diskus 3/00

When the »East« meets the »South« and the »West« sets the Agenda

Im Schatten der Expo fand in diesem Sommer die internationale Frauenuniversität in verschiedenen Städten der Bundesrepublik zu den Themen Arbeit, Wasser, Information, Stadt, Migration und Körper statt. 900 Studentinnen aus 115 Ländern nahmen daran teil. Ein Rückblick.

Aufgeregtes Stimmengewirr hallt durch den Raum. Erste Pläne für nächste Treffen werden geschmiedet. Hier noch schnell die Adressen ausgetauscht und dort ein letztes Versprechen, dass frau im Kontakt bleibt. Die internationale Frauenuniversität (ifu), die zwischen Juni und Oktober diesen Jahres die universitäre Landschaft belebt hat, neigt sich ihrem Ende zu. Zurück bleibt ein Netzwerk, das durch seine Kontakte zu anderen Gruppierungen immer schon über die ifu hinausging, wie zum Beispiel die Kontakte zur interkulturellen Sommeruni für Frauen und Lesben, die zum Teil parallel zur ifu in Hannover stattfand (siehe diskus 2 / 00, S. 48 f.).

Noch war die Tinte, mit der die letzten Adressen geschrieben wurden, nicht trocken, da priesen die Veranstalterinnen die ifu als einen vollen Erfolg. Ja, Geschichte von oben schreibt sich schnell. Denn schließlich soll die ifu schon bald als ein einjähriger internationaler Masterkurs, sozusagen als Aufbaustudium in Geschlechterforschung institutionalisiert werden. Ein Teil des Studiums soll an einer virtuellen Universität absolviert werden, der andere Teil in Seminaren vor Ort. Bevorzugter Schauplatz: Niedersachsen. Die Chancen scheinen nicht schlecht zu stehen, einjährige Mastercourses kombiniert mit online-distance-learning sind zur Zeit sehr en vogue und ein internationaler Aufbaustudiengang für Geschlechterforschung in der BRD hört sich nicht schlecht an.

Doch woran würde ein solcher Aufbaustudiengang anschließen?
Wie verliefen die drei Monate, in denen sich 900 Studentinnen und 230 Dozentinnen aus 115 Ländern zu den Schwerpunkten Arbeit, Migration, Wasser, Körper, Information und Stadt in verschiedenen deutschen Städten getroffen haben?
Das gigantische Projekt, das immerhin gut 19 Millionen DM absorbierte und innerhalb der kritisch-feministischen Öffentlichkeit bereits im Vorfeld für einige Kontroversen sorgte, entzieht sich einer einfachen Beurteilung. Es gibt viele Perspektiven auf die ifu, sie war heterogen und widersprüchlich.

Die Universität kann als ein zielstrebiges Unternehmen gesehen werden, einen Frauenstudiengang in der deutschen Hochschullandschaft zu etablieren, wie sie bereits in vielen Ländern der Welt existieren.
Die Betonung der internationalen Zusammensetzung der Studentinnen legt aber auch nahe, das Projekt im Kontext einer zunehmenden Globalisierung des Kapitals zu betrachten. Es gilt die Welt zu imaginieren und sie in die westliche Wissensmacht einzuschreiben. Bereits der Kolonialismus der vergangenen Jahrhunderte ging mit einer regen Theorie- und Ideologieproduktion über die »neue Welt« und die Kolonialmacht einher. Diese Benennungen, die Gayatri Spivak »Wording the world« nennt, verweisen dabei immer schon auf ein weiteres Diskursfeld. Ifus Versuch, die Welt zu benennen war der Expo nicht unähnlich, wenn auch dort die Adressaten andere waren. Den privilegierten MigrantInnen, wie Zygmunt Bauman die Touristen nennt, präsentierte die Expo die Welt als Ferienprospekt.
Die Frauenuniversität war zwar offiziell ein Expoprojekt – sie verdankte ihre Existenz gewissermaßen dem Windschatten der Expo – wurde aber von dieser nur in geringem Umfang finanziert und stand ansonsten mit ihr in keinem Zusammenhang. War dadurch eine andere Imagination der Welt möglich?

