politiken aus dem alltag gekratzt1

 

 

zwischen aufregendem leben und den wirren der zeit gibt es manchmal noch immer das in grau: alltag. so wäre es schön. so ist es nicht. statt dessen stimmt leider, dass die meisten tage so sind: wie alle. im alltäglichen manifestiert sich herrschaft als trott.2 hier schlägt sie tiefe wurzeln, wird sie täglich bis ständig neu reproduziert. gleichzeitig ist hier ein ort, an dem sie ganz ohne absicht ihre ungenauigkeit preisgibt, wo sie sich in missverständlichkeiten verstrickt und heimlichen widerspensigkeiten begegnet. möglicherweise genug grund, um die lupe in die hand zu nehmen und zwischen den steinplatten der großen politik das magere unkraut in den blick zu kriegen. das ist heilsam gegen das gefühl schrecklichen verlassenseins beim bügeln oder u-bahn fahren: wenn das jonglieren mit großen theorien, das namedropping und philosophische formelschieben seine engen grenzen preisgibt.

die entgrenzung des politischen hinein ins tägliche dickicht hat dabei keinen kompensatorischen effekt, soll nicht das kleinklein gegen die großen kämpfe ausspielen. und überhaupt: ist das reden darüber, dass sich im alltäglichen widersprüche brechen, dass es im-mer mal wieder meist unbemerkt funkt, erst mal kein erschaffen von alltagspolitik. sondern nur das reden darüber, was sich ohnehin ständig ereignet. so ist die angst unbegründet, das thematisieren von und das agieren im alltäglichen könne knappe revolutionäre energien absorbieren. denn da sind wir ohnehin: wuseln einzeln und in kleinen gruppen durch den tag und zwischen den tagen umher. passieren arbeits-, wohn- und sonstige plätze, flanieren durch soziale räume, durch stinkende städte. permanent sind wir im alltäglichen präsent. lassen können wir das nicht. wa-rum dann nicht was daraus machen?

 

 

das paradigma des schmetterlings

 

die chaostheorie erzählt gerne die geschichte vom schmetterling. der schmetterling schlägt irgendwo in china eher unbeabsichtigt mit den flügeln und durch viele seltsame umstände und eine reihe von dominosteinen entsteht so in europa ein orkan. das ist ein schönes utopisches märchen. zwar bin ich auch recht zuversichtlich, dass die vielen revolutionären demonstrationen, die ich besucht habe, schon dutzende von reissäcken zum umfallen gebracht haben. aber leider ist nie einer davon auf roland kochs kopf gefallen. schon deshalb mag es schlau sein, sich an zusätzlichen und feineren taktiken zu versuchen.

was die alltagsfliegen dabei vom schmetterling unterscheidet ist, dass es sich bei ihnen nicht nur um einen handelt, und dass den schmeißfliegen unbegrenzt viele flügelschläge, also immer neue würfe zu verfügung stehen. sie können landkarten anfertigen, geeignete ziele ausspähen und an techniken feilen. so lässt sich das chaos in jedem level neu erproben.

 

 

sprechen. versprechen. umsprechen

 

tagelang ziellos mit schmetterlingsflügeln zu rudern, ohne aussicht auf erfolg, macht müde. deswegen macht es sinn, sich einen günstigen ort zu suchen, den gewählten gegner auf seine schwachstellen hin abzuklappern, den alltagsfliegen eine richtung zu geben. ist überhaupt etwas anderes möglich als das, was ist. ist etwas anderes in sicht als aussichtslosigkeit?

einst war die möglichkeit eines anderen lebens durch die existenz einer revolutionären massenpartei garantiert. nachdem sich jene historisch blamiert hatte, begann die suche nach neuen, zumeist kleineren utopischen wegweisern. der gesellschaftskörper wurde nach widersprüchen durchkämmt, an denen sich widerständige funken schlagen lassen könnten. je größer die ohnmacht, um so notwendiger diese suche. denn wo sich die gesellschaft zu einer lückenlos funktionierenden (totalität) zusammenzieht, kann mensch noch das nachdenken über sympathischere zustände vergessen.

um den traum, dass es auch anders sein könnte, konkret werden zu lassen, bedarf es nicht des verklärten blicks in den sternigen himmel. im acker der sprache, der diskurse wird sich eher etwas finden lassen (wenig ist weniger konsistent als die herrschenden ideologien). meist reicht es, auf den wörtern nur lange genug herumzukauen, und sie beginnen das gegenteil von dem zu behaupten, was sie eigentlich zu sagen beabsichtigten. dann wird das passive zum dominanten. das oben zum unten.

