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elektronisch gefesselte?

VIII. TRAININGSPARTNERINNEN

Warten im neuen Gerichtsgebäude E: grauer Linoleumboden, blass-gelbe Strukturtapete, graue abgehängte Decken und jede Menge dunkelgraue Türen mit schmalen Oberlichtern. Durch die Hallwirkung der langen Gänge erkennt man schon von weitem, ob sich hier Männer- oder Frauenschritte nähern, denn bei Gericht herrscht eine klassische Kleiderordnung. Rauchen ist verboten auf diesen Fluren, dabei schafft die große Uhr doch Bahnhofsatmosphäre, aber ach ja, dort darf man ja auch nicht mehr rauchen. Eben alles sehr amtlich, außer das im Vergleich zu anderen Behörden keiner seine Tür mit irgendwelchen Aufklebern oder Plakaten individuell markiert. Ist das hier nicht gestattet oder passt es nicht zum Habitus dieser Behörde? (aus meinem Feldtagebuch)

Im Gegensatz zu den (ehemals) Überwachten treffe ich fast alle InterviewpartnerInnen während ihrer Arbeitszeit: eine Staatsanwältin, einen Strafrichter, eine Haftrichterin und einen Haftrichter in Büros in verschiedenen Gebäudeteilen des Frankfurter Gerichtsgebäudes. Von dem Richter und beiden HaftrichterInnen wusste ich, dass sie schon einige Male die Fußfessel als Mittel im Strafverfahren oder zur Untersuchungshaftvermeidung einsetzten. Der Strafrichter findet es spannend, dass sich ein Nicht-Jurist und Anthropologe für die Angelegenheit interessiert. Während des Interviews entsteht die ungewöhnliche Situation, dass ein jüngerer Kollege in sein Büro kommt, woraufhin ihn der ältere Richter sofort in die Diskussion respektive das Interview verwickelt. Die Haftrichterin und der Haftrichter sind etwas reservierter, sie haben auch wenig Zeit für das Interview, denn in der extra abgesicherten Haftrichterstelle scheint reger Betrieb zu herrschen. Auf meine Frage, mit welchen Delikten sie es hier meist zu tun haben, sagen die beiden, eben jeder Fall im Bezirk Frankfurt, bei dem über Untersuchungshaft entschieden wird, von Diebstahl bis Mord. Beide sehen die Fußfessel als neue Alternative zur U-Haft, besonders bei Grenzentscheidungen. Sie diene der Bannung der Fluchtgefahr, dafür sei allerdings ein fester Wohnsitz unabdingbar; das Projekt könne aber auch einen Wohnsitz zur Verfügung stellen. Nach der Erzählung über einen konkreten »Fall«, sagt der Haftrichter: »Sehen Sie, die Leute mit Fußfessel bleiben einem besonders im Gedächtnis.«

Ein anderer Richter am Amtsgericht, den ich anrufe, hält überhaupt nichts von der Fußfessel, »dieser elektronischen Kordel da«, soweit es geht versuche er Bewährungsstrafen zu verhängen. Vom Ministerium hätte ihn mal jemand beiläufig gefragt, warum er noch nie die Fußfessel angewendet habe. Dieser Frage entgegnete er mit dem Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit. Nach diesem Telefonat sehe ich mein Grundvorhaben bestätigt, die Maßnahme von ihren Praxis her zu analysieren, also zuerst der Frage: »Was passiert da eigentlich?« nachzugehen und nicht alleinig den Pro- und Contra-Diskussionen zu folgen.

Bei der Staatsanwaltschaft habe ich keine konkrete Adresse, telefoniere mich also durch, bis ich den Pressesprecher am Apparat habe, der sehr zuvorkommend ist und verspricht, einen oder eine Kollegin zu finden. Ich erhalte dann über ihn einen Termin bei einer etwa gleichaltrigen Staatsanwältin, die eigentlich Richterin werden wollte, und die vorschlägt, dass sie mir zuerst die zwei »Fälle« erzählt, in denen sie mit der Fußfessel zu tun hatte, darunter das Gnadenverfahren für eine drogenabhängige Frau, deren Tochter kurz vor der Einschulung stand und die während ihrer Bewährung Handschuhe im Hertie klaute und dafür zwei Monate Haft ohne Bewährung bekam. Durch das von der Staatsanwältin eingeleitete Gnadenverfahren wurde die Haftstrafe für die Frau dann zu einem Jahr (!) Fußfessel, 150 Arbeitsstunden und einer ambulanten Drogentherapie umgewandelt. Das empfand die Staatsanwältin, die in diesem Fall des Gnadenverfahrens statt eines Richters die Kontrolle übernimmt, auch als überzogen, fast eine höhere Strafe als die zwei Monate Haft - und bemerkt ob dieser Anmerkung amüsiert, dass sie wohl nicht meinem Klischee der harten Staatsanwältin entspreche. Sie findet, dass man durch die Tätigkeit zuwenig Einblick in den Strafvollzug bekomme. Mit den Kollegen redet man mehr über konkrete Fälle, weniger über rechtsphilosophische Themen. Aber sie bemerkt, dass ja mein Fach dafür da wäre, den Sinn des Ganzen herauszukriegen.

Die Frankfurter Projektbeauftragte treffe ich in der auch am Gericht ansässigen Projektstelle (zur Problematik dieses Kontaktes vgl. Kapitel 4), den Projektbeauftragten des Landgerichtbezirks Darmstadt in seinem Büro der Offenbacher Bewährungshilfe. Er war bis 2002 der Leiter der Frankfurter Stelle und ist jetzt wieder zurück in der Offenbacher Bewährungshilfe mit der zusätzlichen Aufgabe, den ersten Erweiterungsbezirk zu betreuen. Im zweiten neuen Bezirk in Wiesbaden ist zum Zeitpunkt des Schreibens erst eine Person in elektronischer Überwachung. Mit einer Bewährungshelferin aus einem Ort des Darmstädter Bezirks telefoniere ich, weil ich ihre Nummer als Vertreterin der Landesarbeitsgemeinschaft Hessischer BewährungshelferInnen (LAG Hessen) bekommen habe. Sie teilt mir schon am Telefon mit, dass sie eine entschiedene Gegnerin der Fußfessel ist. Seit kurzem habe eine Kollegin den ersten Fußfessel-Fall in ihrem Bezirk zugeteilt bekommen. »Ich war bisher immer sehr theoretisch gegen die Fußfessel, ich habe es jetzt hier bei der Kollegin praktisch mitbekommen und jetzt bin ich auch ganz praktisch dagegen«, sagt sie während des Interviews in dem südhessischen Bewährungsamt.

Im Vergleich zu den doch eher bescheidenen Büroräumen der hessischen Bewährungshilfe befindet sich die Bewährungshilfe in Amsterdam in einem Hochhaus, das man schon von weitem anhand des roten Schriftzug »de Reclassering« erkennt. Die Räume sind hell und modern, aber das Gebäude ist gleichzeitig ein Hochsicherheitstrakt. Ich muss in einem Vorraum Platz nehmen, dann ruft der Pförtner meinen Gesprächspartner an, der mich unten abholt, weil man ohne Chipkarte gar nicht durchs Gebäude kommt. Die Amsterdamer Behörde vermittelt so viel mehr den Charakter einer eigenen Institution, die hessischen Bewährungshilfen wirken eher wie Außenstellen der Gerichte. Mein Interviewpartner ist Bewährungshelfer und koordiniert das Amsterdamer Programm »Elektronisch Toezicht«.

Das Experten-Interview mit dem Soziologen Markus Mayer führe ich im Max-Planck-Institut (MPI) für internationales und ausländisches Strafrecht in Freiburg, seine Nachfolgerin in der Begleitforschung, Daniela Jessen, treffe ich in einem Café in Frankfurt. Sie ist Juristin, die weitere Evaluation der Fußfessel ist wie bei ihm ihr Dissertationsprojekt. Beide betonen die Unabhängigkeit des MPI und die Neutralität ihrer Forschung, Markus Mayer ist auch nicht ganz einverstanden, dass ich ihn in meinem vor dem Interview geschickten Exposé, als Akteur des Modellprojekts bezeichne. Die Exklusivität seiner Forschung, ein »Forschungsmonopol« hinsichtlich des Zugangs zum Projekt und Ministerium, räumt er jedoch (im Vergleich zu meiner Arbeit) ein.

VIII.1 Eine andere Bewährungsarbeit durch Einsatz von Technik?

»Es liegt an der Technik und an den teilweise eben falschen Vorstellungen, die die Leute davon haben«, begründet Markus Mayer das Spektakuläre am und die Spekulationen über das Projekt Elektronische Fußfessel. In diesem Abschnitt möchte ich den Blick auf die spezifische Praxis der Bewährungshilfe plus elektronischer Überwachung lenken. Dabei benutze ich das von Stefan Beck entwickelte Analyseraster von »Kon-Text« und »Ko-Text« (vgl. Kap. IV.3.1.). Ausgehend vom Objektpotential (Kon-Text) und dem Einsatz des Apparates wird deutlich, dass die Bewährungshilfe in der diskursiven Repräsentation viel mehr auf den (scheinbar weniger spektakulären) Ko-Text, hier das pädagogische Konzept und die spezielle Interaktion rekurriert. Ich verstehe die Verbindung von Kon-Text und Ko-Text daher als relational: Der Ko-Text speist sich zum einen aus traditioneller Bewährungs-Praxis, zum anderen öffnet die Einbettung der Maschine neue Interaktionen und Machtpositionen (vgl. Deleuze & Guattari 1980, 412) und dadurch entsteht eine Hybridform, ein Gefüge in Montage, das ich als Assemblage bezeichne (vgl. Kap. II.1. und IV.3.2.).