Um diese Frage zu beantworten, werde ich im folgenden das Curriculum kritisch unter die Lupe nehmen. Da Wissensproduktion immer eine Arena der Auseinandersetzung und des Verhandelns bildet, soll auch ein Blick auf die Partizipationsmöglichkeiten an der ifu geworfen werden. Ich beziehe mich dabei in erster Linie auf den Projektbereich Arbeit, weil mir dieser am vertrautesten ist. Viele der Punkte sind aber auf andere Projektbereiche übertragbar. Meine kritische Reflexion wäre ohne die unzähligen Diskussionen mit Teilnehmerinnen während und nach der ifu nicht zustande gekommen. Ihnen sei an dieser Stelle gedankt.


ifus undemokratische Strukturen

Die ifu begründet die Notwendigkeit einer Frauenuniversität mit der Diskriminierung von Frauen in der Akademia. Als Alternative zum herkömmlichen Akademiebetrieb soll – laut ifu-Präsidentin Aylâ Neusel – ein »dritter Ort« geschaffen werden, an dem die Grenzen zwischen einzelnen Disziplinen, sowie zwischen Kunst und Wissenschaft durchlässig werden, wo Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen aus unterschiedlichen Kontexten und Ländern zusammen kommen, um in einen »internationalen Dialog ohne Hierarchien« (Neusel) zu treten. Ist es vielleicht die Ironie der Geschichte, dass die Struktur der ifu den Beteiligten weniger Mitbestimmungsrechte einräumte, als jede herkömmliche deutsche Universität?

Zu Beginn bildete die Trägerschaft der ifu einen Verein, der später zu einer GmbH umgewandelt wurde. Aus Sachzwängen, wie es hieß. Damit wurde aber die Offenheit eines Vereins, bei dem potentiell jedeR Mitglied werden und die Tagungsordnung beeinflussen kann, der hierarchischen Struktur einer GmbH geopfert. In Form von Gesellschaftern erhielten nun die Geldgeber stärkeren Einfluss auf die Entscheidungsprozesse. Aufgrund ihres größten Finanzierungsanteils waren dies insbesondere Hamburg und das Land Niedersachsen, der ursprüngliche Verein bildete nur noch einen Minderheiten-Gesellschafter. Diese Konstellation mag ein Grund sein, warum viele kritische Ansätze keinen Eingang in die ifu finden konnten. Staatliche Institutionen sind nicht gerade die Vorreiter von spannenden wissenschaftlichen Diskussionen und es ist zu vermuten, dass sie bei kontroversen Entscheidungen nicht unbedingt kritischen Stimmen folgten, sondern eher dem Loyalitätsprinzip gehorchten.
Auch in den jeweiligen Projektbereichen prägte eine hierarchische Struktur die Kommunikation. Die Macht bündelte sich bei den zwei Dekaninnen, der nationalen und der internationalen, in einigen Fällen sogar maßgeblich bei der nationalen Dekanin, während die internationale zur Vizedekanin degradiert wurde. Wie weit die Dekaninnen nun ihre Macht mit anderen teilten, lag in ihrem Ermessen. Eine zentrale Ursache für den unterschiedlichen Entwicklungsverlauf der Projektbereiche lag in den sehr unterschiedlichen Führungsstilen der »Abteilungsleiterinnen der GmbH«.