»oben« bezeichnet im hegemonialen sprachgebrauch den ort der macht. die da oben, die großen, das sind die herrschenden, die »über«legenen, die die »ober«hand gewonnen haben. groß zu sein bedeutet in der hierarchie weiter »oben« zu stehen. passend gilt »unten« als »unterlegen«, als »unter«worfen. »klein« steht für schwäche, für ohmacht, hilflosigkeit, sogar unreife. dementsprechend klar scheint sich das verhältnis dieser beiden positionen, von oben und unten, zueinander zu gestalten. die großen schauen herab, während die kleinen aufschauen. die hierarchie ist diesen begriffen ebenso eingeschrieben wie die moralität schwarz und weiß. dabei geht ihre bedeutung über bloße räumliche metaphorik weit hinaus. es handelt sich um kategorien, die unsere wahrnehmung auf heimliche, aber sehr grundlegende weise strukturieren. ihre besondere brisanz erhalten sie durch ihre verschränkung mit dem geschlechterdiskurs. sowohl kurze männer als auch lange frauen beschreiben häufig ihr scheitern an den geschlechternormen und die häufige neigung jenen »makel« durch überkonformes verhalten auszugleichen. ähnliche schwierigkeiten in umgekehrter richtung bereiten die körperlängen den transsexuellen und transvestiten, den transgendancern. wo männlichkeit mit stärke also größe, weiblichkeit mit weichheit, schwäche also kleinsein verkoppelt ist, liest sich die körperlänge häufig als quasi natürliches hindernis der praktischen dekonstruktion von geschlecht. bei genauem hinsehen aber entlarvt sich diese scheinbare eindeutigkeit und plausibilität als notwendig widersprüchlich, mehrdeutig. stehen nämlich ein kurzer und ein langer mensch voreinander, so begegnet der kürzere seinem gegenüber mit »erhobenem« haupt und »aufrechtem« blick. fast scheint es, als würde er arrogant die nase in die »höhe« strecken. die längere person hingegen ist gezwungen, den blick (demütig) zu »senken«, mehr noch: sich zu »verbeugen«, einen buckel zu machen. von größe ist bei den langen wenig zu sehen. meist laufen sie mit gekrümmten rücken, mit reuig gesenkten köpfen durch die gegend. einige müssen sich bei jeder tür, die sie passieren »bücken«.

nun ließe sich meinen, die hierarchisierung der körperlängen habe ihre natürliche materielle basis in der »tatsache«, dass ein längerer körper in der regel auch mit einem höheren gewicht und größerer muskelkraft einhergeht. indessen würde ein so verstandener materialismus eben jener naturalisierungsstrategie auf den leim gehen, die unserer sprache eingesprochen ist. dabei braucht mensch sich lediglich einige boxkämpfe im fernsehen anzuschauen um festzustellen, dass die langen zwar längere arme haben, allerdings auch mehr haudrauffläche bieten. überdies: reicht ein blick auf die statur gerhard schröders um bildlich vor augen geführt zu bekommen, was von der entwicklung der produktivkräfte schon lange beschlossene sache ist: dass sich körperstärke als kriterium für mächtigkeit spätestens seit erfindung der fernfeuerwaffe historisch überholt hat.

tatsächlich gewinnt der subtext von groß und klein, der das oben als unten erscheinen lässt, bei näherem hinschauen einiges an plausibilität. so sind den kurzen die wenigsten regale zu hoch, den langen aber die meisten tische, spülen und stühle zu niedrig. kaum können sie ihre stelzigen beine zwischen die sitzreihen der busse quetschen und teuer kommt ihnen die ernäh-rung ihres gefräßigem organismus zu stehen. ab einer gewissen länge dünnen sich die angebote an schuhen und hosen aus, werden die füße nachts kalt, weil die betten zu klein sind, und zwingen die häufigen beulen an der stirn dazu, sich vor jedem türrahmen furchtsam zu verneigen. das mag der grund sein, warum das ipc, der veranstalter der paralympics (spiele behinderter leistungssportler) bei seiner neukonstitution im jahre 1988 lange darüber debattierte, ob basketball im rahmen der pa-ralympischen und nicht der olympischen weltspiele ausgetragen werden soll.