»Harter« Kon-Text: Bedeutung der Technik zwischen Orientierung und Nutzung
Interessanterweise lässt sich »Technik als Ko(n)-Text der Praxis« (Beck 1997, 347ff.) auch auf der Seite der Überwachenden eher als »Orientierungskomplex« beschreiben. Konfiguriert sie für die Überwachten eine harte Struktur und schreibt ihnen damit soziale Positionen zu (vgl. ebd., 350), liefert sie den Überwachenden für ihre Praxis eine »diskursive Ordnung« von »legitimen Gebrauchsweisungen«, mit denen »abweichende Umgangsformen« sanktioniert werden (ebd., 351). Damit fällt es leichter, die Kontrolltätigkeit auszuüben, auch weil ein objektives Konstrukt zwischen den zu Überwachenden und den KontrollagentInnen geschaltet ist. Diese »(Ver-)Handlungsentlastung« besteht »schließlich nicht zuletzt gerade darin, feste Zweck-Mittel-Relationen zu fixieren« (ebd., 159). Von einigen InterviewpartnerInnen wird der technische Anteil derart interpretiert. So antwortet der Strafrichter auf meine Frage, wie er den Stellenwert der Technik im Projekt einschätzt: »Das verstehe ich jetzt nicht ganz. Also die Technik garantiert Ihnen, dass dieser Rahmen überprüfbar ist. Diese Rolle hat die Technik und keine andere.« Und auch der Projektbeautrage des LG Darmstadt stellt diesen Aspekt in den Vordergrund:

»Die Technik stellt einfach sicher, dass der Zeitplan, den wir ausmachen, diesen Vertrag, den wir mit den Probanden schließen, wann er was zu machen hat und dass er überhaupt was zu machen hat, dass wir das kontrollieren können.«
Er räumt noch ein, dass durch den »Fremdkörper am Bein« auch eine permanente Erinnerung an die Tat erfolgen kann, sieht dies aber als sekundären Effekt. Was bei dieser primären Intention, also dem, was man von der Technik erwartet, unterschlagen wird, ist, dass die Produkte der Anbieterfirmen schon gewisse »harte« Potentiale aufweisen. Zwar lassen sich die IN- und OUT-Zeiten individuell einstellen, aber dass dies der Kern der technischen Kontrollen ist, wird von den Anbieterinnen vorgegeben. Und wenn man sich deren Internet-Auftritte anschaut, wird klar, dass sie nicht nur Technik, sondern auch diskursive Orientierungen und Affekte innerhalb eines Sicherheits- und Ordnungs-Diskurses anbieten (vgl. I.2.). Die reguläre Bewährungshilfe argumentiert dagegen, dass diese Kontroll-Dichte auch ohne Einsatz von Technik möglich wäre. Aufgrund dieser Kritiken und den von Markus Mayer angesprochen »falschen Vorstellungen« sind die ProjektmitarbeiterInnen gezwungen, sich mit einem Aspekt von »Technik als Nutzungskomplex« (Beck 1997, 353ff.) auseinander zu setzen. Die häufigste Spekulation ist die, dass mit GPS oder vergleichbaren Ortungssystemen gearbeitet wird, was meist zur Ablehnung der Maßnahme führt. Der Haftrichter sagt auch, dass ihm das als Anwendung nicht gefallen würde und kennzeichnet es als »amerikanische Verhältnisse«. Wegen dieser und ähnlicher Vorbehalte, die Beck als den Komplex »Technik als imaginäres Konstrukt« fasst, benötigen die ProjektmitarbeiterInnen zumindest ein Vermittlungswissen zum Umgang mit der Technik:
»Umgang mit Technik erfordert deshalb nicht nur Kompetenz, Fähigkeit und Fertigkeiten in der Nutzung der materiellen Bestandteile technischer Artefakte, sondern auch ein komplexes Wissen um deren - oft umstrittene - Bedeutungsdimension.« (Beck 1997, 354f.)
Das ist insofern auffällig, insofern die MitarbeiterInnen mit der eigentlichen Betreuung der Technik wenig zu tun haben, denn das wird - von der Anlegung, der Programmierung der Wochenpläne, Dienstleistungen bei technischen Problemen bis zur Abnahme der Fessel - von einer Informatikerin der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung (HZD) übernommen. Anders als beispielsweise in einem kalifornischen Bewährungsamt, in dem ein »Probation Technician« permanent vor dem Bildschirm (Monitor) sitzt und mit der Software der Anbieterfirmen, dem eigentlichen Herzstück der Überwachungstechnik, eine Vielzahl von Überwachten verwaltet (vgl. Lindenberg 1997, 107ff.), ist dies in Hessen bei 36 angeschafften Fußfesseln nicht erforderlich. Insofern ist das wenige Reden über die Technik von den BewährungshelferInnen nicht unbedingt als Auslassung zu interpretieren, sondern verweist auf eine bewusste Trennung der Akteursebene zwischen Technik und Bewährungshilfe.76 Die Anforderung für eine Karriere in der Bewährungshilfe ist schließlich ein abgeschlossenes Studium der Sozialarbeit oder Sozialpädagogik und es werden keine besonderen technischen Fähigkeiten verlangt. Das zeigt sich vielleicht auch (wie auch in der Justiz) in einer reservierten Haltung zu technischen Artefakten. So weigert sich ein Bewährungshelfer, der in das Frankfurter Projekt abgeordert wurde, wegen einer »extremen Handy-Phobie« den Bereitschaftsdienst - also das Benutzen eines Mobiltelefons, auf dem die Fehlermeldungen per SMS ankommen - zu übernehmen, wie mir die Frankfurter Projektbeauftragte erzählt. Um dann aber nochmals deutlich die Scheidelinie zu markieren (von Ko-Text und Kon-Text), die dem sozialarbeiterischen Selbstverständnis des Projektes als Teils der Bewährungshilfe entspricht:
»Wir trennen Technik und Pädagogik, haben mit der Anlegung selbst auch nichts zu tun. [...] Wobei immer ein Bewährungshelfer dabei ist. Die Technik ist auch nicht allein mit den Probanden. [...] Wir wissen auch, wie das aussieht in Hünfeld bei der Datenzentrale, aber wir haben damit nichts zu tun. Wir erleben das nur dann auf dem SMS-Handy, wenn die Fehlermeldung ankommt.«

»Weicher« Ko-Text: das pädagogische Konzept
»Technik alleine bringt gar nichts«, sagt der Projektbeauftragte, denn dann »wüsste keiner, warum die Verstöße sind« und macht damit den Anteil des Menschen an der Kontrollmaßnahme stark. Lässt sich am Umgang der kalifornischen Bewährungshilfe (vgl. Lindenberg 1997, 161ff.) ein eher technisches Verständnis des Verwaltens oder Managens einer Situation ablesen, was auf ein Verschwinden des Menschen bzw. dessen, was der humanistische Diskurs als Mensch konstituierte (vgl. Foucault 1974, 412; 462),77 hindeutet, so rekurriert die Verhandlung der hiesigen Bewährungshilfe weiter auf ein sozialarbeiterischen Verständnis, das die von Menschen ausgeführte Tätigkeit (die Interaktion zwischen Menschen und die Besserung von Menschen) in den Mittelpunkt stellt. Ob dies nun als Kritik an der Maßnahme stattfindet oder als Antwort bzw. Selbstvergewisserung des Projekts darauf - es bewegt sich innerhalb dieses Diskurses: doppeldeutig auf den Bedeutungsebenen und in der Praxis, die vor allem auf sprachliche Intervention, also Sprechen als pädagogische Aufgabe setzt.78 Darin ist die Maschine entweder ein Mittel zum Zweck, ein »Vehikel« oder »Hilfsmittel«, oder der Mensch wird in einer dystopischen Kritik zum manipulierten Objekt der Maschine - aber immer Mensch/Maschine trennend, nie in der Möglichkeit einer Einheit von Mensch und Maschine (vgl. Deleuze & Guattari 1977, 497ff.). Daraus ergibt sich die diskursive Bewegung hin von der »Technik an sich« zu einer Art »sozialen Technik«, wie es der Projektbeauftragte (DA) aus der Sicht der Überwachten darstellt:

»Ja, der muss sich auch selbst überlegen, was er jetzt tut und das er für sein Verhalten verantwortlich ist. Das ist, glaube ich, die Sache, also das Zaubermittel bei der ganzen Angelegenheit. Nicht die Technik an sich, sondern die Technik, die ihn dazu zwingt, sich mit seinem Verhalten auseinanderzusetzen.«
Verwiesen wird hier auf das Ziel der Pädagogik, nicht nur auf die »Pädagogik an sich«. Ein Problem der ethnographischen Darstellungsweise dieser Pädagogik ist, dass sie sich überwiegend in der individuellen Interaktion, also im Gespräch (am Telefon, im Büro oder als Hausbesuch) zwischen Bewährungshelfer und zugeteiltem Adressaten abspielt. Insofern ist dies auch ein eher »weicher« Faktor, der von der Begleitforschung durch Markus Mayer als uneinheitlich (ab-)gewertet wird:
»Und da gab es eigentlich kein einheitliches Vorgehen, es gab auch keine Anstrengung, das irgendwie zu standardisieren, also das man sich jetzt regelmäßig zusammengesetzt hätte und versucht hätte, so ein pädagogisches Konzept zu entwickeln oder vorzuschreiben.«
Die Standards entsprechen dem, wie in der Bewährungshilfe gearbeitet wird und sind stark von der Person des jeweiligen Bewährungshelfers abhängig, wie Markus Mayer anfügt:
»Also mir scheint's eher so, dass da die, also vielleicht ganz ähnlich wie in der Schule, jeder Lehrer selbst für sich seine eigene spezielle Form der Didaktik macht, halt auch jeder Bewährungshelfer seine spezielle Form der Pädagogik oder der Sozialarbeit macht, also außer sagen wir mal, das so ständisch geprägt ist oder was so als Mythos von der Bewährungshilfe vor sich hergetragen wird, dass es da eigentlich keine gemeinsame Linie gibt. Also, wobei das ist ein Eindruck, den ich jetzt schlecht belegen kann, das ist meine Wahrnehmung.«
Daniela Jessen sieht dann auch als den fassbaren Kern des pädagogischen Konzeptes die strikte »Zeit-Budgetierung«. Die Frankfurter Projektbeauftragte erkennt im Projekt keinen wesentlichen Unterschied zu den pädagogischen Standards der normalen Bewährungshilfe, außer dass mehr schriftliche Berichte verfasst werden: »Ich sage immer, das Projekt ist so ein bisschen wie so ein Gebäude und sie müssen alles mit Inhalt füllen.« Diese Tätigkeit ließe sich als eine flexibel modulierte Arbeit am Ko-Text der Maßnahme fassen. Es gibt gewisse Ausführungsbestimmungen und Anweisungen des Gerichtes, aber es wird auch ganz stark auf Praxis und Erfahrung gesetzt. Insofern kommt auch der Habitus der jeweiligen Bewährungshelferin mit ins Spiel - quantitativ wohl nicht als Idealtypus fassbar:
»Also ich bin mir sehr sicher, dass der Bewährungshelfer seine eigenen Wertvorstellungen, seine eigene Blickrichtung mit rein bringt in das Betreuungsverhältnis, das glaube ich ganz bestimmt, also da ist niemand frei von in der Arbeit. Weil natürlich ist mein oberstes Ziel: Ich möchte mit dem Probanden erreichen, dass er nicht mehr straffällig wird. Aber das ist ja so abgedroschen.« (Frankfurter Projektbeauftragte)
Daniela Jessen spricht von »konzeptionellen Zielen«. Diese können aber nicht als etwas der Maßnahme äußerliches begriffen werden: das ist der Trugschluss einer über allem darüber liegenden Transzendenz - die Maßnahme bewegt sich im Immanenzfeld der Norm mit der Bewährungshilfe als Mediator der Normalisierungsmacht.

Das Vertrags-System: »Verbindlichkeit und Konsequenz«

»Der Bewährungshelfer hat immer, ob er im Projekt arbeitet oder in der normalen Bewährungshilfe eine Doppelrolle einzunehmen. Er soll auf der einen Seite helfen und auf der anderen Seite kontrollieren, das muss ja der in der normalen Bewährungshilfe auch machen. [...] Und jetzt habe ich diese elektronische Überwachung und das ist, sage ich mal, ein sinnvolles Hilfsmittel, es fällt mir sehr viel leichter das zu machen und den Probanden belastet es nicht.«
Die Frankfurter Projektbeauftragte beschreibt hier, wie durch die Überwachungstechnologie der Anteil der Kontrolle leichter fällt, denn hier ist das objektive Konstrukt als Struktur gestaltendes Element zwischengeschaltet. Ein Teil der Auflagen ist der mindestens einmalige Kontakt in der Woche. Die Überwachten sehen so zwangsläufig ihre KontraktpartnerInnen von der Bewährungshilfe öfter und statten diese dadurch mit einem Mehr an Wissen gegenüber einer herkömmlichen Bewährungssituation aus, denn
»der Mann oder die Frau, der muss sich mit seiner Situation auseinandersetzen, wenn sich was ändert am Plan, muss er mit mir Kontakt aufnehmen. Das heißt neben dem einmal wöchentlichen Kontakt telefonieren wir alle Naselang miteinander. Bei jedem Verstoß rufe ich da an, sage: Was geht denn hier ab, warum kommen Sie denn immer zwei Minuten zu spät? Sie schmeißen immer den Bereitschaftsdienst aus dem Bett. Das geht so nicht weiter, also gucken Sie mal, ob Sie ihre Uhr richtig gestellt kriegen! Also man hat mehr Kontakt miteinander. Ich hab jetzt gerade wieder einen Fall abgeschlossen, den werde ich einfach missen, dass ich den nicht mehr so häufig sehe. [...] Wegen jedem Scheiß habe ich mit dem da geredet, habe einen Mords Einblick in den auch bekommen. [...] Das hätte ich sonst gar nicht mitbekommen. Und das verändert dann natürlich schon die Arbeitsweise und die Einstellung des Bewährungshelfers.«
Was der Projektbeauftragte hier mit Überzeugung für die Maßnahme proklamiert, ist, dass ihm - als ehemaligem Skeptiker gegenüber der Maßnahme - damit für bestimmte AdressatInnen nun die Form von Bewährungsarbeit ermöglicht wird, die er durch die Kontaktdichte als besonders positiv beschreibt. Er sieht sich und das Projekt als faire Vertragspartner, die ein Angebot der Gegenseitigkeit offerieren:
»Das ist das absolute Hauptargument für die Fußfessel. Der pädagogische Teil, Stichwort Verbindlichkeit und Konsequenz, das ist der absolute Hauptteil. Das zu bieten und das zu fordern, Verbindlichkeit und Konsequenz. Das machen wir, wir bieten das auch in unserem 24-Stunden-rund-um-die-Uhr-Bereitschaftsdienst, wir bieten das auch mit dem einmal in der Woche persönlichen Kontakt. Wir bieten das auch damit, dass wir überhaupt den Wochenplan mit den Leuten besprechen. Ja und dass sie ein paar auf den Deckel bekommen, wenn es nicht läuft. Dass dann sofort immer was passiert. Genauso wie sie auch immer, wenn sie irgendwelche Probleme haben, auch manchmal nachts um zehn jemand anrufen können und sagen, hier Scheiße gemacht, wie auch immer. Und das, sowohl das eine als auch das andere. Sowohl, dass die Leute sich immer auf uns verlassen können, das ist der Punkt, den die genießen. Sie können sich auf uns verlassen im Guten wie im Schlechten. Wir stehen zu unserem Wort. Das sagen die dann auch immer. Wir können, also die sagen dann immer: Euch kann man ja nicht verarschen.«
Der Bewährungshelfer aus Amsterdam sieht in dieser Situation demgegenüber aber keine gleichberechtigte Abmachung [deal]:
»A deal may not be a very good expression. Because a deal is both-side, but I say you have to be in your home at five o'clock, he has to be in his home at five o'clock. That's the deal. Not between him and me but that's my deal because I say you have to be in your home at five o'clock. And I mean that's not really a deal. When you make a deal, you are, you talk about it and you both agree about the time. Maybe he doesn't agree and wants to be at six in the home. But I make the rules and for me there are rules, too. I have to work with rules made by the Ministry of Justice and I do have a little space. I can play a little with the rules.«
Er verweist damit auf den Aspekt, dass die Bewährungshilfe im Gegensatz zur Unabhängigkeit der RichterInnen weisungsgebunden ist, sich also auch in einem Netzwerk der Überwachung befindet.

Ein Spielraum liegt auch im Procedere der ausgesprochen Verwarnungen bei weniger groben Verstößen oder wenn es dafür einen triftigen Grund gab, wie »fire in the house«, als bei einem Amsterdamer Überwachten der Weihnachtsbaum in Flammen aufging. Ob ein Verstoß zu einer »yellow card« führt, »depends on the guy who is getting ET [Elektronisch Toezicht] and it depends on a guy, a guy like me«, erläutert der niederländische Bewährungshelfer diesen Ermessens-Spielraum. Die meisten Fehlermeldungen im hessischen Projekt kennzeichnet die Projektbeauftragte als »ganz lapidare Dinge« wie die Verspätung einer U-Bahn. Aber sie bringen die Überwachten »in Erklärungsnot«. Von der Rufbereitschaft, die den Probanden dann zu erreichen versucht, werden die Erklärungen aufgenommen, an den zuständigen Bewährungshelfer weitergeleitet, der sie dann überprüfen soll. Die niederländische Bewährungshilfe startet auch Kontrollanrufe bei Arbeitgebern sowie bei den abgesprochenen Aktivitäten im Freizeitbereich: »When somebody says I'm going to football or to the sports court, there is the possibility that we call the football or the sports group to ask if the people are really there.« Bei einer Gelben Karte muss sich in den Niederlanden die überwachte Person vor den vorstehenden Autoritäten (Gericht oder Gefängnisbehörde) verantworten, in Hessen werden den RichterInnen alle Verstöße über 30 Minuten vorgelegt. Der Strafrichter erzählt mir, wie er in der Situation eines groben Verstoßes verfahren ist:

»Also ich hatte jetzt einen, in Vertretung für einen Kollegen, der ist ne Nacht weggeblieben, war innerhalb der Bewährung. Dann habe ich gleich einen so genannten Sicherungshaftbefehl, §453c ist das, sagt Ihnen nichts, erlassen. Und zwar ist das ein Haftbefehl, wenn jemand Bewährungsauflagen oder Weisungen nicht erfüllt, will man ja nicht immer gleich die Bewährung widerrufen. Man will ihn anhören, man muss ihn teilweise auch anhören. Manchmal kann man die Leute aber nicht anhören, weil sie nicht da sind. Sie sind dann weg. Dann erlassen Sie einen so genannten Sicherungshaftbefehl, der nur den Zweck hat, den Mann festzunehmen oder die Frau, zu ihnen zu bringen und dann können sie entscheiden, warum hat er diese Bewährungsauflagenweisung nicht erfüllt, widerrufe ich die Bewährung oder widerrufe ich sie nicht. In dem Fall, ich habe einen Sicherungshaftbefehl erlassen, wollte ihn damit von der Polizei zu mir bringen lassen und ihm dann sagen: So geht es nicht mehr. Dann habe ich diesen Sicherungshaftbefehl wieder aufgehoben, dann letztendlich. Also so kann man darauf reagieren. Es gibt Fälle, bei mir sind sie Gott sei Dank nicht vorgekommen, wo die Elektronische Fessel und es gibt nur wenige, die Zahlen hat auch die Bewährungshilfe unten, versagt hat und die Bewährung endgültig widerrufen werden musste.«
Die endgültige Widerrufsentscheidung liegt also bei den Gerichten und damit im Ermessen einer RichterIn. Insofern ist der Spielraum für die Überwachten im hessischen Modellprojekt nicht so klar einschätzbar, wie die Aussage »denn die Tarife sind klar« des Projektbeauftragten suggeriert. Im Zwischenbericht der Begleitforschung wird angedeutet, dass die Überwachten »immer befürchten müssen, dass sie im Falle eines Verstoßes tatsächlich vor der Inhaftierung stehen« (Mayer 2002, 17).

