»Was mir besonders auffällt: Man sieht keine
Ländergrenzen. Ich habe schlagartig begriffen, dass die auf Landkarten
eingezeichneten Grenzlinien Geburten in den Köpfen von Menschen sind.«
Ulf Merbold, Astronaut
Einen Ausflug ins All können wir leider nicht
anbieten. Jedoch besteht beim Camp trotzdem die Möglichkeit, sich der oben
zitierten Erkenntnis zu vergewissern. Ein Mensch überquert die Neisse und
es sind keine unsichtbaren Mächte oder Kräfte, die seine Ankunft in der
Bundesrepublik Deutschland verhindern. Diejenigen, die das besorgen, haben
Namen und Rän-ge. Sie sind aus Fleisch und Blut und verstecken sich hinter
Pflichterfüllung sowie nationaler bzw. europäischer Verantwortung: BGS.
Bundesinnenministerium. Zentrale Ausländeraufnahmestelle. Andere
vollstrecken den Willen schweigender Mehrheiten, indem sie in der
Sprache der Gewalt Menschen anderer Hautfarbe, Nationalität oder
Weltansschauung angreifen und gelegentlich totschlagen: Deutsche Neonazis
und FaschistInnen.
Viele tun ihren Teil dazu, indem sie wegsehen und
schweigen oder gar die Opfer denunzieren: Deutsche
StaatsbürgerInnen.
Diese Zusammenballung von Fremdenfeindlichkeit,
Rassismus und gesellschaftlichem wie staatlichem Verfolgungsinteresse
nennen wir das GRENZREGIME. Gegen dieses Ensemble
bundesrepublikanischen Alltags veranstalten wir erneut ein Camp an
der polnisch-deutschen Grenze. (Auszug aus dem Aufruf)
Vom 29. 7. bis zum 6. 8. findet dieses Jahr das dritte
antirassistische Grenzcamp an der polnisch-deutschen Grenze in Forst in
Brandenburg statt. Wie auch in den beiden Vorjahren werden vielfältige
Aktionen gegen das reibungslose Funktionieren des Grenzregimes die
Verhältnisse vor Ort zum Tanzen bringen. An dem ersten Grenzcamp 1998 in
Rothenburg/Sachsen nahmen noch kaum Flüchtlinge teil. Hingegen gab es beim
zweiten Camp 1999 in Zittau, vor allem angeschoben durch die
Flüchtlingsorganisation afrikanischer MigrantInnen »the Voice«, Aktionen
gegen die schlechte Situation der Flüchtlinge in der Zittauer
Sammelunterkunft. Beim diesjährigen Grenzcamp soll die Thematisierung
von staatlichem Rassismus per Abschiebung, Arbeitsverbot, eingeschränkter
Bewegungsfreiheit, Internierung und polizeilicher Verdächtigung breiten
Raum einnehmen. Unter anderem wird es einen Schwerpunkttag zu diesem
Themen-Komplex geben. Es werden gemeinsame Aktionen z. B. gegen die
Vergabe von Gutscheinen statt Bargeld vor Ort stattfinden, um die
Situation von Flüchtlingen und den Umgang staatlicher wie kommunaler
Behörden mit ihnen öffentlich zu thematisieren und anzugreifen. Ziel ist
es, Solidarität mit den Flüchtlingen als gesellschaftliche Position vor
Ort über das Camp hinausgehend und nachhaltig zu stärken. Veranstaltungen
und breitere Kontaktsuche im Vorfeld sollen dazu beitragen. Die
angestrebte Kontinuität politischer Initiativen wird insgesamt mehr im
Vordergrund stehen als bei früheren Camps. Ein weiterer Schwerpunkt wird
die Thematisierung neo-nazistischer und faschistischer Strukturen in Forst
und Umgebung sein. Entsprechende Orte werden aufgesucht und den Adressaten
unsere Meinung zu ihrem Treiben kundgetan.
Erneut wird eine
auflagenstarke Zeitung in der Region breit verteilt werden. Geplant ist
auch ein Campradio auf dem Gelände. Das Webjournal (Adresse untenstehend)
soll gegenüber dem letzten Mal noch erweitert werden. Auf dem Campgelände
soll es auch wieder einen eigenen Bereich für Frauen/Lesben
geben.
