»Nachhaltige
Sustainable Development als Kitt des
In
den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts war das Scheitern überkommener
Entwicklungsvorstellungen wie auch die sich zuspitzende Krise
gesellschaftlicher Naturaneignung offenkundig geworden. Von sozialen Bewegungen
wie von kritischen Intellektuellen auf die Tagesordnung gesetzt, schienen beide
Probleme auf eine Revision der Leitvorstellungen gesellschaftlicher Entwicklung
hinzudeuten. Mit der Veröffentlichung des sog. Brundtland-Reports (deutsch:
Hauff 1987) setzte sich im öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs ein
neues Stichwort durch, welches fortan richtungsweisend sein sollte: sustainable
development, meist als nachhaltige Entwicklung übersetzt. In den Vorbereitungen
auf die United Nations Conference on Environment and Development (UNCED) seit
Anfang der 90er Jahre und deren Durchführung in Rio de Janeiro 1992
manifestierte sich die Idee »nachhaltiger Entwicklung«; institutionelle und
gesellschaftliche Reformen sollten folgen. Wie erfolgreich dieser Prozeß war,
ist Gegenstand der Diskussionen vor und nach dem World Summit on Sustainable
Development (WSSD) in Johannesburg Mitte des Jahres 2002.
Seit
Rio haben sich Entwicklungsvorstellungen wesentlich verändert. Eine auf
»Globalisierung« setzende Politik ist zur richtungsweisenden Koordinate
geworden, zu der sich alles andere in Bezug setzen muss, auch die
Nachhaltigkeit. Oder wie es UNO-Generalsekretär Kofi Annan in seiner
Zukunftsvision formuliert: »Making globalization work for sustainable
development and to jump start implementation efforts.« (Annan 2001)
Diese
Umorientierung hat jedoch Konsequenzen für den Umgang mit ökologischen
Problemlagen.
Postfordistische
Naturverhältnisse
Aus
dem Auge gerät dabei der Zusammenhang zwischen ökologischer Problematik und
gesellschaftlichen Umstrukturierungen, die als Übergang vom Fordismus zum
Postfordismus zu begreifen sind und die sowohl die innergesellschaftlichen wie
auch die internationalen Strukturmuster erheblich verändert haben. Die
ökologische Krise war, symbolisch wie materiell, eng mit der Krise des
Fordismus verbunden. Auf der einen Seite war das fordistisch-fossilistische
Wohlstandsmodell der nördlichen Industriegesellschaften auf
materiell-stofflicher Seite maßgeblich verantwortlich für die enorme Ausweitung
des Ressourcenverbrauchs und die Überlastung der Umwelt durch Schadstoffe. Auf
der anderen, symbolischen Seite thematisierten soziale Bewegungen und Intellektuelle
die ökologische Krise als eine gesellschaftliche Krise, d. h. es wurden die
sozialen Ursachen der Krise gesellschaftlicher Naturverhältnisse zu benennen
versucht. Doch diese Konstellation geriet in den 80er Jahren immer stärker
unter den Sog des neoliberalen Umbaus der Gesellschaft. Die zentrale Strategie
zur Durchsetzung des postfordistischen Kapitalismus war die neoliberale
Ausrichtung der Gesellschaft an den Impera-tiven der Effizienz und der
internationalen Wettbe-
werbsfähigkeit.
Auch staatliche Politik wurde immer stärker daran ausgerichtet. Ein weiterer
Punkt kommt hinzu. Seit den 90er Jahren hat die Entwicklung neuer Technologien,
insbesondere die Informa-tions- und Kommunikationstechnologien sowie die
neueren Bio- und Gentechnologien auch auf ökonomisch-technischer Ebene zur
Herausbildung veränderter, »postfordistischer Naturverhältnisse« beigetragen
(Görg / Brand 2001). Mit dem immer stärker werdenden, von machtvollen
Interessen gesetzten Imperativ internationaler Wettbewerbsfähigkeit wird der
Umgang mit Natur als Ressource bzw. deren Inwertsetzung zunehmend stärker den
Rentabilitätskalkülen des Kapitals unterworfen.
