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Der Traum vom reinen Raum

Zur Produktion urbaner Erlebniswelten

Im Dreieck zwischen Messe, Westend und Gallus befindet sich die derzeit größte Baustelle Frankfurts. Auf dem Ge-lände des ehemaligen Güterbahnhofs planen die Developer der Deutschen Bahn-AG Metropolitanes: our own Pots-damer Platz heisst »Europa-Viertel«. Entlang eines Erlebnisboulevards soll so ein neues Dienstleister-, Wohn- und Arbeitsquartier sowie ein Urban-Entertainment-Center entstehen. (Red.)

Seit den achtziger Jahren reproduziert sich der Kapitalismus verstärkt durch die »Produktion des Raumes«. Bankenkonsortien, Versicherungsfonds und transnationale Konzerne legen Teile ihres überschüssigen Kapitals in global gestreuten Immobilienbesitz an und nutzen die städtischen Bodenmärkte als reine Finanzanlage. Überall schießen Bürotürme, Gewerbeparks oder Geschäftskomplexe empor, deren Bau sich weniger am lokalen Bedarf orientiert, als primär an Renditeerwartungen oder steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten. Die vollständige Integration von Kapital- und Grundstücksverwertung führt zu einer Beschleunigung des Stadtumbaus, da die Anleger die Immobilien stets der höchstmöglichen Verwertung zuführen möchten. Vor allem die Metropolen geraten damit in den Sog eines hochmobilen Geldkapitals, das mit Hilfe einer aufwendigen Investorenarchitektur den städtischen Raum hierarchisch neu ordnet. Der Spekulationsdruck auf die Zentren erhöht sich gegenwärtig noch durch die kommerzielle Verwertung freiwerdender Flächen aus dem Bestand der Bahn und Post, da die nun privaten Unternehmen ihre Grundstücke ausschließlich zur Gewinnmaximierung nutzen. Auf die-se Weise entstehen in den Städten Dienstleistungs- und Konsumarchipele, die von ihrem Umfeld weitgehend abgekoppelt sind. Der verstärkte Konkurrenzkampf um Wachstumspotentiale und Prosperitätseffekte veranlaßt aber auch die städtische Administration zu aufwendigen Eingriffen in die bestehende Raumstruktur. So betreibt man die Aufwertung bestimmter Stadtviertel, fördert die Expansion von Büroflächen und organisiert Festivalisierungsprojekte wie Messen oder Weltausstellungen. Ebenso unternehmen die Kommunen Anstrengungen, Touristenströme und einkommensstärkere Bevölkerungsgruppen anzuziehen. Insbesondere die Zentren sollen der Öffentlichkeit als »Visitenkarte« präsentiert werden. Urbane Kultur und »Lebensqualität« entwickeln sich damit zu einer wichtigen Kapitalanlage der Städte. Für das »Gesamterlebnis Stadt« spielt dabei in den letzten Jahren die »symbolische Ökonomie« zunehmend eine wichtige Rolle als lokaler Standortfaktor. Nachdem die städtische industrielle Produktion weiter zurückgeht, soll der Konsum- und Freizeitsektor neue Beschäftigungseffekte und zusätzliche Steuereinnahmen bewirken.

