diskus 1/00

"wenn Sie mit Ihrer Stimme lächeln können ..."

Beschäftigungsverhältnisse in Callcentern

Wer derzeit auf Arbeitsuche ist, kann diese diffuse Erwartung in ungefähr jeder fünften Stellenanzeige lesen. Rekrutiert werden sollen so jene Beschäftigten, die sich immer so korrekt und ausführlich melden, so freundlich fragen, was sie denn für uns tun können und wenn's 'mal nicht so gut läuft - ein zuversichtliches "kein Problem, wir regeln das für Sie" in ihr headset säuseln. Nicht selten findet auch Student oder Studentin sich plötzlich selbst, einen Telefonkopfhörer auf den Ohren und hinter irgendeinem Schreibtisch sitzend, mit derlei Servicetätigkeiten betraut. Den souveränen Umgang mit dem Computer traut man ihnen zu und das obskure Lächeln in der Stimme irgendwie auch. Da immer jemand gebraucht wird, beschäftigt man sie gerne gleich über die Semesterferien hinaus und weil das Geld zur Finanzierung des Studiums sowieso irgendwo herkommen muß, ist das Ganze eigentlich recht praktisch. Schließlich ist die geforderte zeitliche Flexibilität eher ein Vorteil denn ein Hindernis, lassen sich doch so Studium und Job noch einigermaßen bequem vereinbaren. Die Rede ist von Callcenterjobs, über deren Qualität und Zukunftsträchtigkeit, stets eingebettet in ein postfordistisches Krisenszenario, zur Zeit breit diskutiert wird: in einschlägigen Fachzeitschriften, Gewerkschaftspublikationen sowie in Wirtschaftsteil und Feuilleton der Tagespresse. Die professionellen Kommunikationszentren werden einerseits als Garanten zur Sicherung von Absatzmärkten gefeiert, woran sich die Hoffnung auf neue Formen von Produktivität und ein Weg aus der Massenarbeitslosigkeit knüpft. Andere sehen den durch personelle und technische Rationalisierung geprägten Sektor der neuen Dienstleistungen, dem auch Callcenter zuzurechnen sind, als erstes Resultat einer neoliberalen Restrukturierungsstrategie, die tariflich gesicherte Langzeitarbeitsplätze vernichtet und prekäre Beschäftigungsverhältnisse sowie Niedriglohnarbeit dauerhaft etabliert. Handelt es sich bei diesen Jobs also um die abwechslungsreiche Tätigkeit qualifizierter WissensarbeiterInnen oder sind Telefonagenten und -agentinnen die Tagelöhner der Informationsgesellschaft? Um es gleich vorweg zu nehmen: Die Frage wird in diesem Beitrag nicht beantwortet werden. Die dargestellten Überlegungen sind vielmehr ein Plädoyer dafür, sich solchen Polarisierungen zu verweigern, denn die Realität ist widersprüchlicher. Das euphorische Szenario unterschlägt zunächst den Grad an Deregulierung und die mit der Technisierung einhergehende Standardisierung von Arbeitsabläufen, die eine Dequalifizierung der jeweiligen Tätigkeit nach sich ziehen und überdies ausdifferenzierte Kontrollmöglichkeiten hervorbringen; schließlich verweist der Zugriff auf subjektgebundene Qualifikationen auf eine neuartige Dimension der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft. Anforderungen wie Flexibilität, Servicementalität oder Kommunikationsbereitschaft werden nicht nur jenseits des Arbeitsplatzes erlernt und als persönliche Voraussetzung in das Beschäftigungsverhältnis eingebracht, sie gelten zudem als nicht eindeutig definierbar, sind somit schwer meßbar und werden konsequenter Weise auch nicht honoriert. Entgegen der pessismistischen Variante identifiziert sich allerdings die Mehrheit der Callcenterangestellten weitgehend positiv mit ihrer Tätigkeit. Im Vordergrund steht dabei weniger der Inhalt der Tätigkeit, sondern das Gefühl, durch die spezifischen Arbeitsbedingungen individuelle Gestaltungsspielräume zu erhalten. Viele Beschäftigte begreifen es beispielsweise als persönliche Herausforderung, dass ihnen trotz hochstandardisierter Computerprogramme und vorgegebener Gesprächsmuster gleichzeitig ständig ein Stück Autonomie in Form von individuellen Entscheidungen abverlangt wird, etwa wenn es darum geht, situativ auf spezielle Kundenbedürfnisse zu reagieren. Insbesondere wird jedoch die Forderung nach