agent_smith
Politik an der Grenze zum Empire II
Ende
September vergangenen Jahres unternahmen wir den Versuch, uns den Attentaten in
New York und Washington sowie deren Folgen zu nähern. Und zwar aus einer
Perspektive, die es im besten Falle ermöglichen sollte, uns einen politischen
Vorsprung zu verschaffen. Der zentrale Ansatz unserer Thesen in Interdependence
Day (diskus Nr. 2/01) war, den Angriff auf die Twintowers und die darauf folgenden
Reaktionen nicht in Begriffen von Imperialismus und vermeintlichem, wie auch
immer überstrapaziertem Anti-Imperialismus zu fassen, sondern als Momente
global vernetzter Machtbeziehungen.
Wir
haben uns zu diesem Zweck unter anderem auf die Überlegungen von Toni Negri und
Michael Hardt in ihrem Buch Empire bezogen. Der Begriff Empire ermöglicht, so
die These, Macht anders zu denken als in Begriffen staatlicher Souveränität und
der Souveränität des Widerstandes, der Exklusivität von Staatlichkeit und der
widerständigen Externalität gegen sie. Denn es geht vor allem auch darum,
Politik auf der Höhe des Empire zu denken.
Warum
Empire ...
Das
Kokettieren ist unter historischen oder kritischen MaterialistInnen eine
beliebte Übung. Es lässt sich nicht verleugnen, dass der Begriff des Empire,
ähnlich dem der Multitude, eine gewisse Ausstrahlungskraft hat. Empire geht
leichter über die Lippen als Imperialismus. Aber es wäre zu einfach, dies als
PR-Trick abzutun. Empire ist kein Ersatzwort. Ein Aktivist der Mailänder Gruppe
tute bianche sagte jüngst in einem Interview, mit Empire könnten sie besser
arbeiten, weil der Begriff ihnen auch ermögliche, sich von denjenigen
abzugrenzen, die, wenn sie Imperialismus sagen, auch eine bestimmte Form der
politischen Organisierung meinen, von der die tute bianche sich verabschieden
wollen. Das verweist auf zwei Aspekte:
Zum
einen klebt an Begriffen immer historischer Ballast, und zwar nicht als
Staubschicht, als begrifflicher Muff, den es nur mal wegzupusten gelte. Mit
Imperialismus ist auch eine souveränistische Vorstellung von Politik verknüpft,
gegen die sich die These vom Empire geradezu zentral stellt. Im Empire hat die
Macht kein Zentrum, schon gar nicht auf globalem Niveau. Das Empire ist nicht
die USA, nicht die NATO, geschweige denn die Anti-Terror-Allianz. Empire ist
auch nicht einfach nur die Globalität kapitalistischer Verhältnisse. Das Empire
ist die innere Heterogenisierung der Nationalstaaten und die räumliche und
zeitliche Verdichtung der internationalen Beziehungen. Pointierter ausgedrückt
ist das Empire das Netz, die Matrix, das sich zwischen den Global Cities über
den Planeten spannt und sich überall in Form von Ungleichzeitigkeiten von
Verhältnissen und Widersprüchen in einem Raum artikuliert. Die territorialen
und temporären Knoten der Macht fügen sich nicht länger zu einem verbindlichen
Raum-Zeit-Kontinuum.
Im
Begriff des Imperialismus hingegen ist ein Souveränismus implizit, der mehr ist
als die Überhöhung des Staats zum allmächtigen Akteur. Souveränismus bezeichnet
ein Dispositiv, eine spezifische Art und Weise, das Politische zu konzipieren.
So wie bei Gramsci Statolatrie mehr bedeutet als die »Anbetung des Staates«,
sondern Praktiken einschließt, die in ihren Effekten etatistisch sind, selbst
wenn sie sich anti-etatistisch gerieren. Dieser Souveränitätsidee im
Anti-Imperialismus korreliert eben darum eine ebenso zentralisierte und
zentralisierende Vorstellung davon, wie die »Gegenmacht« zu organisieren sei.
Ein Begriff wie Imperialismus ermöglicht uns scheinbar, den einen Punkt, den
Willen des imperialistischen Staates etwa, zu fokussieren, der zum Ort und
Nexus des politischen Kampfes wird: Wer erhebt die Tobin-Steuer?
