diskus 2/00
Au Pairs - die postmodernen Dienstmädchen
Der Green-Card-Vorstoss der globalisierten Sektoren des
Kapitals hat aufs Neue die Restrukturierung der Wirtschaft mit der
Thematik der Migration verknüpft. Die Bemühung der US-amerikanischen
Green-Card ist eher ein schlechter Witz angesichts der restriktiven
deutschen Einwanderungspolitik - Red-Card wäre sinnfälliger, denn nach 5
Jahren müssen sie Deutschland wieder verlassen. Dennoch hat selbst diese
ja keineswegs humanitäre Einladung an IT-SpezialistInnen, sondern rein
arbeitsmarktpolitische Intervention sofort das Echo der nationalen
Standortgemeinschaft für »deutsche Kinder« ausgelöst. So wie diese Debatte
den Nexus von Globalisierung der Arbeitsmärkte und Zuwanderung nach knapp
20 Jahren Anwerbestopp und rassistischer »Das Boot ist voll«-Rhetorik
ungewohnt offensiv benennt, verschleiert sie im gleichen Atemzug die
realen Prozesse der Migration und Restrukturierung der Produktions- und
Arbeitsverhältnisse. Da-bei setzt sich eine Thematisierungsart von
Globalisierungsprozessen durch, die von zwei systematischen Auslassungen
gekennzeichnet ist, die die US-amerikanische Migrations- und
Globalisierungsforscherin Saskia Sassen als »Geschichten der
Vertreibungen« (»evictions«) bezeichnet:
Zum einen wird auf die New
Economoy, die Hypermobilität und Macht der transnationalen Konzerne
gestarrt, wobei die materiellen Verhältnisse und Produktionsstätten
übersehen und damit unsichtbar gemacht werden. Doch genau diese stellen
die Infrastruktur, die notwendig ist für den Betrieb der Zitadellen des
globalisierten Kapitals. Wenn man diese Seite in den Blick nimmt, wird man
vor allem eine seit Jahren wachsende Zahl von MigrantInnen mit und ohne
Papiere vorfinden und Frauen, die im boomenden Dienstleistungssektor zu
Niedrigstlöhnen die Ameisendienste verrichten. Dafür wurde von staatlicher
Seite trotz offiziellem Anwerbestopp und Hochrüstung der Festung Europa
eine quotierte Zuwanderung je nach regionalem, branchen- und
geschlechtsspezifischem Bedarf nicht nur stillschweigend hingenommen,
sondern auch forciert. Vor diesem Hintergrund eröffnet sich auch das Bild
einer ganz extremen Polarisierung und Segmentierung des Arbeitsmarktes in
eine gut verdienende, durchaus international zusammengesetzte
Dienstleistungsklasse und unsichtbar gemachte, prekäre Lebensverhältnisse.
Eine weitere Akteursgruppe, die in der malestream-Diskussion über den
Umbau der Ökonomien gerne übersehen wird, sind wieder mal »Frauen« bzw.
