diskus 3/98

Sabri Abis Männercafé
Über einen Ort, der mir gefällt

Für Fehmi Odabas,
einen »echt korrekten« Freund und begnadeten Fan von Galatasaray Istanbul. So viel Pathos muß zuweilen sein.

I. Mehmet Bölükbasi
Neulich war ich auf einer netten Party. Die Gastgeber hatten von A wie Alkohol bis Z wie »Zur Toilette«-Schildern für fast alles gesorgt. Irgendwann am frühen Morgen unterhielt ich mich mit einem Freund sehr lange auf türkisch und trällerte mit ihm sentimentale Arabesk-Songs. So richtig in Fahrt gekommen, begann er einer Besucherin Komplimente in der Art »In deinen Mandelaugen sehe ich das Blau des Mittelmeers« zu machen. Zugegeben etwas posermäßig und peinlich. Aber mit dem Ausländerbonus in der Tasche sowie der Entschuldigung, gehörig alkoholisiert gewesen zu sein, kamen wir ganz gut davon. Keine falsche Bescheidenheit: Wir beide waren exotische anatolische Popstars auf einem Fest, das überwiegend von deutschen Mittelstandskids besucht war. Ausgerechnet von einem Integrations-Ali, fest verwurzelt in hiesigen linken Zusammenhängen und einziger Nicht-Deutscher außer uns beiden bei dieser Feier, mußten wir uns anhören, wir würden uns selbst-ethnifizieren.

In Almanya schwafeln in letzter Zeit viele über Selbst-Ethnifizierung und den Rückzug von Ausländern in ihre Communities. Feldforscher und Gepäckträger des Mültikültüralismüs versuchen neugierig zu decodieren, warum der Migrant an und für sich wieder auf Ali oder Vesna mache. Dabei sprechen manche vom verlockenden Fundamentalismus, andere wollen herausfinden, ob Ausländer besonders gefährlich sind. Träumten aufgeklärte Reformer vor geraumer Zeit noch von der multikulturellen Gesellschaft als Ethno-Liga, in der verschieden starke Mannschaften friedlich zusammenspielen sollten, sehen sie diese nun als gescheitert an. Bis dahin verschaffte das Multi-Kulti-Projekt aber Vielen neue Betätigungsfelder und hob kompatible Migranten in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen sogar ein paar Stufen höher. Auch ließ es den grauen deutschen Alltag vor allem durch Feste sowie kulinarische Leckereien bunter und schmackhafter erscheinen, wie ihre Anhänger erfreut resümieren.

Dafür ist es nicht mehr hip in Deutschland, über Rassismus zu sprechen. Und wenn Migranten von rassistischen Erfahrungen berichten, dann findet man das häufig im besten Fall »irgendwie kraß« und weiß die Täter als »Reaktionäre« zu titeln. Schwieriger wird es aber, wenn auch in subkulturellen und linken Zusammenhängen schiefe Töne angestimmt werden. So vor einiger Zeit in einem griechischen Restaurant im Frankfurter Westend. Dort erzählte mir ein 68-bewegter Kabarettist, der hier und da auch im Fernsehen kritisch den Zeitgeist attackieren darf, im beschwipsten Zustand irgend etwas von »Ihr mit eurer fremden Kultur« und »Da ist schon eine unüberwindbare Distanz zwischen euch und uns«. Währenddessen wollte seine Bekannte im breitesten hessisch mehrmals wissen, ob ich »ayyyn Pagistani« sei. In der Tischrunde, die auch Freundinnen und Freunde von mir aufwies, ging das unter. Man unterhielt sich lieber mit dem Promi über Kritik, Subversion und Dissidenz, hatte man sich doch einige Stunden zuvor in einer Hörfunksendung über Biographien radikaler Linker ausgetauscht. Naja, irgendwann übertraf sich der Witzigheini selbst: »Ihr denkt doch bei Sachsenhausen nur an das KZ. Dabei habbe mir in Frankfurt auch ein ganz schönen Stadtteil namens Sachsenhausen« Vay, vay, vay, vay, welch intelligenter Humor. Etwas später, inzwischen hatten sich einige für die Fortsetzung der Party im privateren Kreis entschieden, fragte der betrunkene Moderator der erwähnten Radiosendung den ausschließlich in Deutsch publizierenden Schriftsteller Feridun Zaimoglu, der am gleichen Abend eine Lesung in Frankfurt bestritten hatte, ob er Deutsch spreche. Zuvor hatte er sich mit Zaimoglu unterhalten: auf Deutsch.

