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Reproduktionskonten fälschen!
Heterosexualität, Arbeit & Zuhause

Daß Arbeit geschlechtsspezifisch zugeteilt und verrichtet wird, ist ein mittlerweile klassisch gewordener Gegenstand feministischer Kritik. Angesichts sich verändernder Arbeits- und Geschlechterverhältnisse und entsprechend neuer theoretischer Zugänge formulieren Pauline Boudry, Brigitta Kuster und Renate Lorenz, umtriebig in und zwischen Film, Kunst, Text und Politik, eine etwas andere Perspektive auf dieses Thema. Das von ihnen herausgegebene und Ende letzten Jahres bei b_books erschienene Buch »Reproduktionskonten fälschen! Heterosexualität, Arbeit & Zuhause« versammelt Texte aus unterschiedlichen Kontexten: Ergebnisse industriesoziologischer Studien und ökonomietheoretische Überlegungen der 90er, Dokumentarisches zur Kampagne »Lohn für Hausarbeit« aus den 70ern, ein Auszug aus einem feministischen Roman vom Anfang des Jahrhunderts, Erzählungen der Chefsekretärin eines modernen Unternehmens und weitere Texte diskutieren die Zusammenhänge zwischen Liebe, Arbeit, Weiblich- und Männlichkeit, Heterosexualität und Zuhause und mischen sie teilweise neu auf.
Auf Diskussionsveranstaltungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz stellten die Berlinerinnen Anfang des Jahres ihr Buch und einen eigenen Videofilm zum Thema vor. Der folgende Text entstand aus Auszügen der (wesentlich umfangreicheren) Einleitung des Buches, die mit Teilen des Vortrags zu den Veranstaltungen kombiniert wurden. (Red.)

Wir möchten auf das Thema Arbeit eine leicht ›verschobene‹ Perspektive einnehmen: uns interessiert der Arbeitsplatz als Lebensverhältnis. Es ist ein Ort, an dem Personen einen nicht geringen Teil ihres Lebens verbringen, der ihr Selbstgefühl etwa durch Ängste, Überdruß, Erniedrigung oder Bestätigung ganz entscheidend mitbestimmt. Die Beschäftigten können nicht umhin, dort Verhältnisse zu anderen wie Chefs, KollegInnen und KundInnen herzustellen. Sie sind ständig mit Anforderungen konfrontiert, denen sie mehr oder weniger gut gerecht werden, gegen die sie möglicherweise auch Verweigerungsstrategien entwickeln müssen. Veränderungen in der Produktionsweise, neue Maschinen oder schlechtere Arbeitsverträge spielen aus dieser Perspektive durchaus eine Rolle; aber immer unter dem Gesichtspunkt, wie sich die daraus entstehenden Arbeitsabläufe, Bewertungen und Hierarchien im Verständnis und den Wünschen der Arbeitenden niederschlagen.

Wir verstehen dieses Projekt auch als eine Intervention in die momentane Debatte um Arbeit, als eine Aufforderung, grundlegende Fragen zum Arbeitsbegriff und zu konkreten Arbeitsverhältnissen entgegen vermeintlicher ›Sachzwänge‹ zu diskutieren, sie nicht durch eine bloße Zahl-der-Arbeitsplätze-Debatte zu ersetzen: wie wird Arbeit verteilt, was bedeutet es für eine Person, Arbeit zu haben oder keine und wie wirkt sich die eine oder andere Arbeit auf den Status der Person aus, die sie verrichtet.

Der Titel ›Reproduktionskonten fälschen!‹ ist dabei auch als eine Kritik an Begriffen zu verstehen, wie sie sowohl in der klassischen Ökonomietheorie als auch ihren modernisierten Versionen (etwa der Regulationstheorie) benutzt werden. Dort wird die Reproduktion (also die Wiederherstellung der Arbeitskraft, Hausarbeit) gewöhnlich der Produktion untergeordnet, die Institution des Zuhause oder etwa Emotionalität werden wenig diskutiert. Die hier gewählte Perspektive widerspricht einer üblichen Gegenüberstellung von Arbeit und Freizeit, die Erwerbsarbeit als den öffentlichen, monetären, fremdbestimmten Bereich der Zwänge, das Zuhause dagegen als den freundlichen Ort der Emotionen, des Persönlichen, der Wünsche und der selbstbestimmten Lebenszeit betrachtet. In Entsprechung zur Erwerbsarbeit möchten wir das Zuhause als einen Ort beschreiben, an dem es – meist unausgesprochene – Verträge zwischen den Beteiligten gibt. Sie regeln, wer welche Tätigkeiten übernimmt und rechtfertigen diese Regelung (›ich arbeite so hart, dann bin ich zu Hause müde‹) oft im Verhältnis zur Erwerbsarbeit. In beiden Bereichen verrichten die Personen ihre Arbeit ›als Mann‹ oder ›als Frau‹, mit all den unbeabsichtigten Folgen, die das hinsichtlich des (häuslichen) Arbeitsumfangs, der geforderten Verhaltensweisen, der möglichen Wahl des Arbeitsplatzes und des Umgangs mit anderen Menschen haben mag.