die Kategorie Geschlecht. Pikanterweise war jedoch der erste indische IT-
Experte, den uns ARD und ZDF präsentierten, eine Frau. Die wenigen
feministischen Studien, die die Auswirkungen des neuen
Akkumulationsregimes für Frauen analysieren, haben deutlich gezeigt, daß
die Umstrukturierungen hoch vergeschlechtete Prozesse darstellen. Sie
spitzen nicht nur alte Ungleichheiten zu und bringen neue
Geschlechterregimes hervor. Auch kommt es zu neuartigen Verschränkungen
der verschiedenen sozialen Kategorien der »Klasse«, des »Geschlechts« und
der »nationalen Zugehörigkeit«/»Rasse«. Allerdings tendieren diese Studien
dazu, Frauen wieder mal nur als die Verliererinnen der Entwicklung zu
thematisieren. Allein das Bild der indischen IT-Spezialistin verrät, daß
die Deregulierung und Flexibilisierung der Arbeitsmärkte komplexere und
widersprüchlichere Konsequenzen für die sozial, national, ... ja ganz
unterschiedlich positionierten Frauen bedeutet. Vorsicht ist also vor
einer weiteren westfeministischen fal-schen Verallgemeinerung im
Opfer-Status geboten. Vielmehr scheinen die Ungleichheiten zwischen Frauen
zuzunehmen, wobei »nationalstaatliche Zugehörigkeit«, »Ethnizität« und
»Klasse« entscheidendere Marker für die soziale Positionierung als auch
Konstitution des Selbstbildes der Subjekte werden. Diese
Ausdifferenzierung von »Geschlecht« und Hierarchisierung unter Frauen
findet ihren prägnanten Ausdruck in einer neuen Internationalen
Arbeitsteilung im privaten Haushalt. So bemerkt die
Politikwissenschaftlerin Brigitte Young: »Globalisierung und
Flexibilisierung des Arbeitsmarktes hat im Haushaltsbereich zwei
Kategorien von Frauen geschaffen: Die professionelle Frau und ihre ›Magd‹«
(unveröffentlichter Vortrag Wien 1999, 2).
Diese Neuauflage der uralten
Geschichte von der »Herrin und der Magd« möchte ich am Beispiel
osteuropäischer Frauen verfolgen, die sich seit Beginn der 90er Jahre
vermehrt in deutschen Haushalten als Kindermädchen und Haushaltshilfen
verdingen. Vor allem von slowakischen Frauen ließ ich mir in den letzten
zwei Jahren ihre Geschichten erzählen, besuchte sie an ihrem Arbeitsplatz
und begleitete sie in die Slowakei. Dabei nutzten sie sehr eigensinnig die
wenigen legalen Aufenthalts- und Arbeitsmöglichkeiten, die ihnen die
deutsche restriktive Einwanderungspolitik gewährt. Und eines der Tore in
den Wes-ten ist das Au Pair-Visum für ein Jahr. Au Pair - bekannt als gute
Möglichkeit für Mittelstandkids, Auslandserfahrungen zu sammeln - ist
allgemein zu einer der häufigsten Migrationsstrategien von jungen
OsteuropäerInnen geworden: 95 % aller Au Pairs in Deutschland kommen
mittlerweile aus osteuropä-ischen Ländern (AGISRA 1996)1. Diesem Trend
entspricht auf der Nachfrageseite der sog. »Gastfamilien« ebenfalls eine
Bedeutungsverschiebung hin zu einem reinen Arbeitsverhältnis. Eine Au
Pair-Beraterin meinte zu mir: »Au Pair ist zu einem postmodernen
Sklavenverhältnis geworden«. Dabei steht der drastische Wandel der
Institution Au Pair im engen Zusammenhang mit den allgemeinen
Veränderungen der Migrationsbewegungen und -formen seit dem Fall des
eisernen Vorhangs.
Neue Migrationsmuster zwischen Ost und West
Seit dem Kollaps der sozialistischen Systeme und den
folgenden politischen und sozio-ökonomischen Umstrukturierungsversuchen im
Zuge ihrer ökonomischen »Integration« in den Weltmarkt, hat sich das
internationale Migrationsmuster bis dato auf unerwartete Weise geändert
(vgl. Hofbauer 1995, 59 - 76). Ehemalige Ostblockländer sind nun selbst zu
Ziel-, Transit- und vor allem zu Sendeländern geworden. So machen
Nicht-EU-Europäer mittlerweile gut zwei Drittel der Neuankommenden in
Deutschland aus (Migrationsbericht der Bundesregierung 1999). Dabei werden
die irregulären und illegalisierten Aufenthalts- und Arbeitsverhältnisse
aller Voraussicht nach bei weitem die erfaßten übersteigen (vgl. Weitkamp
1995, 95).