zeitlicher Flexibilität als Freiraum empfunden. Jahresarbeitszeitverträge ermöglichen vielleicht mehrmonatigen Urlaub, Schichtarbeit eventuell ein Frühstück mit Freunden unter der Woche oder die Teilnahme an schulischen Aktivitäten der Kinder ohne dafür einen Tag Urlaub nehmen zu müssen. Nimmt man diese Selbstwahrnehmung zur Kenntnis und widersteht der Versuchung, sie schlicht als ideologische Verblendung zu verwerfen, gerät in den Blick, dass auch Arbeitende im Vergleich zum Fordismus veränderte Vorstellungen davon haben, was die Qualität einer Beschäftigung ausmacht. Wie gehen sie mit den an sie gerichteten Erwartungen um und inwiefern werden diese integrativer Bestandteil individueller Lebensentwürfe? Aus dieser Perspektive stellt sich die Restrukturierung des Lohnarbeitssektors dann weniger als Resultat unternehmerischer Spitzfindigkeiten dar, denn als vielschichtiges Zusammenspiel unterschiedlicher Akteure mit jeweils individuellen Handlungsspielräumen. Politisch ergibt sich daraus die Frage, wie diese Handlungsspielräume emanzipatorisch genutzt werden können.

Die Callcenter-Branche

Anhand des unterschiedlichen Leistungsspektrums lassen sich drei Ausprägungen von Callcentern bestimmen: Das Helpdesk, das Servicecenter und die Telemarketingagentur. Ein Helpdesk ist beispielsweise eine Hotline oder ein Benutzerservice und dient der sogenannten After-Sales-Beratung. Die Kunden sollen bei der Handhabung von bereits verkauften Produkten unterstützt werden. Das Helpdesk bietet in der Regel Arbeitsplätze, die eine hohe fachliche Qualifikation erfordern, d. h. die Arbeit ist entsprechend gut bezahlt, der Arbeitsplatz relativ sicher und das Anrufaufkommen bei eher gering standardisierten Abläufen vergleichsweise niedrig. Servicecenter bezeichnet diejenige Form von Callcenter, die einen breiter angelegten Aufgabenbereich betreut. Das schließt die After-Sales-Beratung noch ein, der vorhandene Kundenstamm wird jedoch gleichzeitig intensiver betreut, denn das Servicecenter gibt Produktauskünfte allgemeiner Natur, steht für jegliche Art von Beratung zur Verfügung. Die Mitarbeiter/-innen eines Servicecenters verfügen häufig noch über eine fachbezogene Ausbildung, der Schwerpunkt der Anforderungen verlagert sich hier jedoch bereits von der inhaltlichen Qualifikation hin zur "profesionellen Servicementalität", d. h. Stimme, Kommunikationsfähigkeit und Freundlichkeit haben eine größere Bedeutung; das Telefonverhalten wird intensiv geschult, später immer wieder geprüft und dient als Beurteilungsgrundlage. Gleichzeitig ist das Telefonaufkommen tendenziell höher und die Arbeitsabläufe sind stärker standardisiert als im Helpdesk. Die Menge der bewältigten Telefonate wird zum Qualifikationsmerkmal. Die Telemarketingagentur konzentriert sich vornehmlich auf ausgehende Anrufe, d. h. den aktiven Verkauf neuer Produkte oder die Akquise von Kunden. Es handelt sich dabei häufig um zeitlich begrenzte Marketingaktionen. Je professioneller das Callcenter, desto höher ist der Stellenwert verbaler Kommunikation. Ein Beispiel aus der Versicherungsbranche: Meldet ein Kunde heute einen Schadenfall im Servicecenter, geht es in dem Telefonat um seine Betreuung in Form von eingehender Beratung, Hinweisen zum Ablauf der Schadensregulierung und der Organisation von Hilfsmaßnahmen. Das Produkt, ein Versicherungsvertrag, der im Schadensfall schlicht einen finanziellen Ausgleich vorsieht, verliert als Bezugspunkt an Bedeutung. Durch verbale Kommunikation "verkaufen" die Agenten und Agentinnen in diesem Moment "Service" und stellen Dienstleistungen unmittelbar und durch ihre eigenen Fähigkeiten her. Sämtliche Callcenter sind heute in hohem Maß technisiert, ein PC zur Bearbeitung der Anrufe sowie eine computergesteuerte Telefonanlage1 sind Standard. Immer häufiger findet sich in den Unternehmen die sogenannte CTI-Technologie (computer telephony-integration). Kundendatenbanken und Telefon werden hier verknüpft mit dem Ziel, Anrufer bereits vor der