diskus 2/00

Wohnweise mit oder ohne Miete
Interview mit Leuten aus + von Frankfurter Wohnprojekten

Zum Selbstverständnis und zur selbstverständlichen oder gar nicht mehr so selbstverständlichen Praxis in den Wohnprojekten führte diskus ein Gespräch mit Leuten aus sechs Frankfurter Wohnprojekten. Als da wären:

Die Michael-Barrax auf einem ehemaligen Kasernengelände in Höchst sind Anfang der 90er von diversen Initiativen bewohnbar gemacht und bezogen worden. Anfangs wurde das Projekt auch von dem Uni-AStA mit der Absicht unterstützt, durch die Anbindung der MBX an das StudentInnenwerk legale Wohnverhältnisse zu schaffen. 1997 lief der Zwischennutzungsvertrag aus. Seitdem wurde von den Nassauischen Heimstätten als derzeitiger Besitzerin mehrfach die Räumung angedroht, im Frühjahr diesen Jahres sind die ersten Häuser abgerissen worden. Infos: www.barrax.de

Der Wagenplatz Sommerdamm am Rande von Rüsselsheim existiert seit über zehn Jahren. Zur Zeit gibt es zwar keinen Vertrag, es bestehen aber Aussichten, den Wagenplatz über ein spezielles Bebauungsverfahren zu »legalisieren«. Angeschlossen an ihn ist der Infoladen Freiwerk mit Café, Archiv und Bibliothek. Infos: www.freenet.de/freiwerk

Das Lila Luftschloß ist der Versuch, seit Beginn der 90er über eine Vereinsstruktur und städtische Förderung den Bau von Wohnhäusern nur für Frauen in innerstädtischer Lage zu organisieren und zu finanzieren. Mittlerweile steht der Bau eines Hauses in der Heidestraße in Bornheim bevor. Kontakt: lilaluftschloss@rhein-main.net

Fritze: Seit 1991 wurde das klassische Mietshaus in Bockenheim peu a peu besetzt. Der Versuch, sich durch Überweisungen von Mietzahlungen einen gesicherten Status zu verschaffen, ist bislang gescheitert; die gegenwärtige Situation - zwischen Duldung und Räumung - unklar. Infos: www.fritze-online.de

Der Wagenplatz Rödelheim liegt auf dem Gelände der ehemaligen Ziegelei in Rödelheim und wurde '97 zum ersten Mal besetzt. Nach einer ersten Räumung und Verhandlungen mit der Stadt kehrten die BewohnerInnen später auf den Platz zurück. Auch hier läuft eine Räumungsklage. Aus Protest dagegen und gegen die City-West-Erschließung wurde im Sommer '99 kurzfristig ein Gelände in Bockenheim besetzt. Nächster Prozesstermin: 12. 9., 10.40 h, Raum 308, Gebäude B, Gerichtsstr. 2. Kontakt: wagenplatz@bembelterror.de

An dem Gespräch nahmen teil: Martin (Michael-Barrax), Nik (Fritze), Jo, Mücke und Flo (Wagenplatz Rödelheim), Susi (Lila Luftschloß), Heike und Christoph (Projekt ZWO), Joachim (Wagenplatz Sommerdamm)

Projekt ZWO: Mitte der 90er Jahre traten mehrere Initiativen in Verhandlungen mit der Stadt Frankfurt bezüglich der Nutzung von frei gewordenem Kasernengelände. 1996 bezog das Projekt ZWO zusammen mit der Wohnrauminitiative Frankfurt (WIF) und dem Projekt Wohnen Kultur und Aktion (ProWoKultA) von der Stadt bereitgestellte Gebäude in Berkersheim. Recht schnell zeigte sich, daß die Wohnungen teilweise hochgradig schadstoffverseucht sind.

diskus: Mehrere linke Frankfurter Wohnprojekte stehen zur Zeit unter ziemlich starkem Druck von aussen. Gleichzeitig hat es den Anschein, dass sich einige Projekte intern selbst nicht unbedingt als politischen Zusammenhang begreifen. Vielmehr steht das gemeinsame Wohnen im Vordergrund, woraus auch eine interne Heterogenität an Leuten, Bezügen und Positionen zu resultieren scheint. Wie schätzt ihr das ein?

Martin: Bei uns gibt es, wie wahrscheinlich in anderen größeren Wohnprojekten auch, unter anderem wegen der prekären Mietsituation eine extrem hohe Fluktuation. Die internen Strukturen funktionieren äußerst schlecht. Es gibt unregelmäßig Plena, bei de-nen die Platzangelegenheiten besprochen werden, unabhängig davon sollte es in jedem Haus eine eigene Hausgemeinschaft geben, die darüber entscheidet, wer einzieht. Diese existieren jedoch nur in der Hälfte der Häuser, in anderen sind sie meist zerstritten. Es gibt sehr viele Leute, die sich an dem Wohnprojekt nicht beteiligen, sondern nur aufgrund der billigen Wohnmöglichkeit dorthin gezogen sind. Dann gibt es andere, die den ganzen Vorstandskram und die Finanzsachen machen und sich dabei innerhalb von einem halben Jahr verschleißen und wegziehen. Die BewohnerInnen sind ein sehr heterogener Haufen, Studis, Arbeiter, Hippies, Punks, Leute mit Alkoholproblemen.

