Heft 1/99

Ach wie gut,daß niemand weiß...
Kommentar zu "Haider im Kontext"
(aus: diskus 3/98)

Anfang März 1999 fanden in drei österreichischen Bundesländern Landtagswahlen statt. In Kärnten konnte sich die FPÖ auf 42% Stimmenanteil (+9%) steigern und wurde damit zum ersten Mal stärkste Partei. Dies ist auch ein Erfolg für Jörg Haider, der dort als Landeshauptmannkandidat antrat. Selbst wenn bedacht wird, daß Kärnten aufgrund der Stärke der deutschnationalen Tradition einen innerösterreichischen Sonderfall darstellt, die Wahlbeteiligung auf ein historisches Tief gesunken ist und die Kärntner SPÖ einem geradezu lemminghaften Trieb nachgab, sich vor der Wahl innerparteilich zu zerfleischen (wegen Haider), zeigt dies doch erneut, daß die FPÖ unter Jörg Haider, trotz angeblicher Krise 1998 noch nichts an Zugkraft verloren hat. ER hat's also wieder einmal geschafft, ER hat sich als Führer bestätigt, der – zäh wie Leder und flink wie ein Windhund – die Seinen, stehen sie denn in Nibelungentreue an seiner Seite, gegen alle "Ausgrenzungen" und "Denunziationen" der "Altparteien" und "linken Jagdgesellschaft in den Medien" zum Erfolg führen kann. Das schreckt die bürgerliche Öffentlichkeit – Erklärung tut not. Vorgestern noch der dynamische Kanzleraspirant, gestern in der Krise und heute wieder on top. Wie macht ER das bloß? Da muß doch was dran sein, an IHM? Klar, anpassungsfähig und flexibel ist er, und er nimmt halt die Proteststimmung gegen die Mißstände auf. Auf diesen Populismus fallen aber v.a. die Arbeiter rein. Die FPÖ ist nämlich heute eine Partei der Arbeiter, die Protest wählen – mit Faschismus hat das nichts zu tun.

Diesen Verlockungen der bürgerlichen Erklärungsstrategie des Erfolges der FPÖ fällt leider auch Sebastian Reinfeldt in seinem Versuch, Haider im Kontext1 zu analysieren, anheim. Auch er personalisiert, stellt doch die behauptete Beweglichkeit Jörg Haiders (I.) und die damit verbundenen Schwierigkeiten, ihn zu benennen, den Ausgangspunkt seiner Analyse dar. Haider scheint einzig aktiver Part der ansonsten sich in passiver Auflösung befindlichen österreichischen Sozialpartnerschaft. Dieser rekuperiere die Entidentifizierung damit und organisiere sie in einer eigenen Form der Gemeinschaftlichkeit, wofür er einzig und allein auf die Wirkungen der Inszenierung seiner Person setze. Möglich werde dies durch ein Spiegelspiel mit der medialen Öffentlichkeit, durch das permanent ein Resonanzraum hergestellt werde, durch dessen semantische Offenheit die eigentümliche Beweglichkeit des ›Objektes‹ Haider entstehen könne. Dadurch aber werde Haider zum Politiker, der nicht bezeichnet werden will, der sich aktiv allen weltanschaulichen Kategorien entziehen möchte.

Und auch bei ihm sind es die Arbeiter (II.), die sich dieser neuen Form der Gemeinschaftlichkeit anschlössen. Die FPÖ sei zu der Arbeiterpartei geworden. Früher seien Arbeiter noch wegen so banalen Sachen wie Wohnungen und Bewältigung anderer Probleme des Lebens gezwungenermaßen in die SPÖ eingetreten, hätten aber an deren Ideologie sowieso niemals wirklich geglaubt, sich aber trotzdem der Sozialpartnerschaft unterworfen. Nun aber fallen sie anscheinend – heuchlerisch (nie an Ideologie der SPÖ geglaubt), dumm und passiv wie sie sind – auf die Inszenierungen Haiders und die Skandalisierung von Ereignissen, die ja eigentlich im Kern immer schon bekannt waren, herein.

Die Skandalisierung der Politik ist der Kern der politischen Strategie Jörg Haiders, die S.R. als Populismus zu verstehen versucht. Populismus ist für ihn eine Ideologie ohne Weltanschauung, in der verschiedene politische Inhalte zirkulieren könnten. Durch das letztlich instrumentalistische und neutralistische Verständnis dieser politischen Strategie, die anscheinend allen politischen Kräften offensteht, kann S.R. schließlich zwischen der Haider FPÖ und anderen Parteien keinen Unterschied mehr erkennen. Die Frage, ob die FPÖ als faschistische Partei einzustufen sei, ist daher auch in Reinfeldts Artikel abwesend (III.).


