diskus 3/00

Erregung – abgeebbt

Über Zivilgesellschaft und rechtsextremistische Gewalt

Ob ein Alltagsphänomen bewusst wahrgenommen wird, hängt wesentlich davon ab, wie sehr es thematisiert, und das heißt, nach den Regeln der medialen Verwertung skandalisiert wird. Die Verlaufsform eines Skandals wiederum ist vorgezeichnet. Aufgeschreckte RepräsentantInnen geben sich entschlossen, DemokratInnen werden aufgerufen und Maßnahmen gebündelt. Irgendwann kann man das alles nicht mehr hören. Dann kehrt der Alltag wieder ein.

Seit gut 15 Jahren ist die sogenannte Asyl-, bzw. Ausländerpolitik ein zentrales gesellschaftliches Thema. Verschiedentlich dominierte dieses Thema die innenpolitische Debatte, etwa zu Zeiten der weitgehenden Abschaffung des Grundrechts auf Asyl oder der Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft.

Im zyklisch anschwellenden Wortstrom tauchten und tauchen MigrantInnen, auf verschiedene Weise sprachlich abgewertet, wieder und wieder als ein Problem auf, das die Politik zu lösen gefordert ist.

Auch jeder rassistische Totschläger arbeitet an der Lösung dieses ständig postulierten Problems. Die Empörung darüber, dass er totschlägt, wo doch geprüft, zugeführt, integriert, begrenzt geduldet, in Gewahrsam genommen oder abgeschoben werden muss, entzündet sich allein am Unmaß seiner Sanktion.

Der Spaß beim Hetzen von Schwarzen oder Asyl-suchenden oder Obdachlosen besteht im Hetzen von Personen, die lange vorher schon ausgedeutet und mit dem Stigma der Fragwürdigkeit belegt wurden. Sei es, weil ihnen die elementarsten Bürgerrechte versagt werden, sei es, weil sie als Negativfolie für die bürgerliche Subjektkonstitution dienen. Die Besonderheit des Hetzens gegenüber einer allgemein geregelten Verfahrensweise, die durchaus auch zum Tod führen kann, z. B. während oder nach der Abschiebung, stiftet die Grenze, die den Skandal einhegt, ihn übersichtlich macht: hie Demokratie und Zivilgesellschaft, dort dumpfer Fremdenhass. Die ins Kraut schießenden Aufrufe gegen Fremdenhass und Gewalt meinen deshalb nie polizeiliche Gewalt, schon gar nicht die institutionelle Gewalt der Ausländergesetze, nie den Terror administrativer Gründlichkeit. Solches zu de-thematisieren, ist ein Funktionsmoment dieser – nun abklingenden – Debatte, nicht ein, per Beteiligung, behebbarer Mangel.

    2

Der Staat kann nicht alle Menschen auf der Straße schützen, denen gegenüber eine gesellschaftliche Übereinkunft besteht, dass ihre Anwesenheit legitimationsbedürftig ist. Also spricht der Innenminister: »Die Gesellschaft ist insgesamt gefordert, gegen solche Verbrechen vorzugehen.« Die Verbrecher »solcher Verbrechen« können gut unterscheiden, wissen, wessen Anwesenheit fragwürdig ist und lassen sich in aller Regel bei der Wahl ihrer Opfer von anerkannten Ausgrenzungsnormen leiten. Gegen den Innenminister verneinen sie das Recht des Marginalisierten auf eine innenministerielle Prüfung.

Die aufgeklärte Zivilgesellschaft dagegen tendiert zur Auffassung, dass wen der Innenminister leben lässt, ruhig leben soll. Diese Auffassung wird mitunter außerordentlich emphatisch vorgetragen. Die dann verwendeten Worte Toleranz, Zivilität und Multikulturalität sind wichtig, um sich gut zu fühlen. Das wirklich überzeugende Argument, keinen Todschlag am hellichten Tag, keine Jagd durch die Innenstadt und keine stolze Deklaration befreiter Zonen zu dulden, ist nicht neu: die Reaktion des Auslands, der Rückgang der Investitionsbereitschaft, das Vergraulen »international gefragter Forscher und Experten«. Da die auf sehr konkrete Weise vordefinierten Opfer offensichtlich von sich aus keinen Ansatzpunkt bieten, sie unbehelligt und leben zu lassen, muss als stichhaltiges Argument unser aller wirtschaftliches Wohl an ihre Stelle rücken.

Dieses wirtschaftliche Wohl erfordert z. Z. vermehrt die Zulassung ausländischer SpezialistInnen in bestimmten Branchen. Flugs wird eine Green Card-Regelung geschaffen und über eine gesetzliche Einwanderungsregelung diskutiert. Das ist der eine Grund mehr, weswegen die »Offensive gegen Rechts« dieses Jahr etwas weniger verständnisvoll auf die Nöte der jungen Schläger schaut. Ein moderner Staat mit einer interventionsfrohen Truppe (Menschenrechtsjäger), der gerne ein Sitz im UN-Sicherheitsrat hätte und dessen CDU nun »Leitkultur« pusht, weil sie »Einwanderungsland« hinnehmen muss, hat tatsächlich nicht allzu viel Verwendung für die Reiniger des Volkskörpers.