Manchmal frage ich mich schon, mit welchen Leuten ich da eigentlich zusammenstehen sollte, wenn die Bullen anrücken. Ich denke da auch an sexistisches oder gewalttätiges Verhalten innerhalb des Wohnprojektes. Auch wenn solche Verhaltensweisen oder Sprüche nicht unbedingt von den BewohnerInnen selbst kommen, sondern eher von Freunden oder Bekannten auf dem Platz, gibt es vom gesamten Projekt aus keine klaren Beschlüsse, so was zu verurteilen. Ein Barrax-Projekt mit einem klaren linken Selbstverständnis würde ziemlich viele Leute ausschließen, die momentan dort wohnen. In unserer jetzigen defensiven Position bleibt aber auch wenig Raum, darüber nachzudenken oder zu diskutieren, was an dem Projekt noch politisch ist. Ich nehme es eher als Produkt von Zerfallstendenzen in der linken Szene wahr, dass wir aus dieser defensiven Position nicht rauskommen.

Nik: Das ist bei uns in der Fritze schon anders. Während in den Barrax 70 Leute wohnen, die sich nicht abgesprochen haben, treffen wir gemeinsam die Entscheidung, wer bei uns wohnt. Das führt natürlich dazu, dass die Leute, die einziehen, vorwiegend aus unserem Umfeld kommen. Das ist für das konkrete Zusammenleben erst mal ein Vorteil. Selbstkritisch betrachtet fällt aber auch auf, dass wir in der Fritze fast alle weiße, bürgerliche Mittelstandskinder sind.

Wir versuchen, auf die Bedürfnisse der einzelnen Leute soweit wie möglich einzugehen. Auch wenn der Haushalt nach wie vor gemeinsam organisiert wird, ist aber von dem Projekt eines gemeinsamen Wohnens, Lebens und Arbeitens nicht mehr viel da. Es gibt mittlerweile eben sehr unterschiedliche Alltags- und Lebensabläufe. Da sich kaum noch Diskussionen oder gemeinsame politische Aktionen ergeben, ist es eher unklar, wie wir uns gemeinsam begreifen.

Heike: Die meisten sich als politisch verstehenden Leute in unserem Haus in Berkersheim definieren sich nicht in erster Linie über das Wohnen als gemeinsames Projekt. Hier wohnen Leute zusammen, die in unterschiedlichen politischen Initiativen aktiv sind (von A wie Antifa bis R wie Ex-RAF-Arbeit). Über das gemeinsame Wohnen ist zumindest ein Austausch darüber möglich. Wir haben auch keine gemeinsame Ökonomie; die Mieten werden pro Kopf direkt an die Vermieterin gezahlt. Andererseits stellt sich die Frage, was eigentlich ein gut funktionierendes Mietshaus von einem Wohnprojekt unterscheidet. Das zweiwöchentliche Plenum z. B., das in den ersten Jahren ein wichtiges Kommunikationsforum war, oder die Einflußnahme bei Neueinzügen sind vor ca. 1 1/2 Jahren selig verschieden. Neueinzüge sind zur reinen Privatsache geworden. Wir sind mittlerweile zu einem gut funktionierenden Mietshaus geworden - mit Nutzungsmöglichkeiten von Gemeinschaftsräumen -, das mit dem ganz alltäglichen Wahnsinn an Gewaltverhältnissen lebt.

Susi: Das Lila Luftschloss Projekt soll gezielt Frauen ansprechen, die sozial benachteiligt werden und auf dem »freien Wohnungsmarkt« wenig Chancen haben. Dabei geht es nicht nur um finanzschwache Frauen aus dem studentischen Milieu, sondern auch um Frauen, die bestimmte soziale Diskriminierungen erfahren haben, sei es als Migrantin oder über sexuelle Gewalterfahrungen. Das Projekt soll Frauen Schutzräume und die Möglichkeit bieten, auch außerhalb der heterosexistischen Normvorstellung wohnen zu können. Dass sich daraus auch ein linkes Wohnprojekt entwickeln wird, bleibt zu hoffen.

diskus: Es scheint so, als wäre die Selbstorganisation der zentrale Aspekt der Projekte; dass es in erster Linie darum geht, den Alltag anders zu organisieren, es darüber hinaus aber wenig politische Praxis gibt, weil man sich letztendlich doch in seiner Nische eingerichtet hat?

Susi: Beim Lila Luftschloss geht es weniger um eine politische Praxis, sondern kurz gefaßt ums »schöner Wohnen«. Am Anfang herrschte dieses euphorische 80er Jahre Projektgedöns, frauengerechtes Wohnen, alle Frauen sollen zusammenwohnen, Gemeinschaftsräume, selbstbestimmt wohnen und auf dem Bau mithelfen. Das war nett geplant, scheiterte aber an der Finanzierung.