Auf dem Weg zum Europa-Viertel

Ebenfalls seit den achtziger Jahren investieren glo- bal operierende Konzerne verstärkt in diesen Sektor, vielerorts entstehen Shopping Malls, Musical-Theater, Multiplexkinos und Entertainment-Center. Der Siegeszug multifunktionaler Einkaufs- und Freizeitkomplexe liegt nicht zuletzt darin begründet, atmosphärische Arrangements und soziale Aktivitäten in den Vorgang der Konsumption miteinzubinden. Durch die »Attraktivität des Nebeneinanders« sollen die Wirkung der einzelnen Warenobjekte gesteigert und die Kunden zu einer längeren Verweildauer und erhöhten Ausgabenbereitschaft animiert werden. Malls und Themenparks, die sich funktional immer mehr angleichen, stellen den vorläufigen Schlußpunkt einer sich seit langem abzeichnenden Entwicklung dar: die Transformation des Konsums in einen Erlebnisvorgang und die Funktionalisierung der Raumgestaltung als Bestandteil kommerzieller Vermarktungsstrategien. Hatte es sich bei den Shopping Malls bislang um ein suburbanes Phänomen gehandelt - als Beispiele in Frankfurt können etwa das Main-Taunus- oder das Hessen-Center gelten -, so investiert die Konsumindustrie vor dem Hintergrund der oben skizzierten Entwicklungen gegenwärtig verstärkt in die Kernstädte. Vielerorts entstehen sogenannte Urban Entertainment Center (UEC), in denen sich Einkaufen, Freizeit und Unterhaltung noch stärker gegenseitig ergänzen und stützen sollen. Die Immobilienbranche und die Betreiber sehen in der Übertragung des Mall-Konzepts auf den erlebnisorientierten Freizeitbereich eine neue profitable Verwertungsmöglichkeit. Stadtverwaltungen und Kommunalpolitiker wiederum erhoffen sich von solchen Konsum- und Unterhaltungskomplexen eine Belebung der Kernstadt, womit auch den Malls auf der »grünen Wiese« wieder Kundenströme abgeworben werden sollen. Als eines der bekanntesten Beispiele dieses neuen Typs gilt gegenwärtig das »Europa-Viertel« in Frankfurt. Auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs, in der Nähe des Zentrums, soll ein Komplex aus Hochhäusern, Musicaltheater, Multiplexkino und Shopping Mall entstehen. Den Konflikten um die Durchsetzung dieses Vorhabens kommt ein exemplarischer Charakter für die gegenwärtige Dynamik der Stadtentwicklung zu. Als gemeinsame Entwickler des Projekts waren der Großinvestor TrizecHahn, eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn AG und der Unterhaltungskonzern Stella AG vorgesehen. Gerade als die Grundstückseigentü- mer sich anschickten, die Verträge abzuschließen, preschte im Sommer 1999 zur völligen Überraschung aller Beteiligten die Deutsche Bank mit einem eigenen Projekt nach vorne. Diese präsentierte den Entwurf einer »Messestadt«, der die bisherigen Konzepte der Stadt gänzlich über den Haufen warf. Auf dem ehemaligen Gleisvorfeld gedachte die Bank für mehr als sechs Milliarden Mark einen neuen Stadtteil aus dem Boden zu stampfen, der neben Mehrzweckhalle und Fußballstadion auch ein »Stadthaus« mit Museen und Theater sowie eine riesige Shopping Mall und sechs neue Hochhäuser aufweisen sollte. Die fast zweijährige Geheimhaltung des Vorhabens begründete ein Sprecher der Deutschen Bank mit dem Argument, man habe verhindern wollen, daß ein solch »großer Wurf« sofort »zerredet« und zu einer Ansammlung von »faulen Kompromissen« werde. Dieser Versuch der »feindlichen Übernahme«, der ganz auf die geballte Macht des Unternehmens setzte, entspricht der vorherrschenden neoliberalen Unternehmensphilosophie. Demnach läßt sich der Prozeß der Globalisierung nur durch einen Prozeß der »Entpolitisierung« vorantreiben, d. h. indem lokalpolitische Gremien und Formen der Bürgerbeteiligungen weitgehend umgangen werden. Auf diese Weise wolle man - so das Argument aus der Vorstandsetage - der »provinziellen« Verwurzelung im Wählerwillen entkommen. Begründet wurde das Projekt u.a. damit, daß man Frankfurt für qualifizierte Dienstleister aus dem Ausland attraktiver machen müsse. Als internationale Finanzmetropole sei die Stadt zwar anerkannt, doch fehle es an markanten urbanen Höhepunkten, um wirklich einen Spitzenplatz in der Metropolenkonkurrenz einnehmen zu können. Angesichts eines als zu niedrig eingestuften Angebots entschlossen sich die Grundstückseigner jedoch, das gesamte Areal in eigener Regie zu vermarkten. Ähnlich dem Vorhaben der Deutschen Bank plant man die vollständige Überbauung des Geländes. Hierbei soll sich zwischen dem UEC nebst einem 340 Meter hohen »Millenium-Tower« und architektonisch ambitionierten Wohnanlagen ein Boulevard als »Erlebnismeile« erstrecken. Für den Entertainmentkomplex, der sich nach den Aussagen der Betreiber an den Vorbildern Times Square und Piccadilly Circus orientiert, rechnet man jährlich mit zehn Millionen Besuchern. Sollte sich das Projekt verwirklichen, wird dort eine »Stadt in der Stadt« entstehen, die keine Verbindung mit den umliegenden Quartieren aufweist und unmittelbar den Vorgaben der Kapitalverwertung unterliegt. Bislang hat sich die Mall-Kultur in Deutschland noch nicht zu einem dominanten Konsum- und Freizeitmodell durchgesetzt. Dennoch deutet der Boom von UEC auf eine grundlegende Veränderung der Alltagspraktiken hin, bei denen sich Einkaufs- und Freizeitaktivitäten immer stärker vermischen. Gab es schon in den achtziger Jahren Versuche, in den Kaufvorgang eine größere Spektakel-Komponente einzubauen, so bildet Entertainment mittlerweile den zentralen Fokus. Gleichzeitig reflektieren die kommerziellen Erlebniswelten die Dominanz visuell-medialer Rezeptionsgewohnheiten bei den Konsumenten und stehen für die wachsende Bedeutung einer »semiotischen« Raumproduktion. Hatte die Homogenisierungs- und Standardisierungspraxis des modernen Städtebaus in den letzten Jahrzehnten spezifische Ortsqualitäten zunehmend eingeebnet, zielt die Erlebnisindustrie darauf, diesen mittlerweile als Mangel empfundenen Zustand durch die Inszenierung von urbanen Atmosphären und exotischen Landschaften zu kompensieren und profitabel zu vermarkten.