Der
andere Aspekt verweist darauf, was wir zur Analyse verwenden. Wie Katja Diefenbach
und Stephan Geene in der arranca! (Nr. 23, S. 40 – 47) schreiben, ist eine
Analyse nur so gut, wie das, was sie möglich macht. Den performativen Charakter
und die Effekte von Theorie hier zu betonen, erscheint vielleicht müßig. Aber
wir wollen dennoch eine Lanze für diesen Gedanken brechen. Denn
selbstverständlich impliziert jede Theorie, auch die kritische, eine bestimmte
Form der Praxis. Uns kommt es darauf an, danach zu fragen, welche Praxis mit
analytischen Konzepten ermöglicht wird. Will man Flaschen mit Botschaften ins
Meer oder mit einem Benzingemisch gefüllte gegen Polizeieinheiten werfen? Will
man den Pfand auslösen – aber was gibt's schon für 20 Cent zu kaufen? Wollen
wir uns am Flascheninhalt berauschen? Oder muß es nicht vielmehr darum gehen,
den Geist ein für alle Mal aus der Flasche zu lassen?
Was hat's gebracht?
Der
11. September war ein globales Ereignis, das den Blick über die individuellen
Befindlichkeiten und die nationalen Grenzen hinaus freigab. Ein Ereignis, das
durch seine Unvorhersehbarkeit die gegenwärtige Verfasstheit der Welt in Frage
gestellt hat – und zwar in einem sehr grundsätzlichen, weil praktischen Sinn.
Erinnern wir uns: »Selbst die politischen Eliten wussten in den Tagen nach dem
Anschlag nicht, was zu tun ist, und klammerten sich an ihre Routinen.«
(Interdependence Day: S. 2)
Zieht
man im Rückblick die Bilanz der Folgen der anti-imperialistischen Kritik an der
Anti-Terror-Allianz im allgemeinen und an der deutschen Beteiligung im
speziellen, muss wohl oder übel Harmlosigkeit eingeräumt werden. Fast schienen
viele Linke erleichtert darüber zu sein, dass der 11. 9. als Kriegserklärung
aufgenommen wur-de, der nur mit Krieg zu begegnen sei. Da wusste man wenigstens
wieder, wo man steht.
Doch als Anti-Kriegs-Bewegung
nahm
die Linke ihre erneute Niederlage schon vorweg. Mit der verlorenen
Bundestagsabstimmung wurde theatralisch die eigene Kapitulation inszeniert.
Seitdem herrscht Ruhe im Karton. Oder sollten wir sagen: im Hinterland? Und
das, obwohl die Unangemessenheit der gegenwärtigen Maßnahmen gegen den Terror
fast täglich fassbarer wird: von der Rasterfahndung über den wöchentlichen
Endsieg in Afghanistan bis zu den Milzbrandattacken, die wir allem Anschein
nach einem durchgeknallten US-Biowaffenspezialisten zu verdanken haben.
Das
Naheliegende, nämlich die spontanen Solidaritätsbekundungen nach den Anschlägen
als Selbstvergesellschaftung auf globalen Niveau zu begreifen, die es zu
bekräftigen gilt, schien für die Linke von vornherein ausgeschlossen zu sein.
Die spontane Solidarität richtete sich an die Angehörigen der Opfer und die New
Yorker. Sie ist aber keineswegs mit Schröders bedingungsloser Solidarität
gegenüber der US-Administration gleichgeschaltet und damit für die Linke
verloren gewesen, sondern gründete in der Ahnung, dass wir alle New Yorker
sind. Wohlgemerkt: New Yorker, und nicht Amerikaner. New York verkörpert die
urbane Lebensweise, jene individualisierten Lebensweisen der Metropolen, jene
Hybridisierung der Kulturen, die wir alle so sexy finden.
Statt
die spontane Solidarität als vorweggenommene Kriegsunterstützung durch die
Mehrheit der Bevölkerung (oder gar als Manipulation) abzutun, die die Existenz
von globaler Macht-, Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse und die
ökonomischen und politischen Interessen der USA und des Westens leugne, hätte
man gerade an den hier sichtbar werdenden Brüchen neoliberaler Globalisierung
ansetzen können. Die Linke begab sich lieber aufs bewährt ungünstige politische
Terrain. Die gängige Kritikstrategie, Globalisierung mit Neoliberalismus und
den Kampf gegen den Terror mit der Bombardierung Afghanistans durch die USA
gleich zu setzten, konnte keine Alternative zum Militäreinsatz deutlich machen.