I.

Warum S.R. der Konstruktion einer angeblich nicht faßbaren Beweglichkeit Haiders und dem Auf und Ab der Krisen der FPÖ Glauben schenkt, ist nicht einleuchtend. Um die FPÖ unter Haider zu verstehen, müßte die bürgerliche Öffentlichkeit den gesellschaftlichen Kontext, zu dem auch sie gehört, kritisieren. Die Konstitution des populistischen Angriffs auf die 2. Republik erfolgte aber gerade in und durch die mediale Öffentlichkeit, in der jene Themen artikuliert wurden, derer sich die FPÖ seit 1986 bedient. Dazu gehörten etwa seit Anfang der 80er Kampagnen gegen "Sozialschmarotzer", Flüchtlinge/GastarbeiterInnen, "Verschwendung", moderne Kultur und für Kurt Waldheim. Auch das über Jahre hinweg haiderkritischste Medium, "profil", sah sich in den 80ern mit Vorliebe als Aufdecker von Skandalen und Speerspitze gegen Verschwendung, Korruption und Bonzentum.

In der Personalisierung der Auseinandersetzung mit Jörg Haider aber kann die bürgerliche Öffentlichkeit Kritik auf Fragen des Stils reduzieren. Das Wechselspiel von Krise und Erfolg der FPÖ entspricht ihrer abwechselnden Faszination und Ablehnung Haiders und erklärt das Hin und Her der "Krisen". "Krise" der FPÖ bedeutet auflagensteigerndes Gezeter in der liberalen Öffentlichkeit darüber, daß entweder Haider oder irgendein anderer FPÖ-Politiker wieder einmal einen "Sager", der in seiner "tabubrecherischen" Provokativität das politische Spektrum in Österreich weiter nach rechts verschiebt, losgelassen hat, oder irgendein FPÖ-Politiker der Korruption und daher Inkonsistenz mit dem Saubermannimage der FPÖ überführt werden konnte. In beiden Fällen wird das von der FPÖ bestimmte politische Terrain nicht verlassen.

Die "losbrechende" Krise findet außerdem nur in den haiderkritischen Medien statt, nie jedoch in den Boulevardblättern Kronen Zeitung oder Täglich Alles. Letztere reagieren auf die "Krise der FPÖ" entweder mit einem "net amol ignorieren", oder zeichnen eine Verschwörung der "linkslinken Netzwerke" mit Unterstützung gewisser "ausländischer (v.a. in New York beheimateter) Kreise". Die angeblichen Krisen der FPÖ spielen sich daher immer nur zwischen Wahltagen ab, und werden regelmäßig durch einen Wahlerfolg "beendet".


II.

Die FPÖ als Arbeiterpartei ist eine äußerst beliebte "Erzählung" bei Liberalen und Konservativen (und auch Grünen?), die sich auf die "objektiven" Ergebnisse der in Österreich dominanten Wahl- und Meinungsforscher beruft. Deren politisch-ideologische Implikationen müßten offensichtlich sein, würde sich jemand die Mühe machen, genauer hinzusehen. Da es aber in postmodernen wie werttheoretischen Zeiten nicht en vogue ist, sich über Klassenverhältnisse den Kopf zu zerbrechen – müßte doch dann auch die eigene Position in den gesellschaftlichen Arbeitsteilungen reflektiert werden – wird diese ideologische Entlastungsstrategie des Kleinbürgertums und seiner Intellektuellen (JournalistInnen, DemoskopInnen...) auch von Linken gern angenommen.

Gemäß der "objektiven" Ergebnisse dieser Demoskopie sind 50% der FPÖ Wähler "Arbeiter", die die SPÖ, die zwar nie von mehr als 60 – 70% der ArbeiterInnen gewählt wurde, verlassen hätten. Blame it on the workingclass aber erleichtert das schlechte Gewissen, welches die linke Kritik am Kapitalismus immer nur als Moral mißverstehen konnte, das sich aber wegen des ganzen Ausbeutungsgeredes irgendwie immer einstellte.