Solche Erlebnisse jenseits des Mainstreams bekräftigen den Wunsch nach Erholung von Almanya und seinen Verhältnissen. Man sucht nach Orten und Öffentlichkeiten, in denen einem kein Ethno-Identitätsterror ins Gesicht bläst und keine Herkunftskontrollen durchgeführt werden. Schließlich hat man es satt, offen oder subtil als Ausländer, Migrant, Fremder etc. behandelt zu werden – selbst wenn man selber ab und an auf Nicht-Deutscher macht.

II. Pope, Popescu
Der wichtigste Erholungsort für mich ist das Männercafé von Sabri Abi, wo ich regelmäßig via Satellit Spiele meines Lieblingsclubs Galatasaray Istanbul live verfolge. Dieses Café, das ausschließlich von Männern besucht wird, befindet sich in einem Hinterhof am Rande des Frankfurter Bahnhofviertels. Von außen sieht es als heruntergekommene Baracke nicht besonders einladend aus. Das wird auch innen nicht unbedingt besser: Etwa zehn Tische, umgeben von überwiegend braunen Stühlen, ein TV-Gerät sowie eine Theke, die nicht einmal besonders funktional ist, bilden die Grundeinrichtung. Die Wände sind in einem 70er-Jahre-Gelb gestrichen. Drei gerahmte Gemälde sollen anatolische Idylle vermitteln, sehen zwischen den Mannschaftspostern der Teams Besiktas, Fenerbahçe, Galatasaray und Trabzonspor aber recht verloren aus. Dieses Männercafé wird von Sabri Abi betrieben. Alle, die jünger als er sind, benutzen das Attribut Abi (großer Bruder). Andere rufen ihn einfach Sabri. Bevor er nach Deutschland machte, verdiente Sabri Abi in der Türkei sein Geld als Lehrer und war politisch in einer Lehrergewerkschaft aktiv.

Männercafés nehmen im Alltagsleben von vielen Anatoliern auch in Deutschland eine wichtige Stellung ein. Vor allem für die erste Generation sind sie zentrale soziale Orte. In Sabri Abis Männercafé hängen teilweise Leute ab, die außer gesellschaftlichen Pflichtveranstaltungen wie z.B. Bekanntenbesuchen oder Familienfeiern kaum andere Events aufsuchen. Vom kulturellen Leben in Frankfurt bekommen sie wenig mit. Das liegt weniger an ihnen selbst, sondern eher daran, daß sie bis heute in erster Linie als Arbeitskräfte betrachtet werden und vom »toleranten« Multikulturalismus ausgeschlossen sind. Sie treffen sich hier mit Gleichgesinnten und spielen die meiste Zeit Karten oder unterhalten sich. Ähnlich stellt sich die Situation für einige kurdische politische Flüchtlinge dar, die eine Art informelle Gruppe im Männercafé bilden. Auch für sie ist dieser Ort von außergewöhnlicher Bedeutung, da sie erst seit relativ kurzer Zeit in Deutschland sind, nur sehr wenig deutsch sprechen und noch weniger als alle anderen außerhalb Kontakte geknüpft haben. Ferner gibt es genügend Leute, die nur ab und zu mal reinschauen, weil ihnen Alternativen zur Verfügung stehen. Und wieder Andere schließlich suchen die Kneipe nur auf, um Fußball zu gucken – so wie ich.

Nicht nur anhand der Zeit, die der Einzelne im Männercafé verbringt, lassen sich Unterschiede ausmachen. Auch der soziale Status der Besucher differiert erheblich. In Sabri Abis Café treffen Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Fabrikarbeiter, Studenten und Selbständige, vom eingebürgerten Neu-Deutschen bis zum Asylsuchenden aufeinander.

Die standardisierte Ansprache lautet hier »acemi« – heißt: Anfänger. Jeder nennt den anderen so. Egal, ob es um politische Fragen oder die taktische Ausrichtung einer Fußballmannschaft geht, immer ist der Andere ein Anfänger. Das mag nach Geringschätzung des Gegenübers klingen, ist aber viel mehr eine nette Lösung dafür, daß nicht jeder jeden mit Namen kennt.