Denn im Kern tat diese Argumentation so, als ließe sich das Problem auf das
Unterlaufen der Westfälischen Ordnung durch mächtige Staaten – im Interesse des
global agierenden Kapitals – zuspitzen. Da dieser dominante Teil der
Anti-Kriegsbewegung die Ereignisse vom 11. 9. somit nicht als Kristallisation
einer realen globalen Problemkonstellation beschrieb, sondern die Bedrohung vor
allem als Ideologie ansah (da sich ja eigentlich nichts verändert habe), konnte
der Linken ständig vorgehalten werden, nur abstrakt moralisch gegen Krieg zu
sein. Mithin bloß eine Haltung zu zelebrieren.
In
Interdependence Day haben wir für eine andere Verlaufsform kritischer Politik
plädiert, die nicht auf die kurzfristige Zuspitzung der Situation setzt – um
das eigene Gewissen zu beruhigen – , sondern langfristig agiert, neue
Bewertungsmaßstäbe setzt und damit auch alltägliche Handlungsweisen verknüpft
und propagiert. Deshalb haben wir betont, dass der 11. September nicht der
Beginn eines neuen Krieges sei. Denn, der Kampf gegen den Terrorismus kann
nicht als klassischer Krieg, als Krieg zwischen zwei Staaten oder zwischen
einem Staat und einem anderen in spe, als Krieg zwischen zwei Souveränen,
gewonnen werden.
Gegen
eine mit Waffengewalt und Überwachungstechnik abgesicherte Weiterführung der
bisherigen Lebensweise, die eben unter Berufung auf den zu verteidigenden
Status quo nichts so belassen wird, wie es gegenwärtig ist, haben wir eine
weite Vorstellung von Sicherheit gesetzt, die für die allgemeine Interdependenz
die Verantwortung übernimmt und der es gerade deshalb um Dezentralisierung
geht: von der Abschaffung globaler Risikotechnologien bis hin zum Aufbau
lokaler Ernährungssicherheit.
Alltagspraktische
Unseres
Erachtens bot der 11. September die Gelegenheit, jenen umfassenden Wandel aktiv
zu nutzen, der bislang, seit dem Beginn der Krise des Fordismus, die Linke
schier verzweifeln ließ. Gemeint ist vor allem die alltagspraktische
Interdependenz, der sich niemand voluntaristisch entziehen kann. Schon gar
nicht die Bewohnerinnen des Nordwestens.
Was
verstehen wir unter alltagspraktischer Interdependenz? In erster Linie, dass
sich der Konnex
zwischen
den einzelnen Alltagspraktiken extrem verdichtet hat: Die Alltagshandlungen
entfalten ihre unmittelbare Relevanz im globalen Maßstab. Und der Konnex hat
sich auf eine Weise verdichtet, die keine (Auf-)Lösungen mehr zulässt. Genau
deshalb markiert der 11. September unserer Einschätzung nach ganz zu recht den
Angriff auf ›uns‹, unsere Lebensweise, unsere Zivilisation.
Um
Missverständnissen vorzubeugen: Es geht nicht einfach darum, wieder einmal
festzustellen, dass »alles mit allem irgendwie zusammenhängt«. Mit dem
Fordismus, seinem Kommodifizierungs- und Verrechtlichungsschub, gerieten die
Lebensweisen der Abhängigen und Beschäftigten, ihre Konsumgewohnheiten, ihr
Sozialverhalten und ihre Freizeitbeschäftigungen, selbst zum Moment der
Kapitalverwertung. Doch die Krise des Fordismus kennzeichnet darüber hinaus, dass
schließlich noch die Kritiken der standardisierten Lebensweisen, die Erfindung
immer neuer Lebensstile, die Wünsche und Affekte zum Träger neuer
Verwertungsstrategien wurden. Es stimmt schon lange nicht mehr, dass die
Menschen nur ihre Ketten zu verlieren hätten. Sie haben aber auch nicht nur
schlicht mehr als ihre Ketten zu verlieren: zumindest sofern sie aus dem
Nordwesten kommen, steht ihre gesamte materielle wie psychische Existenzweise
zur Disposition. Will die metropolitane Linke also eine wie auch immer geartete
(Rück-) Aneignung des Politischen erreichen, muss sie diese Problematik in den
Blick bekommen.
