Heft 1/99

editorial

Kaum ein Jahr nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der mit ihr verbündeten Staaten verkündeten die USA den Anbruch einer neuen Weltordnung. Zusammen mit den restlichen »zivilisierten Nationen« demonstrierten sie der Welt bzw. einem ehemals befreundeten Diktator in der Golfregion, was darunter zu verstehen war. Mit dem Krieg gegen den Irak hatten die USA und ihre Verbündeten gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Dadurch, daß die UNO bzw. der Weltsicherheitsrat den Angriff legitimierten, war einerseits Russland – damals ökonomisch noch nicht vom Segen des IWF und der G7 abhängig – eingebunden, die UNO ideologisch noch einmal aufgewertet und zugleich de facto zu einer Akklamationsinstanz degradiert. Gleichzeitig konnte der Doktrin, wonach der Westen freien Zugang zu wirtschaftlichen Gütern und Ressourcen haben müsse, Geltung verschafft werden. Wer schon damals nicht so recht glauben mochte, daß Weltmächte aus humanistischen Motiven Kriege führen, kam schnell auf den Gedanken, daß wohl das Golf-Öl die wahre Ursache des Konflikts sein müsse. Das Verhältnis von vermeintlichen ökonomischen Interessen und Kriegspropaganda ließ sich in ein moralisch mehr oder weniger eindeutiges Urteil transformieren und die neue deutsche Friedensbewegung versammelte sich hinter der Parole »Kein Blut für Öl«. Die populäre Parole war zwar Ausdruck einer Skepsis gegenüber der Kriegspropaganda, allerdings auf der Basis einer ökonomistisch verkürzten »Imperialismusanalyse«. Der Angriff der NATO gegen Jugoslawien läßt sich offen-sichtlich nicht in derartige Schemata pressen. Dennoch gibt es vereinzelte Stimmen, die auch jetzt Öl-Pipelines und deren Verlauf als handfeste Interessen der NATO-Staaten ausmachen. Das Argument ist jedoch genau so hilflos, wie der Hinweis, die USA/NATO könnten mit dem gleichen »Recht« in Laos, der Türkei oder Indonesien intervenieren. Bodenschätze gibt es weltweit vermutlich ebensoviel wie Menschenrechtsverletzungen durch Regierungen. Erklärt ist damit gar nichts. Aber auch der politische Gebrauchwert dieser »Demaskierungs«-Strategie erweist sich als ziemlich fragwürdig, wenn die Antwort auf die rhetorische Frage »Warum denn nicht in der Türkei intervenieren?« lautet: »Wir werden natürlich nicht an allen Stellen der Welt gleichzeitig unsere Vorstellungen realisieren können«. (Roland Koch, in der FAZ, 4.4.99)

Nötig scheint eine eingehendere Beschäftigung mit der Geschichte der Ethnisierung sozialer Konflikte in Jugoslawien, der Herausbildung ethno-nationalistischer Gruppen, die nach dem Ende des Kalten Krieges den Verteilungskampf um Ressourcen, Territorium und Macht mit ethnischen Kategorien führten und führen, sowie der massiven Unterstützung dieser Strategien durch den Westen.