Doch nicht nur quantitativ fällt diese neue
Ost- / Westmigration ins Gewicht, die in der Migrationsforschung
dennoch lange unberücksichtigt blieb und in der herrschenden
Öffentlichkeit vor allem unter dem Stichwort »organisierte Kriminalität«
diskutiert wird. Auch sind neue Muster des Wanderns und des Aufenthalts
entstanden, die stärker auf Mobilität und temporäre, saisonale Aufenthalte
ausgerichtet sind. Sie sind zum einen sicherlich der Migrationspolitik
Deutschlands und Schengen-Europas geschuldet, die den legalen Zuzug nur
noch »Vertrags«-ArbeiterInnen gestattet, wobei zeitlich begrenzte Arbeits-
und Aufenthaltserlaubnis (vom Herkunftsland aus zu beantragen) aneinander
gekoppelt sind. Ebenso erleichtert die visafreie Einreise für drei Monate
als TouristIn - Erwerbstätigkeit ist allerdings untersagt - solche fürs
erste befristet geplanten Aufenthalte. Doch auch die Nähe zwischen
Herkunfts- und Zielland macht das Hin- und Herpendeln oder Kurzaufenthalte
rein zum Geldverdienen möglich (vgl. Cyrus 1997, 44 - 48).
So ist die
Zahl der »GrenzgängerInnen« aus Polen und Tschechien, die in grenznahen
Regionen auf dem Bau, in der Landwirtschaft, Gastronomie oder in
Haushalten zu Hungerlöhnen (fünf DM die Stunde) schuften, gewachsen.
Andere nutzen oder nehmen sich ihren Jahresurlaub, um zusätzlicher Arbeit
im Westen nachzugehen, schnippeln wochentags in deutschen Gaststätten
Gemüse und studieren am Wochenende zu Hause Medizin. Selbstregulierte
Rotationssysteme sind entstanden, wobei sich MigrantInnen in ihren
Beschäftigungsverhältnissen in der Alten- und Krankenpflege oder privaten
Haushalten abwechseln. Dabei bewegen sich die PendelmigrantInnen auf einer
schmalen, fließenden Gratwanderung zwischen legalem und illegalem Status.
Die Illegalisierungsfallen des deutschen Ausländer- und Arbeitsrechts
lauern mit der dreifachen Koppelung von Aufenthalts- an Arbeitserlaubnis
und diese wiederum an einen bestimmten Arbeitsplatz. Keine Papiere zu
haben, bedeutet aber auch keine einklagbaren Rechte zu besitzen. Damit ist
der Ausbeutung, Abhängigkeit und Schutzlosigkeit Tür und Tor geöffnet,
ganz zu schweigen von der Angst vor Kontrollen auf öffentlichen Plätzen
oder Razzien auf der Arbeitsstelle. Ganz anders in Polen: Dort haben sich
der Staat und andere Institutionen längst auf diese Pendelmigration und
fortschreitende Transnationalisierung von Lebens- und
Arbeitsentwürfen eingestellt. Universitäten bieten dementsprechend
Seminare am Wochenende an, und staatliche Krankenversicherungen haben
besondere Abschlüsse für PendelmigrantInnen im Programm. Andererseits läßt
sich Polen, wie die anderen Anrainer-Staaten zum Westen, nun selbst zum
vordersten Schutzwall der Festung Europa gegen TransitmigrantInnen
ausbauen.
