Widerstand gegen
Oder ein weiterer Krieg der Feinde unserer Feinde?
Überlegungen zu einer Neudefinition der
Die
USA und die NATO haben ihren »Kreuzzug« in Afghanistan begonnen.1 Die
Friedensbewegung geht mit der Parole »Stoppt den Krieg« auf die Straße und
viele radikale Linke wissen nicht wohin mit ihren Widersprüchen. Das Problem
ist wahrlich nicht neu: Die USA und die NATO suchen sich seit fast 10 Jahren
Kriegsgegner, die auch uns – mehr oder weniger – nicht passen. Sie sind nicht
sozialistisch oder revolutionär, sie sind weder antiimperialistisch noch
antipatiarchal. Für manche sind sie – ausgesprochen oder nicht – noch schlimmer
als die BRD. Kämpfen die USA, die NATO ungewollt und unbeabsichtigt für
»unsere« Sache? 1991 erklärten die USA dem Irak den Krieg und wir wussten
nicht, mit wem wir uns identifizieren sollten. Weder der irakische Präsident
Saddam Hussein, noch der irakische Staat boten etwas an, womit man sich
solidarisieren konnte. Als schließlich die irakische Führung Israel militärisch
bedrohte und die bellizistische Linke hier zur Verteidigung Israels aufrief,
war der Kriegsopposition gänzlich der politische und moralische Boden entzogen.
Die anfangs noch breite Opposition brach in sich zusammen.
Als
1999 die USA in Zusammenarbeit mit mehreren Nato-Staaten Jugoslawien den Krieg
erklärten, war die radikale Linke mit dem Kriegsgegner abermals unzufrieden.
Jugoslawien war (noch) kein kapitalistisches Land, hatte aber mit Sozialismus
auch wenig zu tun. Wieder stritt man sich: Betreibt Jugoslawien eine
nationalistische Politik oder nicht? Führt Jugoslawien einen »normalen« Krieg
gegen die UCK? Oder betreibt es eine »ethnische Kriegsführung«, wie die
Kriegskoalition behauptete und wie es einige Linke durchaus für möglich bzw.
nicht ausgeschlossen hielten? Als schließlich die Verhinderung eines möglichen
»Völkermordes« im Kosovo als Kriegsgrund genannt wur-de, brach auch hier der
Widerstand gegen die NATO-Kriegspolitik zusammen.
Seit
dem 7. Oktober bombardiert die NATO unter Führung der USA Ziele in Afghanistan
und die radikale Linke irrt weiter ziellos umher. Was tun? Es dauerte nicht
lange und abermals stand fest: Auch mit diesem Kriegsgegner wollen wir nichts
zu tun haben. Nichts verbindet uns mit den Taliban in Afghanistan, nichts mit
dem dort vermuteten »Bin Laden«: Wieder kein Che Guevara. Treffen also die
Bomben der NATO einen »gemeinsamen Feind«?
Das
Dilemma
Ich
will nicht behaupten, dass dies für mich kein Problem ist. Auch ich habe Bilder
von einem Che Guevara, von einem Subcommandante Marcos im Kopf, die trotz aller
Zweifel nicht verlöschen. Auch ich würde mich gerne Kämpfen anschließen, in
denen meine Träume aufgehen, anstatt mich an Kämpfen zu beteiligen, wo man
besser seine politischen Visionen für sich behält. Sich davon zu lösen, macht
nicht glücklich. Es ist ernüchternd. Und schafft Platz für die Frage, die mir
seit dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien nicht aus dem Kopf will: Warum brauchen
wir ein »Opfer«, mit dem wir uns solidarisieren können? Warum fühlen wir uns
nicht selbst angegriffen? Damit meine ich nicht die Bomben, sondern alles, was
jedem Krieg vorausgeht, was jedem Krieg folgt?
In
den 60er, 70er und 80er Jahren gab es viele Ches. Es gab viele
Guerilla-Bewegungen, die nicht nur gegen den Imperialismus kämpften, sondern
auch Vorstellungen von einer anderen, sozialistischen Gesellschaft hatten. Die
Enttäuschung in der antiimperialistischen Solidaritätsarbeit war – oft – groß,
als diese Befreiungsbewegungen siegten und das nicht einlösten, womit wir hier
in der BRD nicht einmal begonnen hatten. Nicht alles, was in diesem Kampf auf
der Strecke blieb, war dem Imperialismus geschuldet. Einiges wurde eigenhändig
zu Grabe getragen. Nicht alles war vorhersehbar. Und doch gab es viel, was wir
nicht sehen wollten, was der bedingungslosen Solidarität mit den »unterdrückten
Völkern« geschadet, was die Identifikation mit den »nationalen Befreiungskämpfen
im Trikont« gestört hätte. Die Gefahr, diese Fehler zu wiederholen, ist nicht
groß – wenn man sich die Kriegsgegner der USA und NATO im Irak, in Jugoslawien
und jetzt in Afghanistan vor Augen hält. Doch der Verlust ist größer.