Sexuelle Arbeit

Der Begriff der ›sexuellen Arbeit‹, den wir hier vorschlagen, soll die vielfältigen Beziehungen zwischen Arbeitsplatz und Zuhause ansprechen. Er führt dabei zwei Ebenen zusammen: Zum einen kennzeichnet er die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, nach der Frausein immer noch bedeutet, daß ihr der größte Anteil der manuellen, kognitiven und emotionalen Tätigkeiten zufällt, die als Hausarbeit bekannt sind – aber ebenso die schlechtbezahltesten Erwerbsarbeitsplätze. Gleichzeitig spielt dieser Begriff aber auch darauf an, daß Arbeitsverhältnisse Fähigkeiten und Emotionen in den Arbeitsprozeß integrieren, die dem Bereich des Persönlichen, der Subjektivität zugeordnet sind. Es handelt sich um Weisen der Selbstdarstellung in Kleidung und Verhalten, darum ›wie‹ eine Person bestimmte Aufgaben erledigt, ›wie‹ sie Gespräche führt. Daß jemand verschiedenste Abläufe managt, bei Streß und Ärger ruhig bleibt oder aggressiv auftritt, sich neue Wissensgebiete leicht aneignet, offen für neue Ideen oder neue Bekanntschaften ist – das sind individuelle Eigenschaften, aber zugleich überindividuelle Arbeitsanforderungen, wie sie sich in vielen Stellenangeboten finden. Eine Bestätigung oder Ablehnung dieser individuellen Fähigkeiten durch FreundInnen, Familienmitglieder, KollegInnen und ArbeitgeberInnen entspricht daher weitgehend einer Bestätigung oder Ablehnung der gesamten ›Person‹. Die Anforderungen an solche Fähigkeiten/Eigenschaften sind in hohem Maße geschlechtsspezifisch. Den gesellschaft-lichen Normen von Zweigeschlechtlichkeit und Zwangsheterosexualität entsprechend, wird mit ihnen eine eindeutige Darstellung von Geschlecht ebenso wie von Heterosexualität verbunden. Das heißt, sexuelle Arbeit ist dann besonders produktiv, wenn sie eine sichtbare Kohärenz von Geschlechtsidentität und sexueller Praxis herzustellen vermag. Heterosexualität als gesellschaftliche Norm bleibt gewöhnlich unmarkiert, so daß auch die sozialen Praktiken, die mit ihr verknüpft werden, nicht bezeichnet werden können. Um auch die Zusammenhänge von Heterosexualität und Arbeitsbedingungen adressieren zu können, schlagen wir vor, nicht von ›geschlechtsspezifischer‹ sondern von ›sexueller Arbeitsteilung‹ zu sprechen.

Kultur langer Arbeitstage

Wir selbst und viele die wir kennen leben mit einer Arbeitslast, die nicht in erster Linie repressiv, sondern selbst auferlegt und gewollt ist und häufig dennoch als Zwang empfunden wird. Eine solche Beobachtung führte die Geographin Doreen Massey dazu, Arbeitsverhältnisse mit relativ hohem Status zu untersuchen, anstatt – wie in früheren Forschungsprojekten – eher repressive, schlechtbezahlte. Sie geht davon aus, daß die Attraktivität bestimmter Formen von Arbeit für den gesellschaftlich wirksamen Arbeitsbegriff, für die jeweils angestrebten Arbeitsbiographien und eine daraus resultierende Arbeitsteilung prägend ist.