Aus der komplexen Situation heraus entstand die Struktur mit Vorstand, Aufsichtsrat und monatlichen Vollversammlungen, auf der letztendlich die Entscheidungen getroffen werden. Durch diese Aufgabenteilung in Vorstand und Gründerinnen, die großteils gar nicht im Haus wohnen wollten, auf der einen Seite und der Bewohnerinnengruppe auf der anderen, kam es zu ziemlichen Spannungen und Differenzen im Umgang miteinander. Die Bewohnerinnengruppe, die anfangs ziemlich gut funktionierte, hatte lange Zeit die Erwartungen an das Projekt, dass immer alles gemeinsam entschieden wird. Als das nicht mehr klappte, sind viele ausgestiegen. Die verbliebenen Bewohnerinnen machen noch ein extra Plenum, um Fragen zu diskutieren, die dann vorwiegend das Wohnen betreffen. Männer haben kein Wohnrecht, dadurch würde der Gedanke des Projekts völlig in Frage gestellt, sie haben Besuchsrecht, aber es muss von der Hausgemeinschaft in irgendeiner Form entschieden werden, wenn sie länger als eine bestimmte Zeit da sind.

Flo: Wir definieren uns nicht als eine geschlossene politische Gruppe, die sich entschlossen hat, gemeinsam zusammen zu wohnen. Insofern existieren auch sehr unterschiedliche Vorstellungen von Politik innerhalb des Projektes. Wir sind ein Zusammenhang von Leuten, am Anfang so zwischen 16 und 20 Jahren, die sich kannten oder z. B. auch Antifa-Politik zusammen gemacht haben. Mittlerweile sind aber auch Leute von anderen Plätzen dazu gezogen. Als wir ursprünglich zusammenkamen, hatten wir einfach keine Lust, Miete zu bezahlen. Zunächst haben wir ein paar Hausbesetzungen probiert, aber das ging nie lange gut; wir wurden stets geräumt. Weil das keine richtige Perspektive hatte, hatten wir die Idee, es mit Bauwägen zu versuchen. Den Platz in Rödelheim haben wir in einer relativ chaotischen Aktion besetzt, konzeptionelle Sachen sind erst später entstanden. Aus meiner Sicht war diese Entscheidung keine bewußte Absage an das »normale Wohnen« in einem Haus. Vielmehr schien die Besetzung eines Geländes mit Wägen die einzige Möglichkeit zu sein, ein Projekt für längere Zeit zu halten, d. h. kollektives Wohnen mit vielen Leuten durchzusetzen. Wichtig war uns auch, ein neues Projekt zu starten und nicht zu einem bestehenden Platz zuzuziehen.

Nik: Da wir auch schon vorher politisch als Gruppe zusammengearbeitet haben, gab es in der Fritze anfangs schon einen starken politischen Anspruch. Bei uns steht aber nicht nur der Wohnaspekt im Vordergrund, sondern auch noch ein Austausch über die einzelnen Lebensentwürfe.

Heike: Ihr in der Fritze kamt ja auch noch über den Vorwurf der RAF-Unterstützung in Zusammenhang mit dem Weiterstadtanschlag ins Visier des Staatsschutzes, wo einige von euch bei den Bullen vorgeladen und in Beugehaft genommen wurden. Über die Auseinandersetzungen darüber innerhalb der Szene habe ich auch mitgekriegt, wie schwierig es war, eine gemeinsame Position zu finden in bezug auf mögliche Konsequenzen, Knast oder Untergrund wie bei Andrea.

Nik: Nee, die ständigen Hausdurchsuchungen und Observationen in Zusammenhang mit dem Vorwurf der BAW, dass Andrea bei dem Sprengstoffanschlag in Weiterstadt beteiligt gewesen sein soll, haben eher dazu geführt, dass wir zusammen diskutierten und eine gemeinsame Position erarbeiten konnten. Bei uns laufen Diskussionen vor allen Dingen dann, wenn der Zusammenhang Wohnung bedroht ist.

diskus: Noch bei der Häuserkampfbewegung der 80er Jahre wurde versucht, sich über eine illegale Aneignung von Wohnraum als klare Grenze zur bürgerlichen Wohnkultur zu definieren und aus den Projek-ten heraus eine politische Öffentlichkeit zu schaffen. Wurde die Forderung nach Mietverträgen in der linken Szene ehemals mit Integration und Reformismus gleichgesetzt und das Stichwort Autonomie hochgehalten, scheint es mittlerweile eher den Wunsch nach gesicherten Wohnverhältnissen zu geben, um von einer einigermassen gesicherten Position aus politisch handlungsfähig zu sein.