Mit
der Unmöglichkeit‚ uns mit den »Opfern imperialistischer Aggression« zu
identifizieren, mit dem Verschwinden eines emanzipatorischen, bewaffneten
Widerstandes, mit dem wir uns solidarisieren können, ist auch der
Antiimperialismus verschwunden.
Wir
werden uns mit der schmerzlichen Gewissheit konfrontieren müssen, dass ein
Antiimperialismus, der sich nicht über die »Opfer« bestimmt, ein eigenes
Verhältnis fordert. Dazu ist nicht nur eine eigene Analyse notwendig, sondern
vor allem ein eigener Ausgangspunkt, der sich kenntlich macht, in seinen
Widersprüchen, in seinen Schwächen, in seinen Utopien, in seinem Handeln. Wir
werden uns auf den Weg machen müssen, einen Antiimperialismus zu begründen, der
auf unseren eigenen Kämpfen fußt – egal, wen die USA und NATO zum Feind
erklären. Dann würden wir auch – ganz nebenbei – möglicherweise auf Erklärungen
stoßen, warum es auf der Welt so wenig Alternativen zu Imperialismus und
Kapitalismus gibt. Wie sehr unser (möglicher) Widerstand gegen die
US-
und NATO-Politik dem (Kriegs-)Feind verhaftet bleibt, wenn auch negativ, möchte
ich mit einem Beispiel verdeutlichen. Was wäre, wenn die USA und die NATO ihren
»Kreuzzug gegen den Terror« nicht in Afghanistan, sondern in Chiapas, gegen die
»Terroris-ten« der EZLN (zapatistische Befreiungsbewegung) begonnen hätten?
Sicherlich wird mir niemand widersprechen, wenn ich behaupte, dass ein solcher
NATO-Krieg einen weitaus größeren Protest auslösen würde, als der Krieg gegen
Afghanistan. Viele Linke wüssten in diesem Fall, wofür sie auf die Straße gehen,
wo-
gegen
sie Widerstand leisten würden. Genau das ist das Dilemma. Die radikale Linke
weiß erst, wofür sie kämpft, wenn andere ihr eine Vorstellung davon geben. Uns
selbst fehlt jede eigene Vorstellung, die über die NATO-Kriegspolitik
hinausweist.
Wir
können uns noch weitere 10 Jahre neutralisieren, indem wir darauf warten, dass
andere uns Vorstellungen leihen, die über die Taliban in Afghanistan, den
»Dhihad« islamischer Gotteskrieger, die Hamas in Palästina und die »Bin Ladens«
irgendwo auf der Welt, hinausweisen. Solange die Linke sich hier und anderswo
damit begnügt, wird sie ihren Anteil daran haben, dass der Dhihad der
Gotteskrieger als einzige Alternative zum globalen Kapitalismus erscheint.
Zwei
Seiten einer Medaille
Sicherlich
macht es für uns einen großen Unterschied, ob die NATO Krieg gegen die
ZapatistInnen in Chiapas oder Krieg gegen die Taliban in Afghanistan führt.
Wenn wir auch begreifen lernen, dass die NATO in Chiapas dieselben
ökonomischen, geo-politischen, hegemonialen Ziele verfolgen würde wie in
Afghanistan, wäre der Widerstand gegen die IWF-Politik, wären die Proteste ge-
gen
den G 8 Gipfel in Genua nicht umsonst. Solange die Bewegungen gegen die
»Globalisierung« diesen ge-gen Afghanistan begonnenen (Welt-)Krieg nicht als
einen Bestandteil eines hegemonialen Prozesse begreifen, so lange eine
Anti-Kriegs-Bewegung »Genua« nicht als die Rückseite dieses »Kreuzzuges«
versteht, greift der Protest dagegen mit der Parole »Stoppt den Krieg« ins
Leere.
Nicht
ganz zufällig ist in der Linken von neoliberaler Globalisierung die Rede, wenn
eigentlich Imperialismus gemeint ist. Das kommt nicht von ungefähr. Der
schlechte Mundgeruch, der sich mit der Verwendung des Wortes
(Anti-)Imperialismus verbreitet, stammt aus den 1970er und 1980er Jahre, als
vor allem die RAF diesen Begriff für sich beanspruchte und mit ihren Deutungen
belegte. Imperialismus stand in einem verkürzten Sinne für eine Politik, die
nur noch eine militärische Lösung sucht, die unwillkürlich und bestimmend
darauf zuläuft, alle politischen Dimensionen auszulöschen. Imperialismus wurde
mit sozialen Kräften identifiziert, die ihr eigenes reformistisches Projekt
zugunsten ei-ner militärischen Konfrontation begraben haben, die ihrerseits nur
noch eine »revolutionäre Gegenreaktion« zuläßt: Den »bewaffneten Kampf«. Die
Kritik an einem solchen verkürzten Antiimperialismus wurde zwar formuliert.
Doch der Versuch, eine eigene Vorstellung von antiimperialistischer Politik zu
entwickeln, blieb zaghaft und ohne allzu große praktische Konsequenzen.