Für eine empirische Untersuchung wählte Doreen Massey die Branche ›Hochtechnologie‹ auch deswegen aus, weil sie als ›Wachstumsindustrie‹ gilt und damit eine Vorbildfunktion für andere Branchen einnimmt.

Sie findet bei den befragten Beschäftigten – sie ist dort fast ausschließlich auf Männer gestoßen – eine Kultur enorm langer Arbeitstage vor. Hierbei seien es weniger die Bedingungen dieser Industrie, wie etwa Konkurrenz zwischen neoliberalen Unternehmen bzw. auf dem Arbeitsmarkt oder irgendwelche Anreize modernen Unternehmensmanagments, die die Beschäftigen zu immer höheren Arbeitseinsätzen anspornen, sondern – ganz einfach – deren »Liebe« zur Arbeit. Die Beschäftigten machten Aussagen wie: »Wir müssen nicht länger arbeiten – ich denke die Leute wollen das, weil sie ihre Arbeit gerne machen.« Oder: »Ich habe so viele Ferien, daß ich gar nicht weiß, was ich damit anfangen soll.« Die starke Involviertheit gerade in diese Art von High-tech-Arbeit habe – so Massey – mit bestimmten Charakteristika einer abstrakten Männlichkeit zu tun wie sie im westlichen Denken verankert seien: wissenschaftliche Arbeit werde mit Rationalität, Vernunft und Logik verbunden und daraus erhielte sie ihren Status. Die damit verbundenen Eigenschaften und Fähigkeiten, die sich die Beschäftigten zugeschrieben haben, führen dazu – so Masseys Schlußfolgerung –, daß sie von den Unternehmen der Hochtechnologie konsequenter ausgebeutet werden können. Es entsteht eine Konvergenz von Begehren/ Interesse zwischen einer bestimmten Art von Männlichkeit und einer bestimmten Form des Kapitalismus. Die Charakteristika der damit einhergehenden Subjektivitäten sind aber – als gesellschaftlich hochbewertete – nicht nur für empirische Männer sondern auch für Frauen durchaus begehrenswert.

Massey stellt fest, daß es bei dieser Liebe zur Arbeit nicht nur darum geht, bestimmte Arbeiten besonders gerne machen zu wollen, sondern mit ebensoviel Emotionalität andere Arbeiten abzulehnen. Hausarbeit, so Massey, ist eine Art von Arbeit, bei der es sozial akzeptiert ist, wenn eine Person nicht gut darin ist: »Kochen? ich werfe irgendwas in die Mikrowelle, nichts besonderes. Wenn es schnell geht, ist das gut genug für mich.«, meinte einer der Interviewten.

Es ensteht eine Arbeitsteilung, wobei häusliche Tätigkeiten und emotionale Arbeit meist entweder von LebenspartnerInnen, FreundInnen oder von bezahlten DienstleisterInnen übernommen werden.

Alleinerziehender Vater gesucht

Im zweiten Stock des Hamburger Museums der Arbeit wird der ›Arbeitsplatz Kind‹ erfunden. In einer Vitrine sind Gegenstände zusammengestellt, die – bei näherer Betrachtung – alle auf unterschiedliche Tätigkeiten verweisen, die bei der Betreuung eines Kindes anfallen: So findet sich ein Stillbüstenhalter, es werden aber auch die Betreuung der Hausaufgaben oder die Beurteilung von Zensuren angesprochen. Neben einem Muttertagsgedicht ist eine Broschüre der Freien Hansestadt Hamburg plaziert, die über Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub informiert. Ein Neurodermitisanzug für ein Kleinkind verweist auf die häusliche Behandlung einer langwierigen Erkrankung. Ein Plakat mit dem Titel ›Wir leisten Widerstand‹ stammt aus aktiveren Anti-AKW-Zeiten, in denen sich u. a. Mütter gegen eine radioaktive Belastung von Kindern organisiert hatten.

Diese feministische Strategie stellt heraus, daß die Betreuung eines Kindes ›Arbeit‹ ist und daß sie ein vielfältiges und spezialisiertes Wissen erfordert. Sie greift damit die übliche Bewertung und Hierarchisierung von Wissen an, nach der Hausarbeit und Kinderbetreuung nur eine Art ›Alltagswissen‹ benötigen, das besonders Frauen ›sowieso‹ und ›natürlicherweise‹ besitzen.

