The secret of Tilde i. E.

Edith Orial im Gespräch mit Tilde

< Edith > »Tilde i. E. – popfeministisch + seltsam entwurzelt« – so heißt nun das 24. Out Coming eurer Netz-Zeitschrift, bei der in den Jahren, die es euch bereits gibt, nie so recht klar wurde, in welchem Zyklus die Ausgaben erscheinen. Hat das etwas mit der ›seltsamen Entwurzelung‹ zu tun? Habt ihr die Bodenhaftung verloren oder was wolltet ihr eigentlich damit ausdrücken?

< Tilde i. E. > Verloren? Das hieße ja, dass wir so etwas wie eine identitär-essentialistische Bestimmung jemals gehabt hätten. Was soll das denn sein? Eine stabile Verwurzelung streben wir nicht an; wir befinden uns in einem permanenten Prozess. Wir stöbern verunsichernde Impulse auf, welche Identitätskonstruktionen kapitalistisch-bürgerlicher Gesellschaft in Frage stellen und freuen uns diebisch daran. Jedenfalls machen uns das gesellschaftliche Funktionieren und die wachsenden Ausgrenzungen Angst und wild. Genauso wild macht uns das auf den ersten Blick undurchschaubar wirkende Geflecht von Herrschaftspraktiken, welches so mobil und neoliberal daher kommt. Das ist doch lediglich eine andere, perfider funktionierende Form von Herrschaft in weit größerem Stil. Ein guter Freund von uns sagte mal: »Benutzt keine Kopien, macht eure eigenen Karten; produziert, demontiert, transformiert eure Kopien auf eigene Karten.«

< Edith > Ok. Seltsam entwurzelt, darunter kann ich mir jetzt auch etwas vorstellen, aber popfeministisch ist auch unüblicher Sprachgebrauch. ›Pop – PopArt – Poppig‹, das kommt aus der Zeit Andy Warhols, der Factory und den sehr gelungenen Versuchen, Gebrauchsgegenstände, Industriegraphik und -design in einen neuen Kontext zu stellen. Das war bis dahin nicht üblich und sehr beunruhigend. Überkommene Grenzen zwischen Kunst + Politik + Gesellschaft wurden verschoben und sichtbar gemacht. Na ja ... und dann irgendwann zu merken, dass damit auch ne Menge Geld zu machen ist. Ihr bedient euch also des Begriffs des Pop. Wie ist er denn bei euch gemeint?

<Tilde i. E. >: Verschieben wollen wir auch ... nicht zu verwechseln mit Wegschieben, wie das die Gemeinschaft der SubjektretterInnen mit der Verunglimpfung von Post(ismen) als POP-Mainstream bzw. »anything goes« macht. Das heißt aber nicht, dass wir was gegen POP haben. Wer von uns ist schon gegen POP? Zumal nach dem »Ende der Spaßgesellschaft« poppige Beliebigkeit, um nicht sogar zu sagen Beliebtheit, im ganz neuem Gewand daher kommt: als POP getarnter Spaß wird sozusagen subversives »passing«.

< Edith > Und was ist dann popfeministisch? ›Feminismus‹ hat ja eine bekannte, sehr gewaltige und auch sehr frustrierende Geschichte hinter sich. Einhergehend mit Kämpfen um Aufklärung über patriarchale Praxis und Struktur, um schützende Nischen, und um Anerkennung in der kapitalistischen Welt. Ist es denn in der postmodernen Welt noch angesagt, mit Begriffen wie ›feministisch‹ zu arbeiten? Die Nähe zum bipolaren Denken wird doch damit beibehalten, oder?

< Tilde i. E. > Ja gell, unser Name erzählt schon eine ganz schön lange Geschichte.

< Edith > Gibt es in eurer politischen Vision noch Geschlechter? Wenn ja, wie und welche? Wenn nein: wie dann? Wie viele denn? Und wie lassen sie sich erkennen?

