diskus 1/98

Verstricktheit sells
Ein Gespräch unter Historikern im HR

Nach 1955 suchten wir eine anschlußfähige Wurzel, sprach der Professor Peter Steinbach und meinte die »Männer des 20. Juli«, und da haben wir kräftig gezeichnet, und auch verzeichnet. Was wir heute erleben, ist zum Teil ein Einlösen dieser Rechnung.

Vielleicht hat er damit ausdrücken wollen, daß »wir« inzwischen auch mittels historischer Forschung, der Umwidmung eines erfolglosen Putschs von Wehrmachtsoffizieren in eine enorme Widerstandspraxis gegen den Nationalsozialismus überführt werden können.

Und vielleicht wollte er sogar durchblicken lassen, daß diese Bemühungen der frühen Fünfziger der Anforderung geschuldet waren, der Nazizeit eine ehrbare, zwar wider- aber doch anständige (nicht kommunistische!) Tradition zu implantieren.

Das wäre aber das äußerste: Die Andeutung eines politischen Motivs für die Konjunkturen der zeitgeschichtlichen Prioritäten.

Eine Diskussion fand statt in einem Studio des HR, live übertragen im 1. hessischen Hörfunkprogramm, am Freitag den 13. Februar. Ihr Titel lautete: »Hatte die Wehrmacht ein Gewissen? – Militärs zwischen Widerstand und Gehorsam«. Eingeladen waren der als Eröffnungsredner der Ausstellung geschaßte Prof. Hans Mommsen, ebenso die Professoren Gillessen und Steinbach, sowie Dr. Sandkühler und Oberst Klein.

Das obige ins schwafelig-indifferente spielende Zitat repräsentiert ganz gut den in seiner Unkonkretheit als wissenschaftlich geltenden Sprachstil dieser Diskussion. Zudem mochte keiner der im Studio versammelten Historiker die Motive, die der Militär-Ausstellungskonzeption zu grunde liegen oder die Positionierung der Ausstellung in Frankfurt umgehend historisieren, also analysieren, denn das gehört sich nicht, in der Zunft. Und es ist ohnehin wichtig, sachlich-konstruktiv miteinander zu diskutieren.

So blieb die Kritik aneinander moderat und die politische Funktionalität mancher Äußerung unkommentiert. Zwar kritisierte Hans Mommsen die Entpolitisierung, die mit der Titelung von Sendung und Ausstellung verbunden sei, und bemerkte, daß unsere wissenschaftliche Diskussion diesen, einen letztendlich regressiven Zug der 50er Jahre fortsetzt, ... ist zu bedauern. Auch ärgerte ihn, daß die Darstellungen von Weimar und solche Sachen wie das ›Diktat von Versailles‹ 30 Jahre hinter der Forschung zurückblieben.

Sich mit dem Amtschef des Militärgeschichtlichen Forschungsamts der Bundswehr in Potsdam – also dem Ausstellungsverantwortlichen – anlegen, mochte auch Mommsen nicht. Jener, der Oberst i.G. Klein führte ungeniert seine eigene, der tagespolitisch-didaktischen Zwecksetzung geschuldete Logik ein und entwickelte folgendes: Wenn Sie vom heutigen Modell von Befehl und Gehorsam ausgehen, so ist ganz klar, daß der Befehlende sich an Recht und Gesetz gebunden weiß. Und der, der zu gehorchen hat, weiß die Grenzen der Ausführung von Befehlen ganz klar festgelegt, und daß er dann die Ausführung eines Befehls verweigern kann, wenn ein solcher Befehl ein Verbrechen oder Vergehen nach sich zieht. Und diese Grenze, wie ist die markiert? Es gibt heute Parameter, die es dem Soldaten sehr erleichtern, diese Grenze festzustellen. Das ist, glaube ich, das Ergebnis eines Erziehungsprozesses in einem demokratischen Rechtsstaat. Die Bundeswehr ist heute 40 jahre alt, und ich glaube, da kann man also schon ein gutes Gewissen haben.

