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elektronisch gefesselte?

VI. »KRIMINALPOLITISCH NEUE ERFAHRUNGEN«

In Kapitel VI. bis IX. werde ich nun mein ethnographisches Material vorstellen und auswerten. Die Anordnung folgt folgendem Spannungsbogen: Die Struktur, rechtliche Grundlagen und pädagogisches Konzept des Projekts Elektronische Fußfessel wurden bereits in Kapitel I.4. vorgestellt. In Kapitel VI. wird der Praxis der Zusammensetzung der Reform bzw. des Pilotprojekts von ihrem Entstehen auf der administrativen Ebene, dem »Marketing« innerhalb der Justiz bis hin zur konkreten Praxis, die von der Beauftragung des Projekts bis hin zur Anlegung der Fußfessel durchgespielt wird, gefolgt. In Kaptitel VII. wird die Überwachungssituation aus der Perspektive der Überwachten dargestellt, in Kapitel VIII. aus der Praxis von Bewährungshilfe und Justiz. Beide Kapitel beginnen mit einer Darstellung der Akteure und ihrer diskursiven Verhandlungen, die in eine »dichte Beschreibung« bzw. Analytik der Überwachungssituation mündet, welche mitsamt ihren zahlreichen Nebenaspekten dann interpretiert wird. In Kapitel IX. greife ich schließlich wieder die »Werbung« für das Modellprojekt auf, dann im Hinblick auf die Frage, wer es öffentlich oder intern propagiert innerhalb eines ambivalenten Diskursstranges zwischen Resozialisierung und Sicherheit.

VI.1 Die Initiation und Etablierung eines Modellversuches

»Das waren eben einfach kriminalpolitisch neue Erfahrungen, die rübergeschwappt sind aus den USA, aus Neuseeland und dann vor allem aus Schweden und Holland rüber kamen. Und dann hat sich das Justizministerium, es ist seine Aufgabe, sich mit so Geschichten auseinanderzusetzen, was gibt es neues an der Front sozusagen.«
So beschreibt der Projektbeauftragte für den Landgerichtsbezirk Darmstadt den Beginn der Auseinandersetzung mit Electronic Monitoring im hessischen Justizministerium, in dem er - von der Bewährungshilfe abgeordnet - von 1995-97 als kriminalpolitischer Sachbearbeiter tätig war. Der Leiter der Referatsgruppe war damals Oberstaatsanwalt Dr. Schädler, »dessen Baby ist das eigentlich auch, die Fußfessel«. Die JustizministerInnen wechselten in den Jahren häufiger:
»Na ja, wissen Sie, die Geschichte der Fußfessel, die ist ja Aktenzeichen 1991. Die Geschichte der Fußfessel ist die: Initiiert worden ist sie von einer sozialdemokratischen Ministerin, nämlich der Frau Hohmann-Dennhardt. Als das eingeführt worden ist, als die ganze Praxis so gelaufen ist, war der grüne Justizminister Rupert von Plottnitz dran, wo er gesagt hat: Okay probieren wir. Und zum Tag der Einführung war dann der Christean Wagner von der CDU der Justizminister, der gesagt hat: jetzt machen wir es. Mm, was soll ich noch mehr dazu sagen. Das spricht für sich.«
Die jetzige Frankfurter Projektbeauftragte,67 in der Bewährungshilfe seit 1972 tätig, war zwischenzeitlich auch im selben Referat des Ministeriums beschäftigt, bis sie Anfang 2003 die Leitung in der Frankfurter Projektstelle übernahm, die sie als das derzeit »intensivste« Reform-Projekt bezeichnet. Die erste Zusammensetzung des Gefüges »Elektronische Fußfessel« fand also auf der administrativen Ebene statt. Die Gerichte werden demgegenüber als wenig reformfreudig eingestuft bzw. zumindest nicht als Motor von Justiz-Reformen. Aber sie werden für die Umsetzung der Reform gebraucht, als Auftraggeber oder zumindest als Befürworter der Beauftragung, »wobei die Landesregierung da keinen Einfluss darauf hat, wie die Richter sich jeweils entscheiden, ob sie das akzeptieren oder nicht« (Projektbeauftragte).