< Tilde i. E. > Das fragen wir uns auch. Genau deswegen wollen wir die bestehende Geschlechterpolarität aufbrechen, einen Spielraum schaffen für neue Möglichkeiten. Geschlechter zu zählen macht keinen Sinn. Geschlechter festlegen auch nicht. Aufregend zu sehen, was, wie und womit wir nach der Durchsetzung der unzähligen und unzählbaren Geschlechter wohl begehren. Wir sind uns dennoch nicht ganz einig, was diesen Punkt betrifft. Die einen halten die Zählbarkeit und Eindeutigkeit für eine Voraussetzung ihres Begehrens – und daher für unverzichtbar – die anderen sehen genau das Polymorphe, die ständige Verschiebung, völlig neue, nie bedachte Strukturen als Ziele ihres Begehrens und als Elemente ihrer sexpolitischen Vision an.

< Edith > Gehen wir doch noch einmal einen Schritt zurück und fragen nach dem revolutionären Subjekt: Nachdem es aufgelöst worden ist, wie sieht es denn da bei euch mit Feind- und Freundbestimmungen aus? Und wenn wir schon bei dem heiklen Thema des bipolaren Differenten angekommen sind, wie löst ihr denn das vertrackte Opfer-Täter-Verhältnis auf?

< Tilde i. E. > Na ja, da triffst du uns aber auf dem links aufgestanden Bein. Was sollen wir da antworten? Es ist natürlich (das Wort finden wir ganz entzückend als welche, die in der postmodernen Welt angekommen sind; das klingt so schön anachronistisch nach stabilen und sicheren Bestimmungen) immer noch wichtig, ganz klare Kriterien zu formulieren, um die Gewalt in all ihren Spielarten zu benennen. Andererseits finden wir aber auch den Versuch gut, in ironisch selbstbewusster Weise mit zum Beispiel heterosexistischen Situationen umzugehen. Das Ganze findet jedoch im Spannungsfeld zwischen struktureller Tatsache und performing future statt. Es finden viele Versuche statt, ›TäterInnen‹ mit neuen, ungewohnten Verhaltensweisen zu konfrontieren und so neue Maßstäbe zu entwickeln, gewalttätige Strukturen nicht nur zu benennen, sondern sie durch ungewohnte praktische Übungen aus ihrem Gleichgewicht zu bringen.

< Edith > »Ungewohnte Praxen«, das ist im Gespräch jetzt schon öfter aufgetaucht. Ist das ein wichtiges Motiv für euch ein eigenes Online-Magazin zu entwickeln?

< Tilde i. E. > Naja, in erster Linie schaffen wir uns unsere eigene Spielwiese.

< Edith > Könnt ihr eigentlich von eurem Online-Magazin Tilde i.E. leben?

< Tilde i. E. > Selbstverständlich, aber manchmal ist es wirklich hart. Es fallen ganz schön viele Überstunden an. Ü-b-e-r-s-t-u-n-d-e-n – komisches Wort. Befinde ich mich in meiner Wohnung mit meinen Freundinnen, dann ist das Freizeit; befinde ich mich mit den gleichen Freundinnen in der gleichen Wohnung und tue nur andere Dinge, dann sind es meine Kolleginnen und wir befinden uns im Büro. Freizeit, Arbeit, Freizeit, Arbeit: dieser klar aufgeteilte Alltags-Zyklus lässt sich für uns nicht aufrecht erhalten. Das Gute ist, dass wir jetzt unser Freizeitdress als Arbeitskleidung von der Steuer absetzen können. Die Kleidung spielt in den meisten Arbeitsverhältnissen sicher schon eine andere Rolle. Über so etwas funktioniert ja auch sexuelle Darstellung. Das heißt, es spielt immer eine Rolle, ob du als Frau oder als Mann arbeitest. Und die Erwartung ist, dass du das immer eindeutig und heterosexuell tust. (Nun, in einigen Dienstleistungsbereichen, wie besonders »jungen« Agenturen oder Bars hat Schwulsein, das mit bestimmten Zuschreibungen belegt wird, Konjunktur). Dementsprechend werden die Anforderungen an Personen mit geschlechtsspezifischen Kompetenzzuschreibungen verknüpft.
Und jetzt haben wir noch ein paar Fragen an dich , Edith ...

< Edith > Ach, herjeh, nun ist doch die Zeit so rasend schnell verflogen und ich muss gehen . Vielen Dank fuer das Interview.

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