Der zweite Aspekt der »sofortigen Reaktion« ist die schnelle Anwendung der Maßnahme. Vergehen normalerweise zwischen Urteil und der Zuteilung zur Bewährungshilfe mehrere Wochen, so erfolgt bei der Maßnahme Elektronische Fußfessel sozusagen die »Strafe auf dem Fuße«, in der Diktion des Projektes als »zeitnahe Reaktion«:

»Gucken Sie mal, wir fangen im Projekt sehr viel früher an. Der Bewährungshelfer bekommt manchmal Urteil und Beschluss, das ist der Arbeitsauftrag des normalen Bewährungshelfers, den bekommt der ein halbes Jahr nachdem das Urteil gesprochen wurde. Ja da hat der Proband ein halbes Jahr ohne Bewährungshelfer prima gelebt und dann kommt der Bewährungshelfer plötzlich und sagt: Ab jetzt kommst du jeden Monat zu mir und ab jetzt sagst du mir dies und das und ich bin jetzt für dich da. Dann sagt der mit gutem Recht: Lieber Mann, liebe Frau, ein halbes Jahr habe ich es ohne dich geschafft, was willst' n jetzt. Wir haben ja, wir sind sehr viel früher eingeschaltet. Mit der Anklageschrift oder mit der Anhörung zum Widerruf, natürlich ist das auch rechtskräftig, ohne Rechtskraft geht nichts. Aber wie gestern die Situation war, die Hauptverhandlung ist um viertel nach vier zu Ende und es war alles vorbereitet, er war um dreiviertel fünf angeschlossen. Und der Bewährungshelfer war da. Ich bin nicht bei der Hauptverhandlung von dem Probanden außer wenn das ein Zweitverfahren ist. Aber normalerweise ist alles Gerichtliche abgeschlossen bis ich als Bewährungshelfer in Aktion trete. Und wir sind im Rahmen der Hauptverhandlung schon dabei. Im Vorfeld auch im Rahmen der Beauftragung.« (Projektbeauftragte)
Im normalen Bewährungsfall fühlen sich die Verurteilten »aber freigesprochen«, weil eine ganze Weile erstmal nichts passiert. Markus Mayer interpretiert den sofortigen Vollzug der Maßnahme Elektronische Fußfessel deshalb als ein »lern-theoretisches Modell«:
»Wenn ich will, dass Leute was begreifen, muss ich das so gestalten, dass sie einen Bezug zu dem herstellen können, zu dem ich es auch herstellen muss. Also das wäre dann vielleicht auch eine Form von Resozialisierung.«

Umstrittene Betreuungsdichte des Projekts
Ein von Befürworterinnen wie von Kritikern häufig genanntes Argument für den »Erfolg« des Modellprojektes ist die hohe Betreuungsdichte. In der regulären Bewährungshilfe ist die »Fallbelastung« des einzelnen Bewährungshelfers laut Statistik der LAG Hessen seit Ende der 1990er auf über 90 Probanden gestiegen (LAG Position 2002). Im Modellprojekt lag diese Rate weitaus niedriger. Das betont auch der Strafrichter:

»Ich denke, nach wie vor, ich bin langsam dabei mich zu ändern, dass der riesige Erfolg der Elektronischen Fessel in dem fantastischen Verhältnis Proband und Betreuer, Proband und Bewährungshelfer ist. Ein Bewährungshelfer hat zwischen 80 und 100 Leute, bei der Elektronischen Fessel ist das Verhältnis fast eins zu eins oder eins zu drei. Und das ist der Erfolg. Ich habe es bisher immer bestritten, dass der Erfolg auch damit zusammen hängt, dass die. [...] Wie gesagt, vor acht, neun Monaten hätte ich noch gesagt, der Erfolg liegt noch alleine in dieser dichten engen Betreuung, jetzt rücke ich da langsam ein bisschen ab und werde auch so ein bisschen überzeugter, dass dieses Gerüst dieser Zeitraum alleine positive Dinge hervor führen kann und hervor führt.«
Mit dem im Gespräch hinzukommenden Kollegen erörtert er später den möglichen Anstieg der Betreuungsdichte bei mehr Aufträgen:
S: Wenn noch mehr Elektronische Fesseln verhängt werden, verhängt würden, würde vielleicht bei denen auch die Dichte steigen, äh abnehmen, statt 1:4, 1:20. Und dann fällt schon wieder dieser Effekt weg, nicht wahrscheinlich, sondern mit Sicherheit.
K: Betreuungsintensiv ist das Projekt ja, das will ja nicht Geld sparen. Und da wird ganz klar eine Priorität gesetzt.
S: Man müsste natürlich mal überlegen. Wenn man jetzt die Haftkosten gegen rechnet, wann ist so ein Break-Even-Point da, jetzt sind so viele Bewährungshelfer teurer als die Haft, ne. Müsste man den sogar ausreizen diesen Punkt.
Der zweite Richter bemerkt auch, dass im Projekt »die Top-Bewährungshelfer« sind, »die besten Leute«. Die Haftrichterin und die Staatsanwältin betonen ebenso die hohe Qualität und Kompetenz des Projekts. Die Staatsanwältin sagt, dass es ja immer ein Problem ist, wenn man die Kontrolle an jemanden abgibt, aber sie hat ein hohes Vertrauen in das Frankfurter Projekt und sagt, dass die Projektbeauftragte eine »kompetente Person« ist, man »brauche sich eigentlich um gar nichts mehr zu kümmern«, denn die Projektstelle erstelle sehr gute Berichte.

VIII.2 »When people lie, we could control it«

Ging es im letzten Kapitel darum, wie das Gefüge angeordnet ist, fokussiere ich jetzt das Funktionieren der Überwachung, also das, was als neues Moment oder Schlüssel zu mehr Wissen und Macht fungiert:

»The significance of informating for disciplinary powers is that it forms the technical base for these new forms of social control and discipline by adding an entirely new possibility to the social control mix.« (Mainprize 1996)
In den letzten Abschnitten wurde deutlich, dass die Maßnahme darauf abzielt, Wissen auch über »triviale Informationen« und deren Überprüfbarkeit zu bekommen, damit, wie es die Begleitforschung ausdrückt, »die Probanden ihre in oft jahrelangen Umgang mit der Justiz eingeübte Fassadennormalität nicht mehr in gewohnter Weise aufrechterhalten können« (Mayer 2002, 16). Der Amsterdamer Bewährungshelfer bringt es auf den Punkt: »When people lie, we could control it«. Und der Projektbeauftragte erläutert es an der konkreten Kontrolle der Einhaltung der Auflage der gemeinnützigen Arbeit:
»Also wenn ich zum Beispiel mit jemanden ausmache, gemeinnützige Arbeit, also morgen gehst du zum Tierheim Frankfurt und checkst ab, ob du deine Stunden machen kannst, dann kontrolliere ich das durch die Elektronische Fußfessel, dass er morgens um acht Uhr, von mir aus, das Haus verlässt, weil um neun Uhr soll er im Tierheim sein. Also wenn er um fünf nach acht nicht aus dem Haus raus ist, weil er denkt, ach der Bewährungshelfer wird es schon nicht mitkriegen, außerdem penne ich lieber noch ein bisschen, so ziemlich kalt da draußen. Da kriege ich um fünf nach acht ne Nachricht im Bereitschaftsdienst bzw. der Bereitschaftsdienst bekommt ne Nachricht. Und der Bereitschaftsdienst wird sofort reagieren. Der weiß, der Herr Sowieso ist zu Hause, das weiß er ja, er hat ja einen Alarm gekriegt und ruft bei ihm an. Und der Proband selber hat ja auch gar nicht die Möglichkeit zu sagen, ich bin nicht zu Hause, ich versteck' mich ein bisschen, weil der auch weiß, der Bereitschaftsdienst weiß, ich bin zu Hause, wenn die Fußfessel das meldet. Und dann schmeißt er ihn aus dem Bett raus. Also es wird, es erfolgt sofort eine Reaktion, das ist der große Vorteil. Bei der normalen Bewährungshilfe ist es, wenn ich jemand vermittle in die gemeinnützige Arbeit, der kein Bock hat, dann macht der mit mir das Spielchen ›Bäumchen wechsle‹ Dich‹ und versteckt sich ein bisschen so. Also dann dauert das manchmal Monate, bis ich den dann habe und dann sagt der mir, ja da war niemand da bei der Einsatzstelle. Und so geht Zeit ins Land, sinnlos, wo er schon längst die Arbeitsstunden gemacht haben könnte, bis er überhaupt damit anfängt. Und hier ist es ganz klar, wir machen was aus und er muss es einhalten, absolut zuverlässig. Und wenn nicht, kriegt er gleich eine Reaktion. Sofort und nicht in sechs Wochen.«
In der normalen Bewährungshilfe sollen diese Auflagen ebenfalls kontrolliert werden, aber dort beklagt sich die Projektbeauftragte: »so ein großes Druckmittel habe ich gar nicht«. Auch für die eher helfende Tätigkeit sieht sie an den Hausbesuchen, dass »der Zugang zum Probanden sehr viel einfacher« ist, sie kennzeichnet dies als »höhere Kontaktdichte« im Vergleich zur regulären Bewährungshilfe und fügt ironisch hinzu:
»Wir sind näher dran. Wir sagen auch oft: Wir sitzen am anderen Ende der Fessel oder manche sagen auch: Wir sitzen denen ja fast auf der Bettkante, weil sie alles mitbekommen.«