Bei der Entscheidung, welches Männercafé man sich zur Stammkneipe wählt, sind verschiedene Faktoren relevant. Neben der Frage, welcher politischen Couleur der Betreiber und die Mehrzahl der Gäste sind, spielt es auch eine Rolle, aus welcher Region der Kneipier und der Großteil der Besucher kommen. Sabri Abis Schuppen wird überwiegend von (Ex-)Linken, Sozialdemokraten und Aleviten sowie von kurdischen Flüchtlingen besucht.

III. Bülent, Fatih
Seit einigen Jahren übertragen türkische Privatsender fast jede Woche die Spiele der Top-Mannschaften live. Da diese via Satellit auch in Europa zu sehen sind, boomt das Interesse am türkischen Fußball auch hier. Diese Übertragungen sind meist nur mit einem speziellen Decoder zu empfangen, der Privathaushalte in Deutschland etwa 2.000 DM im Jahr kostet. Für Männercafés ist das eine notwendige Investition geworden, um die Kundschaft zu halten oder zu erweitern. Auch bei Sabri Abi erhöht sich die Anzahl der Gäste bei solchen Matchs. Zwar werden auch hier Fußballspiele aus der Bundesliga verfolgt, doch eher nebenbei. Das Hauptinteresse gilt dem türkischen Fußball. Für manche mag das wieder ein Zeichen für Rückzug aus der Gesellschaft oder mangelnde Bereitschaft zur Integration sein. Für die meisten Gäste in Sabri Abis Café ist das einfach nur normal.

Mein Verhältnis zum türkischen Fußball ist ambivalent. Das liegt auch daran, daß früher Fußballspiele zwischen deutschen und türkischen Mannschaften immer eine Katastrophe waren. Nicht, weil ich wirklich ein Fan türkischer Teams war und diese fast immer den Kürzeren zogen, sondern weil ich die niederschmetternden Sprüche von deutschen Bekannten als unerträglich empfand. Die Niederlagen mündeten automatisch in die Zuweisung »Ihr habt gegen uns verloren«. Damals nervte mich das höllisch. Heute habe ich genügend schlagkräftige und zynische Antworten auf solche Äußerungen parat. Aber eines hat sich zumindest bis heute nicht verändert: Fast immer bin ich gegen deutsche Erfolge bei internationalen Fußballspielen – außer es handelt sich um Eintracht Frankfurt. Diese Haltung resultiert in erster Linie aus Erfahrungen, die ich als Gastarbeiterkind in Deutschland gemacht habe. Noch heute wette ich selbst in aussichtslosen Situationen gegen Bundesligateams, was mich schon viel Geld gekostet hat. Und wenn es zu Spielen zwischen Gastarbeiterländer-Mannschaften und deutschen Teams kommt, halte ich aus »Migranten-Solidarität« immer zu ersteren, weil ich vermute, daß bei einem Sieg Guiseppe oder Alfonso am nächsten Tag irgendwo in Deutschland einen coolen Spruch loslassen werden. Ja, ja, naiv und politisch bedenklich...

In den letzten Jahren habe ich ein ungutes Gefühl, wenn türkische Mannschaften – außer Galatasaray – auf europäischer Ebene erfolgreich sind, da diese Erfolge regelmäßig nationalistische Kundgebungen in der Türkei zur Folge haben. Auch in deutschen Großstädten wie Berlin und Frankfurt kommt es hin und wieder zu ähnlichen Aktionen. Deshalb habe ich mir bei Sabri Abi noch nie ein Spiel der türkischen Nationalmannschaft angesehen. Die nationale Verbrüderung unter den Besuchern findet bei solchen Spielen ihren Höhepunkt, wie Erzählungen von diesen Übertragungen vermuten lassen. Als ein Cafébesucher bei einem Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft 96 zur gegnerischen Equipe hielt, entkam er nur knapp einer Tracht Prügel. Er wurde von vielen zum Verräter an der »nationalen Angelegenheit« erklärt. So bezeichnet man Spiele auf internationaler Ebene, wo erwartet wird, daß man Club-Rivalitäten außen vor läßt. Zu Entsolidarisierungen kommt es allenfalls bei einigen linken und kurdischen Gästen des Cafés. Die machen sich auch gerne darüber lustig, daß die türkische Nationalhymne inzwischen selbst bei Vorbereitungsspielen gegen drittklassige Mannschaften gespielt wird. »Das gibt’s in keinem anderen Land. Die Türkei ist total rückständig«, heißt es dann. Ein Einwand, dem mit der Aufforderung entgegnet wird, doch bitte Sport und Politik nicht zu vermischen. Der Konter der Kritiker kommt spätestens dann, wenn die Fernsehkamera zu den Zuschauern schwenkt, und dort eine stattliche Anzahl das Zeichen der türkischen Faschisten macht. »Da habt ihr euren Sport!«.