Modellversuch als Staubsaugerverkauf
»Wir brauchen Richter, die mitmachen. Wenn ich keine Bewährungsweisung Fußfessel krieg, dann brauch ich erst mal niemand anders davon zu überzeugen« sagt der Projektbeauftragte. Die Gerichte wurden und werden zwar vom Justizministerium und dem Projekt über Informationsveranstaltungen in Kenntnis gesetzt, aber die Resonanz darauf und Teilnahme daran ist, wie die Staatsanwältin schildert, gering. Als wichtigeres Mittel des Projektmarketing erwies sich der direkte persönliche Kontakt, wie es der Projektbeauftragte darstellt: »Na, indem ich einfach hin bin, klopf klopf klopf, wie wenn ich einen Staubsauger verkaufen würde«. Dabei wurde er zumeist mit einer ablehnenden Haltung konfrontiert.

»›Mit was für einem Scheiß kommen Sie denn jetzt schon wieder an‹, ja und so oder ›Hier, George Orwell lässt grüßen‹ oder irgend so ein Spruch da. Und wenn wir dann fertig waren, wenn ich das Projekt vorgestellt habe und bei allem erklärt habe, was wir pädagogisch erreichen wollen und dass das eigentlich der Hauptanteil ist und nicht diese Technik, die das ausschlaggebende ist, da haben die mir gesagt, ›Äh, wir haben gar nicht gewusst, dass das ein Erfolg wird, mal probieren‹ oder wie auch immer. Gut, und das haben ja jetzt auch einige probiert.«
Die ProjektmitarbeiterInnen leisten eine »face-to-face«-Arbeit der »kulturellen Übersetzung«, daran gemessen, dass Technik im System Justiz etabliert werden muss bzw. die anderen Anteile in den Vordergrund gestellt werden. Von der Begleitforschung wurde an Bewährungshilfe, Staatsanwaltschaft, JVA-LeiterInnen und RichterInnen ein standardisierter Fragebogen versandt. Ergebnis war, dass die Bewährungshilfe dem Projekt am ablehnendsten gegenüber stand. Die RichterInnen zeigten sich etwa zur Hälfte dem Projekt und der Maßnahme gegenüber aufgeschlossen (vgl. Mayer 2002, 20f.). Der Projektbeauftragte sagt, dass diese Evaluationen auch positiven Einfluss auf die Konstitution der Projektpraxis hatten:
»Die Aufgabe der Projektforschung ist aber auch zu gucken, wo dran hängt es denn, was kann man verändern, beispielsweise. Also die Sache, dass jetzt in allen Landgerichtsbezirken so ein Projektbeauftragter eingerichtet wird, der eben diesen Kontakt zu der richterlichen und der staatsanwaltschaftlichen Praxis halten soll, ist so ein Ergebnis dieser wissenschaftlichen Begleitung auch. Das ist die Schnittstelle.«

Überzeugungsarbeit konfrontiert mit Vorurteilen und Widerständen
Die häufigste »falsche Annahme« besteht wohl darin, dass gedacht wird, die Fußfessel operiere mit einem Ortungssystem à la GPS. Davon bin ich anfangs auch ausgegangen. Auch die Staatsanwältin hatte, bevor sie mit dem Projekt zu tun bekam, diese Vermutung einer totalen Überwachung Orwellscher Prägung. Markus Mayer deutet diese abweisende Haltung so, dass die Richter im Zweifelsfall doch eher zu einer normalen Bewährungsstrafe tendieren, die Fußfessel also nicht als »eine zu milde« Maßnahme ansehen. Der Koordinator des Amsterdamer Fußfessel-Programms kommt für die Niederlande zur gegenteiligen Einschätzung, dass es als zu lasch empfunden wird, was er aber vor allem am fehlenden Wissen der Richter festmacht. Umgekehrt ist ihm auch keine öffentliche Kritik in den Niederlanden daran bekannt. Reformfreudige, aber unkritische Niederlande, reformunwillige und kritische deutsche Diskussion? Die Projektbeauftragte, enttäuscht, dass die Aufträge der Gerichte gering blieben, stellt sich die Frage, warum viele Richter die Fußfessel akzeptieren, aber nicht anwenden:

»Das Max-Planck-Institut hat das auch versucht herauszukriegen, ja die haben ja auch gesagt, Herr Mayer, was er in seiner ersten Veröffentlichung schon gesagt hat, es könnte möglich sein, dass die Richter diese zusätzliche Arbeit fürchten. Könnte möglich sein, ja. Es ist aber keine zusätzliche Arbeit. Ich versuche immer wieder auch mit Richtern ins Gespräch zu kommen und ihnen da auch Mut zu machen, das einfach mal auszuprobieren. Aber die befürchten, dass sie das Bewährungsheft ständig auf dem Tisch haben, ja und das könnte sein.«
Der Strafrichter sagt dazu, dass dies eigentlich nur »ein Arbeitsaufwand von wenigen Minuten ist«, der schließlich von den Sekretariaten übernommen wird:
»Dann diktieren sie drei Sätze und dann wird es geschrieben und dann schickt die Geschäftstelle den Beschluss weg. Also wer sagt, dass sei mehr Arbeit - es ist mehr Arbeit, aber eine Mehrarbeit, die lächerlich gering ist.«
Markus Mayer sieht aus der Sicht der Begleitforschung auch den Aspekt, dass die besondere Implementierung der Maßnahme innerhalb der Bewährungsweisung dazu führe,
»dass die Richter sich schwer tun, geeignete Personen zu identifizieren [...] Also die potentiellen Probanden müssen ja eine Strafe haben, die man eigentlich sonst nicht mehr zur Bewährung aussetzen könnte.«
Die reguläre Bewährungshilfe wiederum steht der Fußfessel vornehmlich ablehnend gegenüber. Die Landesarbeitsgemeinschaft hessischer BewährungshelferInnen bezweifelte bereits vor der Einführung der Elektronischen Fußfessel, aufgrund der Erfahrungen in anderen Ländern, dass die Fußfessel weder Haftplätze noch Geld einspare, und fordert statt »kontrollierender Technik« mehr Bemühungen »um die Hintergründe und Entstehungszusammenhänge von Kriminalität aufzuarbeiten« (LAG Position 1999). In einem zweiten Positionspapier vom Juni 2002 nimmt die LAG Stellung zu den Ergebnissen des Modellprojekts und ficht wegen dessen geringer Teilnehmerzahl die Aussagekräftigkeit der MPI-Studie an: »Eine Kontrollgruppe aus der regulären Bewährungshilfe wird nicht untersucht« (LAG Position 2002). Ein Effekt der neuen technologisch-intensiven Maßnahme ist unter Umständen eine »Verunglimpfung« [denigration, vgl. Mainprize 1996] bzw. ein In-Frage-Stellen der bisherigen Form von Sozialarbeit, wie es eine Bewährungshelferin befürchtet:
»Die Leute, die an die Fußfessel kommen, sind also auch Bewährungsversager, die in der Bewährung wieder straffällig geworden sind. [...] Das ist auch so ein Punkt, nur weil es heißt, die Bewährungshilfe hat da vielleicht auch versagt, in dem und dem Fall, müssen wir jetzt auch die Bewährungsweisung verschärfen mit Hilfe der Fußfessel. Ja, das kann es ja einfach nicht sein.«
Die Bewährungshelferin Daniela Riedel betont zwar die positiven Effekte der Elektronischen Fußfessel, schränkt aber deren möglichen Einsatz »als sinnvolle Maßnahme« ein »für eine zugegebenermaßen sehr kleine Gruppe von Personen« (Riedel 2003, 29). Die daraus zu stellende Frage: wer passt dann zu der Maßnahme (oder zu wem wird sie passend gemacht)? schiebe ich an dieser Stelle noch einmal auf und will zuerst darauf blicken, was in so einer Maßnahme eigentlich konkret passiert.