Diese sexistische Zuschreibung versucht das Hamburger Museum für Arbeit auch auf einer anderen Ebene anzugehen. So hören die BesucherInnen aus einem Lautsprecher die Stimme eines ›alleinerziehenden Vaters mit Teilzeitstelle‹, der dort den Ablauf seines ›Arbeits‹alltags schildert. Dennoch ist dieser Vater gesamtgesellschaftlich gesehen ein Einzelfall. Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die an sie geknüpften Erwartungen scheinen weitgehend intakt zu bleiben, während sich gesellschaftliche Vorstellungen und Bilder von reinen Männer- oder Frauendomänen zu verändern beginnen.

Eine bessere Frau sein

Bei der Betrachtung der Gegenstände im Museum fiel uns auf, daß als notwendige Tätigkeiten der Kinderbetreuung eher solche herausgegriffen wurden, die dem Bereich hochbewerteter Arbeit zugerechnet werden können, weil sie den Einsatz individuell erlernter, intellektueller und sozialer Fähigkeiten in besonderem Maße erfordern. Da diese Arbeit als eine ›qualifizierte‹ vorgestellt werden soll, finden sich allerdings weniger Hinweise auf die repititiven und langweiligen Tätigkeiten, die bei der Kinderbetreuung auch anfallen, wie z. B. schmutzige Windeln, Wäscheberge, Einkäufe.

Welche Bedeutung hat aber die Aufwertung häuslicher Tätigkeiten für eine Person (wir gehen entsprechend der Statistiken weiterhin von einer Frau aus), die dieser Arbeit verrichtet? Sie kann diese Arbeiten besser machen, wenn sie sich mehr Wissen aneignet, wenn sie ihre sozialen Fähigkeiten ausbaut und mehr Zeit für emotionale Zuwendung einsetzt. Sie kann also eine ›besser Mutter‹ sein. Dazu werden allerdings besondere Fähigkeiten/Eigenschaften verlangt: nämlich solche, die sozial mit ›Weiblichkeit‹ verbunden sind. Während bei Frauen damit gerechnet wird, daß sie diese Eigenschaften besitzen, wird ihr Auftreten bei Männern meist besonders herausgestellt (›er ist so nett mit Kindern‹ – ›er hat so lecker gekocht‹).

Frausein abspalten

Der relativ hohen Bewertung bestimmter Tätigkeiten zu Hause kann eine Abspaltung unattraktiver Tätigkeiten gegenüberstehen, die dann von einer anderen Person, meist ebenfalls einer Frau, erledigt werden müssen. Darüber stellt sich eine Hierarchie zwischen verschiedenen Formen von Weiblichkeit her, die unter anderem nach rassistischen Kriterien verläuft.

Brigitt Anderson, eine Vertreterin der britischen Hausangestelltengewerkschaft Kalayaan, formulierte dies in einem Interview für den Beruf der Hausangestellten. Diese arbeiten häufig ohne Aufenthaltsstatus und damit ohne juristische Absicherung zu extrem deregulierten Bedingungen. Sie werden oft dazu gezwungen, im Haushalt zu wohnen und ihren ArbeitgeberInnen gegen sehr geringe Löhne bis zu 24 Stunden täglich zur Verfügung zu stehen, »Hausarbeit«, so Anderson, »ist dreckige, minderwertige Arbeit. Und es ist Frauenarbeit. Wenn eine Migrantin die schmutzige Hausarbeit macht, hat die Arbeitgeberin, die Staatsbürgerin, die Möglichkeit, sich davon fernzuhalten. Sie kann aber weiterhin eine Frau sein, weiterhin die Feminine sein, die ihren Ehemann emotional, gebildet und weiblich unterstützt. Dadurch wird eine Trennung vollzogen zwischen der sauberen Frauenarbeit der Staatsbürgerinnen und der dreckigen Frauenarbeit der Migrantinnen.«