Dabei ist es eine Sache, aufzuzeigen, daß es den USA möglicherweise um die hegemoniale Einbindung eines ökonomisch und politisch unabhängiger und mächtiger werdenden Europa geht. Oder daß schon an der Anerkennung der Unabhängigkeit Kroatiens durch Deutschland das Interesse der westlichen Nationen zu erkennen war, die Republik Jugoslawien zu zerschlagen, die immerhin als einer der Anführer der Blockfreien, eines »dritten Wegs« zwischen Sowjetkommunismus und Kapitalismus, hohe moralische und politische Autorität besaß und im Vakuum nach der Blockkonfrontation als gefährlicher Konkurrent bei der Neuordnung Europas angesehen wurde. Entscheidend dürfte aber sein, daß eine Opposition gegen die NATO-Angriffe, die weder moralisch-pazifistisch noch pro-serbisch argumentieren will, darauf angewiesen ist, die aktuelle politische Konjunktur, sowohl die internationalen Verhältnisse als auch die hiesigen Herrschaftsverhältnisse, zum Ausgangspunkt für politischen Widerstand zu machen. Der Versuch etwa, die deutsche Beteiligung an den Angriffen über Parallelisierungen mit der deutschen Geschichte zu skandalisieren, ist da wenig hilfreich. Sicher gibt es historische Kontinuitäten, die bereits an der Anerkennungs-politik Genschers aufzuzeigen sind: Es war eben kein Zufall, daß gerade Kroatien deutsches Einflußgebiet geworden ist. Die Skandalisierung jedoch geht angesichts der Legitimationsideologie, mit der die rot-grüne Regierung den Krieg in der Zivilgesellschaft führt, nach hinten los. Menschenrechte und nicht »nationales Interesse« oder das Völkerrecht sind der diskursive Angelpunkt der deutschen Außenpolitik. Mit dem Topos der Menschenrechte gehen in gewissem Sinn ideologische Versatzstücke der Neuen Linken und ihrer Erben selbst in den bundesdeutschen Mainstream ein und lassen die Gegner der Angriffe, die mit der territorialen Souveränität von Nationalstaaten oder internationalem Recht argumentieren, als staatsfixierte Paragraphenreiter erscheinen. Scharpings »legal, illegal, scheißegal« gegenüber Gysis Kritik, der Krieg verletze Völkerrecht und Grundgesetz, tritt untergründig dieses Erbe an. Der Menschenrechte-Diskurs wird kurzgeschlossen mit einem abstrakten Antifaschismus, der, weil er noch nie nach den gesellschaftlichen Zusammenhängen und Ursachen des Nationalsozialismus gefragt hat, jeden regionalen Potentaten, der gerade nicht in die Weltordnung passt, mal eben zu einem »neuen Hitler« definieren kann. Denn die geradezu dialektische Lehre, die aus dem Nationalsozialismus zu ziehen sei, heiße nicht »Nie wieder Krieg«, sondern »Nie wieder Auschwitz«. Dabei wird en passant der Holocaust verharmlost und zugleich Geschichtsabwicklung betrieben. Denn die Nazis sind jetzt ja die anderen und Deutschland sozusagen auf der Seite der Aliierten. Die Schuld ist abgegolten. Der abstrakte Antifaschismus bindet so die als diskursives »Belastungs«-material anwesende Geschichte in die eigene Strategie ein und transformiert sie zugleich in einen Diskurs über die militärische, außenpolitische und letztlich auch zivilgesellschaftliche »Normalisierung« Deutschlands.

Zur Zeit der Abfassung dieses Editorials, in der fünften Woche der Bombardements, führen die Feststellung, daß die jugoslawische Regierung offensichtlich nicht so einfach aus dem Amt zu bomben ist, der zunehmende Ruf nach Bodentruppen (insbesondere in der US-amerikanischen Öffentlichkeit) und der kaum noch zu ignorierende »Kollateralschaden« anscheinend zu einer Verschärfung der ideologischen Auseinandersetzung, vielleicht Anzeichen der Befürchtung, die öffentliche Meinung könnte umkippen. Waren anfangs die Skeptiker geduldet, konnte man ihre Bedenken gut verstehen, weil man sie doch selbst teilte, so schäumt es jetzt etwa gegen die PDS, ihre Opposition sei nichts weiter als ein Mitgliederanwerbetrick, Verrat an der Nation und sie selbst sei die »fünfte Kolonne Belgrads« (Schröder). Was unter Pathologisierung abweichender Meinungen zu verstehen ist, zeigt die Frankfurter Rundschau, die die statistisch höhere Ablehnung des Kriegs durch Ostdeutsche bezeichnenderweise von einem Psychotherapeu-ten (!) kommentieren läßt. (FR, 16.4.99)

