diskus 2/00

Antirassistisches Grenzcamp zum Dritten

»Was mir besonders auffällt: Man sieht keine Ländergrenzen. Ich habe schlagartig begriffen, dass die auf Landkarten eingezeichneten Grenzlinien Geburten in den Köpfen von Menschen sind.«
Ulf Merbold, Astronaut

Einen Ausflug ins All können wir leider nicht anbieten. Jedoch besteht beim Camp trotzdem die Möglichkeit, sich der oben zitierten Erkenntnis zu vergewissern. Ein Mensch überquert die Neisse und es sind keine unsichtbaren Mächte oder Kräfte, die seine Ankunft in der Bundesrepublik Deutschland verhindern. Diejenigen, die das besorgen, haben Namen und Rän-ge. Sie sind aus Fleisch und Blut und verstecken sich hinter Pflichterfüllung sowie nationaler bzw. europäischer Verantwortung: BGS. Bundesinnenministerium. Zentrale Ausländeraufnahmestelle. Andere vollstrecken den Willen schweigender Mehrheiten, indem sie in der Sprache der Gewalt Menschen anderer Hautfarbe, Nationalität oder Weltansschauung angreifen und gelegentlich totschlagen: Deutsche Neonazis und FaschistInnen.

Viele tun ihren Teil dazu, indem sie wegsehen und schweigen oder gar die Opfer denunzieren: Deutsche StaatsbürgerInnen.

Diese Zusammenballung von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und gesellschaftlichem wie staatlichem Verfolgungsinteresse nennen wir das GRENZREGIME. Gegen dieses Ensemble bundesrepublikanischen Alltags veranstalten wir erneut ein Camp an der polnisch-deutschen Grenze. (Auszug aus dem Aufruf)

Vom 29. 7. bis zum 6. 8. findet dieses Jahr das dritte antirassistische Grenzcamp an der polnisch-deutschen Grenze in Forst in Brandenburg statt. Wie auch in den beiden Vorjahren werden vielfältige Aktionen gegen das reibungslose Funktionieren des Grenzregimes die Verhältnisse vor Ort zum Tanzen bringen. An dem ersten Grenzcamp 1998 in Rothenburg/Sachsen nahmen noch kaum Flüchtlinge teil. Hingegen gab es beim zweiten Camp 1999 in Zittau, vor allem angeschoben durch die Flüchtlingsorganisation afrikanischer MigrantInnen »the Voice«, Aktionen gegen die schlechte Situation der Flüchtlinge in der Zittauer Sammelunterkunft. Beim diesjährigen Grenzcamp soll die Thematisierung von staatlichem Rassismus per Abschiebung, Arbeitsverbot, eingeschränkter Bewegungsfreiheit, Internierung und polizeilicher Verdächtigung breiten Raum einnehmen. Unter anderem wird es einen Schwerpunkttag zu diesem Themen-Komplex geben. Es werden gemeinsame Aktionen z. B. gegen die Vergabe von Gutscheinen statt Bargeld vor Ort stattfinden, um die Situation von Flüchtlingen und den Umgang staatlicher wie kommunaler Behörden mit ihnen öffentlich zu thematisieren und anzugreifen. Ziel ist es, Solidarität mit den Flüchtlingen als gesellschaftliche Position vor Ort über das Camp hinausgehend und nachhaltig zu stärken. Veranstaltungen und breitere Kontaktsuche im Vorfeld sollen dazu beitragen. Die angestrebte Kontinuität politischer Initiativen wird insgesamt mehr im Vordergrund stehen als bei früheren Camps. Ein weiterer Schwerpunkt wird die Thematisierung neo-nazistischer und faschistischer Strukturen in Forst und Umgebung sein. Entsprechende Orte werden aufgesucht und den Adressaten unsere Meinung zu ihrem Treiben kundgetan.

Erneut wird eine auflagenstarke Zeitung in der Region breit verteilt werden. Geplant ist auch ein Campradio auf dem Gelände. Das Webjournal (Adresse untenstehend) soll gegenüber dem letzten Mal noch erweitert werden. Auf dem Campgelände soll es auch wieder einen eigenen Bereich für Frauen/Lesben geben.