VI.2 Elektronische Fußfessel: von der Beauftragung zur Anlegung

»Also initiativ kann im Prinzip jeder Beteiligte eines Strafverfahrens werden, wobei im Unterschied jetzt zu der Staatsanwaltschaft und zu den Richtern, ein Anwalt oder ein Angeklagter nicht zwangläufig erreichen kann, dass überhaupt die elektronische Fessel oder die Mitarbeiter tätig werden. Wenn die Staatsanwaltschaft oder die Richter das tun, dann sind die schon gehalten, dass zu machen, wollen es ja auch machen«,
So äußert sich ein Strafrichter zum Start einer Beauftragung. Die RichterInnen sind - außer im Gnadenverfahren, das die Staatsanwaltschaft überwacht - die höchsten EntscheidungsträgerInnen der Maßnahme. Das Projekt ist für die Abwicklung verantwortlich:
»Und dann geht's praktisch so weiter: Wenn der Richter intendiert das zu machen, wird er die Mitarbeiter des Projektes anrufen und sagen: Fahren Sie mal zu demjenigen in die Untersuchungshaft (wenn er in Untersuchungshaft ist), kümmern Sie sich mal um ihn und geben sie mal eine Prognose ab, wie die technischen Voraussetzungen sind, Telefon, hat der eine feste Wohnung, wo er wohnen wird und ist er vom Charakter her, von der Art her, von der psychischen Stabilität geeignet, das zu machen.«
Was derselbe Richter hier auflistet, ist das »Abklopfen« von wesentlichen Rahmenbedingungen und Eckpunkten. Die Frankfurter Projektleiterin schildert dieses Procedere aus ihrer Sicht:
»Wenn der Auftrag rein kommt, dann haben wir eine Anklageschrift vorliegen, wir nehmen sofort mit demjenigen Kontakt auf und erstellen der Stelle, die uns anfragt, ja dem Gericht oder der Amtsanwaltschaft, innerhalb von sieben Tagen einen aussagekräftigen Sozialbericht. [...] Und um einen Vorschlag zu machen, da müssen Sie ne ganze Menge von demjenigen wissen. Ob er Kinder hat, ob er einen Hund hat, ob er gemeinnützig arbeitet, ob er eine versicherungspflichtige Arbeit hat. Bei den Drogenabhängigen, ob sie substituiert sind, wenn sie Therapien zusätzlich machen, wie die Zeiten sind, all das wird ja in den Plan mit rein genommen.«
Abgeklärt werden in diesem »Erfassungsbogen, den das Max-Planck-Institut erarbeitet hat« (Projektleiterin) logistische Bedingungen für die Gewährleistung der Maßnahme wie Wohnung und ein Festnetzanschluss. Dabei ermöglicht das hessische Projekt im Gegensatz zu den meisten Maßnahmen in anderen Ländern auch die Finanzierung eines Telefonanschlusses oder bietet über einen Verein in Offenbach die Bereitstellung von Wohnmöglichkeiten an, um beides nicht zu Ausschlusskriterien zu machen. Darüber hinaus werden aber auch schon persönliche Probleme und Gewohnheiten erfragt. Das definitive Ausschlusskriterium des Projekts sind dann »Süchtige, bei denen allein die Befriedigung der Sucht das Leben bestimmt« (Projekt EFF 2002, 7). Die Frankfurter Projektmanagerin relativiert dieses Kriterium zwar im Falle von Substituierten, um es dann aber noch mal kategorisch zu forcieren: »Wenn jemand den ganzen Tag auf der Suche nach Stoff ist, den können wir nicht überwachen!«