Auf
internationaler Ebene bildet sich damit ein Kooperations-Konkurrenz-Paradox als
zentrale Rahmenbedingung internationaler Umweltpolitik heraus. Davon wird in
der Politikwissenschaft meist nur die eine Seite erwähnt: ein wachsender Druck
zur kooperativen Bearbeitung grenzüberschreitender Umweltprobleme. Dieser Druck
setzt sich nicht naturwüchsig als direkte Folge ökologischer Problemlagen
durch, sondern immer vermittelt durch seine öffentliche Symbolisierung durch
soziale Akteure (NGOs, Wissenschaftler-Innen, die sog. »Wissensgemeinschaften /
epistemic communities« etc.). Doch er hat in den vergangenen Jahren zu einer
kaum noch überschaubaren Zahl in-ternationaler Umweltabkommen geführt.
Allerdings heben diese Abkommen und Regime die zwischenstaatliche Konkurrenz
sowie die zwischen verschiedenen ökonomischen Sektoren und Regionen keineswegs
auf. Vielmehr prägt diese Konkurrenz die bestehenden Abkommen im hohen Maße,
und zwar desto mehr, je mehr von einzelnen Abkommen komplexe
Querschnittsprobleme tangiert werden.
Der
Postfordismus ist von zwei Elementen gekennzeichnet. Erstens kommt es zu einer
neuen Grenzziehungen zwischen Politik und Ökonomie. Diese Entwicklung wird in
den Sozialwissenschaften oft als Erosion des Nationalstaats missverstanden.
Tatsächlich verliert der Nationalstaat zwar in manchen Punkten seine
Steuerungsfähigkeit und seine Souveränität über ein bestimmtes Territorium.
Aber er verschwindet dabei nicht einfach, sondern transformiert sich in
Richtung des stärker den globalen Konkurrenzbedingungen unterworfenen
nationalen Wettbewerbsstaats und gleichzeitig in Richtung einer
Internationalisierung des Staates (Hirsch 2000; Brand u. a. 2001). Auch auf
internationaler Ebene geht es in zunehmendem Masse um die Absicherung der
bürgerlichen Rechts- und Eigentumsordnung. Dies betrifft gerade die
internationale Umweltpolitik.
Bezogen
auf ökologische Problemlagen hat sich der postfordistische Kapitalismus zwar in
gewisser Weise durchaus auf diese eingestellt, jedoch nicht im Sinne einer
erfolgreichen Bearbeitung der materiellen Dimensionen der ökologischen Krise.
Vielmehr ha-ben vor allem Strategien ökologischer Modernisierung Aussicht auf
Erfolg, die entweder auch die Kosten senken helfen oder ein neues Absatzfeld
für neue Technologien etc. eröffnen. Nicht mehr die Forderung nach einer
grundlegenden Transformation der Gesellschaft, sondern Effi-zienz und Standort-
sicherung
prägen nun Umweltschutz-Diskurse. Eine vertiefte Ursachenanalyse wird von einem
von »oben gedachten« technokratischen Modernisierungsdiskus verdrängt.
Zugangssicherung zu
Im
Hinblick auf die Nord-Süd-Problematik läßt sich eine ähnliche Entwicklung
beobachten. Auch hier werden unter dem Deckmantel der internationalen
Umweltpolitik oftmals ganz andere Prozesse vorangetrieben werden. An der Frage
nach dem Verhältnis zwischen den internationalen Umweltabkommen und anderen
internationalen Vertragswerken und Insti-
tutionen
zeigt sich dies deutlich. Zugespitzt formul-
iert
ist das wichtigste Abkommen der 90er Jahre, das die gesellschaftlichen
Naturverhältnisse tiefgreifend transformiert, weder die Konvention über die
biologische Vielfalt (CBD) noch die Klimarahmen-Konvention (FCCC), sondern die
Welthandelsorganisation (WTO). Dies hat damit zu tun, dass gerade die
Nichtbeachtung umweltpolitischer wie sozialer Belange in den wichtigsten
internationalen Institution sehr weitreichende Folgen hat. Die »Liberalisierung
des Welthandels« hat nicht nur direkte, ökologische wie soziale Folgen, bspw.