Gesprächsannahme zu identifizieren und das anschließende Telefonat besser steuern zu können. Für die Agenten und Agentinnen bedeutet jede technische Neuerung einen Zuwachs an Leistungs- und Verhaltenskontrolle, denn entsprechende Softwareprogramme, die ihre Gesprächsaktivität überprüfen und langfristige Auswertungen ermöglichen, werden von den Anbietern stets mitgeliefert und vom Management gerne genutzt. Die Einführung neuer Technologien bildet insofern eines der Hauptkonfliktpotentiale zwischen Belegschaft und Unternehmensführung.2 Bereits dieser Versuch einer Kategorisierung macht deutlich, daß sich hinter einem Job im Callcenter mannigfaltige Tätigkeiten verbergen. Die Qualität der Arbeit und die benötigte Qualifikation sind dementsprechend höchst unterschiedlich. Dass annähernd zwei Drittel aller Callcenter als Schichtbetriebe arbeiten und ein Viertel 24 h tätig sind, trägt über dies zu einer enormen Bandbreite an Beschäftigungsverhältnissen bei. Die Zahl der Callcenterbeschäftigten in Deutschland wurde vom Deutschen Direktmarketing Verband 1997 mit 150 000 beziffert, für 1998 wurde damals mit einem Zuwachs von 30 000 Stellen gerechnet. Die FAZ sprach im Juni 1999 von 160 000 bis 240 000 Agenten und Agentinnen, die Gewerkschaft ötv in der aktuellen Ausgabe ihres Mitgliedermagazins von 300 000. Das häufig ungenaue und widersprüchliche Zahlenmaterial ist der Tatsache geschuldet, dass nach wie vor keine einheitliche Definition dessen existiert, was als Callcenter oder Callcenterarbeitsplatz zu bezeichnen ist. Sicher ist allerdings, dass die Anzahl der Beschäftigten stetig wächst. Der Anteil weiblicher Beschäftigter beträgt gut zwei Drittel. Das ist einerseits geschlechtsspezifischen Zuschreibungen wie "nettere Stimme", "telefonieren besser und lieber" oder "sind einfühlsamer" geschuldet, ergibt sich aber auch durch die Chancen für Berufswiedereinsteigerinnen, die die Branche bietet. Für viele Frauen ist die Arbeit in einem Callcenter deshalb attraktiv, weil sie Teilzeitarbeit ermöglicht. 1998 lag der Anteil der Teilzeitkräfte bei 57%, für das Jahr 2000 wird eine Quote von 82 % erwartet.3 Mehrere Studien ermittelten vergleichsweise hohe Bildungsabschlüssen: 35 % bis 40 % AbiturientInnen und 10 % bis 19 % HochschulabsolventInnen, deren Anteil in den Führungsebenen auf 46 % steigt. Der Anteil ungelernter Kräfte liegt bei weniger als 2 %, der von HauptschulabgängerInnen bei unter 10 %. Die Fluktuation der Beschäftigten ist aus den verschiedensten Gründen sehr hoch. Sie hängt mit der hohen Belastung und oft schlechten Bezahlung ebenso zusammen wie mit der Tatsache, dass Karrierechancen sich in den flachen Hierarchien brechen. Da die Beschäftigten betriebsintern aus- und weitergebildet werden, besteht auf Seiten des Managements durchaus Interesse an Mitarbeiterbindung. Gleichzeitig möchte man sich jedoch alle Möglichkeiten offen halten, flexibel auf die Auftragslage zu reagieren. Insofern lassen sich fast alle denkbaren Anstellungsverhältnisse finden: Voll- wie Teilzeitstellen, Zeitarbeitsverträge, Abruf- und Bereitschaftsdienstmodelle und Beschäftigung von Scheinselbständigen.4 Das Bild der Entlohnung ist gleichermaßen gespalten und abhängig von Tätigkeitsfeld und Standort des jeweiligen Callcenter. Der Vollzeitverdienst von AgentInnen liegt in der Regel bei 3 500 DM brutto. Zulagen für Schichtarbeit oder Prämien bei besonderer Leis-tung können hinzukommen. Eine von der Zeitschrift CallCenterProfi in Auftrag gegebene Studie ermittelte im Frühjahr 1999, dass 63 % aller Callcenter an Tarifverträge gebunden seien, die Hälfte der übrigen 37 % zahle tariflich. Diese Angaben werfen allerdings die Frage auf an welchem Tarifvertrag sich orientiert wird. Ein Callcenter-Mantelvertrag existiert nicht; die Bezahlung bei Banken oder Versicherungen ist zwar recht hoch, beträfe jedoch nur Inhouse-Callcenter dieser Branchen. Ist beispielsweise der Tarifvertrag des Einzelhandels maßgebend, fallen die Löhne um einiges niedriger aus.