Die
ProtagonistInnen dieses Antiimperialismus sind inzwischen fast völlig aus der
politischen Debatte und als politische Strömung innerhalb der radikalen Linken
verschwunden. Doch dies ist nicht der einzige Grund, warum ich auf den Begriff
des (Anti-)Imperialismus zurückkommen will. Wer die Kriegsvorbereitungen nach
dem 11. 9. 01 verfolgte, konnte feststellen, dass die Abwesenheit von Krieg,
nicht »Frieden« bedeutet, sondern die Zusammenballung von ungeheuren
Machtressourcen, die Verknüpfung unterschied-
licher
Strategien der Herrschaft, die gewaltige Mobilisierung politischer Apparate,
die weltweite Mediation eines »Feindes« – als Teil des imperialistischen
Krieges. Wer nach dem 11. 9. 01 die US-(Kriegs-)Politik auf blinde Vergeltung,
den US-Präsidenten auf einen
Cowboy
aus Texas reduzieren wollte, wurde enttäuscht. Wer immer noch Imperialismus auf
den Einsatz militärischer Mittel verkürzt, kann vom US-Präsidenten Bush noch
viel lernen. Mit geradezu brutaler Offenheit buchstabiert er Tag für Tag, was
unter Imperialismus zu verstehen ist: »Wir werden jedes Mittel in unserer Macht
einsetzen – jedes Mittel der Diplomatie, jede Möglichkeit der Geheimdienste,
jedes Instrument der Strafverfolgung, jeden finanziellen Einfluß und jede
notwendige Waffe des Krieges (...) Amerikaner sollten nicht eine einzige
Schlacht erwarten, sondern einen langen Feldzug, wie wir ihn bisher noch nicht
erlebt haben (...) Jede Nation, in jeder Region, muß sich nun entscheiden:
Entweder sind sie mit uns oder mit den Terroristen. Von diesem Tag an werden
die Vereinigten Staaten jede Nation, die weiterhin Terroristen beherbergt oder
unterstützt, als feindliches Regime betrachten.« (US-Präsident Bush, zit. nach
FR v. 22. 9. 01)
Was
im »Frieden« den ungeheuren Reichtum der westlichen Welt mehrt und sichert,
wird Bestandteil der kommenden Kriege werden: Die hoffnungslose Verschuldung
der meisten Länder dieser Erde als Kollaps-Androhung, die (Ab)-
Wählbarkeit
vieler Regierungen durch Bewilligung oder Verweigerung von IWF-Krediten, die
Erpressbarkeit der meisten Länder durch Androhung eines Wirtschaftsboykottes,
die Kriegsdrohung gegenüber Ländern, die die Forderungen der USA (der NA-TO)
nicht erfüllen, Destabilisierungsmaßnahmen und verdeckte Kriege gegen Staaten,
die sich dem Diktat der global players nicht bedingungslos unterwerfen. Ich
glaube, der Platz und die Phantasie reichen nicht aus, um die Summe dieser
ökonomischen, politischen, militärischen und medialen Waffengattungen
aufzulisten und zueinander in Beziehung zu setzen.
Fast
vier Wochen lang – bevor der Krieg gegen Afghanistan begann – wurde dieses
»friedliche« Arsenal in jede Richtung zum Einsatz gebracht: Staaten wurden
erpresst oder gewonnen, Handelsembargos aufgehoben, Handelsvergünstigungen
gewährt, politische Teilhabe und Renditen im Zuge der kommenden Kriege
zugesagt. Im Gegenzug gab es Bekenntnisse zur »Allianz gegen den Terror«,
Überflugrechte, Bereitstellung von Militärbasen und Nutzung geheimdienstlicher
Apparate. Auch auf der politischen Ebene wurden – wie auf dem Schachbrett –
Rochaden und Stellungswechsel vorgenommen. Die imperialen Spielregeln erklärte
der US-Warlord Bush in geradezu pubertärer Schlichtheit: »Heute zielen wir auf
Afghanistan, aber die Schlacht ist eine größere. Jeder Staat wird sich
entscheiden müssen. In diesem Konflikt gibt es keine Neutralität.« (FR v. 8.
10. 01)
Die
Nato-Staaten stellen die Bedingungen und die anvisierten Staaten haben dann
nicht mehr viel Zeit, zwischen Belohnung und Verwüstung zu entscheiden. Die Art
und Weise, wie die »Allianz gegen den Terror« zusammengestellt wird, erinnert
dabei an die Mafia und ist doch nichts weiter als das Gruppenbild einer
zivilisierten Welt, in der die Kriterien für die Zugehörigkeit nicht höher
liegen als bei einer gewöhnlichen Straßengang.
Wolf
Wetzel
_
1.. Der Text entstand zu Beginn der
Bombardierung Afghanistans.
Wolf
Wetzel ist Mitautor des Buches: »Die Hunde bellen ...Von A bis (R)Z. Eine
Zeitreise durch die 68er Revolte und die militanten Kämpfe der 70er bis 90er
Jahre«, autonome L.U.P.U.S.-Gruppe, Unrast-Verlag, Herbst 2001