Jedes Regime wird unabhängig von der ideologischen Einbindung seine Herrschaft als recht- und gesetzmäßige bezeichnen bzw. verankern. Und zwar in der Erscheinungsform stringent und institutionell abgesichert. Die Armee, die den Gehorchenden davon in Kenntnis setzt, daß die Befehle ihrer Stabsoffiziere unrechtmäßig sind, – oder wie der Oberst sich auszudrücken beliebt, Verbrechen nach sich ziehen – ist nicht mal Groucho Marx eingefallen. Die Kategorie eines Handelns aus Gewissensgründen macht überhaupt nur Sinn, wenn man sie aus der Bindung an nationalstaatlich fixierte Normenkataloge befreit und sie außer-ordentlichen Instanzen – einer Religion, o.ä. – unterstellt. Da aber Oberst Klein unter allen Umständen vermeiden will, daß die durch die Ausstellung geleiteten Bundeswehrsoldaten die Möglichkeit einer legitimen Befehlsverweigerung aus »höheren Motiven«, als eine ihrer Praxis, ihrer Karriere in dieser Armee mit nach Hause nehmen, sagt er das, was er eigentlich nur meinen soll: Bei uns kann man per se ein gutes Gewissen haben, braucht also keinesfalls ein eigenes.

Der zentrale Widerspruch dieser Ausstellung steckt in der Tatsache, daß die abgefeierten Militärs sich fast durch die Bank zuvor militärische Verdienste erwarben, und das heißt in diesem Krieg in dieser Armee, sich an Massenerschießungen, Hungerblockaden und anderen Greueltaten direkt und indirekt beteiligt haben. Dieses vorbehaltlose Akzeptieren des Hitlerschen Vorgehens (Mommsen), aus dem ein eigenes Vorgehen resultierte, schwand, als Hitler untragbar geworden ist, weil seine Kriegsführung das Heer und die Nation in die Katastrophe hineinführte (Mommsen). Für ersteres einigte man sich in dieser Diskussion auf den Begriff der Verstrickung, das zweite firmierte unter Einstellungsumschwung.

Der in seiner umstandslosen Vernunft schönste Befreiungsschlag aus dem Dilemma, Nationalsozialisten zu feiern, die eine nationale Verschwörung versuchten ins Werk zu setzen, als die Juden ausgerottet und der Krieg verloren war, gelingt dem Professor Gillessen mit folgender Argumentation: Wenn Sie einen Staatsstreich veranstalten wollen, brauchen Sie Machtmittel. Infolgedessen brauchen Sie Leute, die in Funktionen sind, die über Machtmittel verfügen. Aber, der Widerstand findet im Netz einer totalitären Diktatur statt ... man ist an allen Ecken und Enden eingebunden in das System und muß schauen, wo findet man eine Lücke. Der Verschwörer, der fleißig die ihm vom System gestellten Aufgaben löst, infolgedessen aufsteigt und so immer mehr Machtmitel in die Hand bekommt, bespricht sich mit anderen, muß aber Vorsicht üben, denn eine solche Gruppe darf sich nicht zu früh decouvrieren.

Richtig sicher, daß alles klappt, können die Verschwörer erst sein, wenn sie so gut wie alle Machtmittel in der Hand haben. Ergo war der 20. Juli 44 ein etwas früh gewählter Termin. Das mag wiederum damit zu tun haben, daß nach der Landung der Alliierten in der Normandie die Zeit zur Lückenfindung drängte, sonst wäre die totalitäre Diktatur samt ihrem Territorium ganz ohne Staatsstreich verschwunden.

Die Frage, hat die Wehrmacht nun ein Gewissen oder nicht, blieb schlußendlich unbeantwortet. Aber – je öfter man die Frage stellt, desto wahrscheinlicher wird sie positiv beschieden werden. Warum auch nicht? So ein organisches, vielfach hierarchisch gegliedertes Ganzes, so viel selbstinduzierte Sachzwänge, selbständig ausgearbeitete Befehle und selbstbewußt ausgeführte Aufgaben, da wird schon ein Gewissen mitorganisiert worden sein. Ausgerechnet Thomas Sandkühler, der über die »Endlösung in Galizien« promoviert hat, blieb es vorbehalten, einen Zusammenhang zwischen der Erfahrung des Verbrechens und der Motivation zum Widerstand einzelner Offiziere herzustellen und damit die Kategorie der späten Läuterung nach erfolgreicher Verstrickung eingeführt zu haben. Diese Spekulation über das Allzumenschliche – erst gesündigt, 41, 42, 43 hie und da ein paar verbrecherische Befehle gegeben und befolgt, dann in Wort und Tat (20. Juli plus Vorbereitung) Buße getan – das wäre die würdige Fortsetzung einer Diskussion, die sich der Popularisierung einer ganzen Reihe Euphemismen verdient gemacht hat, und deren politische Funktionalität nachwievor aus allen Uniformknopflöchern quillt.

Christoph Schneider