Gemeinsam geärgert haben sich die Café-Besucher, als Bayern Fans beim Spiel ihres Vereins gegen Besiktas Istanbul im September des vergangenen Jahres in der Südkurve kollektiv Aldi-Tüten hochhielten. »Die Schweine kaufen doch öfters dort ein, als wir« hieß es. Unterstützung erhielten sie von der türkischen Tagespresse, die auch diesen Vorfall zum Anlaß nahm, gegen die rassistische Beleidigung (gemeint war: Aldi = Türke) der türkischen Bevölkerung zu wettern. Einzig einige Sub-Kanaken aus meinem Bekanntenkreis konnten das ganze Theater nicht verstehen, weil sie bekennende Aldi-Kunden sind.

Zurück in Sabri Abis Café, wo Triumphe in den europäischen Cup-Wettbewerben genüßlich gefeiert werden. Als Galatasaray vor vier Jahren Manchester United aus dem Wettbewerb warf und als erste türkische Mannschaft in die Champions League einzog, stand Piç Ali auf, legte einen Bauchtanz hin und rief erfreut: »Mann, morgen freue ich mich auf die Frühstückspause. Mal sehen, was den Hans-Männern zu Galatasaray einfällt.« Und tatsächlich ist ihnen etwas eingefallen: Der damalige deutsche Trainer Rainer Hollmann.

Trotz des Wunschs, internationale Erfolge feiern zu wollen, stehen solche Übertragungen im Schatten der Spiele zwischen Galatasaray gegen Fenerbahçe. Diese Matchs sind mit Abstand die wichtigsten im Männercafé. Der Laden ist dann fast immer bis auf den letzten Platz besetzt. Die meisten müssen die Übertragung stehend verfolgen. Wer hinten sitzt oder steht, hat Schwierigkeiten, durch den Zigarettenrauch hindurch überhaupt etwas zu sehen. Unausgesproche Regel ist es, daß die Fans in Blöcken sitzen und sich gegenseitig einen verbalen Schlagabtausch liefern, der es in sich hat.

Eine Niederlage der eigenen Mannschaft verfolgt die Fans für Wochen und Monate. So konnten sich die Fans von Galatasaray über die gewonnene Meisterschaft letztes Jahr nicht so richtig freuen, da ihre Mannschaft von Fenerbahçe in der Saison 96/97 mit 4:0 und 4:2 abgefertigt wurde. »Was zählt der Titel, wo wir Euch doch derart eingemacht haben«, provozieren die Fenerbahçe-Fans. Die Dimension dieser Rivalität, die eine lange und komplizierte Geschichte hat, erfuhr ich vorletztes Jahr am eigenen Leib in Gestalt einer Beule am Kopf. Durch ein Tor von Dean Saunders gegen Fenerbahçe im Rückspiel des Pokal-Halbfinales erreichte Galatasaray den Einzug ins Finale. Ihr damaliger Trainer Greame Souness hißte nach dem Schlußpfiff eine übergroße Fahne seines Clubs am Anspielpunkt im Stadion von Fenerbahçe. Begeistert von dieser siegesgewissen Tat des Coachs, hob mich Kürt Mehmet hoch und ließ mich einige Male an die Decke knallen. Als er mich endlich runter ließ, schrie er mich heiser an: »Acemi, ich muß die Gründung Kurdistans nicht mehr erleben, nachdem ich das hier mitbekommen habe«. Sein Bekannter ergänzte: »Heute ist im Camp Feier angesagt.« Daraufhin wollte ein anderer Cafébesucher wissen, welche Mannschaft denn mitten in der Saison im Trainingslager sei. Er grinste: »Das ist eine andere Mannschaft. Das verstehst Du nicht.« Gemeint war das Camp der PKK, deren Vorsitzender Abdullah Öcalan ein bekannter Anhänger von Galatasaray ist und hin und wieder kenntnisreich den Zustand seiner Mannschaft analysiert.