Christoph: Fast alle, die sich auf das Projekt in Berkersheim eingelassen haben, hatten Hausbesetzererfahrung oder Erfahrung mit illegalem Wohnen. Der Altersdurchschnitt lag damals bei Mitte 30 und älter, so dass die meisten erst mal legale Mietverhältnisse haben, also das Wohnen an sich nicht zum Politikum machen wollten. Alle, die eingezogen sind, sind seit vielen Jahren in anderen politischen Zusammenhängen und Gruppen aktiv und wollen sich nicht über eine Repression von außen politisch bestimmen. Von einer Minderheit gab es anfangs auch die Position, einen Block von den Kasernen zu besetzen, aber insbesondere die älteren HausbesetzerInnen waren sehr defensiv und haben das auch eher für illusorisch gehalten, damit durchzukommen. Nach unserem Einzug hatten wir eineinhalb Jahre keine festen Mietverträge. Die Mietverträge, die uns angeboten wurden, wollten wir nicht unterschreiben. Es gab jahrelang Verhandlungen mit Rechtsanwälten, um einen formalen Projektstatus auszuhandeln. Irgendwann war klar, wir haben keinen Bock mehr auf diese Unsicherheiten und haben einfach die Scheissverträge unterschrieben.

Nik: In Dresden oder Leipzig hat sich sogar die CDU-Fraktion dafür ausgesprochen, dass Mietverträge erteilt und unterschrieben werden, nach dem Motto »Eigentum verpflichtet«. Über eine Legalisierung des Mietverhältnisses sollen die Leute »vernünftig« werden und »Verantwortung zeigen«. Auch in der Fritze ist das Verhältnis zu Legalität/Illegalität insofern offen, als wir in den Mietverhandlungen klare Grenzen setzen, dass wir für das Haus die Verwaltung behalten wollen und beispielsweise über einen bestimmten Mietsatz keine Miete mehr zahlen würden. Was im Prinzip ein »normales« Mietverhältnis schon von vornherein ausschließt. Es gibt jedoch immer wieder Diskussionen darüber, was wir für eine gemeinsame Position in den Verhandlungen vertreten, ob wir hart bleiben oder wo noch Verhandlungsspielraum ist und wir uns auf Kompromisse einlassen.

Martin: Die Barrax sind auch daraus entstanden, dass Leute, die aus besetzten Häusern in Dietzenbach geräumt wurden, nach was Neuem gesucht haben. Mittlerweile ist die Selbstorganisation bei uns aber wie gesagt ein ziemliches Problem. Die zwei Leute, die für Mietzahlungen verantwortlich sind, sind immer gezwungen, gleichzeitig auch den »Sozialarbeiter« für andere BewohnerInnen zu spielen. Insofern hat der legale Mietstatus den klaren Nachteil, dass der Druck, die Miete zusammenzubekommen, ins Projekt hineinverlegt ist. Was neues zu besetzen, halte ich aber für ziemlich aussichtslos, weil man eh sofort weggeräumt wird.

Susi: Das Mietverhältnis sehe ich im Prinzip auch als Problem des Lila Luftschloss Projekts, wo jede persönlich dafür verantwortlich ist, wie mit Frauen umzugehen ist, die die Miete aus irgendwelchen Gründen gerade nicht zahlen können, und es gibt dann eben keineN VermieterIn, der/die das Schwein ist. Meine politische Arbeit stellt sich aber nicht primär über meine Wohnsituation, über den »Kampf ums Wohnen« her. Insofern ist es dann vielleicht sinnvoll, wenn man einen gesicherten Wohnplatz hat, und ausgehend von der Situation an anderen Stellen politische Kämpfe führen kann.

Flo: Die Mietbedingungen bestimmen aber die Art zu Wohnen wesentlich mit. Da können sich ganz andere Sachen entwickeln, wenn das Wohnen nicht an restriktive Mietverhältnisse gebunden ist. Ich habe keine Lust, die Kohle, die man hat, in irgendwelche Miete zu investieren, das erzwingt immer auch ein Mehr an Arbeit. Ich denke aber auch, dass heute eine bewußte Entscheidung gegen Mietverträge nicht mehr so einfach ist. Früher versuchte noch die Stadt mit den Besetzern in Kontakt zu treten und zu verhandeln, um massenhafte Besetzungen zu verhindern. Heute versuchen die Wohnprojekte krampfhaft mit den Eigentümern zu verhandeln, um zu retten, was zu retten ist.

Joachim: Das kollektive Wohnen an sich war und ist zum Teil auch heute noch ein Politikum und mußte erst mal erkämpft werden. Gerade weil das Wohnen in Wohngemeinschaften diskriminiert wurde, ist es auch zu anderen Auseinandersetzungen gekommen, in denen Wohnraum erkämpft wurde, wie beispielsweise im Häuserkampf. Das wird heute oft vergessen.