Restrukturierung des Lohnarbeitssektors

Callcenter sind unter verschiedenen Gesichtspunkten beispielhaft für die Restrukturierung des Lohnarbeitssektors. Drei davon möchte ich hervorheben: Erstens ist die Unternehmensform selbst ein Produkt des Strukturwandels, zweitens verdeutlicht die Art der dort bestehenden Beschäftigungsverhältnisse das Ende des fordistischen Klassenkompromisses und drittens markieren die spezifischen Arbeitsbedingungen und -formen, vor allem durch das Abrufen subjektgebundener Qualifikationen, eine Veränderung, die von der Industriesoziologie als neuartige "Verknüpfung von Arbeit und Leben" beschrieben wird. Die ersten Callcenter entstanden in Deutschland Mitte der 80er; ihre Gründung ist eine Reaktion auf die ökonomische Krise und der aus dem zunehmenden Wettbewerbsdruck resultierenden Notwendigkeit, sich Marktanteile über eine "konsumentengerechte" Produktion zu sichern. Die Möglichkeit, ein Produkt möglichst schnell modifizieren zu können und es am besten erst dann zu produzieren, wenn es bereits verkauft ist sowie das Interesse, den Konsumenten an das eigene Produkt zu binden, erfordern Kommunikationsaustausch und Kundennähe, die den Anteil an Arbeit im Bereich der Dienstleistungen generell wachsen ließ. Zugleich verlangten Restrukturierungsstrategien im Sinne von "Verschlankung" die Auslagerung von Bereichen wie Forschung und Entwicklung oder des Finanzwesens; der gesamte moderne Dienstleistungssektor konnte sich so erst etablieren. Durch die Auslagerung ursprünglich unternehmensinterner Arbeitsbereiche, also die Abgabe an Fremdfirmen oder die Gründung von Tochterfirmen, schuf man einen weitgehend deregulierten Bereich, der sich dem Einfluß fordistischer Institutionen entzog. Aufgrund ihrer Gliederung in Branchengewerkschaften waren die institutionellen Arbeitnehmervertretungen lange Zeit vor allem damit beschäftigt, Zuständigkeiten zu sondieren, so daß es selbst Interessierten schwer fiel sich zu organisieren. Da es gleichzeitig auch auf Unternehmerseite an Bündnissen mangelt - ein "Callcenterarbeitgeberverband" existiert nicht - wurden Lohnniveau, Arbeitszeiten und -verträge sowie Arbeitsplatzstruktur zur alleinigen Verhandlungssache zwischen Management und Belegschaft des jeweiligen Betriebes. Dass dabei sicher geglaubte Errungenschaften einschneidend modifiziert wurden, geriet nur allmählich ins öffentliche Bewußtsein. Neugegründete Unternehmen konnten nun betriebswirtschaftliche Rationalisierungsstrategien wie flache Hierarchien, Dezentralisierung und Technologiesierung unmittelbar umsetzen, denn diese waren nicht verbunden mit Stellenabbau oder der Einführung neuer Formen der Leistungs- und Verhaltenskontrolle und erforderten keine langwierigen Auseinandersetzungen mit Betriebsräten und Gewerkschaften. Strukturelle Neugliederung bedeutet jedoch mehr als die Reorganisation von Betriebs- und Arbeitsabläufen. In der Diskussion um den Wandel betrieblicher Rationalisierungsstrategien richtet die Industriesoziologie ihr Augenmerk vor allem auf veränderte Arbeitsformen und meint damit die neue Qualität des betrieblichen Zugriffs auf die Subjektivität des Arbeitenden. Dienstleistungsarbeit unterliegt grundsätzlich einem Rationalisierungsdilemma: effizienzsteigernde Maßnahmen an einer Stelle des Arbeitsprozesses gehen immer mit autonomie-erweiternden Kompetenzen an anderer Stelle einher (vgl. Offe 1984). Im Rahmen ihrer spezifischen Funktion, den reibungslosen Ablauf des Warenproduktionsprozesses zu gewährleisten, ist Dienstleistungsarbeit mit strukturellen