IV. Filipescu, Hakan Ünsal
Solche unterhaltsamen politischen Momente sind nicht die Regel. Man tauscht sich in politischen Fragen viel aus, und weiß vor allem über die sozio-ökonomische Situation der Türkei zu lamentieren.

Themen aus Deutschland spielen hier eine untergeordnete Rolle. Das liegt zum Teil daran, daß der unmittelbare Auslöser für solche Gespräche die Fernsehnachrichten darstellen. Da überwiegend türkische Sender laufen, rangieren Themen aus der Türkei auf dem ersten Platz. Als die türkischen Medien in der ihnen eigenen Art die Brandanschläge von Solingen und Mölln aufbereiteten, geriet zeitweise Almanya in den Mittelpunkt.

Sabri Abis Café ist aber auch ein Ort, wo sich die Besucher gegenseitig bei bürokratischen, rechtlichen oder beruflichen Fragen beraten und helfen. So kommt es schon einmal vor, daß jemand um die Übersetzung eines Briefes bittet oder wissen möchte, zu welcher Behörde er gehen muß, um eine bestimmte Bescheinigung zu bekommen. Es hat sich eine lose Infrastruktur herausgebildet, die als Ergänzung zur bestehenden funktioniert. Nicht jeder findet aber Zugang zu diesem Beziehungsgeflecht. Zum einen liegt das daran, daß einige diese Infrastruktur nicht benötigen. Zum anderen kommt hinzu, daß eigentlich nur die Stammgäste bzw. die Kerngruppe, die sich sehr lange kennt und viel Zeit in diesem Café verbringt, Teil dieses Verbunds sind. Wer beispielsweise lediglich zum Fußball gucken kommt, erfährt nur am Rande davon. Dies befreit ihn aber nicht davon, in dieser oder jener Angelegenheit zur Rate gezogen zu werden.

V. Ergün, Emre
Es macht keinen Sinn, diesen Ort zu idealisieren oder schöner zu schreiben, als er ist. Wenn eine Gruppe von Männern regelmäßig zusammenkommt, dann wird nicht nur viel Mist erzählt, sondern dann werden auch Verhaltensformen kultiviert, die man, selbst wenn man kein großes Herz für feministische Sujets hat, getrost als mackerhaft bezeichnen kann. Das hat aber nichts damit zu tun, daß hier Anatolier abhängen, sondern ist der Tatsache geschuldet, daß es sich um Männer handelt.

Gerade beim Fußball-Glotzen wird eine derbe Sprache und eine ausgeprägte Schimpfkultur gepflegt. Daß dabei sexistische und homophobe Ausdrücke weit vorne rangieren, sollte nicht verschwiegen werden. Wenn das Ausmaß allerdings überschritten wird, schreitet Sabri Abi ein und fordert seine Gäste auf, sich zu beruhigen. Als Betreiber wacht er über die Geschehnisse im Café. Ein unausgesprochener Grundsatz etwa lautet, auf verbale Entgleisungen zu verzichten, wenn die Ehefrau von Sabri Abi in der Küche aushilft. Wenn jemandem dann trotzdem ein Fluch über die Lippen geht, wird er sofort von anderen mit dem Hinweis: »Die Yenge ist da!« gemaßregelt. In der Regel reicht das aus, um den Übeltäter zum Verstummen zu bringen.