 

 

gerücht

 

der letzte satz ist nicht wahr. aber er könnte wahr sein. zur wahrheit (zur kulturellen intelligibelität) fehlt es ihm lediglich an macht, nicht an plausibilität. welche wirkung hätte die verbreitung und anerkennung je-ner »wahrheit« auf unsere handlungskonstituierenden vorstellungen von oben und unten, groß und klein? welchen effekt hätte die ent-täuschung, dass es sich bei jener »wahrheit« um ein (gezielt gestreutes) gerücht handelt, bezogen auf die soziale konstruktion »behinderung«? beide diskurse, sowohl die hierarchisierung der körperlänge als auch die definition von norma-lität und behinderung, könnten kratzer, bestenfalls schrammen erhalten. wenn die bedeutung von körperlänge / kürze, von unten / oben, von groß / klein, von behindert / normal praktisch bewiesen auch anders, gar andersrum sein könnte (z. b. durch die anerkennung eines solchen gerüchts), dann erweisen sich unsere gegenwärtigen vorstellungen, diskurse, existenzweisen als künstlich, als von menschen gemacht. sie geben damit auch ihre brüchigkeit, ihre veränderbarkeit preis. das ziel kann dabei natürlich nicht sein einen diskurs lediglich in sein gegenteil zu verkehren, die kurzen zu den großen zu machen. vielmehr geht es darum, die schale der natürlichkeit zu knacken, die sich um das bestehende schließt. es geht darum, die vollgesprochenen identitäten in schwingung zu versetzen, die uns an das binden, was wir nuneinmal sind, also sein sollen. oft reicht es schon die diskurse ernst, beim wort zu nehmen um sie gegen ihre intention zu kehren. schön ist es zum beispiel, wenn indianer keinen schmerz kennen, denn: ich bin kein indianer. noch schöner ist es, wenn nur mädchen weinen, nur jungs sich prügeln: einfacher lässt sich ein geschlechtswechsel nicht haben.

natürlich lässt sich nicht beliebig alles zu jeder zeit behaupten, aber dort, wo in der hegemonialen spra-che lücken klaffen (wo die sprache ambivalent ist),

wo eine wahrheit ihr eigenes gegenteil gleich mitbehauptet, können hebel angesetzt werden. machen wir die mauselöcher in den mauern der diskurse zu schießscharten. ergänzen wir den frontalen angriff durch trojanische pferde.

 

 

virus

 

ich fahre gerne zug. ich habe die zeitung beiseite gelegt, aber die bunten und auch grauen wände entlang der gleise lassen sich vortrefflich lesen. der zug legt eine linie. er hat eine richtung, aber keinen ort. der zug ist nicht beliebig: er fährt einen weg, hat aber keinen standpunkt. von hier aus, denke ich, ließe sich prima und bequem politik machen. eine gelegenheit ergibt sich.

neben mir sitzt eine tunte. uns gegenüber ein mensch, wie er im deutschen telefonbuch steht. der mensch schaut offen sichtlich irritiert und explizit unbegeistert, als die tunte beginnt, sich die nägel zu feilen. er hat seine füße tief unter den eigenen sitz gezogen, um jeden körperkontakt zu vermeiden. jetzt konfrontativ loszumaulen und stille diskriminierung anzuprangern, würde nur defensivpositionen (reaktionen) produzieren. das telefonbuch würde alles abstreiten und probably toleranzbekenntnisse abspulen. andererseits käme ein gutgemeinter aufklärungsmonolog vermutlich ein wenig unvermittelt. ich würde nur unaufmerksame aufmerksamkeit erhalten und wäre schnell als studendekopp abgestempelt. ich packe eine tüte gummibärchen aus.