Unsicherheiten konfrontiert, denn Mittel und Ziele lassen sich nicht unmittelbar bestimmen: Weder ist von vornherein klar, welche und wie viele Ressourcen eingesetzt werden müssen, noch wann die Gewährleistung optimal erfüllt ist. Es entsteht ein stetiger Bedarf an Reserven und Dispositionsspielräumen, der technisch wie personell gedeckt werden muß. Dies geschieht einerseits durch das Ansammeln von Unmengen elektronischer Daten, deren Verwendungszweck zunächst oft unklar ist, andererseits durch den Einsatz häufig überqualifizierten Personals zur Erledigung routinisierter Tätigkeiten. Die Effizienz technischer Rationalisierungsmaßnahmen zur Sicherung von Informations- und Kommunikationsabläufen entsteht erst durch den intelligenten Umgang mit Daten und Informationen seitens der Beschäftigten. Persönliche Eigenschaften geraten bei Angestellten im Bereich neuer Dienstleistungen nun zum offiziellen Qualifikationsmerkmal; Servicementalität, Kommunikationsbereitschaft und Flexibilität sind Einstellungsbedingungen, wobei nach wie vor nicht geklärt ist, wie sie meßbar wären oder wodurch genau sie sich ausdrücken und wie sie zuverlässig abgerufen werden können. Sicher ist, dass Beschäftigte sich auf eine andere Weise als bisher in ihre Tätigkeit einbringen (müssen), eben samt ihrer Subjektivität. Im Sinne der Unternehmen umfaßt die Subjektivität individuelle Fähigkeiten ebenso wie biographische Lebens-umstände, hat jedoch mit dem Bedürfnis nach einer sinnvollen Tätigkeit oder gar Selbstverwirklichung seitens der Arbeitenden wenig zu tun. Gleichwohl bleibt die Forderung nach Subjektivität ambivalent, bedeutet sie doch trotz der Grundbedingung höchst eingeschränkter Wahlmöglichkeiten, auch eine Form persönlicher Aneignung gesellschaftlicher Verhältnisse.

Zwischen Kommunikation und Kontrolle

Ich schildere im folgenden einige Auffälligkeiten im subjektiven Arbeitsempfinden Callcenterbeschäftigter und beziehe mich dabei auf eine im Rahmen eines Empiriepraktikums durchgeführte Untersuchung in einem Callcenter im Rhein-Main-Gebiet. Erforscht wurde der Umgang der Beschäftigten mit den Anforderungen Kommunikationsfähigkeit und Flexibilität sowie das Verhältnis zur eingesetzten Technologie und den daraus resultierenden Kontrollmöglichkeiten. Die Ergebnisse der Studie sind keinesfalls repräsentativ, weisen jedoch Tendenzen auf, mit denen sich kritisch an Beiträge zur Diskussion um den Wandel der Lohnarbeitsgesellschaft anknüpfen läßt. Grundsätzlich läßt sich sagen, dass die Befragten die Tätigkeit als ihrer Persönlichkeit und ihren Le-bensumständen entsprechend wahrnahmen. Wider Erwarten wurden Kommunikationsfähigkeit und Flexibilität allerdings nicht als gegebene Charaktereigenschaften angesehen, sondern als Fähigkeiten, die die Beschäftigten sich im Laufe ihres Lebens angeeignet hatten und die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit ständig weiterentwickeln. Als Resultat eigener Anstrengung wirken diese abgeforderten Qualifikationen identitätsstiftend, sowohl bezogen auf den Job als auch auf die jeweilige Person. Den Kick in puncto Kommunikation bietet das Gefühl durch ausgefeilte Gesprächstechniken situativ und ganz individuell Macht über den jeweiligen Gesprächspartner zu haben. Flexibilität wird von Callcenterbeschäftigten in doppelter Hinsicht gefordert: Bezogen auf den Inhalt der Arbeit und bezogen auf die Arbeitszeiten. Die inhaltliche Flexiblität, beispielsweise das Bearbeiten mehrerer Produkte gleichzeitig, aber auch der stetige Wechsel der Produktpalette, wurden als interessant