Man kann nur staunen, wie Menschen, die noch vor einem Monat in den Augen der hiesigen Mehrheitsbevölkerung nicht mehr waren als »Hütchenspieler« und »Asylschmarotzer«, nun ein überwältigendes Mitgefühl entgegengebracht wird (Spenden von mehr als 150 Mio. DM) und die nordhessischen Gemeinden sich um die wenigen Flüchtlinge, die Deutschland bereit war aufzunehmen, auch noch prügeln. Es scheint, als könne man Ablehnung oder Zustimmung gegenüber Flüchtlingen einfach an- und ausknipsen wie eine Küchenmaschine. Die Medien präsentieren uns jedenfalls stets den politisch opportunen Deutschen, dem, wenn das Asylrecht ausgehebelt werden soll, das Boot zu voll ist und der jetzt eben den »guten« Kosovo-Albanern helfen möchte.

Wirklich widerwärtig aber wird es, wenn diejenigen, die die Aufnahme von Flüchtlingen verweigern, den Kritikern des NATO-Angriffs vorwerfen, daß die Menschen ihnen wohl egal seien. Inzwischen dürfen sogar hilfsbereite Privatleute in Deutschland keine Flüchtlinge bei sich aufnehmen, es werden keine Visa mehr erteilt.

Den Vorwurf, die Vertreibung der Menschen habe erst mit den NATO-Angriffen begonnen, kontern Scharping und Co. regelmäßig mit dem Hinweis, diese habe schon vor über einem Jahr begonnen. Aber die deutsche Asylpolitik kannte schon vorher nur die Maxime »Alle raus«, wie die Lageberichte des Außenministeriums (auf deren Grundlage in Asylverfahren entschieden wird) zur Situation in Kosovo zeigen. Vor dem Beginn der Luftangriffe hieß es dort noch: »Eine explizit an die albanische Volkszugehörigkeit anknüpfende politische Verfolgung ist auch in Kosovo nicht festzustellen.« (nach FR, 23.4.99) Das nennt man wohl Wahrheitspolitik. Der bayrische Innenminister Beckstein hat im Zynismuswettbewerb neue Maßstäbe gesetzt, als er meinte, man müsse die in Deutschland lebenden Kosovaren dabei unterstützen, sich der UCK anzuschließen. Da kaum anzunehmen ist, daß Beckstein plötzlich sein Herz für nationale Befreiungsbewegungen entdeckt hat, liegt der Verdacht nahe, daß hier dem völkischen Phantasma vom »ethnisch gesäuberten« Deutschland ausnahmsweise ohne Abschiebung zugearbeitet werden soll.

Da eine unmittelbare, praktische Verhinderung des objektiven Wahnsinns gegenwärtig kaum möglich erscheint, stellt sich die Frage, wo überhaupt Ansatzpunkte für eine politische Intervention liegen könnten, die sich weder zum Bestandteil der Strategie einer Kriegspartei machen läßt, noch sich darin erschöpft, permanent deren »wirkliche Interessen« aufzuzeigen. Wenn die Politik von EU und NATO darin besteht, die »völkisch korrekte« Parzellierung des Balkan voranzutreiben, dann müssen diejenigen Kräfte gestärkt werden, die für ein demokratisches Jugoslawien eintreten, in dem ethnische Kriterien keine Rolle spielen, auch um mit der Logik ethnifizierender Zuschreibungen (die Serben gegen die Kosovaren) von westlicher Seite zu brechen. Nicht zuletzt gilt es, das zynische Grenzregime der EU-Länder und damit den verlogenen Menschenrechts-Fake anzugreifen: Let us defy the mad logic of war!

Redaktion diskus

Die Redaktion diskus plant für Mitte Mai eine Diskussionsveranstaltung zum Krieg im Kosovo. Ort und Termin stehen zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Heftes noch nicht fest, daher: Watch out for flyers!

Weitere Veranstaltungstermine können beim AStA der FH Frankfurt (069/1533248) und im Internet unter der Adresse www.navigate.org/gegenkrieg/ abgerufen werden.

Break the logic of war! Desert! Open the borders!

Resolution unter: www.teleportacia.org/