»Dieses Ding da unten löst was aus«
Obgleich die Funktion des Macht-Wissens so offensichtlich ist, möchte ich trotzdem noch mal kurz an dessen Konzeption bei Foucault erinnern:

»Ohne ein System der Kommunikation, Registrierung, Anhäufung und Verlagerung, das selbst wieder eine Form der Macht darstellt und in seiner Existenz und Funktion an andere Formen der Macht gebunden ist, entsteht kein Wissen. Dagegen wird ohne die Förderung, Aneignung, Verteilung oder Einbehaltung des Wissens auch keine Macht ausgeübt.« (Foucault zit. n. Lemke 1997, 95)
Hier scheint die »Assemblage« Elektronische Fußfessel, dieses kleine Überwachungsmaschinchen eben besonders geeignet, die Kommunikation anzuregen. Markus Mayer weist damit die simple These, derselbe Effekt könne mit einer hohen Betreuungsdichte auch in einer regulären Bewährungsarbeit ohne den Einsatz der Überwachungstechnik erzielt werden, zurück, »weil durch die elektronische Überwachung ein bestimmtes Interaktionsmuster entsteht«. Im Kapitel VII. habe ich versucht, für dieses Gefüge aus der Sicht der Überwachten eine Analytik zu entwickeln. Ohne jetzt auf der Inhaltsebene die Befunde der Begleitforschung zu bestätigen oder an einem Mythos der Fußfessel als der perfekten oder unausweichlichen Überwachungstechnik mitzuschreiben, wird die Technik - und damit meine ich das dadurch initiierte Gesamtgefüge - doch redlich unterschätzt. Denn durch sie wird die Ermittlung dieses banalen Wissens erst ermöglicht:
»Und interessanterweise so Dinge entstehen, dass die Probanden eigentlich nicht mehr hinterfragen, wenn ich eine Frage stelle, dass sie jetzt zum Beispiel dem Projektmitarbeiter gegenüber rechenschaftspflichtig sind und zwar gegenüber Dingen, die eigentlich nicht bewährungsrelevant sind.« (Markus Mayer)
Der Effekt ist also ein besonderes »Schwimmen« im Netz der Kontrolle, ein Verlust der Selbstbestimmung von Informationen:
»Und die lässt sich schlechter aufbauen, diese Fassadenormalität, wenn ich immer wieder die Karten auf den Tisch legen muss, also in eigentlich unbedeutenden Dingen, aber in denen dann auch schon etwas steckt, was ich eigentlich wieder nicht preisgeben will.« (Markus Mayer)
Markus Mayer relativiert danach dieses Preisgeben von Informationen als »kein Wissen, was sonst niemand bekannt ist« und übersetzt die Überwachungssituation als einen Regelfall sozialer Kontrolle, als eine Übertragung und Lokalisierung des angloamerikanischen Begriffs »Community Corrections«,79 dem so benannten Anwendungsgebiet der Fußfessel in den USA:
»Im Grunde leistet eine Überwachung was, was eigentlich das normale soziale Umfeld ohnehin erwartet, aber aus welchen Gründen auch immer, offensichtlich nicht mehr in der Lage ist, alleine durchzusetzen.«
Dabei geht es ja gar nicht unbedingt um den Inhalt der Information. Doch auch wenn die Überwachten die raffiniertesten Listen der Camouflage oder Mimikry aufbieten, um diesen Verfahren Widerstand zu leisten: sie sind verurteilt zu sprechen, zur Kommunikation.

»But actually, it's a golden cage«

»I think a lot of people think well, people with ET, what's the problem? They are sitting at home, they can drink a beer, they can smoke a cigarette, they are free, and they can go to the city for an hour. But actually it's a golden cage. Because you have some freedom but most of the time you are not free. You see a nice picture in the paper, but you can't go there. December 31st December, twelve o'clock everybody is in the streets and you can't go. You can't go to your back yard; it is impossible, even in the summer. You have to stay home. So for a lot of people it's harder than most people think it is, especially when you have ET for a very long time.«
Auch wenn im Frankfurter Projekt die Reichweite des Empfängers ein Aufhalten im Garten (so vorhanden) ermöglichen soll, so deuten die Sätze des niederländischen Bewährungshelfers doch vor allem darauf, dass er die Maßnahme auch als sanktionierend begreift, wie die Mehrzahl der Interviewten (zumindest anteilig) auch. Die Staatsanwältin findet die Maßnahme »nicht lasch«, der Strafrichter setzt sie auf einer Skala »unmittelbar unter die Freiheitsstrafe ohne Bewährung«. Der Haftrichter versteht sie in seinem Anwendungsfeld als Möglichkeit, jemanden von der Untersuchungshaft zu verschonen, sinnvoll, sieht sie aber im Bewährungsfalle als »repressive Maßnahme«. Markus Mayer kennzeichnet sie als »Stigmatisierung gegen sich selbst«:
»Und was die Probanden schon sagen, das ist eine andere Bewährung, weil sie während der Monate nicht verdrängen, nicht vergessen können, dass sie unter Bewährung stehen.«
Der Projektbeauftragte sagt dazu:
»Meistens sind die Leute auch heilfroh, wenn die sechs Monate rum sind, auch das muss man sagen. Aber sie akzeptieren es alle als eine Alternative zur Haft, als die bessere.«
Durch die über dreijährige Arbeit im Projekt sagt er zwar, dass sich Wochenpläne auch mal ändern lassen, »durch Diskussionsprozesse mit uns hier«, aber was unmöglich bleibt, ist ein spontanes Verlassen des »goldenen Käfigs«, was er mit Empathie illustriert:
»Auf der anderen Seite, negativ fällt mir auch das Beispiel ein, dass viele sagen, meine sozialen Kontakte werden eingeschränkt. Also wenn ich um 23 Uhr, 22 Uhr, 23 Uhr zu Hause sein muss und mich ruft ein Kumpel an, mir geht's Scheiße, meine Frau hat mich verlassen, können wir mal ein Bier trinken gehen, also ich muss mir immer irgendwie einen Spruch dazu einfallen lassen, warum ich nicht rausgehen kann, dann schränkt das die sozialen Kontakte ein. Das ist mit Sicherheit auch ein Problem. Also für mich persönlich wäre es auf jeden Fall eins.«

»Da waren wir ein Stück mit im Boot«
Aus der Sicht einer Bewährungshelferin, die unlängst ihren ersten »Fall« mit Elektronischer Fußfessel übernehmen musste, stellt sich die rege Berichts- und Informationstätigkeit zwischen Bewährungshilfe, Gericht, HZD und dem Überwachten als ein zusätzlicher Verwaltungsaufwand dar:

»Also das muss immer alles in die Akte rein und es steht auch drin, dass muss chronologisch sein, das muss unverzüglich in die Akte rein, das heißt also auch da wird Bewährungshilfe verwaltungstechnisch viel stärker...«
»Gegängelt einfach!«, fällt ihr die am Interview teilnehmende Kollegin ins Wort: »Das war jetzt zu beobachten in deinem Fall, so ne Akte schwillt von Null auf Hundert in Windeseile an, einfach nur durch Faxe hin, zurück, her und trallala.« Besonders aufgeregt hatte sich die überwachende Bewährungshelferin über eine Mitteilung eines Mitarbeiters der Frankfurter Projektstelle,
»dass er dann ab diesem Wochenende Bereitschaft hatte und er bittet um die Mitteilung meiner Handynummer, meiner Privatnummer. Da habe ich nur den Kopf geschüttelt. [...] Es ist bisher vom Arbeitgeber her nicht eindeutig und klar so vorgeschrieben und damit hat man natürlich schon eine Neuerung, also eine Veränderung für unsere Tätigkeit, als man auf einmal doch sagt: Bewährungshelfer, die einen Fußfessel-Probanden betreuen, müssen erreichbar sein. [...] Bislang haben wir nicht, absolut nicht in dieser Verpflichtung gestanden, so deutlich erreichbar zu sein. Also das ist ein Punkt, wo sich die Arbeit verändert.«
Aus der Sicht dieser beiden Bewährungshelferinnen stellen sich die Kontrollen auch als eine Zumutung bzw. als einen Eingriff in die bisherige (relative) Autonomie ihrer Arbeit dar. Die Kontrollen entziehen also nicht nur den Überwachten die Spielräume, als »Fassadennormalität« beschrieben, sondern übertragen sich auf die Überwacherinnen, die sich nun auch mehr in einem erweiterten Kontroll-Netz [net-widening] wiederfinden. Es wird als eine Art Misstrauensvotum gegenüber der bisherigen Bewährungsarbeit erlebt, wobei sich das Misstrauen nicht personifizieren lässt, denn es wird durch das Netz oder Gefüge der neuen Art der Überwachung hergestellt:
»Ich habe normalerweise nie Rücksprache mit einem Richter. [...] Da sagt der Richter: Machen Sie das so, wie sie das für richtig halten, ja, also ich weiß, Sie gucken da genau nach. Aber jetzt ist man in eine andere Abhängigkeit hinein geraten und fühlt sich selbst mit kontrolliert, nicht nur der Proband wird kontrolliert mit der Fußfessel, sondern auch die Bewährungshelfer.«
Die Kollegin erläutert, dass diese relative Autonomie bisher bedeutete, einen »Spielraum« zu haben, der beinhaltete, dass die Bewährungshilfe feststellte, welcher Verstoß »gröblich und beharrlich ist« und so zum Widerruf führen könne. Genau dies wird von der Begleitforschung kritisiert, die zur Nichtdokumentation von Abweichungen sagt:
»Den Mitarbeitern war offensichtlich nicht bewusst, dass die Eingriffsintensität der Maßnahme eine Form der Dokumentation erfordert, die eine nachträgliche Überprüfung ihrer Entscheidungen erlaubt.« (Mayer 2004, 22)
Die andere Bewährungshelferin räumt ein, dass dies ihre erste Überwachung mit Fußfessel ist und sie vielleicht bei einer nächsten »gelassener« reagieren würde. Allerdings befürchtet sie, dass die Maßnahme scheitern könnte, »neue Straffälligkeit« entstünde und damit die Bewährungshilfe erneut in Misskredit gerate:
»Also auf einmal selbst in ein Denken rein zu kommen - ich formuliere es jetzt so aus meiner Sozialarbeitersicht: ein Stück paranoid zu werden. [...] Angst zu entwickeln, man könnte mir was an meiner Betreuung kritisieren oder mich zur Verantwortung ziehen, dass ich das ganze so lasch gehandhabt habe, also großzügig gehandhabt habe und aus diesem Punkt ja eigentlich auch klar war, dass die Fußfessel für den nicht ernst genug gewesen ist und es deswegen auch zum Beispiel zu neuen Straftaten gekommen wäre.«
Deshalb versucht sie die Maßnahme sehr genau auszuführen; und vielleicht hat der von ihr Überwachte deswegen enger gezurrte Kontrollen als die direkt vom Frankfurter Projekt Überwachten. Mayer sieht in dieser individuellen Ausgestaltung der Überwachung auch das Problem, dass sie den Intentionen gegenläufig sein kann und fordert ein »kohärentes pädagogisches Konzept« der Gestaltung der Wochenpläne (Mayer 2004, 25).

VIII.3 Social-Control-Talk: Die Abweichung und ihre Gegenmittel

Nachdem nun dargestellt wurde wie die Überwachung funktioniert, was sie für die Alltage und Praktiken von Überwachten und Überwachenden bedeutet, will ich nun zeigen, wie die »Techniker allgemeiner Ideen« (Rabinow 1989, 9), also die Regelsetzerinnen und Mediatoren der »Normalität« Sinn und Bedeutung der Maßnahme im »Social-Control Talk« (Cohen 1983) herstellen. Dabei ist ein Rückbezug auf Foucault sinnvoll, nämlich dass die Normen ein Teil des Feldes sind und diesem also »nicht äußerlich« sind, sie sind »weniger Maßstab oder Ausgangspunkt als Gegenstand der Analyse« (Lemke 2003, 262). Zwar ist der Verstoß gegen die Norm in Form einer Gesetzesverletzung der formale (souveräne) Überbau der Verurteilung zu elektronischer Überwachung, aber der Versuch über die Maßnahme »Normalität« herzustellen, ist weniger ein Zugriff auf die Straftat als ein Eingriff in eine als defizitär bewertete Lebensführung. Der Strafrichter definiert Resozialisierung zunächst am Grenzwert des Normverstoßes: danach bedeutet Resozialisierung als ein Zurück zu einem »straffreiem Leben« eigentlich nur unterhalb dieses Soll-Wertes zu bleiben: »Mir ist letztendlich, sage ich mal so, ziemlich egal, was ein Verurteilter macht, solange er nicht strafbar wird.« Aber im Kontext unterhöhlt er selbst diese präskriptive Norm des Gesetzes mit einer empirischen Norm von konformen Verhalten als substanzielle Grundlage für das Funktionieren eines Gesellschafts-Vertrags:

»Wenn unser Ziel genannt wird, Resozialisierung ist gleich straffrei Führen, dann sind im Grund genommen alle anderen Dinge, die darunter liegen bzw. das straffreie Führen möglich machen, die sind gewünscht und gehören auch dazu. Weil sie die Bedingungen für das straffreie Leben sind. Und wenn diese Effekte durch die Elektronische Fußfessel eintreten, umso besser.«
Die Norm oder die Normalität stellt sich folglich erst aus der Abweichung von dieser her:
»Die Intentionen waren Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit und Antrainieren eines strukturierten Arbeitsalltages. Das klingt jetzt auch ein bisschen belehrend oder sozialarbeiterisch, aber das, was wir feststellen, ist bei unseren Probanden: die haben alle immer ne gebrochen Biographie. Da ist keine abgeschlossene Familie, keine abgeschlossene Schulausbildung, keine abgeschlossene Lehre - Null. Das einzige, was da ist, ist das große Bockprinzip. Also man macht was, so lang, wie es irgendwie geht und wenn man keinen Bock mehr hat, dann hört man damit auf. Es wird immer abgebrochen.« (Projektbeauftragter)
In der eben beschriebenen Partitur missglückte der rhythmische Marsch durch das Raster der Disziplin. Der »Soundtrack« der Disziplinargesellschaft: dort »hörte man nie auf, anzufangen (von der Schule in die Kaserne, von der Kaserne in die Fabrik)« (Deleuze 1993b, 256). Hier verschiebt sich auch das Motiv der Re-Sozialisierung - also einer Rückkehr zu einer in der Vergangenheit erfolgten (sekundären) Sozialisation (vgl. Berger & Luckmann 1970, 167) - zu dem Willen, bei denen, die sich bisher durch Unangepasstheit verweigerten, hier endlich einzugreifen und eine Sozialisation durchzuführen. Sanktioniert wird eigentlich (auch wenn das die Mehrzahl der JuristInnen nicht so sieht) die Art der Lebensführung. Ein Individuum kann sich vielleicht solange bestimmten Disziplinen entziehen, bis es wegen einem Legalitätsbruch einer Disziplinarmaßnahme zugeführt wird.80 Als Gegenmodell zum oben arrangierten »Bockprinzip« formuliert der Projektbeauftragte, welche Norm in der Maßnahme durchgesetzt werden soll:
»Die Norm, die hier hoch gehängt wird, ist eigentlich mal was zu Ende zu machen. Das, was man anfängt, auch mal zu Ende zu bringen und etwas zu tun, ohne nach dem Bockprinzip sofort darauf zu reagieren, zu sagen, wenn es irgendwelche Schwierigkeiten gibt, dann breche ich sofort wieder ab. Die Norm ist das, was die Leute bisher gelernt haben, was ich vorhin beschrieben habe, mit den gebrochenen Biografien, dem was entgegenzusetzen. Also gucken, komme ich denn damit zurecht, bringt mir das was, ist das ne Alternative zum ›auf dem Ämtchen rum zu stehen‹.«
Das bedeutet in der Konsequenz die »Fabrikation von zuverlässigen Menschen« (Treiber & Steinert 1980) oder zumindest von zuverlässigeren Menschen, die bereit sind, sich in die kapitalistische Produktionsweise einzugliedern. Dies formuliert auch Markus Mayer, wenn er sagt, dass Bewährungsweisungen dazu dienen, »Einfluss auf die Lebensführung des Probanden zu nehmen.« Die Frankfurter Projektbeauftragte stellt deshalb an die Überwachten den Anspruch, arbeiten zu gehen und sich nicht »in der sozialen Hängematte« auszuruhen:
»Also dass das nicht das Ziel sein kann, jemand dahingehend zu beraten, dass er alle Möglichkeiten ausschöpft, wie er nicht mehr zu arbeiten braucht in unserer Gesellschaft. Ich denke, das können wir uns auch gar nicht mehr leisten.«
Wie schon in Kapitel VII. dargestellt, »sind die meisten Alarme, die wir haben, auch wenn die Leute verpennt haben und dann morgens noch im Bett sind und irgendwie sich nicht raus bewegen« (Projektbeauftragter). Frühaufstehen allein ist aber nur ein Teil einer methodischen Lebensführung; sie verlangt auch danach, zeitig ins Bett zu gehen:
»Morgens aufstehen, arbeiten zu gehen, abends zu einer bestimmten Zeit ins Bett zu gehen, damit sie morgens wieder arbeiten gehen können. Dass sollen sie einfach mal erfahren, dass sie in der Lage sind, etwas durchzuhalten. Und unsere Hoffnung ist, dass sie das irgendwie auch internalisieren.«
Allein, von dem, was der Projektbeauftragte hier als geregelten Alltag kennzeichnet, wird die Einhaltung der Bettruhe nicht überprüft (es sei denn, die Überwachten verlassen die Wohnung). Nur wer morgens im Ernstfall telefonisch geweckt wird oder regelmäßig arbeiten geht, macht auf Dauer nicht jede Nacht »Remmi-Demmi«, um hier auch mal mit dem »gesunden Menschenverstand« oder der »Erfahrung« zu argumentieren. Der Wert, der über diese Form der Arbeitsmoral und Lebensführung »internalisiert« werden soll, ist Zeit-Disziplin:
»In einem fest geordneten Zeitraum sich einzuordnen, sich zu gewöhnen an diese Disziplin, sich neu zu gewöhnen an feste Termine, sich neu oder wieder zu gewöhnen an verbindliche oder überprüfbare Dinge.« (Strafrichter)
Der Begriff der Normalität geht also von der Abweichung vom »normalen« Verhalten aus, die Begründung der Normalität scheint demgegenüber »in der Natur der Dinge« zu liegen. Eine solche Konzeption oder ein derartiges Erklärungsmuster lässt sich mit Geertz als die »Unmethodischheit« des Common Sense bezeichnen (vgl. VI.1.). Die Verurteilten müssen jetzt ja nur tun, was der Rest auch tut, da es von ihnen (von wem auch immer) erwartet wird: Konformität als Klebstoff des »Sozialen«. Darüber hinaus lässt sich anhand der »gern gesehenen« Ausnahmen oder Freizeitbeschäftigungen innerhalb des Wochenplanes skizzieren, was als normkonform bzw. die Maßnahme fördernd gewertet wird. Genannt werden die vier Institutionen: Arbeit - Religion - Familie (und konforme Bekannte) - (Sport-)Verein. Ansonsten beziehen sich die Einschränkungen vornehmlich auf den Freizeitbereich. Eine (abgesprochene) Fehlermeldung wegen geleisteter Überstunden wird honoriert. Allerdings orientiert sich diese Normalitätsvorstellung an einer regulierten Lebensweise, die Kennzeichen des Fordismus war. Zu fragen ist, inwieweit dieser Ansatz angesichts deregulierter Verhältnisse überhaupt noch der Realität entspricht. Neue Prekarität in selbstständiger oder flexibler Arbeit lässt sich organisatorisch schwer in das Korsett eines Wochenplanes einpassen. Bei einem Transfer-Fahrer im Mittelverkehr, der auch mal bis Mailand fahren musste, wurde die Maßnahme nach einer Weile eingestellt, weil die Ausnahme vom Wochenplan zur Regel wurde. Der Mann kam wieder in die normale Bewährungshilfe, denn »da steht schon die Arbeitsnorm über der langen Abwesenheitsdauer« (Markus Mayer). Ein Ziel der Maßnahme war schon erreicht, denn das sind Leute, die »ein gewisses Arbeitsethos schon mitgebracht haben« (Markus Mayer).