Neben dem Aktionsschwerpunkt werden inhaltliche Diskussionen mehr in den Vordergrund treten. Nahezu allabendlich werden Workshops sowie inhaltlich vorbereitete Plena stattfinden, beispielsweise zu den Themen Kosovokrieg, Theorie und Geschichte des Antirassismus in der BRD, Arbeit, Migration und Lohndumping, Fluchthilfe im Wandel der Geschichte, Reflexion der Kampagne »kein Mensch ist illegal«, sowie eine Veranstaltung der Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen. In diesem Sinne bewegt sich das Grenzcamp 2000 im Spannungsfeld zwischen Aktionsorientierung und autonomer Sommeruni, gegenseitige Bereicherung nicht ausgeschlossen.

Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die Zunahme und gegenseitige Bezugnahme verschiedener internationaler Grenzcamps, die alle in diesem Sommer stattfinden. War noch beim ersten Camp 1998 die Zusammenarbeit mit Leuten in Polen auf einzelne Kontakte beschränkt, so beteiligte sich 1999 eine größere Gruppe aus Poznan an der Aktionswoche. Sie hatte im Vorfeld eine öffentliche Aktion beiderseits der polnisch-ukrainischen Grenze durchgeführt und späterhin Flugblätter an der polnisch-deutschen Grenze verteilt. In einer gemeinsamen Osteuropa-Arbeitsgruppe im Zittauer Camp wurde einerseits über die Vorverlagerung der Abschottungspolitik nach Osten diskutiert, zum anderen über mögliche Gegenprojekte beraten. Vorgeschlagen wurde auch ein Camp im Dreiländereck Polen-Ukraine-Slowakei. Die Gruppe aus Poznan, die anarchistische Föderation (FA), begann mit der Organisierung; Mitte Juli wird es jetzt im genannten Dreiländereck stattfinden. Die Teilnahme von etwa 100 Personen aus verschiedenen osteuropä-ischen Ländern wird erwartet, auch von der »deutschen« Campvorbereitung wird eine Delegation dort hinfahren.

Über die Zusammenarbeit speziell mit der FA Poznan kam es in den letzten Monaten zu kontroversen Debatten. Der Einsatz einer sexistischen Collage bei einer antimilitaristischen Aktion sowie deren Bündnispolitik mit einer rechten, anti-postkommunistischen Gruppierung hat zu einigem Streit geführt. Doch gerade auch über solche Fragen soll auf dem polnischen Camp eine offene Auseinandersetzung laufen, insbesondere im letztgenannten Punkt sollte vor dem Hintergrund eines völlig anderen historischen Kontextes eine spannende Herausforderung gesehen werden. Denn in der Debatte wurde auch deutlich, dass die polnische Gruppe die zumindest punktuelle Zusammenarbeit der deutschen Linken mit postkommunistischen oder gar stalinistisch beeinflussten Organisationen kritisch hinterfragt sehen will.

Mitte Juli also in Ostpolen, Ende Juli in Cottbus, Mitte August an der italienischen Küste in Apulien, schließlich Anfang September in Tijuana in Mexico: der Kampf gegen die Grenzregimes soll mit aufeinander bezogenen Camps weiter internationalisiert werden. Ob an den Aussengrenzen der Festung Europa oder zwischen den USA und Mexico: es geht nicht allein um das tägliche Unrecht der Rückschiebungen und die oft tödliche Brutalität der Jagd auf die Illegalisierten. Der Zusammenhang von Globalisierung, Arbeitsmärkten und Migration, die immense Bedeutung der Grenzen für das Ausbeutungsgefälle soll gleichermaßen zum Thema gemacht werden.

In diesem Sinne: Nieder mit den Grenzregimen!


Zentrale Kontaktadresse:
c/o FFM
Stichwort: Grenzcamp 2000
Gneisenaustr. 2a
10961 Berlin
E-Mail: FFM@snafu.de
Webjournal: www.nadir.org/camp00
Nachfragen zum Camp in Polen: 01 72/668 84 54