Auf dem Bauwagenplatz gibt es trotz des kollektiven Wohnens stärkere individuelle Rückzugsmöglichkeiten als in Häusern oder Mietwohnungen. Dies ist zum einen Ausdruck veränderter Bedürfnisse, aber zugleich auch, kurz gesagt, eine Anpassung an eine allgemeine »Individualisierungstendenz«. Ein wichtiger Unterschied zum kapitalistisch-bürgerlichen Wohnen ist bei den meisten Wagenplätzen, dass der Wohn- und Lebensraum nicht durch irgendeinen Profitgedanken verstümmelt wird. Das gleiche gilt in Folge dann für die Lohnarbeitsknechtschaft, die notwendig ist, um seinen Mietzins zu zahlen.

diskus: Schon in den 70ern gab es Vereinnahmungsversuche der BesetzerInnenszene von der bürgerlichen Medienöffentlichkeit, beispielsweise mit Bildern instandbesetzter »Schöner Wohnen«-Häuser, durch die die Friedfertigkeit und Originalität der BesetzerInnenbewegung demonstriert werden sollten. Auch heute zeigen sich Teile der Presse zum Teil solidarisch. Kämpfte man in den 70ern gegen rigide Vorstellungen von Normalität und Zusammenleben an, hat sich der öffentliche Diskurs von Normalität seitdem doch augenscheinlich verschoben.

Jo: Wenn es um Wohnprojekte und Wagenplätze geht, gilt in der Öffentlichkeit doch eher die Maxime von »Hauptsache nicht vor meiner Tür«. Sprich: Dem größten Teil der Öffentlichkeit ist es doch eh egal, solange die keinen Streß damit haben. Ganz anders sieht es wiederum in den Medien aus. Da gibt es die ganze Skala von Bildzeitungsattitüden. Wohlwollende und verniedlichende Geschichten über das tolle Wagenleben bis hin zur »Geld für dein Leben«-Reality-Soap.

Mücke: Das ist natürlich auch eine Frage der Selbstdarstellung in den Medien. Natürlich ist die oft strategisch motiviert und hat mit den tatsächlichen politischen Vorstellungen wenig zu tun. Das gleicht einerseits einem Ausverkauf, andererseits ist man auch auf eine öffentliche Unterstützung angewiesen, wenn es um Räumungen oder Duldungen geht. So gab es, als wir das erste oder zweite Mal geräumt wurden, viel Presse - auch »gute« Presse - und wir haben auch selbst viel Pressearbeit gemacht. Wir haben mittlerweile einen ganzen Ordner mit »wohlwollender Berichterstattung« über unser Projekt.

Joachim: In der Presse werden doch meist nur Details zum Alltag, wie die Reproduktion organisiert wird, - friert ihr nicht im Winter?! Wie sieht's mit der Hygiene aus?! etc. - für interessant befunden. Die Selbstbeschreibung als selbstbestimmtes, womöglich als politisches Projekt wird rausgefiltert, und das Projekt unter Lebensstilfragen verbucht. Ignoriert wird damit auch, dass das Wohnen auf dem Bauwagenplatz auch eine klare und offensive Absage an die bürgerlichen Wohnstandards ist. Die bürgerliche Vorstellung von Wohnen tritt auch heutzutage innerhalb der linken Szene, die kollektives Wohnen maximal durch den zu zahlenden Mietzins ganz brav über den etablierten Wohnungsmarkt realisiert, genau durch solche Fragen oder Aussagen, z. B. zur Alltagsorganisation, hervor.

Susi: Diese »gute Presse« zeigt doch auch, wie kritische Ansätze immer wieder herrschaftlich gewendet werden können. Mittlerweile sind Begriffe wie »alternativ« oder »gemeinschaftlich« doch schon gesellschaftlich konsensfähig, wodurch es fraglich wird, inwieweit eine Debatte über »andere« Formen des Wohnens überhaupt noch geführt werden kann. Wie kann man Begriffe wie Gemeinschaftlichkeit beispielsweise noch benutzen, ohne dabei auf die Schiene von Ehrenamtlichkeit zu geraten?

diskus: Noch mal konkreter zur eigenen Verortung in der Gesellschaft: Stadtteilpolitik, die ja auch mal Teil des Selbstverständnisses linker Politik und insbesondere im Häuserkampf war, gibt es in Frankfurt ja kaum noch. Inwieweit stellt ihr denn Bezüge zu anderen Projekten, zur »Szene« oder zum Stadtteil her?

Nik: Vor einigen Jahren haben wir an die Nachbarn eine Selbstdarstellung verteilt, um im direkten Wohnumfeld auf unsere Situation aufmerksam zu machen und um uns vorzustellen. Ein Großteil unserer Gruppe war auch in der Stadtteilgruppe organisiert, die im Zusammenhang mit dem antirassistischen/antifaschistischen Notruf- und Infotelefon entstanden ist. Ansonsten verläuft die Öffentlichkeitsarbeit und die »Verankerung im Stadtteil« eher schleppend, mal abgesehen davon, dass wir inzwischen eine Homepage haben und »Fritze bleibt«-Postkarten gedruckt haben. Beides ist vor allem dafür gedacht, uns in Erinnerung zu behalten, wenn's mal brenzlig wird.

