diskus 1/01

editorial

This issue is a special grenzcamp issue. Exclusively.

Bühne frei für die VolksvertreterInnen: Szene 1, 7. April. Verhinderte Nazidemo in Frankfurt am Main. Just in dem Moment, als mehrere hundert linke, antifaschistische BlockiererInnen im Bullenkessel auf die spärlich besuchte offizielle Kundgebung für Toleranz gezwungen werden, bezeichnet es Sozichef Vandreike als einen wunderbaren Beweis unserer Demokratie, dass sich so viele Leute hier eingefunden hätten. Szene 2, 1. Mai (!), nur wenige Wochen später: Wieder Nazi-Aufmarsch und antifaschistische Gegenwehr und wieder fern ab des Geschehens eine bürgerliche Kundgebung mit den VertreterInnen der Stadt. Als OB Roth während ihrer Rede über die Weltoffenheit der Stadt mit der von ihr mitgetragenen Kampagne der hessischen CDU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft konfrontiert wird, entgegnet sie: »Sie können brüllen so viel sie wollen, mein Mikrofon ist lauter.«

Was in diesen Situationen zum Ausdruck kommt, sind die permanenten Kämpfe um das regionale Profil wie auch um die Grenzen zwischen dem, was sich darin als ungehorsamer Straßen-Rassismus und staatliches Monopol auf nationale Bevölkerunspolitik bzw. als anständiger und unbotmäßiger Antirassismus artikuliert; Kämpfe, die sich seit letztem Sommer verschoben und verwirrt haben und die sich in den Konflikten um (das Bild) Frankfurt(s) während der letzten Monate verdichten: So gehört es zum Repertoire hiesiger Stadtoberster, Frankfurt als weltoffene und tolerante (weil international ausgerichtete Dienstleistungs-) Metropole zu inszenieren. Es ist genau auch dieses Standortlabel, gegen das die Nazis anrennen, wenn sie – wie am 1. Mai – gegen die »letzte Bastion des Multikulturalismus« mobilisieren. Gleichwohl spiegeln sich in diesen symbolischen Kämpfen Realitäten, die die spezifische Situation der Rhein-Main-Region markieren: In Städten wie Offenbach oder Frankfurt besitzt über 30 % der Wohnbevölkerung keinen deutschen Pass, sind migrantische Netzwerke geknüpft und ist es 2. und 3. GenerationlerInnen gelungen, sich Zugänge zur Mehrheitsgesellschaft zu erkämpfen.

Dies ist auch das Terrain, auf dem sich das vierte antirassistische Grenzcamp bewegt, das in diesem Sommer zwischen dem Frankfurter Flughafen und den Metropolen des Rhein-Main-Gebietes stattfinden wird. Mit der Entscheidung, das Grenzcamp erstmals nicht an der nationalen Peripherie, sondern im Binnenland durchzuführen (Francfort: douze points), erweitert sich nicht nur der thematische Fokus und Aktionsradius auf andere Grenz-linien und Rassismen. Es verschieben sich auch Widersprüche, mit denen sich die bisherigen Camps rumzuschlagen hatten: Während die Frage, ob »mit oder gegen die Bevölkerung«, bei den Camps an Deutschlands östlichen Außengrenzen stets auf der Gegenüberstellung von Ausländern (=Illegalisierte) und der im rassistischen Konsensblock zusammengeschlossenen deutschen Bevölkerung basierte, verschwimmen solch scharf gezogenen Trennungslinien angesichts der hiesigen Realitäten. Darin liegen auch Chancen, die bislang so eklatante Kluft zwischen dem das Camp tragenden Antira-Spektrum und denen, gegen deren Ausgrenzungen interveniert werden soll, anzukratzen. Denn allen selbsterhobenen Ansprüchen und Anstrengungen wie der Zusammenarbeit mit der Gruppe The Voice oder der Unterstützung der Karawane zum Trotz zeichnen sich auch die diesjährigen Vorbereitungszusammenhänge dadurch aus, dass kaum jemand mit am Tisch sitzt, der / die über keinen deutschen Pass verfügt. Zur Überwindung der konventionellen antirassistischen Arbeitsteilung ist es notwendig, diese Schwierigkeiten selbst als Resultat diskriminierender und ethnifizierender gesellschaftlicher Verhältnisse zu thematisieren, die hierarchische Positionen zuweisen, Nähen und Distanzen schaffen und verschiedene Erfahrungen, Zugänge und soziale Codes produzieren; was bedeutet, dass sich die Zusammensetzung politischer Kontexte nicht zufällig ergibt und mit gutem Willen bzw. mehrsprachigen Flugblättern allein nicht aus der Welt zu schaffen ist. Nicht zuletzt die in den städtischen Strukturen bestehenden migrantischen Organisierungen drängen dazu, die Entmächtigung von MigrantInnen, die durch staatliche Institutionen permanent betrieben wird, nicht auch noch in der eigenen politischen Praxis zu reproduzieren; an (den) Schnittstellen ist beständig zu arbeiten.