    3

Jung-nazi sein, ist ein körperlicher zustand. gang, haltung, haartracht und kleidung werden in spezifischer weise gestaltet; nicht allein, um per uniformierung zugehörigkeit zu signalisieren, sondern zu-nächst, um eine konkrete distanz zur unübersichtlichkeit moderner herrschaftsverhältnisse zu erlangen. die inszenierung von abschottung und kampfbereitschaft versucht – übliche arbeitsteilige herrschaftsausübung negierend – auf eine archaisch anmutende weise, macht zu akkumulieren und zu demonstrieren. das macht es leicht, auf der ebene von codes und zeichen, jung-nazis tumb zu finden. zugleich wird in sub- und jugendkulturellen bereichen auch dieser antibürgerliche habitus, wie andere vor ihm, affirmiert. die option auf unmittelbare macht ist dabei nur ein aspekt. bevor der mit stiefeln bewehrte körper zur waffe wird, ist er eine befreiung von der uneindeutigkeit des zivilen rassismus, von der widersprüchlichkeit einer welt, die dem wertgesetz gehorcht und den humanismus predigt. ausgerichtet auf einen unmittelbaren darwinismus ist die nazistische körperlichkeit symbol und garant dieser befreiung.

Die Erwägung der Nützlichkeit von Migration, das Paradigma der Kosten-Nutzen-Analyse wird vom Jung-Nazi zurückgewiesen. Die lange Zeit dominanten und von Pädagogen so engagiert widerlegten fadenscheinigen Rechtfertigungen (»nehmen uns die Arbeitsplätze weg«) sind lässlich geworden. Die zunehmend populäre Angabe des Motivs »Hass« betont jene Verweigerung, der auch die Inszenierung des Körpers gehorcht: die Verweigerung der instrumentellen Vernunft. Der Nazi hasst Regelungen – etwa des »Problems« der aus dem Produktionsprozess herausfallenden Obdachlosen, – die diese nicht unmittelbar behelligen. Ebenso hasst er eine Sozialtechnik gegenüber Migration mit dem Blick für vernünftige Einwanderernutzung; er wünscht die gesellschaftliche Hierarchie leibhaftig zu exekutieren.

Die Demonstration seiner habituellen und körper-lichen Bereitschaft, (zumindest öffentlich ohne moderne Bewaffnung) einzelne, nämlich einzelne aus dem Kreis der gesellschaftlich Stigmatisierten und Marginalisierten, umzubringen, ist das zentrale Moment einer altbekannten Unterwerfung unter die gesellschaftlichen Verhältnisse in der Figur des Aufbegehrens: Mit Macht (im doppelten Sinne: im Einklang mit den dominanten Ein- und Ausschlussmodi, aber praktiziert mittels der »ehrlichen«, direkten Macht des gepanzerten Körpers) gegen die Ohnmächtigen.

    4

Ungewollt zynisch, aber in der Sache logisch fällt die Erwiderung aus. Der Präsident des Goethe-Instituts und weltmännische Kulturfreund Hilmar Hoffmann teilt mit: »Der aggressive Rassismus ruiniert den Standort Deutschland.« Aber eben nur der.

Weil die Protagonisten der Zivilgesellschaft Rassismus als analytische Kategorie nicht zur Kenntnis nehmen und die Logik der Nützlichkeit ihnen zur zweiten Natur geworden ist, verfahren sie nach dem Motto »mehr vom selben«. Der Nachwuchs, die Soziologin Kalupner und der Philosoph Kogge, unterbreitet (in der Zeitschrift Leviathan 3 / 00) Reformvorschläge, um die »gegenwärtige rechtsförmige Verfahrensweise der Verteilung und Unterbringung von Asylbewerbern« in einer Weise zu reformieren, die das »zivilgesellschaftliche Engagement fördert.«