Im »Social-Control Talk« wird deshalb mehr über den Teil der Überwachten gesprochen, bei denen das nicht der Fall ist. Zwar stellen sie laut Markus Mayer nicht unbedingt die Mehrzahl dar, aber in den diskursiven Repräsentationen sind diese Individuen die bevorzugt thematisierten »Fälle«, findet hier doch der pädagogische Hebel seine bevorzugte Anwendung. Wer passt also zu der Maßnahme oder zu wem wird sie passend gemacht?

Besonders geeignet: »Familienväter mit BTM-Delikten«
Der Wirtschaftsanwalt Michael Rietz betreibt eine Homepage mit zahlreichen Links zur elektronischen Fußfessel und propagiert diese als probates Mittel für Wirtschaftskriminelle aus gehobenen Schichten (www.rietz.de). Als ich das dem Projektbeauftragten erzähle, meint der dazu trocken:

»Der gesettelte Bürger, der deswegen Scheiße baut, weil er das Risiko bewusst eingeht, sag ich mal, der Wirtschaftskriminelle, für den bringt ne pädagogische Beeinflussung gar nichts. Der weiß genau, was abgeht.«
Auch Daniela Jessen verspricht sich wenig vom Einsatz der Fußfessel bei Straftätern in Betrugsdelikten, da dort eine ganz andere »kriminelle Einstellung« vorhanden sei, nämlich möglichst schnell an Geld zu kommen. Solch rascher ökonomischer Erfolg stelle sich nun mal nicht durch regelmäßige Arbeit während der Überwachungszeit ein. Der niederländische Bewährungshelfer kommt aus seiner Arbeit mit »Elektronisch Toezicht« allerdings - was das Einhalten von Verträgen und Absprachen angeht - zu einer anderen Einschätzung:
»Well I think that 80 % of our clients are nice guys - and sometimes big criminals. But with the big criminals you make very good opspraken [Absprachen]. That's normal because they are very big criminals and big criminals machen gute Absprachen, ja.«
Rekurriert der Niederländer in diesem dreisprachigen Zitat pragmatisch auf das Einhalten von Absprachen, wird in den anderen Zitaten eher die pädagogische Intention, Verhalten und Einstellungen zu ändern, betont. Deshalb brauchen die TechnikerInnen, die die Maßnahmen initiieren, gestalten und ausführen, für die Praxis der Assemblage Elektronische Fußfessel »passende TeilnehmerInnen«. Der Modellversuch und die Maßnahme brauchen diese Einstellung der Gegenseitigkeit, in der beide Seiten wie Puzzleteile ineinander greifen müssen oder die wie in einer guten Beziehung(s-form) eben im Miteinander harmonieren sollen. Daniela Jessen zufolge ist die Maßnahme besonders geeignet für Leute, die einen »spießbürgerlichen Lebenswandel« anstreben oder Hilfe dafür benötigen. Als besonders erfolgreich hätten sich »Familienväter mit BTM-Delikten« heraus kristallisiert. Bei ihnen wurde durch die Maßnahme eine andere Familiensituation geschaffen, von denen Frau und Kinder profitierten, da der Ehemann wieder die Rolle des Versorgers übernahm und ins Familienleben zurückkehrte. Sie bemerkt weiter, dass Leute, die schon einen regelmäßigen Lebenswandel haben, weniger geeignet für das Projekt sind, wobei Markus Mayer im Gesamtüberblick über die Überwachten zum Schluss kommt:
»Es ist weniger unregelmäßig als es vielleicht so auch in den Darstellungen erscheint und es gibt ne Menge Erwerbstätige dabei, deren Alltag sich durch die Elektronische Überwachung nicht verändert hat.«
Laut Broschüre des Projektes wurden »Süchtige« als absolut ungeeignet ausgeschlossen. Trotzdem sind in der Maßnahme relativ viele Verurteilte wegen Betäubungsmitteldelikten (worunter sowohl Handel, Besitz und Konsum fallen). Der Strafrichter, der auch in der BTM-Abteilung des Amtsgerichtes arbeitet, differenziert das:
»Ja, also Sie können im Betäubungsmittelbereich einen Junkie natürlich nicht vorschlagen. Also er muss schon irgendwie, jetzt die Tätergruppe oder die Angeklagtengruppe muss schon irgendwie sozial und familiär verankert sein, kann durchaus Drogenkonsument sein, aber nicht der vollkommen verwahrloste Junkie, muss also irgendwie ne Festigkeit haben. Und es gibt ja auch durchaus Leute, die auch in dieser Situation strafbare Handlungen nach dem Betäubungsmittelgesetz machen, so dass das von der Thematik des Gesetzes her sich nicht ausschließt.«
Eric B. teilt mir die Beobachtung mit, dass er am Anfang seiner Überwachungszeit im Büro des Projekts selten auf andere Überwachte traf, jetzt sieht er dort zunehmend »so Junkies aus dem Bahnhofsviertel«. Die Projektbeauftragte beschreibt diesen Personenkreis:
»Aber das sind jetzt nicht die Junkies, die sie auf der Straße rum fliegen sehen, sondern das sind oftmals die Personen, die aus einer Therapie kommen, die eventuell einer Therapie zugeführt werden sollen, die ambulante Therapien machen, die substituiert sind.«
Was denn mit den »vollkommen verwahrlosten Junkie« geschieht, für die auch das Fußfesselprogramm keine Tür mehr aufhält, frage ich die Staatsanwältin, die aus ihrer Einschätzung sagt, dass die meisten inhaftiert werden. Die Projektbeauftragte stellt aus ihrer langjährigen Bewährungspraxis fest, dass »das Klientel schwieriger geworden« ist:
»Also sie haben heute weitaus mehr Personen, die neben den, ich sag mal neben den äußeren Dingen wie fehlender Schulabschluss, mangelnde Bildung und einhergehend mit mangelnder Bereitschaft, ja haben sie heute auch viele Probanden, die ja psychisch deformiert sind. Also die einfach aufgrund ihrer, ich drücke es mal lieber aus, gesundheitlichen Situation überhaupt nicht in einen Arbeitsprozess zu integrieren sind, weil sie so geschädigt sind durch verschiedene Dinge, dass es wahnsinnig schwer ist.«

»Wir versuchen, die Leute fit zu machen, dass sie irgendetwas aushalten«
Vitores und Domènech schreiben über Electronic Monitoring aus dem Blickwinkel der Kontrollgesellschaft: »Instead of engraving a routine, we talk about monitoring information. In short to keep in order is not to keep in place« (Vitores & Domenech 2003, 8). Es mag sein, dass sie hier auf die Technik des »Tagging«, also einer permanenten Ortung im Raum anspielen. Aber auch dann unterschlagen sie, dass die Disziplin als Machttechnik, die Körper formt oder produziert, hier immer noch wirkt. Auch wenn in einer postindustriellen Produktionsweise, die bei Hardt und Negri als bio-politische Produktion oder immaterielle Arbeit beschrieben wird, nicht mehr die Fabrik das leitende Paradigma bildet (vgl. Hardt & Negri 2002, 298f.), löst sich damit nicht die »Anatomie der Disziplin« auf, die Foucault in den Besserungstechniken auch »soziale Orthopädie« nennt.