 

¬_        »möchten sie welche?« frage ich mein gegenüber

¬_        »nein, danke«

¬_        »aber wissen sie, was ich nicht verstehe?«, fahre ich unbekümmert fort »das problem mit den gummibärchen!«

¬_        »aha«

¬_        »jedesmal wenn ich mir welche kaufe (klaue) steht da ›jetzt noch fruchtiger‹ drauf. aber ich weiß eigentlich nie, was das für früchte sein sollen, die die bärchen imitieren«

¬_        »ich mag besonders gern die gelben. das ist glaub ich ananas oder banane oder so«

¬_        (»ich mag besonders die roten, weil die so schön rot sind«, sagt die tunte)

¬_        »ja eben. aber ist das nicht so schrecklich langweilig, ständig auf natürlich und fruchtig und echt zu machen. statt einfach mal zuzugeben, dass das, was die menschen herstellen und überhaupt, was die so den ganzen tag lang machen schrecklich wenig mit natur zu tun hat. wäre doch viel spannender: irgendwelche abgefahrenen geschmacksounds zu produzieren«

¬_        »ja«, sagt das telefonbuch und lacht, »da haben sie wahrscheinlich recht. hauptsache es schmeckt«

¬_        »sehen sie. und so ist das auch mit den geschlechtern. die würden auch viel besser schmecken, wenn wir aufhören würden ständig so ne olle und eigebildete natürliche natur nachzuäffen«, könnte ich jetzt noch sagen. (sage es aber nicht.)

 

 

autoritäre list und die praxis der lüge

 

die vorstädte sind voll von bauklötzen, an denen müde kleine balkone in reih und glied hängen. zu zeiten als es noch kein kabelprogramm gab, ging dort in allen fenstern das selbe blaue licht gleichzeitig an und wieder aus3. zwischen den wohnblöcken, in die die erwachsenen gesperrt sind, finden sich häufig ordentliche grüngehege, in die mensch die kinder sperrt. als es noch kein kabelprogramm gab, haben wir dort häufig wettrennen veranstaltet, bei denen die gewann, die am schnellsten laufen konnte und als erste das vereinbarte ziel erreichte. weil es keine objektive dritte gab – denn die schiedsrichterinnen rannten selbst immer mit – kam es meistens zu streits, welche denn die schnellste gewesen sei. wobei jede sich natürlich selbst dafür hielt. als einmal auch nach mehrmaligen wettrennwiederholungen die diskussionen kein ergebnis brachten, entschied ich die auseinandersetzung mit einer autoritären list für mich: »ich bin am schnellsten, weil das ist wissenschaftlich bewiesen« log ich den anderen in die verschwitzten gesichter. danach war ruhe. alle glaubten mir. produktive unruhe regte sich leider keine mehr.

eine solche strategie ist nicht selten, doch meist bei den gegnern zu finden. mensch denke nur an die zahnpastareklame, bei der eine sonore stimme aus weissem kittel, flotte schaubilder und expertisisches kauderwelsch die wichtigkeit der warenneuheiten wissenschaftlich beweisen. in den eigenen reihen hingegen ist ein solcher erfolg die ausnahme. denn die autoritäten, von denen marx eine ist, der staat oder die wissenschaft aber hunderte, sind meist – und keineswegs zufällig – auf der seite der gegner. zumindest, wenn sie sich äußern. das tun sie allerdings selten. denn die meisten von ihnen sind entweder tot oder verstauben in den gesetzbüchern, die kaum jemand kennt oder die jedenfalls in konkreten auseinandersetzungen unglücklicherweise fast nie zur hand sind. ein umstand, den sich zu nutze zu machen nicht gescheut werden sollte. die liste dessen, was wissenschaftlich bewiesen ist, lässt sich umstandslos ausweiten auf das, was verboten ist und vor allem auf die liste der pflichten, auf das, was zu tun mensch leider gottes gezwungen ist. »natürlich« ist es verboten, die bildzeitung aufgeschlagen im zug liegen zu lassen, mehr als einsfuffzig für eine cola zu nehmen usw. im übrigen ist es wissenschaftlich bewiesen, besser noch: die haben jetzt rausgefunden, dass maria – die mutter jesi – transvestit war, dass identitäre selbstverhältnisse die krebswahrscheinlichkeit erhöhen und deswegen personalausweise zukünftig warnende hinweise enthalten müssen. und selbstverständlich leihe ich mir das fahrrad nicht zum spaß, sondern im namen des gesetzes. ich würde die musik ja auch lieber leiser drehen, aber das darf ich nicht, das ist nunmal mein job, schließlich bin ich von meiner arbeitgeberin beauftragt, die ganze zeit hinter den sicherheitskräften herzulaufen, da kann man nichts machen, so ist das nunmal, da müsse nun verständnis aufgebracht werden, so sei das eben und ansonsten richten sie sich bitte an meine chefin oder schlagen sie in der fdgo paragraf hundertneunundzwanziga nach.