Das Grenzcamp versteht sich als antirassistisches Projekt. So weit, so gut. In den vergangenen Jahren ist es gleichwohl immer wieder zu Konflikten darum gekommen, inwieweit diese Schwerpunktsetzung Auseinandersetzungen mit und um Sexismus impliziert, erfordert oder diesen entgegensteht. Bislang wurde sich mit Sexismus vornehmlich dann beschäftigt, wenn es zu Konflikten, also Grenzverletzungen auf dem Camp selbst kam. Für dieses Jahr wird vorbeugend und für den Fall des Falles ein Konfliktgremium eingerichtet. Gleichwohl beginnt Sexismus nicht erst bei und erschöpft sich nicht in Übergriffen, sondern durchzieht alltägliche Verhaltensweisen auch diesseits der Camptore – die Frage, wie hier Dominanzstrukturen und Grenzverletzungen nicht in Feuerwehrmentalität, sondern offensiv anzugehen sind, droht immer wieder einer Camp-Raison untergeordnet zu werden. Diskussionen in den mailing-Listen und den diversen Vorbereitungsstrukturen haben zudem deutlich gemacht, wie tief es auch in antirassistischen Zusammenhängen verankert ist, Thematisierungen von Sexismus als übersteigerte Empfindlichkeiten oder – das schlimmste Verdikt – als vom eigentlich Politischen abhaltend zu denunzieren. Dabei sind rassistische Verhältnisse vielfältig mit Sexismen gekoppelt. Frauenspezifische Fluchtgründe und die spezifischen Ausbeutungsformen auf dem hiesigen Arbeitsmarkt für Migrantinnen sind nur zwei Beispiele möglicher Ansatzpunkte.

Den Grenzcamps haftet stets das bizarre Moment einer Kampagnen-Struktur an: in großer Zahl auftauchen, Terz veranstalten und ebenso plötzlich wieder abziehen. Gleichwohl ist es – trotz aller internen Veränderungen und beständiger Neuzusammensetzung – über die vergangenen vier Jahre gelungen, Kontinuitäten antirassistischer Arbeit und zwischen den beteiligten Zusammenhängen herzustellen. So nervig bis aufreibend die darin ausgebrochenen Konflikte auch waren und sind (erinnert sei nur an den Panne-Slogan »Keine Grenze ist für immer« während des Camps an der Grenze zu Polen), so spricht es nicht gegen, sondern eher für das Camp, dass solche Diskussion provoziert wurden und geführt werden mussten. Mit der diesjährigen Schwerpunktsetzung Flughafen und »innere Grenzen« kündigen sich neue Widersprüche an – aber auch die Möglichkeit, den Rassismen erneut und anders Grenzen aufzuzeigen.

Also, pack die Isomatte ein!
Redaktion diskus