Krise
der neoliberalen Globalisierung
Im
Ereignis des 11. September und seinen Folgen wird eins immer deutlicher: das
Ende des neoliberalen Typus der Globalisierung. Dieser Prozess wird
selbstverständlich nur im Zusammenhang mit den vorherigen Tendenzen
verständlich: die fordistischen Institutionen sind längst ausgehöhlt und in ihr
Gegenteil verkehrt. Zu einer institutionellen Neuordnung kam es allerdings
nicht. Was das bedeutet, kann an der zunehmenden Wirkungslosigkeit der
monetaristischen Instrumente abgelesen werden. Wirtschaftspolitik wird zur
Psychologie.
Es
hat den Anschein, dass der Neoliberalismus im selben Moment, in dem er
Gemeingut wurde, seine visionäre Kraft verlor. Und hier kommt der 11. September
mit seinen katalysatorischen Wirkungen ins Spiel: Denn im selben Maße, wie die
Mobilität von Waren und Daten, Eliten und Wissen zum Sicherheitsrisiko wird, im
selben Maße also, wie die immer neuen Differenzen verdächtigt und an ihrer
gesellschaftlichen Entfaltung gehindert werden, verliert die neoliberale
Globalisierung ihren Antrieb.
Die
langfristigen Folgen des 11. September sind noch längst nicht abzusehen. Am
deutlichsten ist noch der Abschied von den territorialen Nationalstaaten als
Basisentitäten des internationalen Systems und die damit zusammenhängende
nichthegemoniale Situation. Zwar ist eine globalen US-amerikanische Präsenz
durchaus denkbar, aber wie die weiterhin unüberschaubare Lage in Afghanistan
deutlich macht, nicht die Lösung aller lokalen Probleme. Stabile Verhältnisse
sind dort gerade wegen der Ankündigung massiver Bodentruppenpräsenz wenig
wahrscheinlich.
Noch
schwieriger sind die Konsequenzen dieses neuen Prinzips der »globalen
präventiven Aufstandsbekämpfung« (Balibar) abzuschätzen, wenn man den Blick auf
Indien / Pakistan oder Israel / Palästina richtet. Wie die USA als
angegriffener Riese einerseits das Völkerrecht in Permanenz überschreitet, so
steht und fällt ihre militärische wie politische Handlungsfähigkeit mit der
Aufrechterhaltung der heterogenen AntiTerror-Allianz. Mit anderen Worten droht
dieses Prinzip, das sich die USA zu Nutze macht, in den Händen regionaler
Bündnispartner permanent zur Destabilisierung der inner- wie
zwischenstaatlichen Verhältnisse beizutragen.
Unklar
muss auch bleiben, ob die militärischen, geheimdienstlichen und polizeilichen
Sicherheitsmaßnahmen überhaupt ihr erklärtes Ziel erreichen. Es liegt in der
Natur der Sache, dass ein einziger Anschlag auch nach Monaten die
Erfolgsbilanzen auf den Kopf stellt, und die Spätfolgen des II. Golfkrieges
wurden erst zehn Jahre später sichtbar – in Gestalt von bin Laden.
Noch
weniger klar sind schließlich die ökonomischen Auswirkungen, vor allem der
militärischen und polizeilichen Sicherheitspolitiken und ihre Unvereinbarkeiten
mit dem bisherigen Typus von Globalisierung. Auf unvermutete Weise kehrt die
Politik in die ökonomisierte Gesellschaft zurück, wird zum Faktor der neuesten
Verwertungsstrategien: als Flugzeugbombe und Sicherheitsbranche. Als
Stahlprotektion und Rüstungskonsumtion.
Zugespitzt
formuliert: Die US-Politik seit dem 11. 09. ist selbst aus der Sicht der USA
den globalisierten Verhältnissen nicht angemessen. Ihre Politik befindet sich
nicht auf der Höhe des Empire. Kein Grund zum Triumph – denn dieser Zustand
könnte recht lange fortdauern.