Während die meisten Unternehmen jedoch zumindest eine bestimmte formalisierte Mitbestimmungsstruktur für alle Beteiligten in Form eines Betriebsrates garantieren, hielt sich die Frauenuniversität in Sache Mitbestimmung »von unten« sehr bedeckt. Einfluss-möglichkeiten von Studentinnen und Tutorinnen auf Entscheidungsprozesse waren nicht vorgesehen.
Diese Konzeption, die Studentinnen auf passive Wissensrezipientinnen reduzierte, konfligierte mit dem Selbstverständnis der Studentinnen. Diese sahen sich, mit immerhin mindestens einem akademischen Abschluss in der Tasche, eher als Teilnehmerinnen an einer internationalen Konferenz. Es kam bald zu Un-mut und Protesten. Die Teilnehmerinnen begannen sich zu organisieren und brachten Veränderungsvorschläge ein. Wie mit diesen Forderungen umgegangen wurde, hing auch hier wieder vom »Führungsstil« der einzelnen Dekaninnen ab. Als extremes Beispiel steht hierfür der Projektbereich Arbeit. Partizipation »von unten« schien hier unwillkommen zu sein. Veränderungen, die zwischen der Curriculum-Gruppe und der studentischen Delegation vereinbart worden waren, wurden nachträglich von der Leitung für nichtig erklärt. Diese Kompromisslosigkeit blieb nicht ohne Wirkung auf den Selbstorganisationsprozess der Teilnehmerinnen. Tragende Figuren des Prozesses zogen sich zurück, reisten ab, widmeten sich ihrer eigenen Forschung oder nutzten die Gelegenheit, Europa kennenzulernen. Der Vorlesungssaal leerte sich zunehmend, obwohl mit Anwesenheitslisten versucht wurde, die Frauen bei der Stange zu halten. Doch offensichtlich waren sich die Organisatorinnen dem passiven Widerstand der Studentinnen bewusst, denn entgegen der Praxis der anderen Projekte, gab es beim Bereich Arbeit am Ende der drei Monate keine gemeinsame Evaluation.

Dieser Fall gibt Aufschluss über die gesamte ifu. Durch den Konflikt kamen die hierarchisch-bürokratischen Strukturen sehr deutlich zum Tragen. Sie lagen jedoch mehr oder weniger
implizit dem gesamten Konzept der ifu zugrunde. Die Studentinnen, die sich nach den ersten Protesten nicht mehr als Studentinnen sondern als »participants« bezeichneten, waren in der ifu nur als Konsumentinnen, nicht aber als gestaltende Akteurinnen mit eingeplant worden.


Die ifu als Eliteuniversität

Dass die ifu sich ihre Studentinnen selbst auslesen konnte, wurde von den Organisatorinnen als Garant für die Qualität gesehen, als stünde eine »künstliche Verknappung« in einem Zusammenhang mit guten akademischen Diskussionen. Wohl eher das Gegenteil ist der Fall, wenn wir die Universität als einen Ort gesellschaftskritischer Auseinandersetzung betrachten. Doch diese Idee scheint an der ifu dem Elitegedanken geopfert worden zu sein. Wissen als technokratische »skills« sollte der »Elite von morgen« von der Dienstleistungsinstitution Universität vermittelt werden. Mit ihrer Rede von der weiblichen Elitenbildung reihte sich die ifu unkritisch in die gegenwärtigen neoliberalen Versuche ein, die höhere Bildung zu differenzieren und frei nach US-amerikanischen Vorbild einige »konkurrenzfähige« Eliteunis herauszubilden. Die boomenden Privatuniversitäten in der BRD aber auch die Versuche, Universitäten in Konkurrenz zueinander zu bringen, deuten in die gleiche Richtung. (Universitäres) Wissen wird hier entpolitisiert und kommodifiziert, es wird zur Ware, die es an (zahlende) Kunden zu verkaufen gilt. Wer Zugang zu diesem Wissen hat, wird zur Elite in der Informationsgesellschaft von morgen gehören, so der Subtext. Schließlich war Hillary Clinton auch auf einer Frauenuniversität. Die künstliche Verknappung der Ware Wissen sichert dabei die Elite.

Gleichzeitig gibt die Selektion den Universitäten mehr Macht über die StudentInnen. Nicht alleine Qualifikation, sondern »the right spirit« gilt es zu haben, den frau bei der Bewerbung auch ausführlich darzulegen hat. Damit wird der Selektionsprozess, der bereits durch formale Auswahlkriterien greift, nochmals verschärft. Nun gilt es, den richtigen Habitus, die richtige Weltanschauung, die richtigen Worte zu haben. Gleichzeitig können die Kriterien von den Bewerberinnen selbst nicht eingeklagt werden, nur die Auswählenden wissen, was mit »the right spirit« eigentlich gemeint ist. Wer aufgenommen wird, gehört zur Community und sollte dankbar dafür sein und nicht aufmüpfig werden.