Subjektivitäten am Arbeitsplatz

In ihrem Buch »Das gekaufte Herz« hat Arlie Russell Hochschild beschrieben, wie die Tätigkeiten, die zu Hause das Bild von ›Weiblichkeit‹ kennzeichnen, im-mer mehr auch in Dienstleistungsberufen informell erwartet werden oder sogar Teil der formalen Arbeitsbedingungen sind. Sie zeigt anhand einer empirischen Untersuchung unter Flugbegleiterinnen, wie diese über die offensichtliche körperliche und geistige Arbeit hinaus noch eine andere Art von Arbeit verrichten. Dazu greift sie den Begriff der ›emotionalen Arbeit‹ auf, der in den Debatten der Frauenbewegung der 70er Jahre eine große Rolle spielte und dort vor allem auf die Analyse des Zuhause angewandt wurde. Es handelt sich im Fall der FlugbegleiterInnen um eine Arbeit, die nicht nur das Ausführen von Stereotypen (Lächeln) erfordert; vielmehr soll zu den KundInnen ein individuelles Verhältnis hergestellt werden, das eng mit den besonderen Eigenschaften der jeweiligen Flugbegleiterin verbunden ist. Die Verwertung einer Arbeitskraft, so Russell Hochschild, geht hier besonders weit, weil sie auf einen Bereich des Selbst zugreift, den Personen im Kapitalismus als einen tief in der Persönlichkeit verankerten Bestandteil ihrer Individualität hoch bewerten. Die individualisierte Arbeitskraft ist zugleich das Produkt, das angeboten wird. Wenn dieses Gefühls-/Wissens-Produkt auch gegen Lohn verkauft wird und Tauschwertcharakter besitzt, so läßt sich dieser Tausch doch schwer formalisieren. Der persönliche Einsatz wird von den Dienstleisterinnen zwar erwartet, aber nicht unbedingt mit Geld ausgeglichen.

Daß ihre Subjektivität adressiert wird, fördert, so könnte man hinzufügen, eine Identifikation der Beschäftigten mit einer eher privaten als mit einer klassenspezifischen Logik – sich schlecht fühlen am Arbeitsplatz kann dann auf die eigene unzulängliche Persönlichkeit anstatt auf die untragbaren Anforderungen zurückgeführt werden. Widerstand gegen diese Arbeitsbedingungen, Streiks oder Forderungen sind unter diesen Umständen nicht leicht zu organisieren. Während ich mich entscheiden kann, am Band etwas langsamer zu arbeiten, oder im Büro die Kaffeepause auszudehnen, sind solche kleinen Formen von Arbeitsverweigerung äußerst anstrengend, sobald ich ›als Person‹ von einem Arbeitsverhältnis oder eineR ArbeitgeberIn adressiert werde. Die Behauptung, etwas nicht zu können, fällt schwer, wenn damit zugleich die eigene Persönlichkeit abgewertet wird.

Heterosexualität ist produktiv

Eine Frau, die der am Arbeitsplatz geforderten Form von Weiblichkeit – ob als Flugbegleiterin oder bei der Kinderbetreuung – nicht nachkommen kann oder will, muß mit Sanktionen rechnen. Die normativen Vorschriften, die Weiblichkeit (oder ent-

sprechend Männlichkeit) in einem Arbeitsverhältnis regulieren, lassen sich auch als breit angelegte gesellschaftliche Übung verstehen, sich ›als Frau‹ oder ›als Mann‹ zu verhalten.

Die Geographin Linda McDowell führt die These von Arlie Russell Hochschild über emotionale Arbeit insofern weiter, als sie auch die Heteronormativität von Arbeitsplätzen analysiert. In ihrer Untersuchung an drei Handelsbanken in London kommt McDowell zum Ergebnis, daß diese Arbeitsverhältnisse eine eindeutige Darstellung von Heterosexualität erfordern. Weibliche Beschäftigte werden als Personen gesehen, die potentiell ein sexuelles Verhältnis mit einem männlichen Kollegen oder Kunden eingehen könnten und die diese Möglichkeit in Sprache, Verhalten und Aussehen zum Ausdruck bringen. Sie bezeichnet diese Arbeit als ›Sexarbeit‹.