Der Status Arbeiter in diesen Untersuchungen ergibt sich aus dem österreichischen Arbeitsrecht und hat nichts mit einer kritischen Analyse von Klassenverhältnissen zu tun – sich darauf zu berufen, ist schlicht Empirismus mit unverhohlen ideologischem Gehalt. Die Wahlforschung hat auch festgestellt, daß die FPÖ zu etwa 2/3 von Männern, bzw. Personen zwischen 30 und 50 gewählt wird – das wundert aber niemanden.

Auch in Österreich kam es seit den 80ern zu einer Restrukturierung der Klassenverhältnisse. Die Zahl der Industriearbeiter sank, während der Dienstleistungssektor gleichzeitig boomt. Die in der Industrie verbliebenen Beschäftigten wurden tendenziell auf hochqualifizierte Kernbelegschaften reduziert, die durch GastarbeiterInnen ergänzt werden. Im wachsenden Dienstleistungssektor werden in der überwiegenden Zahl Frauen beschäftigt, die aber aufgrund der rechtlichen Definition auch bei einfachen Tätigkeiten als Angestellte ausgewiesen werden.

Die Mehrheit der Demoskopie-Institute in Österreich muß als bürgerlich-liberal bzw. ÖVP-nah eingestuft werden. Deren bunt aufbereitete Ergebnisse sowie ausführliche Interviews und Runde Tische mit den LeiterInnen dieser Institute ersetzen in den Printmedien der bürgerlichen Öffentlichkeit nunmehr weitgehend kritische Analysen der politischen Entwicklung in Österreich. So gehören beispielsweise die Politikwissenschaftprofessoren und profiliertesten Wahlforscher Wolfgang Plasser und Gerhard Ulram zu den politischen Beratern der ÖVP. Auf ihr Anraten hat die ÖVP unter Wolfgang Schüssel 1995 bei steigenden Umfragewerten für die Partei und den damals neuen Vorsitzenden Neuwahlen vom Zaun gebrochen und den alten Traum der ÖVP-Rechten um den ehemaligen Vorsitzenden Alois Mock in einer kleinen Koalition mit der FPÖ den Kanzler zu stellen, explizit in die Wahlauseinandersetzung eingebracht. Vor allem diese folgende Niederlage und der etwa 4%-ige Zugewinn für die SPÖ machte der ÖVP und ihren Strategen klar, daß die Sozialdemokraten aufgrund ihrer Anti-Haider-Haltung ihre Position behaupten können. Was also kommt gelegener als herauszufinden, daß es doch die "Arbeiter" – das traditionelle Potential der SPÖ – sind, die diese natürlich nur aus falsch verstandenem, nicht-auszugrenzendem Protest wählen?

Die tatsächliche Klassenposition der FPÖ-wählenden Arbeiter interessiert daher nicht, geht es doch gegen alles was der bürgerlichen Öffentlichkeit als "Sozialismus" erscheint, von dem sich die ÖVP und ihre Intellektuellen (DemoskopInnen und JournalistInnen) in der Großen Koalition tödlich umklammert fühlen. Die Erklärung, die Arbeiter würden der SPÖ in Scharen davonlaufen, weil diese (angeblich) immer noch an Umverteilung und Kontrolle der Märkte festhalte, kommt da sehr entgegen. Die "Arbeiter", die nicht mehr SPÖ wählten, hätten schon irgendwie recht, wie ja Haider in vielen inhaltlichen Bereichen auch, nur würden sie halt den Verlockungen des Rattenfängers vom Bärental erliegen und ihre per Wahlzettel gezeigte Zurückweisung des "Sozialismus" der SPÖ an der falschen Adresse deponieren (woran aber auch die FPÖ-Ausgrenzer in der SPÖ mit ihrer Faschismuskeule schuld seien). FPÖ-Wählen sei daher ein Antisozialismus der dummen Kerle.

Groß aber ist das Klagen, daß wegen der Person Haider heute viele seiner im Kern doch richtigen Angriffe auf die erstarrte Sozialpartnerschaft tabuisiert sind und ein Zusammengehen mit der FPÖ daher unmöglich wird. Jörg Haider sei viel zu verantwortungslos (beweglich), um regierungs- und koalitionsfähig zu sein, da er doch immer gerade jene Meinung vertrete, die opportun sei. Nach dem nächsten Wahlerfolg entdecken aber viele wieder ihre (un)heimliche Faszination für die Flexibilität des "genialen Politikers", den man nun wohl mal ein bißchen regieren lassen sollte. Die FPÖ könne dann nämlich auch nicht immer gegen alles sein, sondern müßte Verantwortung übernehmen. (...)