So
ungewiss die weitere Entwicklung ist, so scheint sich doch auf politischem
Terrain die Zahl möglicher Optionen rasch wieder reduziert zu haben: von einer
weltpolitischen Initiative, gar sozio-ökonomischen Perspektive keine Spur,
weder für den Globus, noch auch nur für Afghanistan. Weder eine
freihändlerische Perspektive, noch eine im Sinne sozial-ökologischer
Ordnungspolitik. Stattdessen lautet das Versprechen, alles könne grundsätzlich
so bleiben wie es ist. Für die Linke ist die Veränderung dieser Sicht
notwendig: Auch wenn die USA unangemessen handeln, verschlechtert deren
Simulation globaler politischer Hegemonie die Chancen für die Linke, weil nicht
deutlich wird, dass wir bereits im Empire leben. Und solange die Linke nicht im
Stande ist, ihrerseits mit inadäquaten politischen und ökonomischen Routinen zu
brechen, solange kann sie selbst die offensichtlichen Schwächen in der Matrix
des Empire nicht zu ihren Gunsten nutzen.
Subpolitik
So
sehr die neue Qualität allgemeiner Abhängigkeit jeden großen politischen
Entwurf, jede Erlösung desavouiert, eröffnet sie doch zugleich ein neues
sub-politisches Potential. Subpolitik zielt auf die Revolution des Molekularen
(Guattari), ist der Versuch, Kriterien für ein emanzipatives Projekt in der
post-fordistischen Konstellation zu bestimmen. Zwar ist in der Tat die
Alltagspraxis der Dreh- und Angelpunkt der Subpolitik. Die Alltagspraxis ist
sogar das einzig relevante Kriterium. Dennoch kennzeichnet es die Subpolitik
gerade nicht, traditionelle, staatliche Politik zu negieren. Mit dem Begriff
der Subpolitik sollen gerade nicht die alten Gegensätze zwischen Bewegung und
Partei oder Reformismus und Revolution wieder aufgewärmt werden. Ganz im
Gegenteil, jeder Versuch, Politik in diesen Kategorien zu denken oder zu
machen, wäre dem Empire nicht angemessen. Der Blick, den dieses Konzept
ermöglicht, liegt vielmehr quer zur ex-ante Unterscheidung von Staat und
Gesellschaft, die als Gegensätze spätestens seit dem Fordismus nicht mehr zur
Bestimmung von (emanzipativen) politischen Projekten taugen.
Subpolitik
steht vielmehr im Gegensatz zu souveränistischer Politik. Und souveränistische
Politik ist auf staatlichem Terrain ebenso zu finden wie in den Zonen der
Gegengesellschaft. Nicht-Souveränistische Politik ist also nicht mit
anti-staatlicher Politik gleichzusetzen. Auf einer sehr allgemeinen Ebene
zeichnet sich Souveränismus dadurch aus, dass er verspricht, die Probleme zu
lösen, indem er das Übel ausmerzt, das stets von außen kommt, und damit
ebenfalls souverän gesetzt wird. Souveränismus performiert Politik als Mittel
zu den Schalthebeln der Macht, sei's militärischer, sei's staatlicher, sei's
ökonomischer – sei's auf globaler, nationalstaatlicher oder individueller
Ebene. Die molekulare Revolution reflektiert die allgemeine Interdependenz und
weiß um die Illusion, aus den gesellschaftlichen Verhältnissen einfach mal
herauszutreten. Subpolitik zielt auf materielle und immaterielle
Vervielfältigung lokaler Optionen, auf die Absicherung abweichenden Verhaltens,
durch welche wirtschaftlichen, politischen oder gesellschaftlichen Aktionen
diese auch immer zu erreichen sind. Sie glaubt nicht an ein Zentrum der Macht,
weder an ein ökonomisches, noch an ein staatliches, weiß aber um die
Ungleichzeitigkeiten und die Knoten der Macht. Die Welt können die lokalen
Akteure nur selbst verändern, nicht andere für sie, auch wir nicht. Hier müssen
die neuen Lebensweisen erfunden werden, hier ist die Quelle der
freundschaftlichen Vergesellschaftung, das ist die Multitude.