und abwechslungsreich im Vergleich zu vorher ausgeübten Tätigkeiten beschrieben. Ähnliches gilt für die geforderte zeitliche Flexibilität. Diese gerät jedoch darüber hinaus zum habituellen Moment einer Lebensführung, in der Lohnarbeit nicht das gesamte Le-ben strukturiert, sondern eine Tätigkeit neben anderen ist. Diese individuelle Wahrnehmung korrespondiert mit der Tatsache, daß eine Einbindung der Mitarbeiter in die Erstellung von Einsatzplänen beim Management des befragten Unternehmens tatsächlich als unumgänglich gilt. Im Hinblick auf das Verhältnis der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zur eingesetzten Technologie ist zu sagen, dass das befragte Unternehmen über sämtliche technische Neuheiten verfügt, die der Markt zu bieten hat und alle daraus resultierenden Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten extensiv nutzt. Eine quantitative Kontrolle erfolgt über mitarbeiterbezogene Auswertungen der Telefonie, eine qualitative über vorher angekündigtes Mitschneiden von Gesprächen und unangekündigtes Aufschalten auf Gespräche seitens der Teamleiter und Teamleiterinnen. Das Management argumentiert, derlei Maßnahmen dienten nicht der Überwachung, sondern der Förderung des Personals und die Beschäftigten haben diese Logik erstaunlich gut antizipiert. Die statistischen Auswertungen werden als objektive und gerechte (es sind ja Zahlen!) Bewertungsgrundlage akzeptiert. Dass sie zu einer permanenten Leistungsverdichtung führen, bleibt unreflektiert. Dieses Ergebnis läßt sich auch dahingehend interpretieren, dass die Beschäftigten trotz des Images der "Callcenter-Family" in der jeder für die andere einsteht und in der Teamwork das Maß aller Dinge ist, in einem ungeheuren Konkurrenzverhältnis zueinander stehen. Konkurrenz unter Arbeitenden ist nichts Neues, die Einführung von Team- oder Gruppenarbeitsmodellen sowie die Umgestaltung einzelner Abteilungen in Profitcenter haben jedoch das Verhältnis der Arbeitenden zueinander weiter ausdifferenziert. In der Diskussion um die gewachsenen Bedeutung von Kommunikations- und Informationstechnologien innerhalb von Lohnarbeitsverhältnissen wird Arbeitenden ein veränderter Status zugeschrieben. Durch den veränderten Stellenwert, den ihr Wissen im Produktionsprozess einnimmt, sind sie nicht länger nur Ausführende, sondern werden zu Produzenten und Produzentinnen (vgl. Negri und Lazzarato 1998). Die neuen Wettbewerbs- und Konkurrenzformen, die auf diese Weise entstehen, müssen berücksichtigt und eingehender untersucht werden, möchte man die Perspektive auf eine kollektive Verständigung darüber, wie eine andere Gesellschaft aussehen könnte, nicht aufgeben. Abschließend möchte ich noch einmal auf den Aspekt Zeitsouveränität eingehen. Sowohl in der theoretischen Diskussion um den Wandel der Lohnarbeitsgesellschaft als auch ganz konkret in Bezug auf die Arbeitsverhältnisse in Callcentern bieten sich hier sinnvolle Anknüpfungspunkte. Ich habe bereits beschrieben, dass die Möglichkeit flexibler Zeiteinteilung seitens der Beschäftigten als Vorteil wahrgenommen wird; gleichzeitig gewährt die Unternehmensführung in diesem Punkt in aller Regel ein Mindestmaß an Mitbestimmung. Es sei explizit darauf hingewiesen, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sich keineswegs frei aussuchen dürfen, wann sie arbeiten. Dem Bedürfnis des Unternehmens nach ausreichender Besetzung muß in jedem Fall Rechnung getragen werden. Gleichwohl existieren hier reale Handlungsspielräume, die tendenziell um so größer werden je mehr Teilzeitbeschäftigte