Heike: In der Hochkonjunktur der Schadstoffdebatte mit anschliessenden Mietminderungskämpfen vor zwei, drei Jahren waren wir an der Stadtteilinitiative zur Schadstoffpolitik beteiligt. Die extrem kontaminierten Wohnungen sind mittlerweile saniert und es sind darüber hinaus keine weiteren Stadtteilkontakte entstanden. Gleichzeitig gibt die Infrastruktur am Frankfurter Berg nicht sehr viele Möglichkeiten her. Eine Semi-Offenheit zur Nachbarschaft stellt sich allenfalls über die gemeinsamen Gespräche über die jeweiligen Hunde, Kinder und Balkonbepflanzungen her. Das scheint gemeinschaftsstiftend zu sein.

Mücke: Als wir das Angebot erhalten haben, wieder auf die Ziegelei zu ziehen, haben sich ganz schnell die Nachbarn formiert und sind dagegen angegangen; die haben z. B. die Einfahrt aufgegraben. Beim Umzug hat die Stadt die vorläufige Besitzberechtigung, auf einen Pachtvertrag hinzielend, zurückgezogen, weil der Ortsbeirat ganz großen Streß gemacht hat. Wir sind dann trotzdem hingegangen und hatten allen möglichen Ärger mit Räumungsdrohungen, Bullen- und Nachbarnstreß, Verbarrikadierungen etc. Als wir dann später die Kündigung erhielten, haben einige von uns ein Gelände in der Nähe der Messe besetzt, um auf unsere Situation aufmerksam zu machen. Dort sind wir aber nur fünf Wochen geblieben, zum einen wegen der Schwierigkeit, mit wenigen Leuten zwei Plätze gleichzeitig besetzen zu müssen; zum anderen, weil es in Frankfurt und Umgebung auf kein besonders großes Interesse gestoßen ist.

In Bockenheim gab es schon Versuche des Nachbarschaftsbezugs. Das hat ansatzweise geklappt mit ei-nem Flohmarkt, wo die ganzen Kids samt Eltern auf den Platz gekommen sind. In Rödelheim sind wir froh, dass die Nachbarn mittlerweile nicht mehr auf den Platz kommen. Seit ca. drei Jahren machen wir regelmäßig Kneipenabend. Das ist eine Art offener Abend in unserem Gemeinschaftswagenkomplex, wo auch politische Veranstaltungen stattfinden. Das beschränkt sich auf Leute aus der »Szene« und ist kein Versuch, Leute aus dem Stadtteil für den Wagenplatz zu begeistern oder die Öffentlichkeit zu erreichen.

Joachim: Wenn man von einer linken »Szene« spricht, halte ich es erst mal für wichtig, die Diskussionen zu führen, was das inhaltlich bedeutet, welche Bedürfnisse es gibt - so zum Beispiel das Bedürfnis nach einem Wohnen, dass unter anderem eine gewisse »Sicherheit« geben muss, auch für jene Leute, die einen Anspruch haben, noch anders, direkter in gesellschaftliche Verhältnisse rein zu wirken.

Was ich interessanter finde, sind nicht die Projekte, die sich hauptsächlich selbst zum Mittelpunkt haben, sondern bei manchen Wagenplätzen die Praxis, sich mit anderen Wohnprojekten zu vernetzen, um sich über die verschiedenen Lebens- und Wohnkonzepte auszutauschen. Dieser Austausch ist wichtig, um z. B. darüber auch für das eigene Handeln Orientierungen zu erhalten und um besser herauszufinden, wo man mit dem eigenen Projekt gerade steht. Es gibt ja regelmäßige Vernetzungstreffen »linker« Wohnprojekte im Rhein-Main-Gebiet, wo Themen wie Zerfallstendenzen von Wohnprojekten, Abgrenzung nach außen als Definition innerhalb vieler Wohnprojekte, Privatisierung, Repressionen etc. diskutiert werden, solche Treffen halte ich für sehr wichtig.

diskus: Auch hinsichtlich der Lage der verschiedenen Projekte zeigt sich ja eine auffällige Verschiebung. Bei den Häuserkämpfen in Frankfurt lagen die fraglichen Gebäude vorwiegend in zentral gelegenen Stadtteilen wie im Westend. Die Wohnprojekte, die heute existieren, liegen hingegen in städtischen Randlagen oder tatsächlich in der Peripherie, was angesichts städtischer Umstrukturierungen, »Aufwertungen« und aggressiver Ordnungpolitik derzeit das einzig möglich zu sein scheint.

Heike: Bei uns mussten die meisten erst mal auf dem Stadtplan gucken, wo Berkersheim überhaupt liegt, niemand wollte eigentlich dorthin. Das war quasi ein Kompromiss, bzw. Erpressung der Stadt, die gesagt hat, es gibt zwar genug freien Kasernenwohnraum, aber ihr nehmt Berkersheim oder gar nix. Hinzu kam, dass zu dem Zeitpunkt schon klar war, dass in nächster Zukunft auch 300 BGS-Bullen vom Flughafen da stationiert werden.

Ein Teil der BewohnerInnen im Haus vermutet ja auch, dass diese Nachbarschaftsgründung kein Zufall war, was ich allerdings eher für eine Verschwörungstheorie halte. Das absurde Argument der Stadt uns gegenüber war jedoch, dass wir als Projekt durch die Randlage keine wesentlichen Benachteiligungen erfahren würden, da wir uns ja selbst organisieren und deshalb nicht auf eine innerstädtische Infrastruktur angewiesen seien. Dahinter stand jedoch gerade die Hoffnung, dass das Wohnprojekt aufgrund seiner schlechten Lage unattraktiv wird und wieder zerfällt.