Die Untersuchung von (Hetero-)Sexualität am Arbeitsplatz richtet sich demnach nicht allein auf offenen ›Sexismus‹ (den es selbstredend auch gibt). Sexualität wird hier nicht als Sphäre der ›Freiheit‹ verstanden, die durch sexistische Übergriffe ›geraubt‹ wird, sondern als eine Vermittlungsmaschine heterosexueller Normen, die sich gesellschaftlich als Arbeitsteilung und als Hierarchie innerhalb von Arbeitsverhältnissen auswirken. Diese Verhaltensnormen sind besonders wirksam, weil sie nicht nur gefordert, sondern häufig auch als Teil einer Selbstregulierung von den betreffenden Beschäftigten vertreten und umgesetzt werden. Die Arbeitskraft, die heterosexuelle Arbeit als Dienstleistung verkauft, ist unmittelbar produktiv, in einem doppelten Sinne: zum einen wird aus ihrer Heterosexualität, z.B. durch einen Flirt mit einem Kunden, direkt Profit geschlagen; zum andern verkauft sie ein ideologisches Produkt. Denn sie wird den Normen von Weiblichkeit und Heterosexualität nicht nur selbst gerecht (oder muß es werden), sondern kommuniziert diese Normen auch an ihre KollegInnen und KundInnen.

Wenn man die Vervielfältigung möglicher Formen von Heterosexualität und Weiblichkeit betrachtet (ohne diesen Vorgang simpel positiv zu werten), stellt sich die Frage, ob auch ein Verlassen der daran geknüpften Zuschreibungen für Frauen möglich ist. Die SoziologInnen Witz, Halford und Savage sammelten zumindest bei Beschäftigten in hochbewerteten Bank-jobs Aussagen, in denen die männlichen Manager darauf bestanden, keinerlei Differenz zu den Kolleginnen ausmachen zu können. In Kleidung und Verhalten entsprachen diese Frauen auch weitgehend den erwarteten Normen von Männlichkeit. Bei einem Geschäftsessen stellte sich die Situation aus der Perspektive einer Managerin allerdings anders dar: »Es gab fünf lange Tische, und an jedem saß nur eine Frau. Da fällt man schon auf. Aber ich habe versucht, daraus einen Vorteil zu ziehen. Weil ich wußte, daß die Männer, die ich kannte, alle schwarz oder grau angezogen sein würden, trug ich ein rotes Kleid. So fiel ich tatsächlich ziemlich stark auf und am Ende kam der Vortragende zu mir rüber und sprach mit mir ... das gehört dazu, wenn man sich auf das Spiel einläßt.« (Witz, Halford, Savage, 186) Wenn man hier auch zu der Einschätzung neigen könnte, daß ihre heterosexuelle Weiblichkeit diese Beschäftigte eben doch wiedereinholt, ließe sich der Geschichte auch eine andere Perspektive geben: Diese schlaue Darstellerin von Männlichkeit konnte sich als Drag Queen die Normen von (heterosexueller?) Weiblichkeit in einer für sie vorteilhaften Situation wiederaneignen.

Sex

Wir denken, daß diese ›sexuelle Arbeit‹ schon immer geleistet wurde, daß ihr aber dann noch mehr Bedeutung zukommt, wenn die Zahl der Berufe zunimmt, in denen Fähigkeiten und Emotionen verlangt werden, die dem Bereich der Subjektivität, des Persönlichen zugeordnet sind: also Dienstleistungsberufe, sog. kreative Berufe, Arbeitsplätze, die viel mit Kommunikation zu tun haben.

Die Beschreibung als ›sexuelle Arbeit‹ setzt dabei einen anderen Fokus gegenüber einem anderen Begriff für die Untersuchung heterosexueller Verhältnisse, und zwar dem des Patriarchats. In der Patriarchatskritik wurde Heterosexualität vor allem als repressiv und als Zwang beschrieben, während mit dem Begriff der ›sexuellen Arbeit‹ heterosexuelle Verhältnisse auch unter der Perspektive von Wünschen untersucht werden sollen: heterosexuelle Verhältnisse sind ja unter Umständen auch gewollt und Personen leisten ›sexuelle Arbeit‹, ohne dazu gezwungen zu werden. Zum zweiten ging es bei der Beschreibung des Patriarchats zunächst um die Konfrontation mit einem einzelnen Mann (z.B. als Ehemann oder als Chef). Dagegen zielt eine Beschäftigung mit der ›Institution Heterosexualität‹ darauf ab, die sexuelle soziale Ordnung zu beschreiben, mit der Frauen selbst dann konfrontiert sind, wenn sie gar nicht auf einen Mann treffen und auch gar nicht heterosexuell sind.