vielleicht sollte, wer schwach ist, nicht davor zu-rückschrecken sich mit der kraft des gegners gegen den gegner zu verbünden (ein alter judotrick). im land der henker jedenfalls, wo die autoritäten recht haben, weil es die autoritäten sind (und nicht – wie manche demokratische noch immer meinen – weil sie die besseren argumente hätten), wo mensch nichts machen kann, weil es eben so ist wie es ist (leider versteht sich), da lässt sich den autoritäten beinahe beliebig alles in den mund legen, da lässt sich die richtung ihrer macht auch zuweilen in ihrem namen umkehren. das schöne an dieser technik ist, dass sie nicht gefahr läuft, lechts und rinks zu velwechsern. es handelt sich um eine zauberwaffe, die in den händen des feindes wirkungslos wird. denn wer nicht an autoritäten glaubt und sie nicht leiden kann, ist sozusagen autoimmun

 

 

gibt es ein richtiges trinkgeld im falschen?

 

stimme: »gutentagmeinnameistflötundhachwasbinichfröhlichinmeinemflexibilisiertenarbeitsverhältnisauffünfhundertzwanzigmarkbasiskündigungsschutzexklusivemitblickaufsautomeerdeswegen:lächelndblinkerndwaskannichfürsietun?«

  widerstand?: »tschuldigung, eigentlich wollte ich brötchen kaufen und nicht ihr gesicht!«

     so verständlich und berechtigt solch politisches ansauen sein mag, so hilflos ist es doch auch, weil es immer nur den armen verkäufer sprich dienstleister sprich die charaktermaske trifft, nicht aber die postfordistische produktionsweise, von deren fließbändern das lächeln so tausendfach läuft. solch politisches ansauen wäre erfolgreich nur dann, wenn es massenhaft geschähe, wenn es sich also

in veränderter nachfrage niederschlüge. dann wäre schnell klar, dass sich mit schlechtgelaunten und hässlichen kellnern mehr geld verdienen lässt, und die bedienungen würden fortan manageriell angewiesen, mit hängenden mundwinkeln zu bedienen. damit wäre – das leuchtet ein – wenig gewonnen.

dennoch sitzen wir hier, in diesem schicken café und kommen nicht umhin verschämt aber trotzdem den arm zu heben und die bedienung zu uns zu winken. inmitten des kapitalismus trinken wir cocktails mit strohhalmen und wissen um den spärlichen lohn für diese müh- und wuselige kneipenarbeit, wissen, dass das trinkgeld bereits einkalkuliert ist, und wir somit so eine art outgesourcter arbeitgeber sind. irgendwie müssen wir uns verhalten. wie?

in der regel trifft sich die entscheidung ganz ohne unser zutun, denn wir neigen dazu, denen besonders viel trinkgeld zuzustecken, die besonders höflich sind, die uns freundlich und zügig bedienen, die irgendwie menschlich wirken und korrekt arbeiten. dümmer könnten wir die uns zugesehene rolle in den postfordistischen ökonomien der freundlichkeit, der aufmerksamkeit, der authentizität und menschlichkeit nicht spielen. brav und mit einem hohen maß an freiwilligkeit arbeiten wir an einer subjektivierung mit, an der uns wenig gelegen sein sollte. eine subjektivierung, die die launen, mimiken und emotionen der arbeitskräfte in beschlag nimmt, um sie wertförmig, also nach ihrer verwertbarkeit zu strukturieren.

das war der ddr nicht gelungen. in jener verwalteten welt, in der die kundin nicht königin war und die bedienungen mürrisch, konnte den menschen nicht dieses zentrale menschenrecht genommen werden: es sich scheiße gehen zu lassen, wenn es ihnen scheiße ging (und daran sollte es keinen zweifel geben: es ging und geht ihnen scheiße.) um genau dieses recht aber wäre heute der kampf zu führen. ein kampf, der zur zentralen alltagspolitischen auseinandersetzung des postfordismus werden könnte. worum es geht, ist die gesichter der menschen, die eigenen gesichter, von jener versicherungsvertreterkrankheit zu befreien, die sie in den letzten jahren so einhellig und nicht nur am arbeitsplatz befallen zu haben scheint. die parôle: lasst euch eure schlechte laune nicht versauen!