in der Erhöhung der Güterströme oder dem Eingriff in die nationale Umwelt-,
Sozial- und Gesundheitspolitik. Darüber hinaus geht es auf dem Gebiet der
Umweltpolitik oftmals auch um die Durchsetzung neuer Technologien und den dazu
gehörenden politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen. Am bekanntesten sind
hier die Beispiele der Gentechnologie im Umgang mit der biologischen Vielfalt
bzw. mit genetischen Ressourcen sowie die ökonomischen Instrumente zum
Klimaschutz. Die umwelt- und entwicklungspolitischen Institutionen i. e. S.
sind längst nicht mehr Sammelbecken progressiver Interessen.
Am
Beispiel der Konvention über die biologischen Vielfalt (CBD) lassen sich die
Konsequenzen gut verdeutlichen (vgl. dazu umfassender: Görg / Brand 1999,
2001). Während in der öffentlichen Diskussion die Auffassung vorherrscht, dass
es dabei um umweltpolitische Maßnahmen geht, die den Verlust der Biodiversität
stoppen oder verlangsamen sollen, zielen die staatlichen Maßnahmen und die
internationalen Abkommen noch auf etwas anderes. Im Ganzen dienen sie der
institutionellen Verregelung des Umgangs mit genetischen Ressourcen, von der
Sicherheit im Umgang mit gentechnisch-modifizierten Organismen bis zur
Etablierung eines Regimes zur Verteilung von Verfügungsrechten. Dabei geht es
zuvorderst um die Regelung der Zugangs- und der mehr oder weniger exklusiven
Nutzungsrechte an genetischen Ressourcen. Sie treiben damit eine Ökonomisierung
der Natur voran.
Das
Hegemoniedefizit
Wie
bereit 1992 liegt auch heute der Schatten der »neuen Weltordnung« über den Bemühungen,
kooperativ aus den umwelt- und entwicklungspolitischen Sackgassen
herauszukommen. Wurde das Datum »1989« noch mit den Chancen einer Suche nach
neuen Politikformen verbunden, so wurde der Vorbereitungsprozess der UNCED zu
Beginn der 90er Jahre von einem anderen Ereignis deutlich überlagert. Denn der
Einmarsch der irakischen Armee in Kuwait im Sommer 1990 und die militärische
Antwort der USA bzw. der NATO darauf im Januar / Februar 1991 waren eine
weltpolitisch entscheidende Zäsur. Der damalige US-Präsident George Bush
proklamierte im Januar 1991 eine »Neue Weltordnung«. Nicht Kooperation und die
gemeinsame Suche nach Wegen zur Lösung der »Weltprobleme«, sondern die
gegebenenfalls militärische Absicherung der dominanten Interessen stand im
Zentrum dieser Politik.
Der
11. September, das ist heute bereits absehbar, wird nicht nur auf der
militärisch-politischen Ebene einen weitergehenden Einschnitt als der zweite
Golfkrieg 1991 bedeuten, sondern auch auf der ideologischen. Denn mehr und mehr
wird deutlich, dass die Versuche einer Verrechtlichung der internationalen
Beziehungen – und d. h. von machtförmig und konkurrenzhaft strukturierten und
auch potentiell kriegerischen Verhältnissen zwischen den Staaten – wieder
zugunsten der Interessen dominanter Staaten untergraben werden. Und dies hat
Konsequenzen für alle Ansätze globaler Reformen wie für kritisch-emanzipatives
Handeln und damit auch für eine Politik, die die einst formulierten Ansprüchen
nachhaltiger Entwicklung ernst nehmen will.