Nicht-Orte der Einsamkeit?

Viele Kritiker klagen nun in kulturpessimistischer Wendung gegen die Simulakren des Konsums authentische Formen der Bedürfnisbefriedigung und der Erfahrung ein. Das Vordringen der populären Konsum- und Freizeitwelten setzten Urbanisten wie Richard Sennett mit einer zunehmenden Trivialisierung der Stadtkultur gleich. Diesen angeblichen Verfall kontrastiert er mit einer vergangenen Zeit, in der die Straßen und Plätze voller Leben waren. Die bauliche und symbolische Umwelt des Urban Entertainment Centers entsprechen sicherlich nicht dem Bild eines traditionellen Stadtverständnisses; aber wer solche Transformationen nur in Kategorien des Verlusts definiert, verschließt sich gegenüber neuen Formen der Alltagspraxis und verklärt überkommene städtische Formen der bürgerlichen Öffentlichkeit. Häufig vergißt die Klage über die Privatisierung des öffentlichen Raums, daß solche Orte noch niemals für alle Menschen in gleicher Weise zugänglich und verfügbar waren. Soziale Gruppen wie etwa Jugendliche, Frauen oder Angehörige sexueller und ethnischer Minderheiten sind in der Vergangenheit immer wieder von ihnen ausgeschlossen worden oder waren Objekte einer politischen und moralischen Zensur. Der Anthropologe Marc Augé erklärt Shopping Malls zu »Nicht-Orten« einer »einsamen Individualität«. Demzufolge bringen diese abstrakten Produkte der Moderne keine Sozialität mehr hervor, sondern vertieften die Entfremdung zwischen den Menschen. Dieser Kritik ist entgegenzuhalten, daß die Konsumkomplexe zwar der Realisierung von Kapital dienen, keineswegs aber völlig homogene Kommerz-Räume darstellen. So nutzen etwa Jugendliche die »Kathedralen des Konsums« als Treffpunkte zum »Abhängen«. Gleichzeitig ist wahrzunehmen, daß der Erfolg von Mall-Konzepten gerade daher rührt, bestimmte Sozialitätsmuster zu erzeugen bzw. zu bedienen. Die Mehrzahl der Kaufentscheidungen in Malls erfolgt im Hinblick auf Familie und Haushalt und weniger im Sinne eines hedonistischen, selbstbezüglichen lifestyle shopping. Das Management setzt entsprechend auf eine harmonische und störungsfreie Atmosphäre, die den family appeal der Anlagen betonen soll. Es wäre auch verfehlt, Shopping Malls als exklusive Einrichtungen zu verhandeln, die nur auf die gehobenen Bedürfnisse der Mittelklassen zugeschnitten seien. Das Waren- und Vergnügungsangebot der Konsumkomplexe zielt eindeutig auf den Geschmack eines Massenpublikums. Die Architektur der Gebäude und der Einsatz erlesener Materialien stehen dazu in keinem Gegensatz. Vielmehr zielen sie darauf, den Kunden das Gefühl zu geben, einer gehobenen Gemeinschaft anzugehören. Nostalgisch gestimmte Urbanisten mögen das Vordringen der Erlebniswelten mit dem Ende der »Europäischen Stadt« gleichsetzen, aber im direkten Vergleich der Erlebnisarchitekturen, etwa zwischen Dis-ney World und Wien, wirkt der Themenpark inzwischen viel authentischer. Eine Kritik an der Instrumentalisierung des Erlebnisses für die Ziele der Kulturindustrie ist zwar angebracht, aber die Denunziation von Malls und Themenparks als »Amerikanisierung« oder »Disneyfizierung« der deutschen Städte lenkt völlig von der entscheidenden Fragestellung ab - nämlich der von Macht- und Gewaltverhältnissen.