So müssen sich Lesben und Schwule am Arbeitsplatz immer wieder ›outen‹, weil jede neue Person grundsätzlich davon ausgeht, daß sie heterosexuell sind – eine Mühe, die man ebenfalls als ›sexuelle Arbeit‹ bezeichnen könnte. In einer Untersuchung zeigt der Soziologe Woods, dass diejenigen, die sich nicht outen wollen oder können und daher am Arbeitsplatz gezwungen sind, Heterosexualität in besonders vollkommener Weise darzustellen, eine Mischung aus Ausweichmanövern, Kontrolliertheit und Distanziertheit betreiben müssen, die dazu führe, daß manche häufig langweilig, unsympathisch oder asexuell erscheine.

Gegenstrategien –
die Methode des Verträgefälschens

Wie soll das Verhältnis von Arbeit und Sexualität, oder allgemeiner des ›Öffentlichen‹ zum ›Privaten‹ thematisiert werden, solange in dem einen Bereich von ›Geschäft‹, in dem anderen aber von ›Liebe‹ die Rede ist?

Man könnte vielleicht sagen, daß die Ausstellungssituation im Hamburger Museum einen ›Verfremdungseffekt‹ erzeugt: Fähigkeiten und Emotionen vergegenständlicht in einer Vitrine anzugucken, wirkt, als würden BesucherInnen eines ethnographischen Museums ihre eigenen Rituale aus großem räumlichen und zeitlichen Abstand betrachten. Diese Darstellungsweise verobjektiviert probehalber einen Bereich des Lebens und macht ihn zu einem formalen Arbeitsverhältnis im Rahmen der kapitalistischen Ökonomie. ›Ökonomisierung‹ bedeutet hier weniger, weitere Lebensbereiche gegen Geld aufzurechnen, als überhaupt all das in eine Kapitalismuskritik einzubringen, was üblicherweise außerhalb des monetären Bereiches und damit außerhalb des Ökonomischen liegt. Die andere Seite des Vertrages, das Monetäre, die Repräsentanz der ›öffentlichen Welt‹‚ wird allerdings intakt gelassen.

Die Methode des Verträgefälschens könnte an dieser Stelle noch einmal ansetzen. Das hieße die andere Seite des Verhältnisses, das Monetäre, das formale Arbeitsverhältnis zu verunsichern, indem aufgezeigt wird, wie auch dort Subjektivität, Emotionen und Sexualität eine wesentliche Rolle spielen. Am Arbeitsplatz und zu Hause (wobei es sich um den gleichen Ort handeln kann) verbringen Subjekte einen großen Teil ihrer Lebenszeit, und es ist daher notwendig, Verhältnisse herzustellen, die ein Agieren darin nicht nur mit der Wahnvorstellung möglich machen, es gebe irgendeinen anderen Bereich des Lebens (Sexualität, Freizeit ...), der irgendwie ›freier‹, persönlicher oder selbstbestimmter ablaufe.

Reproduktionskonten fälschen!

ist ein Aufruf, das Konto ›Wiederherstellung der Produktivität‹ zu fälschen. Dieser Wert ist falsch darzustellen, die Ein- und Ausgänge sind zu verunklären!

Pauline Boudry, Brigitta Kuster, Renate Lorenz

 

Das Buch »Reproduktionskonten fälschen!« ist zu beziehen bei: b_books, Lübbenerstraße 14, 10997 Berlin, e-mail: b_books@txt.de

txt:

  • Anderson, Brigitt 1999. In: FrauenLesbenFilmCollectif, Unsichtbare Hausarbeiterinnen, Dokumentarfilm.
  • Hochschild, Arlie Russell 1990: Das gekaufte Herz. Zur Kommerzialisierung der Gefühle. Frankfurt/New York.
  • Massey, Doreen 1996: Masculinity, Dualisms and High Technology. In Nancy Duncan (ed.): BodySpace – Destabilizing Geographies of Gender and Sexuality. London.
  • McDowell, Linda 1995: Body Work. Heterosexual Gender Performances in City Workplaces. In: David Bell & Gill Valentine (eds.): Mapping Desire – Geographies of Sexualities. London.
  • Witz, Anne, Halford, Susan and Savage, Mike 1996: Organized Bodies. Gender, Sexuality and Embodiment in Contemporary Organizations. In: Lisa Adkins, Vicki Merchant (eds.): Sexualizing the Social. Power and the Organization of Sexuality. New York.
  • Woods, James 1997: The Different Dilemmas of Lesbian and Gay Professionals. In: Martin Duberman (ed.): A Queer World. New York/London.