Wir
haben es auf den ersten Blick mit einer Rückkehr in eine Ordnung zu tun, in der
jeder Staat, solange er nur über entsprechende Macht verfügt, die Gewaltmittel
einsetzen kann, die ihm zur Verfolgung seiner Absichten opportun erscheinen.
Insofern ist das »Ende der Westfälischen Ordnung« auch nicht mit einem »Ende
des Nationalstaats« zu verwechseln. Denn die reale Souveränität von Staaten war
schon immer ungleich verteilt. Und diese Machtungleichgewichte haben sich nicht
nur weiter verstärkt - auch das Gegengewicht einer Verrechtlichung der
Beziehungen wird zunehmend in den Hintergrund gedrängt. Unter Berufung auf
nationale Sicherheitsinteressen werden grundlegende menschen- und
völkerrechtliche Standards wie etwas die Genfer Konvention oder das Verbot der
Vereinten Nationen eines Angriffskriegs missachtet und immer mehr als bindende
Normen desavouiert.
Damit
wird eine Entwicklung verschärft, die sich schon vor den Anschlägen
abgezeichnet hat, und die sogar als eine ihrer tiefer liegenden Ursachen
angesehen werden muss – das Fehlen von Hegemonie im internationalen System.
Denn die einzige verbleibende militärische und politische Supermacht, die USA,
ist in einer ganzen Reihe von internationalen Abkommen und Regimen weder
Willens noch in der Lage, die
politische
Führung zu übernehmen. Dazu würde neben politisch-militärischer und
wirtschaftlicher Stärke auch die Bereitschaft gehören, Akteure mit anderen und
möglicherweise gegensätzlichen Interessen in einen Kompromiss einzubinden,
notfalls auch durch punktuelle Zugeständnisse. Nur dadurch ließe sich auch die
Hoffnung auf eine kooperative Bearbeitung globaler Probleme rechtfertigen, denn
diese setzt voraus, dass auf den Einsatz von Machtpotentialen zugunsten einer
Lösungsstrategie verzichtet wird, der verschiedene Akteure nach Vorgabe des
Hegemons bzw. hegemonialer Diskursstrategien zustimmen, in die sie eingebunden
werden können.
Selbst
diese kooperative Problembearbeitung wäre dann vordringlich durch den
Interessenkompromiss der beteiligten Akteure bedingt und daher per se keineswegs
sachangemessen bzw. eine wirkliche Problemlösung. Durch die Politik des
»America first« wird aber selbst diese Minimalbedingung für eine kooperative
Reaktionsstrategie in zunehmenden Maße erschwert. Ironischerweise geschieht
dies sogar in den internationalen Regimen, bei deren Gründung die Interessen
der USA eigentlich eine zentrale Rolle gespielt haben, wie in der WTO, oder die
gerade zum jetzigen Zeitpunkt eine wichtige Rolle spielen könnten, wie die
Biowaffenkonvention. Während die US-Regierung im WTO-Prozeß zu keinen
Zugeständnissen bereit ist und damit um Umfeld der Doha-Konferenz der WTO als
wichtigster Bremser angeklagt wurde, ist sie aus anderen Regimen inzwischen
faktisch ausgestiegen oder betätigt sich allein als Verhinderer – nicht nur in
der Biowaffenkonvention, sondern auch im Rahmen des Kyoto-Protokolls der
Klimarahmenkonvention und in anderen internationalen Abkommen.
Diese
Entwicklung lässt auch den Umgang mit ökologischen Problemlagen nicht
unberührt. Ökologische Sicherheit ist zu einem neuen Schlagwort geworden, bei
dem ökologische Problemlagen für den Sicherheitsdiskurs funktionalisiert und
militärische und ökologische Überwachungssysteme miteinander verquickt werden.