Die konservative Medienstrategie läuft daher darauf hinaus, die FPÖ zum Problem des ›Sozialismus‹ in Österreich und nicht des bürgerlichen Lagers zu machen. Entgegen der Charakterisierung der FPÖ als neuer Arbeiterpartei muß diese aber vielmehr als Ausdruck der Krise des letzteren verstanden werden. Den Konservativen erscheint die Große Koalition und die fordistische Sozialpartnerschaft heute als Niederlage. Dies und die dadurch bewirkte Radikalisierung zeigt ein längerfristiger Blick auf die politische Entwicklung. Ausgestattet mit neoliberalen und neokonservativen Ideologemen versuchte die ÖVP zwischen 1978 und 1986, auch in Österreich eine ›Wende‹ herbeizuführen. Wider Erwarten gewann die SPÖ unter dem ›Nadelstreifensozialisten‹ Vranitzky, der die Koalition mit der (bis zu diesem Zeitpunkt vom liberalen Flügel dominierten) FPÖ beendete, nachdem Haider dort ans Ruder gekommen war, die Wahl 1986 knapp. Die Großkoalitionäre in der ÖVP setzten sich durch und traten in eine Koalition mit der SPÖ ein, obwohl ihr rechter Flügel (um den Parteivorsitzenden Alois Mock) auf eine Koalition mit den Freiheitlichen drängte, hatten die Bürgerblock-Parteien bei dieser Wahl doch zusammen 51% der Stimmen erreicht.

Daß ein beständig wachsender Teil des bürgerlichen Lagers diese Entscheidung nicht akzeptieren wollte, wurde in den folgenden Wahlen sichtbar. Seit 1986 hat die ÖVP etwa 15% ihres Stimmenanteils verloren und wird bei den Wahlen 1999 eventuell hinter die FPÖ zurückfallen. Trotz der massiven Veränderung des Parteiensystems (Erosion der Großparteien, Entwicklung eines 5-Parteiensystems) zeigt eine nähere Analyse die Herausbildung (oder Fortsetzung) zweier etwa gleichstarker Lager (SPÖ, Grüne, Liberale auf der einen und ÖVP und FPÖ auf der anderen Seite, mit leichten Vorteilen für letztere), die sich um die Achse einer möglichen Koalition mit der FPÖ unter Jörg Haider, die weiter als Option für die ÖVP erscheint (auch im Wahlkampf 1999), kristallisieren.


III.

Es gehört zum Erfolg der FPÖ unter Haider, daß die mediale und politische Öffentlichkeit sich weigert, sie kritisch zu analysieren. Insbesondere wird die Frage, ob die FPÖ unter Jörg Haider eine neue Form des Faschismus darstellt, in der medialen Öffentlichkeit nicht benannt, ja in zahlreichen Entlastungsstrategien implizit zu widerlegen versucht. Erstaunlicherweise wird dieser zentrale Punkt auch in S.R.s Analyse Jörg Haiders durch seinen Populismusbegriff unsichtbar gemacht.

So ziele Populismus als Ideologie ohne Weltanschauung v.a. darauf ab, die aktuelle Politik und ihre Träger, die Politiker, fortwährend zu skandalisieren. In den populistischen Redefiguren werde Politik aus der Froschperspektive (gegen die-da-oben) betrachtet, behauptet, daß Politik unerträglich geworden, bzw. immer schon ein brutales und schmutziges Geschäft gewesen sei, nur ein charismatischer Politiker könne Befreiung bringen. Eingespannt seien diese Redefiguren in den populistischen Mythos, der auf folgenden Gegenüberstellungen beruhe:

Wir (fleißige Österreicher) – Nicht-Wir (AusländerInnen)

Die-Da (die PolitikerInnen) – Nicht-Die-Da (andere Österreicher).

Dies stelle die an sich inhaltsleere Form des Populismus dar, der eine strategische Hülle, in der verschiedene politische Inhalte zirkulieren könnten sei, und daher potentiell allen politischen AkteurInnen zur Verfügung stehe.