Au Pair als Migrationsstrategie von Frauen
In den frauenspezifischen Migrationsformen wie
Heiratsmigration und Prostitution haben Osteuropäerinnen traditionelle
Herkunftsländer Südostasiens längst abgelöst. Sie machen mittlerweile auch
die Hauptgruppe der Opfer von Frauenhandel aus, welcher seit dem Wegfall
des eisernen Vorhangs eine neue frauenverachtende Dimension in Ausmaß und
Form annahm (vgl. Niesner, Anonuevo u. a. 1997) Wollen Frauen jene Formen
nicht in Kauf nehmen, bleiben ihnen nur wenige andere, legale
Möglichkeiten, in den Westen zu kommen. Neben eher männlich konnotierten
Migrationswegen wie Werksarbeitsverträge oder Saisonarbeit auf deutschen
Spargelfeldern (vgl. Weitkamp 1995, 106; aus der Slowakei 1994: 3000)
gibt es noch Au Pair. Das heißt, Au Pair ist eine Tür in den Westen, durch
die Frauen, ganz egal aus welchen Gründen und mit welchen Zielen sie in
den Westen wollen, hineinkanalisiert werden. Auch blüht hier wie im Falle
der Heiratsmigration das kommerzielle Vermittlungsunwesen mit hohen
Gewinnspannen und zum Teil sehr ausbeuterischen Praxen, die in die Nähe
des Frauenhandels rücken. Doch die allermeisten nutzen diese Tür
selbstbewußt als Sprungbrett und versuchen über das eine legale Au
Pair-Jahr hinaus, in Deutschland zu bleiben. Um ihren Status zu
legalisieren und sich zu finanzieren, greifen sie auch zur Methode der
Heirat oder Prostitution. Andere nutzen den dreimonatigen
visumsfreien Aufenthalt als Touristin und pendeln über Jahre zwischen
der Slowakei und Deutschland hin und her, obwohl die Überquerung einer
Schengenaussengrenze kein Spaziergang mehr ist.
Au Pair ist in der
Slowakei zu einem informellen Dorfgespräch geworden. Informationen über
Vermittlungsagenturen, Wege und Probleme werden von Mund zu Mund
weitergegeben, wobei negative Erlebnisse nur zögernd offen ausgesprochen
werden. Ganze Nachbarschaften und Freundeskreise finden sich im Ausland
wieder. So ist mittlerweile ein soziales Netzwerk zwischen der Slowakei
und Deutschland entstanden, ein neuer transnationaler Raum (vgl. Pries
1998; oder Mike Davis 1998 für Mexiko und USA), in dem Informationen,
Menschen, aber auch Waren und Ideen zirkulieren. Für die
Herkunftsgemeinden und -familien stellt es eine wichtige ökonomische
und kulturelle Nabelschnur dar; Neuankommen-den erleichtert es den
Aufenthalt. München, Stuttgart oder Wien ist für viele Familien näher
geworden als die eigene Hauptstadt Bratislava, die nur teuer und eine
schlechte Kopie des Westens ist.
»Die Welt probieren«
Die Motivationen und Zielvorstellungen der jungen, meist
gut ausgebildeten Frauen mit Abitur oder Hochschulabschluß übersteigen
dabei weit den Rahmen, den ein Au Pair-Arbeitsverhältnis beinhaltet.
Konflikte sind so vorprogrammiert. Die meisten jungen Frauen, mit denen
ich in der Slowakei und Deutschland sprach, entschlossen sich zu einem Au
Pair-Aufenthalt nach Jahren erfahrener oder bevorstehender
Arbeitslosigkeit. Doch waren es bei keiner reine arbeitsmigratorische
Absichten. Hoch im Kurs stand bei allen der Erwerb der deutschen Sprache.
Sie bedeutet kulturelles Kapital, das in der nach Westen öffnenden
Wirtschaft leicht in bare Münze zu konvertieren ist. So gibt es einen
running- gag in der Slowakei: Auch auf Stellenausschreibungen für
Reinigungskräfte stehe: »Deutschkenntnisse erwünscht«. Bei 30 %
Jugendarbeitslosigkeit erhofften sich die jungen Frauen mit der
deutschen Sprache überhaupt eine Arbeit oder eine besser bezahlte im
expandierenden privaten und ausländischen Firmensektor zu finden (ein
LehrerInnengehalt ist so hoch wie das Au Pair Taschengeld von 400 DM).