Wenn die Naturverhältnisse ein Aspekt in den Machtbeziehungen zwischen Staaten
und Regionen sind, dann ist es nur folgerichtig, auch Umweltprobleme verstärkt
unter dem Blickwinkel nationaler Interessen und nationaler Sicherheit zu
re-interpretieren. Zugespitzt ließe sich feststellen, dass in den Zeiten
»nachhaltiger Globalisierung« die machtgestützte und notfalls militärische
Absicherung der nationalen Interessen ein vielleicht sogar zunehmend
bedeutender Faktor in der Kontrolle über die Naturverhältnisse werden könnte –
und nicht mehr die Suche nach kooperativen Bearbeitungsformen (wie unzureichend
diese auch waren).
Eine
kritische Position muss sich bei dieser Problematik vergegenwärtigen, dass die
Alternative »Multilateralismus versus Bilateralismus« falsch gestellt ist. Auch
in multilateraler Politik und internationaler Verrechtlichung ist keineswegs
klar, inwieweit die Interessen schwächerer Akteure eine Rolle spielen. Darum
geht es aber ganz entscheidend.
Neue
Dynamiken: Globalisierungskritik
Relativ
unabhängig von der Debatte um Nachhaltigkeit hat sich in den letzten Jahren die
praktische und theoretische Kritik am neoliberalen Kapitalismus verstärkt.
Stichworte wie »Seattle« und »Genua« stehen für vielfältige Proteste, bei denen
es um negative Auswüchse der neoliberalen Globalisierung geht. Dabei kam es zu
einer Politisierung des Globalisierungsbegriffs: Der damit benannte Prozess,
seine für viele Menschen katastrophalen Wirkungen und die damit verbundenen
Interessen werden nicht mehr als hinzunehmende »Risiken« oder zu behebende
Begleiterscheinungen verstanden, sondern immer stärker als immanente
Bestandteile der gesellschaftlichen Veränderungen und als Folge sozialer
Kämpfe.
Gerade
auf lokaler und nationaler Ebene bleiben die skizzierten dominanten Trends
»nachhaltiger Entwicklung« keineswegs unwidersprochen. Die sich zuspitzenden
Widersprüche (deren bloße Existenz erst einmal nichts heißt) werden von dieser
heterogenen Bewegung politisiert. Die seit Seattle immer offenkundigere
Globalisierungskritik ist auch eine Zurückweisung der Idee, »Weltprobleme«
ließen sich von oben, durch Experten und kooperativ lösen. Der mit der UNCED
erstmals derart breit propagierte Politiktypus der »globalen Runden Tische« (an
denen auch und gerne viele NGOs saßen) und die damit einhergehende
Delegitimierung konfrontativer Politikansätze wird von der internationalen
Protestbewegung – was immer bedeutet: von vielen verschiedenen Bewegungen und
Organisationen auf nationaler und lokaler Ebene – gründlich in Frage gestellt.
Die
größte Gefahr für die Bewegung dürfte in nächster Zeit von der Metapher der
nachhaltigen Globalisierung ausgehen. Natürlich nicht von dem Begriff selbst,
sondern von dem damit transportierten Verständnis. Denn die
»zivil-gesellschaftlichen« Politikvorstellungen des Rio-Pro-
zesses
basierten lange Zeit auf der Annahme, dass mit Kooperation, alternativer
Expertise und dem Appell an die aufgeklärten Eigeninteressen in Wirtschaft und
Politik das Leitbild durchgesetzt werden könnte. Die 90er Jahre haben besonders
deutlich gezeigt, dass die damit verbundenen politischen Konzepte sich nicht
als erfolgreich erwiesen haben. Oft genug dienten sie eher der Legitimation der
»großen« Entscheidungen von Regierungen, Unternehmen und Medien. Diese konnten
die ihnen genehmen Aspekte von Kritik herauspicken und sich auf diese Weise auch
noch selbst legitimieren.