Am Schluss dieser »Anamnese« müssen die potentiellen AnwärterInnen (wenn sie sich dafür entscheiden) drei Unterschriften tätigen: eine Einwilligung in die Maßnahme, ein Einverständnis mit der Entbindung der Schweigepflicht ihrer Ärzte, Therapeutinnen und Drogenberater und drittens eine Einwilligung in die Weitergabe ihrer Daten an die Forschungsgruppe des Max-Planck-Institutes. Des Weiteren müssen Angehörige oder MitbewohnerInnen ebenfalls der elektronischen Überwachung zustimmen. Daraufhin erhalten die Befragten ein Merkblatt, das eine grobe Beschreibung der Technik enthält und sie über ihre Pflichten informiert.68 Danach fällen die ProjektmitarbeiterInnen eine Entscheidung über die Eignung für das Projekt, die dann von den Gerichten nochmals überprüft wird. Bisher ergab sich so aus 350 Aufträgen für das Projekt eine Teilnehmeranzahl von 122 bis heute Überwachten.69 Im Frankfurter Raum wird der oder die zukünftige Überwachte direkt der Projektstelle zugeteilt, in den anderen Landgerichtsbezirken läuft die Abwicklung zuerst über die Projektbeauftragten und danach über die »Zuordnung« der regulären »Geschäftsverteilung« der Bewährungshilfe (nach Orten oder Stadtteilen), wie es mir eine Bewährungshelferin aus Südhessen erklärt:

»Ich habe ca. vier Wochen vorher erfahren, dass die Verhandlung ist und derjenige vorgeschlagen würde für die Fußfessel als erweiterte Bewährungsauflage. Es kann aber auch genauso gut sein, dass es ein Proband ist, bei dem der Widerruf ansteht, aber auch da ist der Projektbeauftragte immer derjenige, der als erstes davon erfährt, [...] der Projektbeauftragte muss dann die Überprüfung machen, die liegt allein bei dem Projekt, ob derjenige geeignet ist für die Fußfessel. [...] Dann wird die Bewährungshilfe informiert und so, dann wird der Bewährungshelfer erst mit dem Tag des Urteils oder der Verhängung der Fußfessel zuständig.«

Schnapp! - »Die Strafe folgt auf dem Fuße«
Die Anlegung der Fußfessel erfolgt also entweder im Falle der Bewährungsweisung unmittelbar nach dem Gerichtsurteil, im Falle von Untersuchungshaftvermeidung nach Vorschlag der Haftrichterstelle oder wie im Falle der Reststrafenaussetzung dadurch, dass die ProjektmitarbeiterInnen die zukünftig Überwachten aus dem Gefängnis abholen, wie es bei Sibel T. war:

»Also ich wurde entlassen und direkt vor der Tür [der JVA Frankfurt-Preungesheim] stand dann die Bewährungshelferin und wir sind dann zu mir nach Hause und dann kam die Frau von der Technik, die hat mir das dann dran gemacht.«
»Die Frau von der Technik« ist eine Technikerin der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung (HZD) aus Hünfeld, die den »Transmitter« (der sich in einer Schachtel aus Hartplastik befindet und mit einem Hartplastikband am Unterschenkel befestigt wird) anlegt, die Datenbox installiert und über die Schnittstelle ihres Notebooks dem Rechner in Hünfeld die erste Programmierung des Wochenplanes eingibt, weshalb alle Überwachten - solange keine technischen Probleme vorliegen - zweimal mit ihr in Kontakt kommen: zur Anlegung und zur Abnahme der Fessel. Die südhessische Bewährungshelferin schildert »ihre« erste Anlegung:
»Nach der Hauptverhandlung fährt dann derjenige zu seiner Wohnung und dort trifft sich dann die Vertreterin von der HZD, dann war der Projektbeauftragte dabei gewesen und ich als Bewährungshelferin und natürlich dann der Proband [lacht], ohne den es ja wenig Sinn gäbe und seine Ehefrau war auch noch anwesend. Also wir hatten ein nettes Tête-à-tête. Dann wird die Technik gemacht, das heißt die HZD installiert dort diese Box an die Telefonanlage und legt dem Probanden die Fußfessel an und es wird dort ausgelotet, wie weit sein Bewegungsspielraum ist, also er durfte inklusive Balkon, aber nicht vor die Haustür, er kann nicht in den Keller des Mehrfamilienhauses gehen.«
Auf die Prozedur der Anbringung am Bein angesprochen, umfasst sie kurz ihren Knöchel und macht ein schnappendes Geräusch: »Es ist keine größere Aktion. Wie wenn man eine Armbanduhr anschließt.« Am selben Tag muss spätestens - solange es nicht schon vorher gemacht wurde - der Wochenplan erstellt werden. Zwischen den ProjektmitarbeiterInnen oder der Bewährungshilfe und dem Überwachten wird sozusagen der »Vertragsinhalt« erarbeitet, ausgehend von der hierarchischen Abfolge, also zuerst den Anforderungen des Gerichts, den Maßgaben des Projekts sowie den individuellen Belangen des Überwachten (Arbeitszeiten, Therapien, Sportverein, religiöse Aktivitäten, Kinder, Haustiere etc.):
»Das heißt in diesem Gespräch wird mit dem Probanden geklärt, wann muss er zuhause sein, wann hat er die OUT-Zeit und wann hat er ne Überwachungszeit. Dieses wird dann sofort von der Frau [Name] an die HZD telefonisch, vor Ort noch telefonisch weitergegeben, so dass also dort bereits ne Programmierung erfolgt. Dies wird dann quasi über die Telefonleitung in diese Box eingespeichert, die also dort vor Ort ist.« (Bewährungshelferin)
Ausgehend von der Programmierung des Rechners in Hünfeld als zentralem »Akteur« in diesem Überwachungssystem lässt sich diese Passform-Logik relativ simpel erklären. Der Computer, mit der Software der Firma ElmoTech gespeist, kennt zwei mögliche Zeit-Formen, deren »Richtigkeit« er über die Datenbox abfragt. Eine »IN-Zeit«, in der die Überwachten unbedingt in der Wohnung bleiben müssen: hier verlangt die Datenbox des Empfängers das Signal des Senders am Bein. Demgegenüber ist die »OUT-Zeit« unterteilt in verbindliche Abwesenheiten, in der sich die überwachte Person außerhalb der Wohnung aufhalten muss (meist Arbeitszeiten und Arbeitswege) und wird im Programm mit einem Häkchen hinter OUT markiert sowie in eine unverbindliche OUT-Zeit (die knapp bemessenen Freizeiten), in der sich die Überwachten in oder außerhalb der Wohnung aufhalten können. Der Darmstädter Projektbeauftragte übersetzt dieses System recht bildhaft:
»Die Fußfessel macht im Prinzip nichts weiter, außer zu sagen: Tick oder Tack. Tick sagt, ich bin drin im Haus und Tack sagt, ich bin draußen aus dem Haus. Der Computer dazu sagt, stimmt das überein mit dem Plan, den die Menschen miteinander ausgemacht haben. Und wenn es nicht übereinstimmt, gibt's ne Meldung und dann muss man agieren oder man muss vorher sagen: Ich kann aus bestimmten Gründen den Plan nicht einhalten, ich muss das jetzt machen, ist das okay so?«
Das Erstellen des Wochenplanes, die Programmierung des Empfängers und des Rechners in Hünfeld und das Anbringen der Fessel sind die Markierungen bzw. die Startschüsse. Derselbe Projektmanager formuliert trocken, auf was sich die Überwachten nun eingelassen haben: »Dann ist er dran. Und ab diesem Zeitpunkt geht diese Frist von meistens sechs Monaten eben los, Projektteilnahme.«