Eine Au Pair-Anstellung versprach auch, sich eigenes Geld für ein
anschließendes Studium oder eine Ausbildung erwirtschaften zu können. Die
allermeisten zogen den Erwartungshorizont jedoch noch größer: Sie wollten
raus aus der Enge der postsozialistischen Modernisierungsruinen, der
traditionellen Geschlechterverhältnisse, der Familie und endlich
selbständig werden - »die Welt probieren!«
Im Westen nichts Neues? Die deutsche Herrin
und ihr nicht-deutsches Dienstmädchen
»Jedes vierte Au Pair hat vielleicht Glück mit der
Familie«, meinte Stenka, die ich in einem der voll besetzten
Euroline-Busse auf der Rückreise in die Slowakei traf. Sie hat, wie viele
andere, ihre Familie gewechselt. Doch auch die neue Familie ist nicht viel
besser und sie brach den Aufenthalt ab: »Ich wurde verheizt und behandelt
wie ein Dienstmädchen.« Eingeschlossen in die Privatsphäre der Familie
sind Arbeitstage von früh bis spät abends keine Seltenheit. Da-zu kommen
noch Schikanen, wie das Verbot, mit der Familie zusammen zu essen oder die
Waschmaschine mit zu gebrauchen. Auch sexuelle Belästigungen und
Übergriffe gehören zum privaten Arbeitsplatz »Familie«. Doch abgesehen von
diesen Unterwerfungspraxen ist schon der ganz normale Arbeits-Alltag mit
Fallstricken gespickt. Vor allem die ambivalente und doppelbödige Position
als Arbeitskraft und Mitbewohnerin zugleich macht die Situation für Au
Pairs so schwierig. Häufig verwischen die Grenzen zwischen »Mithelfen« aus
Nettigkeit und »Arbeiten«. Dies macht es den jungen Frauen nicht leicht,
sich ihrer Lage klar zu werden und entsprechend zu handeln. Dazu kommt ein
hohes Maß emotionaler Abhängigkeit von der Atmosphäre in der Familie, was
Widerspruch und Gegenwehr noch einmal verkompliziert. Doch die Au
Pair-Frauen streiten durchaus für ihre Rechte und wechseln in der Not
selbständig die Familien. Von den meisten Agenturen bekommen sie jedoch
keine Unterstützung, und die Familien werden nur in den seltensten Fällen
aus der Vermittlung ausgeschlossen. »Die meisten sind halt doch nur
billige Putzkräfte und Kindermädchen«, resümiert Stenka.
Reprivatisierung von Re-produktionsarbeit -
Outsourcing von Hausarbeit
Diese Einschätzung teilen auch viele der deutschen
Arbeitgeberinnen, die zum Teil seit 14 Jahren auf Au Pairs zurückgreifen,
um Lohnarbeit, Haushalt und Familie zu organisieren. Im Vergleich zu
Reinigungskräften oder Tagesmüttern wird Au Pairs der Vorteil
zugeschrieben, billiger und vor allem immer anwesend, abrufbar und
flexibel einsetzbar zu sein. Damit wurden sie Teil der an Bedeutung
gewinnenden informellen »Unterstützungsstruktur«, die es natio-nalen
Mittelschichtsfrauen bzw. -familien ermöglicht, ihre
Berufstätigkeit weiter zu verfolgen. Denn mit der Flexibilisierung
und Deregulierung der Ökonomien veränderte auch der Staat sein
Aufgabenspektrum und zog sich dem neoliberalen Diskurs folgend immer
stärker aus der sozialen ›Verantwortung‹ zurück. Die Erfolgsstory des
Wohlfahrtsstaats-modells, dem jedoch eine zutiefst patriarchale
Geschlechterordnung des männlichen Brotverdieners und von ihm abhängigen
Nur-Hausfrau zugrunde lag, gilt nun als Wettbewerbsnachteil. Der Um- bzw.