Mücke: Die Ziegelei war unser Wunschgelände; eine der wenigen Möglichkeiten, in Rödelheim relativ zentral zu sein und trotzdem nicht mittendrin. So zentral das Gelände in Bockenheim auch war, das wir zwischenzeitlich besetzt hatten - wohnen kannst du da auf die Dauer nicht. Die Besetzung in Bockenheim war auch keine richtig klare Sache, es gab Leute, die konnten sich vorstellen, da zu wohnen und Leute, die das eher als Aktion sehen wollten. Hier in Rödelheim haben wir zwar Ruhe, aber wir wollen nicht ruhig bleiben.

Nik: In unserer »Randlage« zeigt sich doch eine erfolgreiche Stadtpolitik, die innerstädtische Viertel weitgehend saniert und den städtischen Raum »geschlossen« hat, was ja verglichen mit anderen Städten wie Dresden oder Leipzig eine besondere Situation darstellt. Wenn wir zum Beispiel aus der Fritze rausfliegen, dann sieht es innerhalb Frankfurts ziemlich mau aus, was anderes aufzutun.
Die Frage ist doch, inwieweit solche Wohnprojekte wie das unsere überhaupt noch etwas offensiv-Widerständiges haben. Auch wenn wir uns mal die Häuser genommen haben, verfügen wir ja nicht über die Macht, sie gegebenenfalls auch verteidigen zu können. Dass wir noch dort wohnen, resultiert daraus, dass wir gelassen werden; wir stören halt einfach nicht viel. Am Ende ist man allenfalls »Exot«, und sich ein paar Exoten zu halten, gefällt ja eher, als dass es stört.

diskus: Welche Konzepte und welche Praxis gibt's denn bei Euch, das nötige Geld zusammen zu verdienen, oder bleibt das jedem und jeder individuell überlassen? Gibt es Ansätze von kollektiv organisierter Arbeit?

Nik: In den Anfangszeiten gab es bei uns in der Fritze schon Überlegungen, ein eigenes Projekt aufzuziehen, gemacht haben wir's aber nie. Damals war es eher Usus, kaum zu arbeiten, sondern von Sozialhilfe zu leben oder sich an der Uni einzuschreiben, was in den letzten Jahren rapide abgenommen hat. Mittlerweile machen bei uns fast alle eine Ausbildung oder haben eine abgeschlossen.

Mücke: Intern organisieren wir uns so, dass wir gemeinsame Kasse machen, was auch ohne regelmäßige Plena funktioniert. Jeder und jede schmeißt anteilsmäßig was von dem, was du zur Verfügung hast, rein. Davon wird dann fast alles bezahlt. Was wir auch immer wieder versuchen - richtig konsequent sind wir da natürlich nicht -, ist ein bißchen die Notwendigkeit des Geldes zu reduzieren; dass Du halt einfach nicht so viel brauchst - darüber, dass wir keine Miete zahlen, dass jeder nach seinen Möglichkeiten zahlt, dass wir versuchen, möglichst viel zusammen zu finanzieren und wir zum Beispiel bei Lebensmitteln schauen, dass wir die nicht immer kaufen müssen; gerade in Frankfurt geht das auch wunderbar anders, es gibt jeden Tag irgendwo einen Markt, bei dem die frischesten Sachen weggeschmissen werden. Wenn Du das alles richtig organisierst, kannst Du mit ziemlich wenig Geld echt gut leben. Und das ist in jedem Fall auch Arbeit.

Joachim: Ein Problem ist, wie Du »gemeinsame Arbeit« definierst. Einerseits gibt es das Modell, angelehnt an die 70er Jahre, sich kollektiv zu organisieren, um die Fremdausbeutung möglichst zu reduzieren und gleichzeitig auf dem kapitalistischen Markt zu bestehen. Geendet hat dies allzu oft in einer 50 oder 60 Stunden-Woche bei immer geringer werdendem Lohn. Daneben gibt es zumindest auf den Wagenplätzen noch andere Formen; wir haben beispielsweise bis vor einiger Zeit jahrelang eine Kneipe gemacht und versucht, über ein nicht-kommerzielles Programmangebot einen anderen Kultur-Raum zu verwirklichen. Diese Arbeit beruhte auf einem hohen Grad an Freiwilligkeit und über die Verwendung des überschüssigen Geldes wurde gemeinsam entschieden. Schließlich gibt es noch eine andere Ebene, die immer als selbstverständlich gilt. Auf dem Wagenplatz wohnen ja allerlei Leute mit sehr unterschiedlichen Fähigkeiten. Der eine kann halt schrauben, die andere kennt sich am Computer aus usw. Insofern gibt es da einen unterstützenden Austausch, der oft hilft.