Die formale Regelung der Überwachungszeit
Nachdem die Programmierung und Anlegung abgeschlossen ist, geht der neue Alltag bzw. die Praxis des Projektes los. Die Betreuung ist laut Erlass des Hessischen Justizministeriums nach der Ausweitung auf andere Bezirke seit 2003 folgendermaßen geregelt: Die Frankfurter Projektstelle besteht aus sechs MitarbeiterInnen der Bewährungshilfe, die mit der Hälfte ihrer Arbeitszeit in einer halben Stelle der allgemeinen Bewährungshilfe und mit der anderen Hälfte in der Projektgruppe Frankfurt arbeiten. Die Projektgruppe übernimmt zusätzlich den Dienst der Rufbereitschaft, der zuständig ist für die Aufnahme, Bearbeitung oder Weiterleitung von Fehlermeldungen, die vom Rechner der HZD per SMS auf das Mobiltelefon des Bereitschaftsdienstes geleitet werden. Die Betreuung wird in Frankfurt nur von den ProjektmitarbeiterInnen durchgeführt, in den anderen Landgerichtsbezirken von der allgemeinen Bewährungshilfe:

»Mit der verurteilten bzw. beschuldigten Person, die eine elektronische Fußfessel trägt, ist mindestens einmal pro Woche ein persönlicher Kontakt herzustellen. Der durch das Gericht genehmigte Wochenplan ist verbindlich. Die Bewährungshelferin oder der Bewährungshelfer stimmt zu Beginn mit dem beauftragenden Gericht ab, in welchem Umfang sie oder er ohne vorherige Zustimmung des Gerichts Änderungen des Wochenplanes durchführen kann.« (Hessisches Ministerium der Justiz 2002)
Ansonsten muss über jede Angelegenheit (Änderungen, Fehlermeldungen) ein Vermerk angelegt werden. Der Projektbeauftragte des LG Darmstadt erklärt: »Alle Verstöße über 30 Minuten, die nicht geklärt werden können, werden dem Gericht mitgeteilt«.

Wie solche Absprachen und Klärungen in der Praxis und Interaktion mit den Überwachten ausgehandelt werden, soll in den nächsten zwei Kapiteln deutlicher werden. Nach diesem Einstieg ins Forschungsfeld, um die formalen Richtlinien und Abläufe der Maßnahme verständlich darzustellen, geht es im nächsten Teil (VII.) um den Alltag mit der Fußfessel aus der Perspektive der Überwachten, um im darauf folgenden Kapitel (VIII.) die Maßnahme aus Sicht der Überwachenden anzuschauen. Dabei wird neben der Arbeitspraxis auch die Verhandlung über Intentionen, Wirkungen, Normen und den Sinn der Maßnahme mehr als bisher in den Mittelpunkt rücken.

 

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67 Im Folgenden unterscheide ich beide nur noch kurz nach der femininen und maskulinen Form. Wenn ich Projektbeauftragte schreibe, zitiere ich also die Leiterin des Frankfurter Projektes, wenn ich Projektbeauftragter schreibe, beziehe ich mich auf den Beauftragten des Landgerichtsbezirkes (LG) Darmstadt, der bis Ende 2002 das Frankfurter Projekt leitete und jetzt das Projekt im Bezirk Darmstadt - von seinem Arbeitsplatz bei der Offenbacher Bewährungshilfe - koordiniert.

68 Ich lege dieser Arbeit das aktuelle Merkblatt zugrunde. Ein Merkblatt aus der Anfangszeit des Projektes schlug noch einen etwas »verschärften« Ton an, so wie den finale Hinweis: »Und eins ist ganz klar, aber wird hier noch mal ausdrücklich gesagt: Das System ist heilig! Versuchen Sie nicht den Sender oder die Datenbox zu zerstören oder auch nur zu beschädigen. Auch das wird sofort vom System gemeldet (und wenn es das letzte ist, was es meldet).« (zit. n. Schönewolf 2001, Anhang B)

69 Stand 18.05.2004 (Auskunft vom Projekt). Dabei wurde der größte Teil der abgelehnten Aufträge vom Projekt als ungeeignet eingestuft. Die Gerichte lehnten einen weiteren Teil von Personen als ungeeignet ab, verurteilten diese zum Großteil aber zu einer regulären Bewährungsstrafe (vgl. Mayer 2004, 7).

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