Abbau des Sozialstaats bedeutet neben der Kürzung sozialer Ausgaben aber
in erster Linie eine Re-Privatisierung einst staatlich erbrachter
Leistungen und Dienste. Insgesamt nimmt dies Frauen wieder verstärkt in
die reproduktive Pflicht (Sauer 1998, 30f/37f) und restrukturiert eine
geschlechtliche Arbeitsteilung, die in den letzten 20 Jahren auch
symbolisch stärker aufgeweicht wurde. Denn immer mehr Frauen wurden auch
im Westen erwerbstätig, die Zahl der Doppelverdienerfamilien als auch der
Singlefrauen und Alleinerziehenden stieg (1995 arbeiteten 60 % aller
Frauen in Ostdeutschland und 45% aller Westfrauen im berufsfähigen Alter).
Dieser Prozeß ist nicht mehr umkehrbar, ging er auch mit einer
Neudefinition von Geschlechterrollen, -bildern und -identitäten einher. Im
Zuge dessen veränderte sich ebenso die Bewertung von Arbeit, wobei die
geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im Haushalt unangetastet blieb. So
präsentierten sich mir die Au Pair-Arbeitgeberinnen als »starke«,
»disziplinierte« und erfolgreich beruftstätige Mütter, die nach der
Kinderpause »ausgehungert nach Arbeit« und »nicht genießbar« zu Hause
waren. Auch wenn sie in »harten Branchen« tätig sind, wo »voller Einsatz«
von ihnen erwartet wird und eine 46 Stunden Woche nicht selten ist,
stellen sie fest: »Arbeit macht wahnsinnig Spaß! Davon profitieren alle.«
Dagegen wird die eigene Reproduktionstätigkeit zwar zur »zeitintensiven
und mühseligen« Arbeit, doch als defizitär und mangelhafte
Arbeitsanforderung für sich selbst beschrieben. Da arbeitet frau lieber zu
Hause mit dem Ehepartner in »Schichtdiensten« und lebt ein straff
organisiertes und »anstrengendes« Zeitmanagement, als den »Versuch zu
starten, nicht außer Haus zu gehen«. Mit dem Rückzug des Staates aus den
Versorgungsstrukturen sind Frauen nun noch stärker auf sich gestellt und
müssen private Lösungen finden, wie sie Beruf, Familie und Kinder
vereinbaren. Hierbei haben deutsche Doppelverdienerfamilien und
Mittelschichtsfrauen den Vorteil, die niedrig bewertete Hausarbeit zu
kommerzialisieren und auf den geschlechtlich und rassistisch
hierarchisierten Arbeitsmarkt gewissermaßen outzusourcen. Dies tun sie
auch selbstverständlich, sei es im Gestus der Heilsbringerin westlicher
Emanzipationskonzepte oder der ungeschminkten Ausnutzung der
›unterlegenen‹ weiblichen Arbeitskraft.
Frauen, die unglücklichen Gewinnerinnen
In westlichen Mittel- und Oberschichtshaushalten treffen
sich nun die von den weltweiten Restrukturierung der Produktions- und
Arbeitsverhältnisse so ganz unterschiedlich betroffenen Frauen. Ganz im
Gegensatz zur Verliererinnen-These scheinen Frauen eher die »unglücklichen
Gewinnerinnen« der Globalisierung abgeben zu müssen (Wichterich 1998, 15).
Denn zum einen ist eine strukturelle Feminisierung von Arbeit zu
beobachten: Spezifisch weibliche Beschäftigungsstrukturen wie
Teilzeitarbeit, 630-DM-Jobs oder Heimarbeit generalisieren sich nun. Zum
anderen scheint die Flexibilisierung u. a. gerade Frauen in den
Arbeitsmarkt zu integrieren. In den peripheren Ökonomien stellten Frauen
gar einen »wesentlichen Standortvorteil« dar, da sie dem
Anforderungsprofil der Exportindustrien oder des Dienstleistungssektors -
billig, flink und fleißig - eher entsprechen als Männer (zu sehen in den
Maquilladora-Zonen, wo Frauen bis zu 90 % der Arbeiterinnen stellen; ebd.,
12 - 48). Diese Gewinne sind jedoch äußerst trügerisch und ungleich
verteilt, da Frauen zum großen Teil in ungeschützte, niedrig entlohnte,
informelle Arbeitsverhältnisse integriert werden: Beschäftigung bedeutet
nicht Existenzsicherung (ebd., 63 - 66). Auch in den Metropolen wächst die
unsichtbare Dienstleistungsklasse von Frauen, wobei hier vorwiegend
MigrantInnen in den Sektor abgedrängt werden. Auf der anderen Seite
konnten professionelle, »nationale« Frauen in die Kernsektoren der
globalen Ökonomie wie Werbung, PR-Arbeit, Neue Medien und Computerbranche
vordringen und mittlere bis obere Ränge besetzen.