Eine andere Diskussion in diesem Zusammenhang wäre, inwieweit Leute von den Wagenplätzen, die keine oder nur geringe Miete zahlen, nicht einen bestimmten Platz in dem hoch-prekarisierten Arbeitsmarktbereich in der Peripherie einnehmen. Indem sie das Geld für Miete sparen, sind sie prädestiniert dafür, Jobs mit wahnsinnig niedrigen Löhnen anzunehmen und für sich dabei immer noch einen ganz guten Schnitt zu machen. Das sind Jobs, die bei Leuten, die noch 500 DM oder 1000 DM Miete zahlen müssen, überhaupt nicht funktionieren. Zugespitzt gesagt, verschafft einem der Wagenplatz eine Position, in der man andere Leute auf dem sogenannten »Arbeitsmarkt« schlicht unterbieten kann - und damit die Prekarisierungstendenzen unterstützt. Es ist fraglich, ob das nicht ein Grund dafür ist, dass Wagenplätze am Rande der Stadt geduldet werden.

Martin: Wagenleben heißt aber auch, mehr Arbeit und Zeit auf die Reproduktion zu verwenden - Wasser, Holz, Strom zu besorgen - und relativiert dann eventuell auch das billige Wohnen.

Joachim: Wie erwähnt, wohnen auf den Wagenplätzen extrem unterschiedliche Leute. Für die einen ist es eine bewußte Absage an bestimmte Lebensweisen, andere kommen aus einer Situation, weswegen sie sich hier erst mal - wie auch immer - konsolidieren wollen; da ist dann das Holzhacken z. B. für einen selbst unmittelbar unterstützend, also materiell, aber auch für die eigene Psyche - im Extremfall hat der Wagenplatz für diese Person die Funktion, ein letztes Auffangbecken zu sein.

diskus: Stehen denn bei Euch viele Leute in solchen hochprekären Arbeitsverhältnissen?

Joachim: Ich behaupte, dass z. B. der Landschaftsgartenbau in unserer Umgebung ohne Leute von uns - und den zwangsverpflichteten Leuten vom Arbeits- oder Sozialamt - nicht so laufen würde. Andere arbeiten beim Messebau oder als FahrerIn zu einem furchtbar niedrigen Lohn; die können den Job nur deshalb so ausüben, weil sie keine Miete zahlen müssen.

Aber auch so manche, die Ihr Geld vom Sozialamt oder vom Arbeitsamt bekommen, entwickeln eine in der Lohnarbeitswelt wirksame Überlebensstrategie. Auch das Studium will finanziert sein, da läßt der Wagenplatz lohnmäßig schon mehr Auswahl nach unten zu, auch wenn der Druck Kohle heranzuschaffen, ohne die Mietzahlung im Kreuz zu haben, geringer ist. Ich halte es eher für ambivalent, ob die Abschöpfung des Sozialen, so wie sie im Moment läuft, Autonomie oder eher neue kapitalistisch verwertbare Überlebensstrategien produziert.

Christoph: Ob man irgendwie integrierbar ist, frage ich mich mittlerweile überhaupt nicht mehr. Wenn ich versuche, politische Praxis zu machen, dann ist das zunächst einmal mein Ding, das zu bewerten. Wenn irgendwer auf der Welt versucht, das zu integrieren, dann OK. Das lässt sich nicht vermeiden, aber ich muss es für mich bewerten. Wenn Leute aus bestimmten Gründen in Bauwagen leben wollen und als ein Aspekt davon auch gut ausbeutbar für den prekarisierten Arbeitsbereich werden, macht das doch nicht das ganze Projekt hinfällig.

Noch mal zum Wohnen als Nische. Das hängt wirklich daran, was man meint, wenn man »wohnen« sagt. Sicher kann man sagen, dass wir da halt wohnen und diskutieren, und das ist dann der Zweck. Und das haben auch viele Leute anfangs so gesehen und den Versuch unternommen, anders zu wohnen als in der Kleinfamilie, in der der Vatter säuft und die Mutter schlägt und die Nachbarn es hören, aber nichts tun - das ist die psychische Disposition, die in dieser Gesellschaft von der Psychiatrie normal gemacht wird. Und aus dem Wissen heraus, dass das so ist und wir das nicht wollen, haben Leute eben gesagt, wir machen was anderes. Bei uns gab es anfangs sehr viel WGs, Frauen-WGs, Jungen-WGs oder gemischt und mittlerweile tendiert das zu einem Rückzug ins Private, dass Zweierbeziehungen eigene Wohneinheiten bilden.

Susi: Genau an solchen Punkten holt die »Normalität« eben auch die Wohnprojekte ein. Und wenn man das nicht will, muß man eben eine permanente Auseinandersetzung führen.

Christoph: Was umgekehrt aber auch nicht heißen kann, sich gegenseitig die Klotür auszuhängen, um den politischen Anspruch zu erfüllen oder nicht in Zweierbeziehung leben zu dürfen damit es noch politisch ist. Das ist doch genau das, was in den 70ern oft gemacht wurde; und wir sind auch ganz froh, dass wir das hinter uns haben.