Ironischerweise ist die Frauenuniversität in ein Fahrwasser geraten, das das ursprüngliche feministische Anliegen, eine Gegenposition zur Uni als männliche Kaderschmiede zu schaffen und Wissen als ein öffentliches Gut für alle einzufordern, in Frage stellt. Von dieser Politik haben zumindest alle deutschen Professorinnen und Dozentinnen an der ifu profitiert. Die Idee der Bildung für Alle bildete auch den Grundstein für die zahlreichen Frauensommerunis, die einen wichtigen Beitrag zur feministischen Theoriebildung leisteten und an deren Tradition die ifu implizit anschloß.

Auch hier tauchen Widersprüche auf. Zum einen wurde von Leistungskriterien und Eliteuniversität gesprochen, an der nur die weibliche crème de la crème studieren sollte, während zum anderen ein strenges Quotensystem eingehalten wurde, um eine internationale Zusammensetzung zu erhalten. Diese internationale Zusammensetzung wäre gefährdet gewesen, wenn, wie ursprünglich geplant, nur 40 % der Studentinnen ein Stipendium erhalten hätten. Um die Quote einhalten zu können, akquirierten die Mitarbeiterinnen der ifu mit großem Aufwand weiteres Geld, so dass am Ende 70 % der Studentinnen Stipendien erhielten. Dies ermöglichte erst die zahlreiche Teilnahme von Frauen aus den Ländern des Südens, die rund die Hälfte aller Studentinnen an der ifu ausmachten. Insofern unterscheidet sich die ifu von einigen anderen Projekten, die sich bereits als international bezeichnen, wenn nur einige Teilnehmerinnen aus den Industrie-ländern zusammenkommen.

Auch in der Alterszusammensetzung ist die ifu vom dominanten Bild »jung und dynamisch« abgewichen. Die Altersspanne reichte von 22 bis 47 Jahren. Bei einigen Frauen lag der Abschluss schon einige Jahre zurück, dafür blickten sie auf eine langjährige Berufserfahrung. Dies versprach eine spannende Mischung von Theorie und Praxis zu werden, die leider in der Umsetzung weit hinter dem Anspruch zurück fiel. Da machte sich die Überheblichkeit des Elfenbeinturms über die Praxis doch bemerkbar.


Die Internationalität

Die internationale Zusammensetzung war das »Gütesiegel« der ifu, mit der sie sich in der Öffentlichkeit präsentierte. Gleichzeitig war es der Pluspunkt, den ihr alle KritikerInnen anrechneten. Wenn wir die ifu als einen Versuch sehen, die Welt zu denken, in einer Zeit, in der das globale Kapital verschiedene Länder zunehmend in den Weltmarkt zu integrieren versucht, so lohnt sich ein Blick auf die Zusammensetzung innerhalb der verschiedenen Weltregionen. Von den 900 Studentinnen kamen rund 140 aus Indien, während aus dem bevölkerungsstärkeren China nur ein paar wenige anreisten. Diese unausgewogene Zusammensetzung mag mehrere Gründe haben, von denen einer in den Vorgaben von einigen der Wirtschaft nahe stehenden Geldgebern besteht, welche Stipendien nur für bestimmte Schwerpunktländer zur Verfügung stellen. So blieb die Zusammensetzung der Teilnehmerinnen nicht unberührt von realen Interessen der deutschen Wirtschaft und beeinflusste die Wissensproduktion, das »Wording the World«. Indien wurde in den Diskussionen häufig zum Substitut für ganz Asien.

Unabhängig von dieser Schieflage war es aber diese internationale Zusammensetzung, die die Hoffnung aufkommen ließ, gemeinsam die Welt aus einer anderen Perspektive zu denken, in kritischer Abgrenzung zum globalen Kapital. Wo Macht ist, könnte ja auch Widerstand entstehen. Dieser Prozess hat an der ifu stattgefunden. Doch leider in weit geringerem Maße in den offiziellen Lehrveranstaltungen, als frau gehofft hatte. Der Vorwurf des Eurozentrismus durchzog die meisten Projektbereiche.


