diskus 1/01

In 45 Tagen Papiere für alle. Chronik der MigrantInnen- Proteste von Brescia (2000)

Montag 15. 5.: Das Polizeipräsidium von Brescia lehnt zum ersten Mal Legalisierungsanträge (gemäß dem Gesetz vom 20. 10. 1998 ist bei Nachweis von Wohnsitz und Arbeitsstelle die Legalisierung möglich) von Migranten ab: von 14 551 eingereichten ca. 5000 Anträge in Brescia.

Samstag 20. 5.: Mit Unterstützung des »Centro sociale Magazzino 47« gibt es eine Demo von ca. 3 000 ImmigrantInnen zum Polizeipräsidium, mit dem Slogan »Papiere für alle«. Das sind die Anfänger einer migrantischen Protestbewegung.

Montag 22. 5.: Ungefähr 200 MigrantInnen beginnen einen Hungerstreik und ein sit-in vor dem Polizeipräsidium.

Mittwoch 24. 5.: Einige Demonstranten drohen, sich auf der piazza anzuzünden. Abends erneut Demo.

Donnerstag 25. 5.: Die Zahl der Erkrankten unter den Hungerstreikenden steigt. In der Verwaltung der Kommune kommt es zum Treffen einer Delegation der Hungerstreikenden mit dem Bürgermeister, Präfekten und Polizeipräsidenten. Nachmittag Treffen mit der lokalen Gewerkschaftsführung. Ab da un-terstützen die drei großen Gewerkschaften die Initiative der MigrantInnen.

Freitag 26. 5.: Die DemonstrantInnen drohen das für den kommenden Montag in Brescia stattfindende Radrennen zu blockieren.

Samstag 27. 5.: Eine Delegation aus MigrantInnen und Gewerkschaftsvertretern treffen den Präsidenten des Senats.

Sonntag 28. 5.: Ein Delegierter der MigrantInnen spricht bei einer städtischen Feier und begründet ihre Forderungen. Zum ersten Mal taucht das Wort vom »offiziellen Illegalen« (cladestino ufficiale) auf.

Mittwoch 31. 5.: Die mittlerweile auf nationaler Ebene wahrgenommene Auseinandersetzung führt zu einem Treffen in Rom zwischen dem Bürgermeister aus Brescia und dem italienischen Innenminister.

Donnerstag 1. 6.: In der Nacht wurden die DemonstrantInnen auf der piazza von der Polizei eingekesselt und alle Papierlosen werden erkennungsdienstlich behandelt. Doch aufgrund eines zwischen Gewerkschaften und Staatsanwaltschaft getroffenen Übereinkommens werden sie nicht ausgewiesen. Die DemonstrantInnen beschließen, nun mit einem Zelt routierend auf den verschiedenen Plätzen der Stadt zu demonstrieren.

Samstag 3. 6.: Demo mit 5000 MigrantInnen und BewohnerInnen durch das Zentrum der Stadt.

Mittwoch 7. 6.: Eine Delegation aus MigrantInnen, Gewerkschaftlern, Vertretern linker Parteien und des Centro Sociale fährt nach Rom, um dem Innenminister die Forderungen zu unterbreiten. Diese sehen vor, dass diejenigen, die bislang nicht legalisiert wurden noch einmal Gelegenheit dazu bekommen sollten, die zentrale Anforderung zu erfüllen: den Nachweis einer regu-lären Arbeitsstelle.

Dienstag 14. 6.: Ankündigung nationaler Demonstrationen in Brescia und Rom, um für die Forderung Unterstützung zu erhalten.

Mittwoch 15. 6.: Die Zahl der UnterstützerInnen wächst, darunter weitere Gewerkschaften, zahlreiche Centri Sociali und namhafte Persönlichkeiten wie Dario Fo.

Freitag 16. 6.: Der Staatssekretär des Innern kündigt ein erneutes Treffen mit der Delegation aus Brescia an. Im Stadtparlament attackiert die Lega Nord die Stadtverwaltung und wirft ihr stillschweigende Duldung der »clandestini« vor.

Samstag 17. 6.: Nationale Demo mit ca. 10 000 Menschen in Brescia.

Sonntag 18. 6.: In Rom gibt es eine ähnliche Demo mit 4000 Leuten.

Montag 19. 6.: Die Verhandlungsdelegation der ImmigantInnen trifft den Staatssekretär, der erklärt, dass die Regierung kein neues Gesetz wünsche, sondern eine Lösung auf der Basis einer erweiterten Auslegung des bestehenden anstrebe.

Donnerstag 23. 6.: Im Zuge von Neuernennungen von Staatsanwälten in ganz Italien wird der Staatsanwalt von Brescia versetzt. Alle begreifen dies als Bestrafung dafür, dass er sich deutlich für die Papier-losen eingesetzt hat.

Samstag 24. 6.: Angespannte Situation und Rangeleien auf der besetzten piazza zwischen Anhängern der Lega Nord und Leuten aus dem Centro Sociale.

Dienstag 27. 6.: Im Verlauf eines Treffens mit Gewerkschaftsvertretern kündigt die Regierung eine Lösung des Falls der ImmigrantInnen an. Mindestens die Hälfte der ImmigrantInnen mit bisher verweigertem Aufenthaltsrecht sollen in den nächsten Tagen das Dokument erhalten. Einige Tage später auch diejenigen, die ihren Antrag ohne beglaubigte Dokumente stellen und auf eigene Herkunftsangaben zu-rückgreifen mußten.

Donnerstag 29. 6.: Das Polizeipräsidium von Brescia erteilt die ersten 250 Dokumente.

Freitag 30. 6.: Die BesetzerInnen drohen ihren Protest solange fortzuführen, bis es eine Zusicherung für die Erteilung aller Aufenthaltserlaubnisse gibt.

Sonntag 2. 7.: Mit einem abendlichen Fackelzug wechseln die DemonstrantInnen erneut den Aufenthaltsort ihrer Besetzung.

Montag 3. 7.: Eine Delegation wird vom Polizeipräsidenten empfangen, der einen Zeitplan für die Erteilung der Dokumente nennt. Am gleichen Tag erhalten weitere 200 ihr Aufenthaltsrecht.

Der Kampf der ImmigrantInnen in Brescia endet mit einem Erfolg. Bezüglich des Umfangs, des Niveaus der Organisierung und des politischen Echos ist dieser sicherlich einer der wichtigsten in der kurzen Geschichte der Immigrantion nach Italien gewesen. Vom Tag der Entscheidung, in den Hungerstreik zu treten, bis zu diesem Punkt dauerte der Kampf 45 Tage.

Die Chronik wurde entnommen und gekürzt aus:
Diario dei 45 giorni, in: Massimo Tedeschi / Christian Penocchio: Idue vi-aggi. Storie della lotta degli immigrati bresciani, Brescia 2000
Übersetzt von Dieter Hartmann.