Die
Bewegung von Seattle bis Genua
Vielleicht
lässt sich das Konzept der molekularen Revolution vor allem im Unterschied zu
zwei in der deutschen Linken gängigen Positionen deutlich machen, zu denen es
quer liegt. Beide Positionen verkennen – obwohl sie sich auf die neuen globalen
Bewegungen beziehen – auf sehr unterschiedliche Weise das emanzipatorische
Potential, das in den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen vorhanden
ist. Denn die unterschiedlichen Politiken und Kritiken der verschiedenen
linken, trimondialen, feministischen, antirassistischen und ökologischen
Bewegungen ha-ben seit Beginn der 70er Jahre selbst zur Krise des fordistischen
Kapitalismus beigetragen. Dass sich aus den Kritiken am fordistischen
(Staats-)Kapitalismus auch ein im Vergleich zur Arbeiterbewegung verändertes
emanzipatorisches Projekt ergeben muss, ist im Verlauf der 80er Jahre, aber
spätestens mit der Implosion des Realsozialismus 1989 deutlich geworden.
Die
erste Position, die man als aufgeschobenen Souveränismus bezeichnen könnte, ist
die ganzen 90er Jahre über vor allem im Umfeld der verschiedenen Bewegungen und
Initiativen sehr verbreitet. Sie greift die anti-fordistischen Kritiken und
Praxen der Bewegungen auf, spitzt sie jedoch einseitig auf eine abstrakte
Kritik der Totalität der Verhältnisse zu. Damit kann sie das Empire zwar aus
einer anti-staatlichen, anti-sexistischen, anti-rassistischen usw. Perspektive
kritisieren. Durch diese rein negative Verknüpfung wird es aber unmöglich, die
anti-fordistischen Kritiken zu einem Projekt zusammenzubinden. Denn jede
erfolgreiche Politik, jede Bewegung, die politische Effekte bewirkt, muss aus
dieser Perspektive als potentiell systemstabilisierend bzw. staatsförmig
angesehen werden. Po-
litischer
Erfolg ist dieser Position per se verdächtig. Vielmehr wird die eigene
Wirkungslosigkeit gerade-zu zum Nachweis politisch korrekter Integrität
erhoben. Der Souveränismus dieser Position speist sich letztlich aus dem
imaginierten Punkt des revolutionären Umschlags, der Vorstellung einer –
ständig aufgeschobenen – singulären Aufhebung von Staat und Kapital. Dieser
Punkt darf paradoxerweise freilich niemals genauer bestimmt werden, denn jede
politische Konkretion würde stets wieder unter das eigene Verdikt fallen. So
muss sich die kritische Bewe-
gungslinke
hauptsächlich auf die Entlarvung ihrer Gegner beschränken, seitdem mit dem
Niedergang des sozialistischen Projekts die positive Vision der besseren
Gesellschaft fehlt. Die unzähligen alltagspraktischen und soziokulturellen
Ansätze lässt sie nur als Gegengesellschaft gelten, deren Niedergang sie
konsequent voraussagt. Damit fördert diese Haltung langfristig genau diejenigen
neoliberal-individualistischen Tendenzen, die sie zu bekämpfen vorgibt: Denn
als Gegengesellschaft gedacht, lassen sich alternative Praktiken nur für einen
begrenzten Zeitraum durchhalten. Oder die radikale und kritische Haltung hat
schlicht nichts mit der Gestaltung des täglichen Lebens zu tun, weil das
›richtige‹ Leben in eine unbestimmte Zukunft nach einer unbestimmten Revolution
verschoben wurde.
Die
zweite Position, man könnte sie national-sozialstaatlichen Souveränismus
nennen, wird vor allem im Umfeld von ATTAC, in Gewerkschaften und
sozialistischen bzw. linkssozialdemokratischen Parteien vertreten. Im
Unterschied zur ersten Position setzt sie auf die Mobilisierungsfähigkeit der
neuen globalen Bewegungen. Die Schwierigkeit der anti-fordistischen Kritik, ein
passendes politisches Projekt zu formulieren, will sie lösen, indem sie für die
Rückkehr zum Fordismus votiert. Ganz nach dem Motto: Was vor 50 Jahren für die
Arbeiterbewegung gut war, kann heute nicht falsch sein! Ziel ist die
Wiederherstellung der durch das neoliberale Projekt ausgehöhlten alten
fordistischen Institutionen, die dem global agierenden Kapital schutzlos
ausgesetzt seien. Dies soll beispielsweise durch die Einführung der
Tobin-Steuer ge-
schehen.