Der Eurozentrismus

Ein ausgeprägtes Beispiel für den Eurozentrismus der ifu bot der Projektbereich Arbeit. Hier war es laut Curriculum gar nicht vorgesehen, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im weltweiten Kontext zu thematisieren. Im Vordergrund stand der Ost-West Vergleich von Frauenarbeit. Damit hat der Bereich einerseits den großen politischen und ökonomischen Veränderungen in den Transformationsländern Rechnung getragen, die das gesamte globale Weltgefüge veränderten; vielleicht neben dem Verdrängen der Subsistenzwirtschaft einer der stärksten Effekte des (globalen) Kapitalismus. Andererseits versäumte es das Curriculum, diese Veränderungen in einen globaleren Zusammenhang zu stellen. Trotz der internationalen Zusammensetzung der Studentinnen waren die anderen Kontinente weder thematisch, noch personell von Dozentinnen vertreten. Die einzige Ausnahme bildete eine Dozentin aus dem Süden, die eingeladen war, um zu Telearbeit in Indien zu referieren. Dies mag wohl zur Zeit in der BRD ein viel besprochenes Thema sein und ist sicherlich eine interessante Entwicklung der internationalen Arbeitsteilung, doch rein quantitativ gesehen hat Telearbeit für Frauen aus dem Süden wenig Relevanz. Immerhin arbeitet hier die Mehrheit der Frauen in der Landwirtschaft, ein Bereich, der keinen Eingang ins Curriculum fand. Die Probleme, die Theorien und die Konzepte, die im Projektbereich gelehrt wurden, hatten einen spezifischen geo-politischen Kontext, der aber durch die Universalisierung des Geltungsanspruchs unsichtbar gemacht wurde. Die Übertragungsleistung in andere Kontexte sollte von den Teilnehmerinnen geleistet werden oder wie es die nationale Dekanin Regina Becker-Schmidt formulierte: Der Ost-West Vergleich sollte den Studentinnen »in exemplarischer Weise Wege (aufzeigen), mit welchem theoretischen Rüstzeug, mit welchen theoretischen Zugangsweisen und mit welchem Problembewusstsein "Frauenarbeit" in ihren Herkunftsländern zu untersuchen ist.«
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Hätte der Projektbereich nicht die Industrieländer zum Ausgangspunkt gemacht, sondern zentrale Themen der Länder des Südens, wäre der Geltungsanspruch des »theoretischen Rüstzeugs« ziemlich in seine Schranken verwiesen worden. Von der internationalen Abhängigkeit durch den Welthandel seinen Akteuren wie Weltbank, IMF und WTO zu sprechen, wurde die Frage nach den entscheidenden Akteuren in einem Land nochmals anders stellen. Eine Analyse der Subsistenzwirtschaft hätte ein anderes Licht auf die kapitalistische Produktionsweise und die Geldwirtschaft geworfen. Der informelle Sektor stellt die Konzeption der Beziehung zwischen Staat, Markt und Gesellschaft in Frage. Ja und vielleicht wäre deutlich geworden, dass diese analytischen Kategorien, die einem spezifischen sozio-historischen Kontext entstammen, die Situation in den Ländern des Südens oftmals mehr verdunkeln als aufhellen, da sie sie immer in Bezug auf das »Original« definieren.
Doch auch in seinem engen Bezugsrahmen, der sich auf die vier Länder Polen, Ungarn, Russland und Schweden bezog, blendete das Curriculum viele kritische Diskussionen aus. Schweden wurde den nega-tiven Entwicklungen in den anderen drei Ländern entgegengesetzt. In Kritik an der gegenwärtigen Hegemonie neoliberaler Politik wurde damit im Subtext auf ein fordistisch-modernistisches Fortschrittsmodell zurück gegriffen, ohne die mittlerweile umfangreiche feministisch-antirassistische und postkoloniale Kritik an den tragenden Kategorien der Moderne – Subjekt, Arbeit, Fortschritt – eines Blickes zu würdigen. Schweden wurde gewissermaßen zum fortschrittlichsten Land für Frauen, da hier die Gleichberechtigung am weitesten vorangeschritten sei. Die Rahmenbedingungen, die den schwedischen »Erfolg« ermöglichten, blieben dabei unbeleuchtet. Niemals wurde die Frage aufgeworfen, für welche Frauen die Gleichberechtigung gilt, falls frau die Integration in den Arbeitsmarkt überhaupt als einen Akt der Gleichberechtigung betrachten will. Weder wurde die lange Geschichte der Eugenik und des Rassismus, die zur Geschichte des schwedischen Sozialstaatsmodells ge-hört, gestreift, noch hielten Klassenverhältnisse Eingang in die Analyse. Inwieweit die internationale Ausbeutung es Schweden erst erlaubte, einen solchen Wohlstand zu akkumulieren war kein Thema. Ein Blick auf den Waffenexport Schwedens oder auf seine gegenwärtige Rolle in der globalen Informationsökonomie wäre hier sicherlich aufschlussreich gewesen. Mehr oder weniger subtil bildete ein Kulturimperialismus den Subtext der Ländervergleiche, der an vergangene Beispiele der ersten Frauenbewegung in Großbritannien erinnert. In den zwei letzten Jahrhunderten priesen die Frauenrechtlerinnen das imperiale England als die fortschrittlichste Nation der Welt, als hier die englischen Frauen der Bourgeoisie das Stimmrecht erhielten.