ein Unternehmen hat, die Raum für Aktivitäten jenseits ihrer Berufstätigkeit fordern. Auch die Gewerkschaften haben das mittlerweile erkannt und stehen neuen Arbeitszeitmodellen offener als bisher gegenüber. Auf theoretischer Ebene läßt sich an André Gorz (2000) anknüpfen. Zeitsouveränität ist ein grundlegendes Merkmal seines Entwurfes einer Gesellschaft der Multiaktivität, in der Lohnarbeit einen völlig anderen Status als bisher einnimmt.5 Trotz der zentralen Bedeutung von zeitlicher Flexibilität, ist der Weg zu echter Zeitsouveränität noch weit. In Callcentern konkurriert zur Zeit meist Omas Geburtstag mit einem Konzertbesuch, d. h. die Beschäftigten handeln die Wichtigkeit ihrer sonstigen Interessen untereinander aus und treten auch hier zueinander in Konkurrenz. Und dennoch bietet sich hier die beste Möglichkeit kollektive Momente zu stärken und eine Verständigung darüber zu fördern. In den jeweiligen Betrieben lohnt es sich immer, für festgelegte und gemeinsame Pausen zu kämpfen, denn sie bieten Raum Mißstände und Unzufriedenheit zu kommunizieren. Die Forderung nach ausgleichender Entlohnung für Schichtarbeit verteuert Arbeitskraft und schränkt die Dispositionsgewalt des Managements ein. Gleiches gilt, wenn gesetzlich vorgesehen Mitbestimmungsrechte in puncto Arbeitszeit und -einsatz konsequent genutzt werden. Mitarbeiterbezogene Datenspeicherungen und -auswertungen sind wegen der ihnen inhärenten Leistungsverdichtung zu verhindern. Das ist in der Regel möglich, spätestens wenn Betriebsrat oder Belegschaft den zugegebenermaßen langwierigen rechtlichen Weg einschlagen. Die Mehrzahl an (Teilzeit) Arbeitsplätzen inklusive der in Callcentern ist nicht zuletzt zu gering entlohnt, als dass Lohnarbeit eine Aktivität unter vielen anderen wäre. Darüber hinaus ist die Haltung "was hier passiert interessiert mich nicht weiter, daraus beziehe ich nicht meinen Selbstwert" wie viele Teilzeitkräfte - und da wären wir dann noch 'mal bei eingangs erwähnten Studierenden - sie an den Tag legen, wenig geeignet, vorgefundene Arbeitsbedingungen im eigenen Sinne zu nutzen. Wenn Rationalisierungsstrategien zunehmend auf Autonomie und Subjektivität setzen, verstärkt sich für den einzelnen der Widerspruch zwischen dem Status als Lohnabhängiger und dem als selbstständig und verantwortlich handelndes Individuum. Ausgehend von diesem Bruch gilt es gegen Individualisierungstendenzen die Freiräume aller zu vergrößern.

Sandra Arzbächer


'1'
Maßgeblich sind hier ACD-Telefonanlagen (Automatic Call Distribution). Die meisten Callcenter bearbeiten mehrere Produkte zu denen jeweils unterschiedliche Telefonnummern gehören. Die AgentenInnen identifizieren sich am Telefon und schalten ihren Apparat für die Produkte, die sie bearbeiten können frei. Die eingehenden Anrufe werden dann per Computer nach dem Prinzip "wer kann das Produkt bearbeiten und hat am längsten nicht mehr telefoniert" automatisch an die angeschlossenen Apparate verteilt. Ein zusätzlicher Call-Center-Manager (CCM) speichert sämtliche Telefonie und ermöglicht anschließende Auswertungen. Wird ausschließlich auf der Ebene von ACD-Gruppen gespeichert und ausgewertet, läßt sich z. B. feststellen, wie viele Anrufe zu welchen Tageszeiten für welches Produkt eingingen. Wird Mitarbeiterbezogen gespeichert, ermöglicht das Auswertungen des individuellen Gesprächsverhaltens: Wie viele Gespräche wurden geführt, wie lange dauerten sie, welche Nachbearbeitungszeiten und Pausen wurden benötigt? Dies ermöglicht eine ausgedehnte Leistungs- und Verhaltenskontrolle.