Die
neoliberale Globalisierung hat sich durch-
gesetzt
– und zwar nicht kooperativ, sondern vor allem konfliktiv »von oben«. Heute zu
meinen, dass dieser ungleich machtvollere Prozess wiederum mit Kooperation,
Expertise und dem Appell an Einsichtsfähigkeit zu stoppen sei, ist bestenfalls
naiv. Diesem Glauben nicht aufzusitzen, das ist einer der wichtigsten Beiträge
der aktuellen globalisierungskritischen Bewegung. Und dies sollte nicht mit
einer neuen Runde der »Hofferei« (Wolf-Dieter Narr) im nun anlaufenden
Johannesburg-Prozess verschenkt werden. »Nachhaltige Globalisierung« – das
könnte zum ideologischen Kitt des neoliberalen Scherbenhaufens werden.
Wichtig
wäre statt dessen in der öffentlichen Auseinandersetzung, den Glauben an die
technokra-
tischen
Allheilmittel und das »Management« von Problemen infrage zu stellen.
Selbstbestimmung, Menschenwürde und die Befriedigung elementarer Bedürfnisse
werden nicht durch Effizienzdenken und Managerismus erreicht. Dagegen gilt es
kritische Praxen zu stärken. Ob und wie diese sich auf die Formel der
»nachhaltigen Entwicklung« beziehen, erscheint zweitrangig. Wichtiger scheint
dagegen zu sein, wie konkrete Inhalte aufgegriffen werden, wie mit sozialen
Interessen umgegangen und ob eine Kritik an den herrschenden Verhältnissen, d.
h. eine umfassende Herrschaftskritik mitgedacht wird. Vor allem wäre
ein
Glaube zu unterlaufen, der trotz und wegen allem pragmatischen Managerismus
doch deren Fundament ist: der Glauben an die Unhintergehbarkeit der
gesellschaftlichen Verhältnisse, an die Alternativlosigkeit kapitalistischer
Globalisierung. Und gerade hier haben die Bewegungen der letzten Jahre die
meisten Erfolge zu verzeichnen. Nicht eine »nachhaltige Globalisierung«,
sondern die nachhaltige Zurückdrängung ihrer treibenden Kräfte muss das Ziel
einer wirklich nachhaltigen Entwicklung sein. In diesen Auseinandersetzungen
entwickeln sich bereits heute Alternativen, Reformvorschläge und Vorstellungen
einer anderen, vielleicht dann »nachhaltig« genannten
Gesellschaft.
Ulrich
Brand,
Christoph
Görg
[
txt ]
¬ Annan, Kofi (2001): Implementing
Agenda 21. Report from the Secretary General to the ECOSOC,
www.johannesburgsummit.org
¬ Brand, Ulrich / Görg, Christoph
(2001): Access & Benefit Sharing. Zugang und Vorteilsausgleich – das
Zentrum des Konfliktfelds Biodiversität, Hrsg. von Germanwatch und dem Forum
Umwelt & Entwicklung, Bonn
¬ Hauff, Volker; Hg (1987): Unsere
gemeinsame Zukunft. Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung,
Greven
¬ Kant, Immanuel (1977): Ideen zu einer
allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht. In: ders.: Schriften zur
Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik, Werkausgabe Bd.
XI, Frankfurt / Main
¬ SAPRI (2002): Weltweite
Armutsproduktion statt globale Armutsbekämpfung. Zusammenfassung der Ergebnisse
der Structural Adjustment Participatory Initiative. In: Informationsbrief
Weltwirtschaft & Entwicklung, Sonderdienst Nr. 1 – 2 / Januar 2002
¬ UNEP (2000): Global Environmental
Outlook 2000, United Nations Environmental Program, London
¬ Unmüßig, Barbara (2001): Zwischen
Nachhaltigkeitsrhetorik und Wettbewerbsfixierung. Weltgipfel für nachhaltige
Entwicklung in
Johannesburg.
In: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung,
Nr.
5 / Dezember, S. 1 – 3
Bei
diesem Beitrag handelt es sich um eine auf ein Viertel gekürzte und leicht
veränderte Version aus: Christoph Görg / Ulrich Brand (Hg.): Mythen globalen
Umweltmanagements. Rio + 10 und die Sackgassen »nachhaltiger Entwicklung«, das
im Mai im Verlag Westfälisches Dampfboot (Münster) erscheint.