Wie sich das Verhalten der Cafébesucher ändern kann, habe ich miterlebt, als sich meine Bekannte Nilüfer, die aus Istanbul zu Besuch war, gemeinsam mit uns in Sabri Abis Café ein Fußballspiel anschaute. Galatasaray spielte im Europapokal der Pokalsieger gegen Contructol aus Moldavien und Nilüfer wollte dieses Spiel auf keinen Fall verpassen. Für sie war es als Fan von Galatasaray normal, das Spiel zu sehen, da sie in Istanbul diese Übertragungen entweder zu Hause oder in Teegärten o.ä. verfolgt. Ich versprach, daß das überhaupt kein Problem sei, mußte aber bald merken, wie weit ich mich damit aus dem Fenster gelehnt hatte. Ich kenne niemanden, der einen Decoder für den Pay-TV Sender Cine 5 besitzt, der fast alle Spiele überträgt. So blieb nur die Option, das Spiel in einem Männercafé zu sehen. Tagelang druckste ich rum, bis ich endlich Sabri Abi anrief. Ich sagte, daß ich gerne zum Spiel am Mittwoch kommen wolle. Er, cool: »Acemi, das tust du doch immer«. Ich: »Ja, klar. Aber ich will dieses Mal eine Freundin mitbringen« Er willigte unbekümmert ein. Eigentlich war ich nicht ganz sicher, ob ich mich darüber freuen sollte. Nilüfer bekam davon nichts mit, fand das alles easy und lief souverän in das Männercafé ein. Das kann ich von mir nicht behaupten. Die Jungs und Männer wußten auch nicht so recht, was sie davon halten sollten, daß eine Frau als Mitseherin in ihre Sphäre eintrat. Für die meisten war es die Hölle. Zum einen, weil es ein langweiliges Spiel war. Zum anderen, weil sich die Männer im Café 90 Minuten lang kontrollierten, um keine rüden Sprüche loszulassen. Den meisten Spaß hatte Nilüfer, die sich über das Weiterkommen ihres Vereins freute. Sie geizte keineswegs mit heavy Sprüchen, beschimpfte die Spieler von Conctructol und den Schiedsrichter. Trotzdem saßen die anderen Besucher verklemmt herum und wußten nicht, wie ihnen geschah. Eine Woche darauf am gleichen Ort, fragten einige beinahe genervt: »Acemi, wer war das?«

In letzter Zeit artikulieren einzelne offen ihren Unmut über rassistisches Blabla wie beispielsweise »yam yam« (Menschenfresser), wie manche schwarze Spieler nennen. Versuche, die Bezeichnung »siyahi« (Schwarzer) gegen »zenci« (Neger) durchzusetzen, waren bis heute trotz einiger Bemühungen nicht erfolgreich. Auch homophobe Schmähungen etwa eines Schiedsrichters oder der gegnerischen Mannschaft halten sich hartnäckig. So nannten einige die komplette Mannschaft von Manchester United einfach ibne (schwules) Manchester. Vereinzelte Kritik an diesem Gebaren wurde schnell umgangen: Aus dem »ibne hakem« (schwuler Schiedsrichter) wurde »escinsel hakem« (homosexueller Schiedsrichter), und wenn die Yenge da ist, fluchen manche inzwischen einfach auf englisch. Klingt verdammt gut, wenn kurdische und türkische Kanaken um die 40 »Fuck you« oder »shit« brüllen. Das Gros fühlt sich von diesem neuen pc-Gehabe, das maßgeblich auf einen studierten Cafébesucher zurückgeht, etwas genervt. Und ganz so ernst werden seine Bestrebungen ohnehin nicht genommen. Einig sind sich die meisten aber darüber, daß man früher unbeschwerter Fußball schauen konnte.

VI. Hagi, Tugay
Seit Sabri Abi ein neues TV-Gerät mit riesigem Bildschirm und klasse Sound gekauft hat – man munkelt, er habe dafür etwa 9.000 DM bezahlt – ist vieles anders geworden im Café am Baseler Platz. Man sieht besser, erlebt die Spiele liver. Bei entsprechender Lautstärke hat man das Gefühl, im Stadion auf den Rängen zu stehen. Das hat sich schnell herum gesprochen, so daß zunehmend Männer hinzu kommen, die nicht in das Café passen - unter ihnen auch einige Rechte. Sie finden es beispielsweise gar nicht komisch, wenn sich einige beim Erklingen der türkischen Nationalhymne vor den Spielen lustig machen oder die türkische Staatspolitik dissen. Auch eine Gruppe von Jugendlichen, die alle in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, hat dieses Männercafé neuerdings zu ihrem Favoriten auserkoren. Sie haben kaum Kontakt zu den anderen Gästen. Noch nicht. In der Halbzeitpause gehen sie auf den Hof, treten gegen den Ball und unterhalten sich über Techno, HipHop und »was so abgeht«. Irgendwann ging ich mal mit. Wir unterhielten uns, und ich wollte wissen, warum sie jede Woche ins Männercafé kommen, um Fußball aus der Türkei zu sehen, wo sie doch immer in Deutschland gelebt haben, das Land ihrer Eltern nur aus dem Urlaub kennen und sich untereinander auf Deutsch unterhalten. »Ist doch egal. Auch wenn wir noch fünfzig Jahre hier leben, werden wir nicht richtig dazugehören. Alter, für die sind wir immer Ausländer. Außerdem ist es cool hier«, sagte einer von ihnen, die anderen nickten.