 

 

abgesang

 

die offensive auf das alltägliche resultierte aus ein-

gebildeten oder realen niederlagen vor allem in der sphäre der produktion. aber sie erweiterte die kritik um einen weiten bereich, befreite sie aus engführungen und reduktionen und erschloss in den 70ern ein breites alternatives millieu. anders zu leben und zwar schon heute, bedeutete ein praktischwerden der kritik auf der höhe der bewegung, die die verfasstheit der gesamtgesellschaft nicht zu stürzen vermochte, sich deshalb aber noch lange nicht mit dem ewiggleichbleibenden trott zufrieden geben wollte. die linke subkultur war werbung für ein anderes leben und kann dies heute (wo antirassistinnen die »mit den wursthaaren« sind und che guevarra für den schlagzeuger von rage against the machine gehalten wird) nur noch schwerlich sein. die erkämpften strukturen bleiben rückzugsräume, orte der kommunikation und weiterhin anlaufpunkte für die wenigen nachzüglerinnen, die noch kommen. aber ihr erhalt ist defensiv. ein rückzugsgefecht, das gegen die wachsende ohnmacht eine linke identität, ein schwächelndes wir absichern soll. die verteidigung der geronnenen ergebnisse vergangener kämpfe, der institutionen, hat ihre motivation in dem wunsch, sich wenigstens noch hier mit leuten zu treffen, die ähnlich denken, unter dem selben leiden, wenigstens hier einen raum zu haben, wo ich nicht diskriminiert werde, wo meine meinung, mein lebensstil nicht marginalisiert ist, das bier keine acht mark kostet. die schwindenden bedingungen für die erfüllung dieses richtigen bedürfnisses schaffen aber auch ständig neue grenzen, die wir immer enger um unsere gehäuse ziehen. je kleiner unsere handlungsmacht, je spärlicher unsere offensiven auf die große gesellschaft, umso eher konzentrieren wir uns auf die auseinandersetzungen mit ähnlich denkenden, die uns wenigstens zuhören (wer liest die konkret? die, die jungle world lesen. wer liest die jungle world? die, die ak lesen.). um-so größer erscheinen uns aber auch die differenzen in den eigenen linien, umso kleiner wird der kreis derer, von denen wir uns wirklich verstanden fühlen. aus dieser höhle müssen wir wieder hervorkriechen. die tunnel, die gänge, die zu graben sind, verlaufen unter der mitte und durch die mitte hindurch.

wenn sie subversiv sein will, muss die alltägliche politik sich heute in der politik der normalen alltäglichkeit verorten. schwimmen müssen wir im brüchigen marschrhytmus des post-fordistischen schlagers. wir müssen uns einnisten in den banalen linien der übelriechenden normalität. es ist schön, am sandstrand des autonomen zentrums zu sitzen. besser ist es mit einem säckchen sand im gepäck durchs getriebe zu wandern (freilich findet sich der meiste sand am strand). den besitzstand des sozialstaats, der szene, der institutionalisierten klassenkämpfe zu wahren, mag notwendig sein. aber das bewahren – und sei es auch kollektiv – macht konservativ und spaß macht es nicht. besser ist es aus vollem herzen zu verschenken: lügen, gerüchte, viren. alltagsfliegen, schmeißfliegen, schmetterlinge. geschenke der alltäglichen sabotage.

 

jamina

 

 

_ # ..    diebereien :

_ 1 ..    der titel ist geklaut von: christel adamczak / monika pfirrmann, geschichten aus dem alltag gekratzt, ein lesebuch für erwachsene, stuttgart 1990

_ 2 ..    herrschaft als trott hat sich christian sälzer ausgedacht: theorien des alltäglichen, zur bedeutung des alltäglichen im kapitalistischen reproduktionsprozess (magistraarbeit), frankfurt 2000

_ 3 ..    das hat mir sebastian sierra barra auf dem letzten nachttanzumzug erzählt. die erkenntnis, dass sich hinter den synchronen blauen lichtern keine geheimnisvolle verschwörung versteckt, sondern der banale alienismus (spehr) des zdf-abendprogramms, bedeutete nicht weniger als den abschied von einer kindheit. natürlich kam danach gleich eine andere.