'2'
Anhand der CTI läßt sich die Ambivalenz technischer Rationalisierung, deren Einsatz erst durch den individuellen Umgang eines Agenten mit den gelieferten Informationen effizient wird, gut verdeutlichen. Ein Direktbankkunde identifiziert sich bei Anruf über einen speziellen Code. Über CTI erhält der Agent noch vor Gesprächsannahme die individuellen Daten des Kunden auf seinen Bildschirm, inklusive eventueller Anweisungen, was dem Kunden beim nächsten telefonischen Kontakt mitzuteilen ist, um zusätzlichen Schriftverkehr zu vermeiden. Der Anrufer möchte nun eigentlich eine Aktienorder loswerden, der Agent bekommt jedoch via Bildschirm die Information, daß der Kreditrahmen des Kunden derzeit über das übliche Maß hinaus strapaziert ist. Der Agent muß jetzt ein Gespräch mit einem vom Kunden nicht erwarteten Inhalt führen und dessen Anliegen möglichst unberücksichtigt lassen. Trotzdem darf er als Kunde nicht verloren gehen, sondern sollte im Gegenteil trotz allem zufrieden aus dem Gespräch hervorgehen. Dieser Zielvorgabe zu entsprechen, obliegt dem Gesprächsführungsgeschick des Agenten.
'3'
Der hohe Anteil an Teilzeitkräften liegt auch in der Tätigkeit selbst begründet. Speziell beim "aktiven Telefonieren", also bei Kundenakquise, wird eine länger als 6 h dauernde Arbeitszeit vom Management aufgrund der hohen Belastung als wenig effizient angesehen. Ob die Teilzeitarbeit im Callcenter zur Sicherung des Lebensunterhaltes ausreicht oder aber durch weitere Teilzeitjobs ergänzt wird, hängt vom jeweiligen Lohnniveau ab.
'4'
Die Beschäftigung von Scheinselbstständigen bietet die Möglichkeit, in dem sowieso deregulierten Sektor zusätzlich das Betriebsverfassungsgesetz zu unterlaufen. Gerade anläßlich der Neueinführung computergesteuerter Telefonanlagen kommt es in vielen Callcentern erstmals zur Gründung eines Betriebsrates, der dann, weil es um Leistungs- und Verhaltenskontrolle von MitarbeiterInnen geht, ein Mitbestimmungsrecht hat und in der Regel versuchen wird, personenbezogene Datenauswertungen zu verhindern. Die Branchenzeitschrift TeleTalk berichtet in diesem Zusammenhang von einem Callcenter, dessen Geschäftsführung noch vor Gründung des Betriebsrates die gesamte Belegschaft entließ. Wie vorher abgesprochen, riefen daraufhin Teile des mittleren Managements eine Agentur ins Leben, die die ehemals Beschäftigten als selbstständige AgentInnen an den früheren Arbeitgeber vermittelte, wo sie - freilich mit der neuen Telefonanlage - weiter telefonieren.
'5'
Die Tatsache, dass Gorz wirkliche Zeitsouveränität an ein Existenzgeld knüpft, soll hier nicht unterschlagen werden. Er betont jedoch auch, dass ein generelles Anrecht auf ein solches nicht von heute auf morgen zu gewinnen, sondern übergangsweise an Arbeit gekoppelt sein wird. Im Umkehrschluss bedeutet dies m. E., dass im Rahmen von Lohnarbeitsverhältnissen für Zeitsouveränität gekämpft werden muß.

txt:

  • Gorz, André 2000: Arbeit zwischen Misere und Utopie. FfM.
  • Negri, Toni, Maurizio Lazzarato, Paolo Virno 1998: Umherschweifende Produzenten. Berlin.Offe, Claus (Hg.) 1984: Arbeitsgesellschaft, Strukturprobleme und Zukunftsperspektiven. FfM/N.Y.
  • Offe, Claus (Hg.) 1984: Arbeitsgesellschaft, Strukturprobleme und Zukunftsperspektiven. FfM/N.Y.