Der Effekt dieser Analyse ist paradox (...). Zum einen wird der Populismusbegriff überdehnt und die Besonderheit der politischen Strategie der FPÖ unter Jörg Haider droht verloren zu gehen. Zum anderen aber wird der Begriff so verengt, daß nun alles als Populismus gesehen werden kann und sich die FPÖ unter Jörg Haider vom regierungsamtlichen Populismus nur durch ihren Oppositionsstatus unterscheidet. Daher wird in bezug auf eine Regierungsübernahme der FPÖ fast Entwarnung gegeben. Im Falle einer Regierungsübernahme werde sich die FPÖ ein ›menschliches Antlitz‹ (die Anführungszeichen sind etwas kryptisch) anlegen, wie die Charity-Projekte, die Jörg Haider in seiner ersten Amtszeit in Kärnten begonnen habe, beweisen würden. Warum dies Haider zu einem "normalen" bürgerlichen Politiker machen soll ist nicht klar. Schließlich gaben Winterhilfswerke, Eintopfsonntage, Autobahnen und "ordentliche Beschäftigungspolitik" auch den Nazis kein "menschliches Antlitz".

Populismus wird bei S.R. letztlich von jeglicher Politik ununterscheidbar. Auch die politischen Prozesse des Fordismus beruhten auf einem relativ starken "Wir" des jeweiligen politischen Lagers (gegenüber "denen-da"), wie auch der Nation/freien Welt gegenüber dem globalen "Nicht-Wir" des Kommunismus.

Die durch die Überdehnung ermöglichte Kontraktion des Populismus-Begriffs erlaubt S.R. die unterschiedslose Anwendung seines Modells etwa auf die (Neue) Sozialdemokratie und ihre Versuche, die rassistischen und autoritären Diskurse zu Migration oder Kriminalität in Form des populistischen Mythos zu erzählen. Da also S.R. zwischen der FPÖ und "normalen" bürgerlichen Parteien nicht mehr unterscheiden (...) will, rutscht er plötzlich in das diskursanalytische Pendant zur Sozialfaschismusthese – gewissermaßen in eine Sozialpopulismusthese. Dabei wird (...) nicht klar, warum zur Kritik der Neuen Sozialdemokratie und ihrer rassistischen und autoritären Politik ihr Unterschied zum Neofaschismus der FPÖ eingeebnet werden soll. Dies spielt nämlich nicht nur das faschistische Potential der Haider-FPÖ herunter, sondern verhindert auch eine adäquate Kritik der Sozialdemokratie. Letztere kann genau gegen eine solche Haider-Kritik ihre Unterschiede zur FPÖ ins Spiel bringen, sich als Verteidigerin von Wohlfahrtsstaat, sozialer Gerechtigkeit, Kultur und (antifaschistischer) 2. Republik präsentieren und damit als alternativlos darstellen. Ein derartiges Argument mag also den haiderkritischen Oppositionsparteien Grüne und Liberales Forum und ihrem Klientel die nötigen medial gut aufbereitbaren moralischen Wohlfühlstimuli, sich als einzige demokratische öko-sozial-liberale Alternative fühlen zu können, geben. In der Wahlzelle entscheiden die meisten dann doch nicht aus dem Bauch heraus, sondern wählen die Regierungspartei, die Haider in der Regierung verhindern kann – also die SPÖ. Die "Normalität" der 2. Republik, Wohlfahrtsstaat und Sozialpartnerschaft, die schaumgebremste Transformation in ein postfordistisches Modell, werden, wo nur die FPÖ unter Haider eine relevante Alternative (3. Republik) präsentiert, in einen Antagonismus positioniert, der erstere als alternativlos erscheinen läßt. Verstärkt wird dieser Effekt dadurch, daß zum einen, wie in manchen linksradikalen Kreisen üblich, die Große Koalition und ihre Politik mit der Haider-FPÖ, die als faschistisch verstanden wird, gleichgesetzt wird, oder aber zum anderen, umgekehrt, wie etwa in Reinfeldts Artikel, die Frage nach dem faschistischen Gehalt der FPÖ nicht mehr gestellt wird und sie so als "normale" rechte bürgerliche Partei erscheint. Sowohl die inflationäre Verwendung des Faschismusbegriffs in ersterer Analyse, als auch die Verweigerung die Frage nach dem faschistischen Gehalt der FPÖ zu stellen, in zweiterer, ermöglicht es insbesondere der Sozialdemokratie durch Hervorkehrung ihrer Unterschiede zur FPÖ, jede radikale Kritik der 2. Republik zu desartikulieren und sich als alternativlose Volksfrontregierung darzustellen. Eingespannt in diese Diskurspositionen kann jeder Versuch, die Frage nach dem Unterschied zwischen der sogenannten 3. Republik und die Frage nach dem faschistischen Charakter der FPÖ zu stellen, in den Verdacht geraten, die 2. Republik, Sozialpartnerschaft und Sozialdemokratie zu verteidigen. Daß dies so ist, liegt an der Schwäche der Linken und etwaiger Alternativen zum herrschenden System und müßte in einer eigenen Analyse über Zustand und Bedingungen politischer Opposition angesichts einer etwaigen faschistischen Bedrohung behandelt werden.