Strategien des wehrhaften Raums

Solche Orte der Zerstreuung lassen sich als eingegrenzte und ausgrenzende Bereiche verstehen, die frei von lästiger Armut und überquellend von Müßiggang und Unterhaltung sein sollen. Die Ideologie der Familiarität bestimmt sich in Abgrenzung zu jeglichen Formen von »Andersartigkeit«. Zum Ausschluß kommt es dann, wenn die relaxte Konsumatmosphäre bedroht erscheint oder wenn der Benutzer den Status des Konsumenten nicht mehr aufrecht erhält oder erhalten kann. Ins Gewicht fällt hierbei der privatrechtliche Charakter der Malls: Unter Berufung auf das Hausrecht verfügen die Mall-Betreiber legal darüber, sowohl Formen der Aktivitäten zu regulieren als auch Sub-Milieus auszuschließen. Ein strenges Reglement, bestehend aus physischen Barrieren und eindeutigen Zeichensystemen, steuert die Menschenströme durch die verschiedenen Bereiche der Anlagen. Verstöße gegen Kleidungsnormen oder abweichende Verhaltensweisen werden in der Regel unterbunden und korrigiert. Die Ordnungsvorstellungen der Betreiber stossen allerdings bei den meisten Besuchern auf eine hohe Zustimmung. Man kann deshalb auch von einem korporativen Kontrollsystem sprechen, das weitestgehend konsensuell funktioniert. Es ist absehbar, daß sich mit der wachsenden Akzeptanz der Mall-Kultur auch die Aneignungsweisen städtischer Räume nachhaltig verändern. So suchen viele Menschen die Kernstadt nur noch als Verbraucher oder Urlauber auf. Unter dem »touristischen Blick« und einer auf Erlebnis und Entspannung ausgerichteten Konsumpraxis verwandeln sich die Städte zu Kulissenlandschaften und Freizeitanlagen, in denen soziale Heterogenität eher als irritierend und störend empfunden wird. Denn der Erlebnisraum ist vor allem ein Raum der sicheren Distanz vor unerwarteten Ereignissen und Situationen. Bei der ungestörten »Stadtsafari« möchte man die Vorzüge der City - nämlich Vielfältigkeit, visuelle Stimulation und Kultur - genießen, unter Ausschluß aller möglichen Gefährdungen und Unsicherheiten. Die kommunalen Behörden und die Betreiber der Unterhaltungskomplexe versuchen den Besuchern urbane Erfahrung in einer risikolosen Form anzubieten, die zwar das Bedürfnis nach Erlebnis und Kommunikation befriedigt, aber unter völlig kontrollierten Bedingungen stattfindet. Die ökonomische und bauliche Aufwertung der Kernstadt und die Konzentration auf die »Konsumfähigen« ist mit entsprechenden sozialen Selektionsmechanismen verknüpft. So wird das städtische Publikum zunehmend auf seine Rolle als Verbraucher oder Kunde beschränkt. Eine privilegierte Stellung innerhalb der gesellschaftlichen Hierarchie läßt sich dementsprechend daran ablesen, bis zu welchem Grad attraktive Stadtgebiete zugänglich sind und sich die Anwesenheit von unerwünschten Menschen ausblenden oder die ihnen unterstellten Gefährdungen entschärfen lassen. Viele der Architektur- und Kontrollmodelle, die in den privaten Shopping Malls zum Einsatz kommen, einschließlich des Einsatzes von elektronischen Kameras, dienen den städtischen Behörden als Vorbild für die Regulation öffentlicher Räume. In den meisten deutschen Städten haben sich Allianzen aus Geschäftsleuten und Behörden gebildet, um non-konforme Gruppen aus den Stadtzentren zu verdrängen. Parallel dazu kommt es auch zu einer Verschiebung von Wahrnehmungsweisen. Noch in den achtziger Jahren betonte der urbane Diskurs die Rolle der Stadt als anonymen Ort, der unterschiedliche Lebensformen, die Erfahrung von Differenz und Andersartigkeit ermögliche. Insbesondere der distanzierte, gleichwohl aber interessierte Kontakt mit dem »Fremden« im öffentlichen Raum galt als wesentliche Voraussetzung für urbane Zivilisiertheit und eine funktionierende städtische Kultur. Diese Vorstellung wird gegenwärtig dahingehend eingeschränkt, daß damit vor allem ein ziviles, sprich »anständiges« Benehmen gemeint ist. Nicht mehr das Zusammentreffen mit dem »Anderen« scheint erwünscht zu sein, sondern gesittete Verhaltensweisen honoriger Bürger.

