privaten hervorgeht und wo das Gespenst des Kommunitarismus bei der kleinsten politischen Krise beschworen wird.

_1980 gab es in der feministischen Zeitung Question Féministes einen Bruch, der zu einer Spaltung der Frauenbewegung in einen sich institutionalisierenden materialistisch-feministischen Flügel und einen in die Unsichtbarkeit abgleitenden radikallesbischen Flügel geführt hat. Daraufhin wurde Monique Wittig in Frankreich lediglich als materialistische Feministin gelesen. Erst mit Butlers Übersetzung ins Französische kommt nun die radikallesbische ›queere‹ Wittig zurück nach Frankreich. Hat Preciados und Bourciers Projekt der ›Wiedereinführung‹ Wittigs, der ›queeren‹ Wittig in die französische feministische Debatte funktioniert?

Marie-Hélène Bourcier wollte gerne Wittig in die feministische französische Debatte wieder einführen. Deshalb wollte sie Wittig – nachdem sie »Gender Trouble« und Butlers Gebrauch von Wittigs Theorie gelesen hatte – wieder (zurück) ins Französische übersetzen.#3 Die Übersetzung ist wohlverstanden kein neutraler Prozess und Bourcier hat den Text und den Kontext seiner Rezeption 2001 in einen theoretischen Rahmen gestellt, der eher queer als materialistisch ist.

_In Deutschland wird viel darüber diskutiert, ob man das Manifest ›ernst‹ nehmen sollte oder nicht. Gibt es eine solche Diskussion bei den Aktivist_innen in Frankreich auch?

Am »Kontrasexuellen Manifest« gibt es viel zu kritisieren. Zunächst denke ich, dass es auf einer Politik mit universalistischen Tendenzen basiert: Lasst uns alle unsere Köpfe rasieren, lasst uns alle ›wittigs‹ – Körper – werden und lasst uns kontrasexuelle Praktiken haben. Es gibt in der Kontrasexualität ein Auslöschen von Differenzen, das ich sehr problematisch finde. Und das große Ungedachte des Buches bleibt die Kategorie ›race‹: es ist schön und gut, auf seine ›natürliche Position als Frau oder Mann zu verzichten‹, aber es gibt auch noch andere Differenzen, welche die sozialen Beziehungen strukturieren. Das Buch ist voller Widersprüche. Wenn die Kontrasexualität eine Utopie ist (und verweisen die Konzepte von Manifest und Utopie nicht auf eine sehr problematische Politikkonzeption in humanistischer Tradition?), wieso sollten wir dann auf unsere Position ›verzichten‹? Für Preciado ist der kontrasexuelle Vertrag (le contra-sexualité) ein Verzicht, ein Opfer. Ich möchte auch bemerken, dass die Binarität der Geschlechter das Herz der kontrasexuellen Theorie darstellt, sie bestimmt. Ich komme noch mal auf diesen Satz aus dem Manifest zurück: »auf seine Position als Frau oder Mann verzichten«. Dieses ›oder‹ ist höchst problematisch. Wo ist Preciados Anrufung situiert, um ein universalisierendes, utopisches Programm auf der Basis einer binären und naturalisierten Weltsicht auszurufen?

_Warum hat Panik Qulture Preciados Auftritt an der ENS bei der Sitzung zu Contre-cultures pornographiques im Rahmen des Festivals QueerCités am 27. Oktober 2005 gestört?

Mit dieser Aktion wollten wir auf die Frage nach dem Ort des Intellektuellen in Frankreich zurückkommen und auf seine Beziehungen zum Wissen und zu den Minderheiten. Panik Qulture hatte schon aus ähnlichen Gründen das Dispositiv gestört, das die Ecole Normale Supérieure (ENS) letzten Mai aufgebaut hatte im Rahmen der Konferenz für Judith Butler.#4 Dieses Dispositiv zielte darauf, Butler in Frankreich als straighte Philosophin einzuführen zu Ungunsten der queeren und politischen Anteile ihrer Arbeiten, mit der Absicht dissidente Lesarten von französischen LGBT Aktivist_innen unsichtbar zu machen und eine butlerische Orthodoxie zu etablieren.

Bei Preciado an der ENS ging es um das Gleiche. Beatriz Preciado sollte – als Expertin positioniert – den Aktivist_innen erklären, wer wir sind und was wir machen (was uns natürlich überfordern würde und nur eine Expertin uns erklären kann) mit der ganzen Autorität, die ihr durch ihre Selbstbezeichnung als Philosophin und ihren Platz auf dem Podium zuteil wurde. Und tatsächlich erklärte sie dann, dass die Arbeit von Panik Qulture eine zu »wörtliche Anwendung der Queer Theorien« darstellen würde, die kein »post-porno« sei. Wir brauchen keine ›grandes dames de la philosophie‹ um unsere Arbeit zu definieren oder eine politische Agenda der Minoritäten an deren Stelle etablieren zu lassen.