Wichtig ist Reinfeldts Hinweis, daß die populistische Redeweise sich gegen Politik in ihrer Gesamtheit richtet. Leider geht der Wert dieser Überlegung durch eine personalisierende Lesart rasch verloren, richtet sich doch für S.R. die populistische Strategie gegen die Politiker an der Macht. Der "systemüberwindende" Gehalt des Populismus geht verloren, der anti-politische Charakter des charismatischen Politikers, der vielmehr ein Führer wird, verschwindet hinter dessen Inszenierungen, die Faschismus-Frage bleibt unbenannt. Sichtbarer würde diese, wenn die populistische Strategie der Haider-FPÖ nach folgenden Gesichtspunkten analysiert wird: Ausgehend von einer angeblich umfassenden Krise der Gesellschaft richtet sie sich erstens gegen "normale" bürgerliche Institutionen und Prozesse der Politik ("Altparteien"), repräsentative Demokratie und das liberale Prinzip der pluralistischen Verhandlungsmechanismen zwischen verschiedenen Interessensgruppen ("Arbeiterbonzen"). Zweitens behauptet sie, die angebliche Krise durch eine Überwindung des überkommenen politischen Institutionengefüges (in Staat und Zivilgesellschaft) und Rekonstitution einer neuen homogenen Einheit der "Fleißigen und Anständigen" lösen zu können (3. Republik). Dies sei aber drittens nur möglich, wenn die überkommenen Politikformen durch die charismatische Entscheidungsfähigkeit des Führers und die Ausmerzung des Heterogenen ("Ausländer raus") ersetzt werde.

Der antipolitische Gehalt dieser Strategie ist daher nicht apolitisch. Vielmehr handelt es sich um eine Politik der Anti-Politik, also um eine spezifische krisenhafte Konfiguration bürgerlicher Politik. Dieser Angriff richtet sich daher auch nicht gegen die Ver-hältnisse des "Privaten", also die herrschenden ökonomischen und patriarchalen Verhältnisse. Die 3. Republik soll vielmehr die Besonderung des "Privaten" in einer neuen Einheit artikulieren. Um die Frage nach dem Neo-Faschismus der FPÖ zu beantworten, kann es daher nicht ausreichen, auf Kontinuitäten mit den Nazis zu verweisen. Das mag zwar hie und da das (links-)liberale Bürgertum aufschrecken, macht es Jörg Haider aber auch leicht, sich als neu, attraktiv, zielstrebig und ideenreich, aber doch nicht als Ewiggestriger darzustellen. Staatlicher Anschluß an Deutschland? – ach was, heute geht's doch um Kultur und Volk. Antisemitismus?, Judenhaß? – die FPÖ doch nicht, einige der besten FPÖler sind Juden (etwa Peter Sichrovsky im EU-Parlament). Außerdem kann doch die FPÖ nicht faschistisch sein, weil sie sich selbst nicht als faschistisch bezeichnet und man ist noch lange kein Nazi, nur weil man sich wegen der vielen Einwanderer Sorgen macht ...

Nur wenn neben den Kontinuitäten gezeigt wird, wie die FPÖ ihre politischen, ideologischen und ästhetischen Strategien mit modernen gesellschaftlichen Prozessen verknüpft, kann die Frage nach dem neo-faschistischen Charakter der FPÖ beantwortet wer-den. Das setzt aber eine nicht personalisierende und nicht moralisierende Kritik in der medialen und politischen Öffentlichkeit der bürgerlichen Gesellschaft in Österreich voraus. Diese aber braucht, solange sie zum Faschismus schweigt, auch über den (post-fordistischen) Kapitalismus nichts mehr zu sagen.

Roland Atzmüller

|1| Alle kursiv gesetzten Passagen sind Zitate aus Sebastian Reinfeldts Artikel Haider im Kontext. Populismus in Österreich, in: diskus 3/98, S. 32 – 36