VII. Hakan Sükür, Arif
Ich habe kaum einen Gedanken daran verschwendet, ob Sabri Abis Männercafé typisch oder repräsentativ ist. Diese Frage beschäftigt vorrangig jene, die gerne mit ihren ethnologischen Brillen »zooing« betreiben, um homogenisierend Segmente der Migrantenkultur, die trotz Repression an die Öffentlichkeit zu dringen vermögen, zu entschlüsseln. Daß in Almanya trotz fast vierzigjähriger Migration die Lebensverhältnisse von Migranten, ihr Alltag und kulturelle Praxen überwiegend unsichtbar geblieben sind und größtenteils immer noch als gesellschaftlich irrelevant eingestuft werden, kann dazu führen, daß man sich sogar an die vereinheitlichende Wahrnehmung von Migrantenkultur gewöhnt. Ayse »zwischen Jeans und Kopftuch« oder Angelo als feuriger südländischer Liebhaber gehören genau so dazu, wie bestimmte Klischees über Männercafés, wo schnauzbärtige Alis im Macho-Club den ganzen Tag rumhängen, böse Blicke nach draußen werfen, so daß Allemaninnen sich an solchen Cafés nicht vorbei trauen.

Als Sabri Abi von einem Freund erfuhr, daß ich an einem Artikel über sein Café arbeitete, meinte er verwundert: »Acemi, hat der nichts anderes gefunden, worüber er schreiben kann.« Wahrscheinlich hat er keine Ahnung, wie wichtig mir seine Kneipe ist, obwohl ich im Verhältnis zu vielen Gästen nicht viel Zeit dort verbringe und in der Wahrnehmung der meisten Besucher eigentlich nicht wirklich dazugehöre. In gewisser Weise haben sie mit der Verweigerung meiner Aufnahme in ihren Club auch recht, da mein soziales Umfeld und meine Lebensweise von denen der meisten sich gravierend unterscheidet. Warum sollten sie mich dann als einen Homie betrachten? In der Türkei suche ich Männercafés nur dann auf, wenn es sich wirklich nicht vermeiden läßt. Anders in Frankfurt: Neben dem Umstand, in einer angenehmen Atmosphäre die Spiele von Galatasaray Istanbul sehen zu können, kommt diesem Ort hier eine besondere Rolle zu, da er einer der wenigen Plätze ist, wo ich nicht als Ausländer, Migrant oder was auch immer wahrgenommen werde. Das reicht aus, um Anstrengungen und Überforderungen in Kauf zu nehmen, die daher rühren, daß man manchmal den Switch von Sabri Abis Männercafé zu anderen Orten und Events, auch der städtischen Subkultur, nicht ganz hinkriegt.

Dennoch ist das Besetzen solcher sozialer Räume, gerade angesichts der Tatsache, daß man Rassismus in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen und unterschiedlichen Formen erlebt, nicht zu unterschätzen. Deswegen nehme ich auch regelmäßig an »türkisch-kurdischen«-Abenden mit vollem Programm teil. Raki, anatolisches Gedudel, Lästern über Deutschland, Smalltalk in der Art von »Weißt Du, die Deutschen, die verstehen das nicht« oder wahlweise »Die sind so kalt«-Gespräche gehören zum Standard-Reportoire solcher Events. Ziemlich ambivalent das Ganze und kein Grund, solche Zusammenkünfte in den Himmel zu heben, wo man selbst unaufhörlich gegen diese »Ausländer-Deutsche«-Konstruktion kämpft. Aber sie sind Teil einer Umgangsform mit persönlich erlebtem Rassismus.

Imran Ayata


Dieser Text wurde in einer längeren Fassung bereits in Globalkolorit abgedruckt. Wir danken dem Hannibal-Verlag für die Abdruckgenehmigung.