Ohne jeden Begriff von Rassismus und unter forcierter Mobilisierung instrumenteller Vernunft schlagen sie mit Rekurs auf Habermas, Luhmann und Walzer – einem »bedeutenden Theoretiker des Kommunitarismus« – vor, »diejenigen Gruppen, die von einem sozialen Problem betroffen sind (gemeint ist die Nachbarschaft von Flüchtlingen, d. V.) oder sich an einer Lösung beteiligen wollen, sollen mit ihren spezifischen Wertvorstellungen und partikularen Interessen in den Prozess mit einbezogen werden.« Da den Autoren schwant, dass dann der »behördliche Verwaltungsakt« der Zuweisung von Asylbewerbern an eine Gemeinde evtl. in Gänze scheitert, weil die ein oder andere spezifische Wertvorstellung »Ausländer raus« lautet, haben sie sich was Vernünftiges einfallen lassen: Eine Entlohnung für »die Leistung, Fremde aufzunehmen«. Sämtliche Kommunen zahlen einen bestimmten Betrag in einen Topf, »aus dem die aufnehmenden Kommunen entlohnt werden«. Der Clou, der das rassistische Bewußtsein versöhnlicher stimmen soll: »Die Fremden wären etwas wert. Kommunale Projekte (Kindergärten, Gemeindestraßen, Sportanlagen etc.) könnten gerade dadurch verwirklicht werden, dass man Fremde aufnimmt.« Solange nicht der neue Sportplatz abbezahlt ist, so die Erwartung der AutorInnen, würde die Dorfjugend an die Kandare genommen werden. »Die Fremden wären nicht mehr das Objekt, das der Staat dem Volk zuweist«, sondern das Objekt einer temporären Gemeindesanierung, dessen Duldung sich das völkische Bewusstsein bezahlen läßt.

In völliger Verkennung neonazistischer Subjektkonstitution, wird von den DoktorandInnen der Zivilgesellschaft genau die Denkart verschärft reproduziert, die noch jedem Nazi eingeleuchtet hat: Flüchtlinge sind, erst mal so, einen Scheißdreck wert; möglicherweise kann man sie sich irgendwie zunutze
machen. Ob’s das mehr bringt, als sie durch die Nacht zu hetzen, entscheidet man von Fall zu Fall.

    5

Jener »aggressive« Rassismus, der Straßenterror, ist da besonders krass, wo wenig bzw. so gut wie gar keine MigrantInnen oder als solche identifizierbare leben. Dort, wo für hiesige Verhältnisse eher viele, anhand von Sprachwahl, Aussehen und Habitus nicht von vorneherein als deutschstämmig und / oder erfolgreich einzuordnende Bewohner das Straßenbild prägen, ist der Versuch der Durchsetzung ethnischer oder anderer Reinheitsfantasien zum Scheitern verurteilt. Da die verstärkte administrative und staatsoffizielle Drangsal die rassistische Mordlust stimuliert, würde umgekehrt die öffentliche (d. h. finanzielle, praktische und symbolische) Unterstützung der potentiellen und tatsächlichen Opfer sie dämpfen. Folglich ist jede »Offensive gegen Rechts«, jede wir-müssen-handeln-Parole, die sich aber weigert, staatliche Ausgrenzungspraktiken zurückzufahren und Kohle für die Opfer-unterstützung locker zu machen, die sich weigert, den Zusammenhang von rechten Ordnungsvorstellungen und den von Polizei und BGS systematisch durchgesetzten, zu thematisieren, primär Ideologieproduktion. Im Absehen von der Funktionalität des Rassismus, im Ignorieren nazistischer Stringenz in der Opferwahl exkulpiert sich der rechnende Bürger selbst. Sowohl Sinn und Zweck gesellschaftlicher Ausgrenzungsmodi als auch der Fortbestand der Bedingungen, die den Jung-Nazis zu ihrem Körper verhelfen, interessieren ihn nicht.

    6

Der Nutzen, der aus der Migration zu ziehen ist, und wieder verstärkt gezogen werden muss, z. B. um das Rentensystem zu retten, zwinge dem Staat den Toleranzdiskurs und die Bekämpfung der Nazis auf, heißt es. Deshalb werde Front gemacht gegen »aggressiven« Rassismus, und zwar nicht for show, sondern recht wirklich. Der linke Vorwurf der Heuchelei ziele ins Leere.

Es ist aber dem Rassismus die Spannung zwischen begrenzter Arbeitserlaubnis und grenzenlosem Deutschtum [deutsch-etc. muss sterben, damit wir setzen können! die sätzer], zwischen Vernutzung und Vernichtung seit jeher eingeschrieben. An der Betonung des Nutzens indischer IT-SpezialistInnen als mediale Begleitung eines NPD-Verbotsantrags ist nichts antirassistisches. Der derzeitigen Politik des »energischen Vorgehens gegen rechte Gewalt«, Heuchelei vorzuwerfen, wäre daher dumm. Nicht weil es nicht auch heuchle-rische Fensterreden gäbe, sondern weil diese Politik recht offen innerhalb der Rassifizierungspraxen agiert und von einem Kampf gegen tradierte völkische Ideologeme, gegen das Konzentrat aus Feindseligkeit und Sentimentalität, tatsächlich nicht die Rede ist.

Die Mitte der Gesellschaft soll sich erheben und dem Rechtsextremismus Einhalt gebieten. »Wir alle« sollen die Demokratie verteidigen und, wenn’s reicht, auch die Zivilgesellschaft.

Aber nur wer vom Rassismus nicht reden will, kann die Mitte der Gesellschaft zum Handeln aufrufen.

Christoph Schneider



 
Zurück zum Inhaltsverzeichnis