_Preciado schreibt im Manifest dass man Pornographie und Prostitution zunächst verbieten müsse, um sie anschließend in einer kontrasexuellen Gesellschaft als normale Arbeit und Hochkultur zu etablieren. Panik Qulture machen auch selber Pornos. Sind diese als ›Kontra-Pornographie‹ zu verstehen?

Nein, ich halte die Konzepte von Kontrasexualität und Kontra-Pornographie für nicht brauchbar. Panik Qulture zieht es vor, den Term ›post-porno‹ zu verwenden, der von Annie Sprinkle entlehnt ist. Wir machen in dem Sinne Post-Pornographie, als dass wir dieses Produktionswerkzeug von sexuellen Identitäten, Genitalorganen und Praktiken, welches die Pornographie darstellt einsetzen, um zu versuchen, den Spieß umzudrehen, um neue Identifikationsmodi zu schaffen und die Sexualität und die Repräsentation der Sexualität dem Experimentieren zu öffnen. Wir haben zum Beispiel den ersten französischen Porno-Workshop gemacht: Brico-Porno (etwa: ›Ich bastle mir einen Porno‹ Anm. C.M.) im Oktober 2005. Es ging darum in fünf Stunden mit einem Dutzend Teilnehmenden einen Porno zu entwerfen und zu drehen. Alle mussten an allen Drehorten drehen, mit dem Ziel die Politik des französischen Autorenkinos zu unterlaufen, die sich auch im Porno niederschlägt. Hier gab es keinen Herrn Regisseur, der die Hosen anbehalten hätte, sondern ein gemeinschaftliches Arbeiten, dessen Ziel es war, die Repräsentation von Sex platzen zu lassen.

_Wie sieht die aktuelle Situation für queeren Aktivismus in Frankreich aus?

Ich finde die Situation eher daramatisch! Einerseits ist queer ein Begriff geworden, der hauptsächlich von heterozentristischen Künstler_innen verwandt wird (z. B. das Fanzine Dildo), im Sinne von Parodie, dem Absurden, einer unglaublich hoffnungslosen politischen Antwort, einem neuen ›no future‹; auf der anderen Seite bleibt der politischere Queer-Aktivismus von Gruppen wie dem Collectif Q oder den Panthères Roses überwiegend eine Sache von weißen Mittelklasseheten. Es gibt eine tatsächliche Niederlage der Politik von Minoritätenkoalitionen in Frankreich. Wenn man sieht, dass die Panthères Roses es vorziehen, die Schwulen und Lesben in Polen nach ihrem Identitätsmodel des amerikanischen ›out‹ zu zivilisieren, statt solidarisch mit den Aufständen in Paris zu sein, die gegen den verwurzelten republikanischen Universalismus rebellieren, dann sagt man sich, dass die Situation sehr ernst ist.

Das Interview führte Cornelia Möser.

Anfang 2006 wird bei dem Verlag Les Films de L’Ange die DVD »Post-Porno« von Panik Qulture erscheinen.

 

*.notes

#1 PQ ist auch eine Abkürzung für Toilettenpapier und Preciado erhielt eine goldene Rolle Klopapier.

#2 Le Zoo war eine Gruppe von Queer-Aktivist_innen, die zwischen 1996 und 2001 im Umfeld der Sorbonne öffentliche Übersetzungen der bis dahin in Frankreich komplett ignorierten Texte der US-amerikanischen Queer Theory organisierten. Darüber hinaus ist aus diesem Zusammenhang eine Vielzahl von Aktivist_innen-Gruppen hervorgegangen die mittels kultureller Happenings auf die Queer-Debatte in Frankreich sowohl inneruniversitär als auch allgemein Einfluss nehmen. Hierzu gehört auch die Gruppe Panik Qulture. Anm. C.M.

#3 Erst 2001 wurde das in englischer Sprache verfasste »The straight mind« der in die USA ausgewanderten Monique Wittig von Marie-Hélène Bourcier ins Französische übersetzt, wo es bei dem Verlag Balland unter dem Titel »La pensée straight« herausgebracht wurde, aber bereits wieder vergriffen ist. Im gleichen Jahr organisierten Bourcier und Preciado eine Konferenz zu Ehren Wittigs an der Columbia University in Paris. Die Konferenzbeiträge wurden 2002 unter dem Titel »Parce que les lesbiennes ne sont pas des femmes 2002« veröffentlicht. Anm. C.M.

#4 Es handelt sich um die offizielle Konferenz anlässlich des erstmaligen Erscheinens der Übersetzung von »Gender Trouble« in französischer Sprache am 26. Mai 2005 bei der Judith Butlers anwesend war.