Damit ist diese Anti-Globalisierungsposition trotz berechtigter Kritik am
repressiven, normierenden und ausschließenden Charakter dieser Institutionen
gezwungen, den Staat und mit ihm die nationale Souveränität zu verteidigen und
damit das »goldene Zeitalter des Kapitalismus« zum Maß ihrer Bewegungspolitik zu
machen. Diese Position ist in gewisser Weise das in den Metropolen
übriggebliebene sozialistische Pendant zu dem in der Peripherie bis in die
späten 70er Jahre verfolgten Konzept der nationalen Befreiung, das mit dem
gescheiterten Projekt nachholender Entwicklung verbunden war und dem heute
keiner mehr eine Realisierungschance einräumen würde (vgl. Michael Hardt: »Zu
wenig Konflikt. Das Social Forum und die Politik der Multitude«,
www.jungle-world.com/_2002/11/sub08a.htm).
Dieses
politische Projekt bietet aber nicht nur global gesehen keine Perspektive,
sondern die Verteidigung der ausgehöhlten fordistischen Institutionen dient
auch vor Ort oft nur noch der rückwärtsgewandten Verteidigung der
sozialstaatlichen Leistungen des gesellschaftlichen Kerns gegen den immer
breiter werdenden Rand. Es ist ein Irrtum zu meinen, die Linke müsste nun
endlich beginnen, Politik zu machen. Sie hat die ganzen vergangenen dreißig
Jahre Politik gemacht: nur die falsche. Sie schreckte davor zurück, die
Konsequenzen aus ihrer Kritik des sozialistischen Projekts zu ziehen, und
verlegte sich stattdessen darauf, zu verteidigen, was der Verteidigung nicht
mehr wert war. Stattdessen käme es darauf an – und die neue globale Bewegung
bietet dafür durchaus Ansatzpunkte – diese Alternativ-Positionen zu verlassen.
Subpolitik
ist also nicht jene Politik der Gegengesellschaft und in der befreiten Zone,
die bestenfalls darauf wartet, selbst staatlich zu werden, schlimmstenfalls
ihre Irrelevanz zum Ausweis von Integrität erhebt. Nicht zuletzt ist die
herausragende Eigenschaft der Multitude, das eigene Wissen um
Produktionsprozesse und soziale Beziehungen in eigenen Projekten produktiv zum
Einsatz zu bringen, eine unhintergehbare Voraussetzung für Subpolitik.
»Die
vernetzte Gesellschaft ist unsere Erfindung und unser Welt. Wir brauchen in
unserer eigenen Umgebung keine Kontrolle, keine Sicherheit. Was wir brauchen
sind Freiheit und Freundschaft. (...) Wir rufen alle dazu auf,
zusammenzukommen, sich zu vernetzen und zueinander in Beziehung zu setzen. Wir
rufen auf, soziale Foren zu gründen und uns selbst zu organisieren – außerhalb
des Wahnsinns von Turbokapitalismus und seinen fundamentalistischen Klonen. Wir
brauchen mehr Autonomie, mehr Demokratie, und zwar auf der ganzen Welt. Wir
brauchen weder Grenzen noch eine von oben verordnete Mobilisierung, wir
brauchen den neuen Horizont eines gemeinsamen Projektes! (...) Make world, not
war!« (Münchener Volksbad Deklaration: www.make-world.org)
no
spoon
Eine
gekürzte Version dieses Artikels erscheint in Fantomas Nr. 1.
[
nospoon@niatu.net ]
¬ no spoon: Interdependence Day. Politik
an der Grenze zum Empire, diskus Nr. 2
/ 2001: S. 2 – 3. (online auch in com.une.farce Nr. 5:
www.copyriot.com/unefarce/no5/id.html)
¬ no spoon: Die Empire-Anomalie, arranca!
Nr. 24