Die Neuauflage der
Geschichte von der Herrin und ihrer nicht-deutschen Magd, so gering
verbreitet sie bisher auch sein mag, versperrt sich allen neuerlichen
Homogenisierungstendenzen in feministischen Analysen. Vielmehr
demonstriert sie, wie die Globalisierungsprozesse zu einer
Vervielfältigung der Differenzen und neuen Hierarchien zwischen Frauen
führen, während sie unter Frauen und Männern der oberen Mittelschicht mehr
Gleichheit herzustellen scheinen. »Geschlecht« löst sich jedoch als
Klassifikationssystem nicht auf. Es scheint allerdings sein Schwergewicht
für die soziale und identitäre Positionierung zu verlieren und zunehmend
divergenter/differenzierter mit den anderen sozialen Kategorien zu
interagieren. In Folge der sozioökonomischen Umstrukturierungen wird die
geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in verstärktem Maße sozial und
rassistisch überlagert. Dabei greifen rassistische Deklassierung und
(soziale, strukturelle) Feminisierung von MigrantInnen ineinander,
während sich für »nationale« Frauen die dichotomischen
Geschlechterrollen-Zuschreibungen aufzuweichen beginnen.
Solange die
ausländerrechtliche Ausgrenzung fortbesteht wird Frau Meier weiterhin
glücklich ihren Gästen ihre Au Pair vorstellen können: »Das ist Anna. Sie
hat Jura in Warschau studiert.«
Anmerkungen:
< 1 > Genaue Zahlen gibt es nicht. Nach freiwilliger
Auskunft der registrierten Au Pair-Agenturen sollen 1998 9770 Frauen aus
Nicht-EU-Staaten vermittelt worden sein.
txt:
AGISRA (1996): Projekt Jiskra. Die Situation
mittel- und osteuropäischer Frauen in Frankfurt am Main und Umgebung.
Frankfurt.
BUKO (1995): Arbeitsschwerpunkt Rassismus und
Flüchtlingspolitik (Hg.): Zwischen Flucht und Arbeit. Neue Migration und
Legalisierungsdebatte. Hamburg.
Cyrus, Norbert (1997): Den
Einwanderungskontrollen entgangen. In: Dankwortt, Barbara/ Lepp, Claudia
(Hg.): Von Grenzen und Ausgrenzung. Interdisziplinäre Beiträge zu den
Themen Migration, Minderheiten und Fremdenfeindlichkeit. Marburg, S. 35 -
56.
Pries, Ludger (1998): Transnationale soziale Räume. In: Beck,
Ulrich: Perspektiven der Weltgesellschaft. Frankfurt am Main, S.55 -
86.
Sauer, Birgit (1998): Globalisierung oder das Ende des
maskulinistischen Wohlfahrtskompromisses? In beiträge zur feministischen
theorie und praxis: global, lokal, postsozial. Heft 47/48.
Wichterich, Christa (1998): Die globalisierte Frau. Berichte aus der
Zukunft der Ungleichheit. Frankfurt am Main.
Young, Brigitte (1999):
Die »Herrin« und die »Magd«: Globalisierung und die neue internationale
Arbeitsteilung im Haushalt. Unveröffentlichter Vortrag in Wien.