Wie Vathsala Aithal bereits im Vorfeld befürchtet hatte, erhielten die Frauen aus dem Süden einen Platz als Wissenskonsumentinnen, die höchstens Transferleistungen zu tätigen haben, aber nicht als eigenständige Wissensproduzentinnen.
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(Nicht nur) für Frauen des Südens blieb der Eindruck zurück, dass die Probleme und Theorieproduktionen ihrer Länder offensichtlich nicht wichtig genug sind, um Eingang in das Curriculum einer internationalen Universität zu erhalten. Gleichzeitig wurde die Chance verpasst, die ziemlich disparat verlaufenden Ost-West und Nord-Süd-Diskussionen miteinander in Austausch zu bringen. Beide Diskussionszusammenhänge haben in den letzten Jahren ihre Dynamiken entwickelt, ohne jedoch voneinander besondere Kenntnis zu nehmen. Der Versuch einen wirklichen Dialog zwischen »Ost«, »West« und »Süd« zu entwickeln, hätte dem Hegemonieanspruch der westlichen (feministischen) Wissenschaft klare Grenzen gesetzt.

Auch in einem weiteren Aspekt ist der Projektbereich einem traditionellen Wissenschaftsverständnis gefolgt. Die von dem ifu-Konzept postulierte Begegnung von Wissenschaft und Kunst erhielt im Bereich Arbeit wenig Raum. Das dem Bereich zugeordnete Kunstprojekt »busy doing nothing« weckte wohl die Neugierde vieler Teilnehmerinnen, doch der Versuch der beiden Künstlerinnen, Irritationsfelder zu schaffen und andere Perspektiven auf Arbeit, Konsum, Muße und Reichtum anzusprechen, erhielt keinen Eingang in die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Arbeit.

All diese Kritikbewegungen und grenzüberschreitenden Suchprozesse, die spannend aber auch schwierig und schmerzlich sein können, haben stattgefunden, jedoch in der Regel außerhalb der Lehrveranstaltungen. Da keine studentischen Beiträge in die geschichteschreibenden ifu-Publikationen eingehen werden, werden sie nicht als ein Teil des offiziellen Bildes vorkommen. Es fragt sich, ob das ifu Nachfolgeprojekt jemals von diesen Prozessen erfahren wird. Doch unabhängig davon werden die Diskussionen weitergehen. Es werden sich Netzwerke entwickeln, so dass Wissen zirkulieren kann, welches seinen Wert nicht durch Ausschluss erhält, sondern durch seine Offenheit für kritische Auseinandersetzungen.

Doro

Zu mehr Infos siehe auch virtuelle Internationale Frauenuniversität (vifu)

Anmerkungen:
< 1 > Regina Becker-Schmidt: Arbeit: Erste Schritte zu einem Curriculum. Ein Erfahrungsbericht. In: Aylâ Neusel (Hg.) Die eigene Hochschule, S. 107. Opladen 2000 (back)

< 2 > Vathsala Aithal, Parwaneh Bokah, Beate Gonitzki, Encarnación Gutiérrez Rodríguez: 100 Tage Feminismus. In: Texte zur Kunst. Köln, Juni 2000 (back)

 
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