Neben dem Aktionsschwerpunkt werden inhaltliche Diskussionen
mehr in den Vordergrund treten. Nahezu allabendlich werden Workshops
sowie inhaltlich vorbereitete Plena stattfinden, beispielsweise zu den
Themen Kosovokrieg, Theorie und Geschichte des Antirassismus in der BRD,
Arbeit, Migration und Lohndumping, Fluchthilfe im Wandel der Geschichte,
Reflexion der Kampagne »kein Mensch ist illegal«, sowie eine Veranstaltung
der Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen. In diesem
Sinne bewegt sich das Grenzcamp 2000 im Spannungsfeld zwischen
Aktionsorientierung und autonomer Sommeruni, gegenseitige Bereicherung
nicht ausgeschlossen.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die Zunahme
und gegenseitige Bezugnahme verschiedener internationaler Grenzcamps, die
alle in diesem Sommer stattfinden. War noch beim ersten Camp 1998 die
Zusammenarbeit mit Leuten in Polen auf einzelne Kontakte beschränkt, so
beteiligte sich 1999 eine größere Gruppe aus Poznan an der Aktionswoche.
Sie hatte im Vorfeld eine öffentliche Aktion beiderseits der
polnisch-ukrainischen Grenze durchgeführt und späterhin Flugblätter an der
polnisch-deutschen Grenze verteilt. In einer gemeinsamen
Osteuropa-Arbeitsgruppe im Zittauer Camp wurde einerseits über die
Vorverlagerung der Abschottungspolitik nach Osten diskutiert, zum
anderen über mögliche Gegenprojekte beraten. Vorgeschlagen wurde auch ein
Camp im Dreiländereck Polen-Ukraine-Slowakei. Die Gruppe aus Poznan, die
anarchistische Föderation (FA), begann mit der Organisierung; Mitte Juli
wird es jetzt im genannten Dreiländereck stattfinden. Die Teilnahme von
etwa 100 Personen aus verschiedenen osteuropä-ischen Ländern wird
erwartet, auch von der »deutschen« Campvorbereitung wird eine Delegation
dort hinfahren.
Über die Zusammenarbeit speziell mit der FA Poznan kam
es in den letzten Monaten zu kontroversen Debatten. Der Einsatz einer
sexistischen Collage bei einer antimilitaristischen Aktion sowie deren
Bündnispolitik mit einer rechten, anti-postkommunistischen Gruppierung hat
zu einigem Streit geführt. Doch gerade auch über solche Fragen soll auf
dem polnischen Camp eine offene Auseinandersetzung laufen, insbesondere im
letztgenannten Punkt sollte vor dem Hintergrund eines völlig anderen
historischen Kontextes eine spannende Herausforderung gesehen werden. Denn
in der Debatte wurde auch deutlich, dass die polnische Gruppe die
zumindest punktuelle Zusammenarbeit der deutschen Linken mit
postkommunistischen oder gar stalinistisch beeinflussten
Organisationen kritisch hinterfragt sehen will.
Mitte Juli also in
Ostpolen, Ende Juli in Cottbus, Mitte August an der italienischen Küste in
Apulien, schließlich Anfang September in Tijuana in Mexico: der Kampf
gegen die Grenzregimes soll mit aufeinander bezogenen Camps weiter
internationalisiert werden. Ob an den Aussengrenzen der Festung Europa
oder zwischen den USA und Mexico: es geht nicht allein um das tägliche
Unrecht der Rückschiebungen und die oft tödliche Brutalität der Jagd auf
die Illegalisierten. Der Zusammenhang von Globalisierung, Arbeitsmärkten
und Migration, die immense Bedeutung der Grenzen für das
Ausbeutungsgefälle soll gleichermaßen zum Thema gemacht werden.
In diesem Sinne: Nieder mit den Grenzregimen!
Zentrale Kontaktadresse:
c/o FFM
Stichwort: Grenzcamp 2000
Gneisenaustr. 2a
10961 Berlin
E-Mail: FFM@snafu.de
Webjournal: www.nadir.org/camp00
Nachfragen zum Camp in Polen: 01 72/668 84 54