Kulturverfall oder Herrschaftskritik

Die Kritik an der »Erlebnisstadt« ist ein Kampf an mehreren Fronten. Auf der einen Seite greift sie nicht nur alle Formen von Verdrängung und Vertreibung an, sondern wendet sich auch gegen den neoliberalen Urbanitätsdiskurs, der soziale Differenzen in kulturelle Unterschiede übersetzt und die Hierarchie zwischen den Klassen als Ausdruck unterschiedlicher Lebensstile deutet. Auf der anderen Seite geht es um die Zurückweisung kulturpessimistischer Ideologien. Die Unterstellung, Shopping Malls seien »Nicht-Orte der Einsamkeit«, steht ganz in der Tradition konservativer Kritik an Vermassung und Kulturverfall. Schließlich ist eine Skepsis gegenüber Behauptungen aus dem Cultural Studies-Umfeld angebracht, die das Konsumverhalten der Individuen vor allem als Selbstermächtigung oder gar widerständige Handlung interpretieren. Sicherlich trug in den sechziger und siebziger Jahren die Massenkonsumption zu einer Öffnung des sozialen Raums und zu einer Freisetzung von Subjektivität bei. Heute hingegen bewirkt der Konsum auch eine verstärkte Hierarchisierung der Klassenverhältnisse: Sei es über das Medium Geld, mittels distinktiver Lebensstile oder durch eine restriktive Regulierung der Zugänglichkeit von Orten. Schließlich sieht man sich mit dem vorherrschenden »Regierungsdenken« der deutschen Stadtforschung konfrontiert, die gesellschaftliche Entwicklungen vor allem aus einer Perspektive der soziale Kontrolle und Normalisierung thematisiert. Die meisten Protagonisten einer integrativen Stadtpolitik verknüpfen ihre Forderungen mit Bedrohungsszenarien, die den Zerfall der städtischen Gemeinschaft durch die Sprengkraft des Sozialen beschwören. Dennoch sollte eine Kritik sozialtechnokratischer und ordnungspolitischer Regulierungskonzepte den Blick nicht allein auf die Überwachungs- und Unterwerfungspraktiken richten. Indem sie eine Homogenität des sozialen Raumes und der Kontrolle suggeriert, läuft sie Gefahr, die Imperative der Macht zu bestätigen, die gerade in Zweifel zu ziehen wären. Die Aufwertung der Kernstädte produziert zwar einen nicht endenden Zirkel von räumlicher Vertreibung und Verdrängung, doch trotz langjähriger Bemühungen stellen weder der Ku'damm in Berlin noch die Zeil in Frankfurt cleane Kommerzräume dar. Indem die Marginalisierten mit ihrer Präsenz ein legitimes Aufenhaltsrecht in Anspruch nehmen, unterlaufen sie die vorherrschende Imagestrategie, zentrale Orte und Plätze ausschließlich als »Visitenkarten der Stadt« zu definieren. Der städtische Raum bleibt ein umkämpftes Feld. »Im Städtischen«, so der französische Philosoph Henri Lefebvre, »gibt es ein Alltagsleben, und dennoch wird die Alltäglichkeit aufgehoben.«

Klaus Ronneberger

Siehe zu diesem Themenkomplex auch »›Spaß muß sein.‹ Das Urban Entertainment Center am Frankfurter Hauptbahnhof« (diskus 1+2/98) und das Buch »Die Stadt als Beute« von K. Ronneberger, W. Jahn und S. Lanz (Dietz-Verlag 1999).