Soziale Orthopädie weist schon hin, dass bei den Leuten etwas nicht stimmt und so wieder geheilt werden soll: »Krankheit ist eine Reduktion auf Konstanten und zwar auf eben jene Normen, mit denen wir uns selbst als normal begreifen« (Rabinow 2004, 90), schreibt Rabinow in Anlehnung an Georges Canguilhem. Den Begriff der Abweichung von der Norm als Krankheit oder als das Pathologische führe ich an dieser Stelle ein, weil wie oben beschrieben, über diese »Fälle« am meisten erzählt wird. Und zu Krankheit passt der Begriff der »Therapie«, der vergleichsweise oft genannt wurde. An zweiter Stelle steht dann der Begriff des »Trainings«, der schon auf post-disziplinäre Praktiken verweist. Bröckling skizziert das am Begriff des »Feedbacks«, der regelmäßigen Fütterung mit »differenzierten Rückmeldungen« in der Menschenführung des modernen Managements:

»Die Norm ist ihrerseits, auch das ist ein Unterschied zu den traditionellen Disziplinarapparaten, allein relational bestimmt und nach oben hin offen. Kontrolle bedeutet nicht länger die Kontrollierten auf einen fixen Sollwert zu eichen, sondern eine unabschließbare Dynamik der Selbstoptimierung in Gang zu setzen.« (Bröckling 2003. 86)
Ich behaupte nun, die Assemblage Fußfessel und die TechnikerInnen, die sie zusammensetzen, operieren hier genau zwischen einem minimalen Sollwert der Fremd-Disziplinierung und der Hoffnung, dass darüber Selbst-Disziplinierungen in Gang gesetzt werden. Der Strafrichter antwortet auf meine Frage, ob die Maßnahme zu einem bestimmten Personenkreis passe:
»Fremddisziplinierung funktioniert nur so lange, indem immer jemand da ist, der es kontrolliert und überwacht. Und Disziplin lernt man eigentlich nur für sich selbst allein, man kann sie nur für sich allein anwenden. [...] Die Leute, die wenig Selbstdisziplin haben, brauchen viel. [lacht] Das kann ich nur so formulieren. Eigentlich vom Tätertyp her würde ich sagen, da gibt es keinen klassischen Tätertyp, der irgendwie da jetzt besondere Defizite oder besondere Qualifikationen hat.«
Der Projektbeauftragte aber unterstreicht, dass bestimmte Leute ein soziales Training oder eine Therapie überhaupt nicht brauchen: »Graf Lambsdorff hat damals keine Bewährungshelfer gebraucht, sag ich mal, als der verurteilt worden ist: Der wusste, wie er sich seinen Schlips zu binden hat.« Der Graf als Teil der Elite bringt Selbstdisziplin schon als »reservierte Selbstkontrolle« (Weber 1947, 117) mit, im Gegensatz zu denen, wo erst »Ordnung in die Lebensführung« (ebd.) gebracht werden muss. Der minimale Sollwert changiert so zwischen präskriptiver Norm (Vermeidung von Straffälligkeit) und deskriptiver Norm: dem was gesellschaftlich als nicht abweichend gilt. Es gilt, Verhalten zu ändern oder positiv zu beeinflussen, ähnlich psychiatrischen Maßnahmen eine feste Struktur als Orientierung anzubieten:
»Die Struktur eines Tages, das sind Begriffe oder sind Dinge, die den Probanden oftmals fremd sind. Ja, sie sind nicht gewohnt, morgens aufzustehen, sie sind nicht gewohnt einer Beschäftigung nachzugehen, sie sind nicht gewohnt irgendwelche Behördengänge zügig zu machen oder bestimmte Dinge zu erledigen. Jetzt sind sie unter elektronischer Überwachung und dann ist es doch - ich sag es mal in Anführungszeichen - ganz normal, dass jemand, der vorher nicht gewohnt war aufzustehen, dass der auch mal ne Fehlermeldung produziert, dass er verpennt hat. Dass aber genau macht ja auch das Projekt aus. Also wir sind hier nicht so ein Büro, was eine, ich sag jetzt mal Wahnsinnsfreude dran hat, diese Kontrolle auszuüben, sondern die Kontrolle ist ein Vehikel, um gezielt mit ihm intensiv pädagogisch zu arbeiten. Wenn einer jeden Morgen verschläft, dann thematisiere ich das im Rahmen dieser wöchentlich stattfindenden Gespräche.« (Projektbeauftragte)
Dieses erste Verhaltenstraining setzt sich also zum Ziel, Lebensführung über geregelte Tagesabläufe zu erreichen: »Und diese An- und Abwesenheit, das ist ein Training. Und je intensiver es trainiert wird, desto erfolgreicher ist ja dann auch der Tagesverlauf.« Die Projektbeauftragte stellt weiter fest, dass durch die in der Maßnahme ausgelöste verbindliche Interaktion und Kommunikation sich auch der sozialarbeiterische Anteil von Hilfe und Fürsorge in Form von Hausbesuchen schneller regeln lässt:
»Der Zugang zum Probanden ist sehr viel einfacher. Die kommen dann und ob sie nun das Familienalbum bringen oder ob sie dann endlich, weil sie wissen, man kommt ja nächste Woche wieder, dass sie endlich mal hinter dem Fernseher die ganzen Briefe rausgeholt haben und haben sie auch schon sortiert und wir können die nächste Stunde mal gucken, was wir da ordnen müssen und wo wir anfangen.«
Der Projektbeauftragte vergleicht diese Tätigkeit mit dem positiven Zweck von Erziehung:
»Ich habe meiner Tochter deswegen mit sieben Jahren die Hausaufgaben kontrolliert, damit sie es mit 17 Jahren allein macht. Und das habe ich nicht gemacht, um sie zu quälen. Aber hätte ich es nicht gemacht, hätte sie es nicht gemacht, weil die hätte dann erstmal andere Jobs drauf gehabt. Aber jetzt mit 17 macht sie ihre Hausaufgaben. Das war das Ziel, was ich erreichen wollte.«
Hilfe zur Selbsthilfe? Die SozialarbeiterInnen gehen an dieser Stelle auf jeden Fall davon aus, dass bestimmte Personen Hilfe bedürfen. Die Staatsanwältin sieht in der Freiwilligkeit, sich der Maßnahme zu unterziehen, »die Bereitschaft zu einem geregelten Leben«. Der Amsterdamer Bewährungshelfer konstatiert dabei aber die Unterschiedlichkeit der Personen: »Sometimes people need more time to learn self-discipline.«

Neben dem Ziel, das Verhalten zu ändern oder wie es die Projektbeauftragte ausdrückt »für sich bestimmte Dinge klarzukriegen«, impliziert die Maßnahme insofern Aspekte des Trainings, nämlich die Potentiale von Aktivierungsprozessen: »Wir versuchen, die Leute fit zu machen, dass sie irgendetwas aushalten, ihren Arbeitsprozess oder so was.« Auf meinen Einwand, dass sich die Anforderungen von Arbeitsprozessen doch auch gerade im Wandel befinden, entgegnet der Projektbeauftragte:

»Ja, wenn man das alles aushalten soll, was das Arbeitsamt einem vorschlägt, dass man so flexibel ist von hier nach Schleswig-Holstein zu ziehen und drei Monate später wieder nach München und wieder zurück, dann muss man aber ganz schön diszipliniert sein.«
Damit entwickelt er eine Art evolutionäres oder Zwei-Phasen-Modell, bei dem die Leute erstmal durch das »Nadelöhr« der Disziplinierungstechniken durchgehen müssen, um später überhaupt den flexiblen Modulationen der post-disziplinären Prozesse standhalten zu können. Dadurch sieht er in der Maßnahme das Potential, etwas herauszukriegen, nämlich seine eigenen Handlungspotentiale zu orten, wie er es anhand des Durchlaufens der Maßnahme von Stefan N. beschreibt, der jetzt wisse, dass er keinen Job tagsüber machen will und deshalb eher zu einer Nachttätigkeit tendiere: »Also der weiß jetzt, wo er hingehen will. Ob sich's realisieren lässt, ist die zweite Frage. Er hat gesehen, wo seine Grenzen sind, aber auch seiner persönlichen Stärken.« Das erhoffte Ergebnis des Trainings ist eine Form von Selbsterkenntnis als »Diskursritual« (Foucault 1983, 79), eine Bewusstwerdung eines möglichen Handelns innerhalb der Norm. Der Projektbeauftragte drückt es so aus:
»Und was ich machen will, ist einfach die Leute erstmal damit konfrontieren, dass sie auch was durchhalten können. Dass sie einfach mal sehen, ob das besser ist, als das Leben, das sie bisher gelebt haben. Und dann sollen sie entscheiden.«
In der Bewährungshilfe nimmt die Bedeutung von multiplen Funktionen zu: Überwacherin, Therapeut, Trainerin und Impulsgeber im Fitness-Prozess, Mediatorin der Norm, Berufs- und Lebensberater. Sie wird zur Expertin für eine Technologie der Therapie, welche interdisziplinär die Grenzen von Psychiatrie, Sozialarbeit und Management de-zentriert.
»Das Individuum soll seine Lebensqualität insgesamt erhöhen, indem es lernt, sein eigenes Schicksal als selbstfabriziertes anzuerkennen und dafür Selbstverantwortung zu übernehmen. Zu diesem Zweck übersetzt die Therapie die Führung der alltäglichen Existenz in eine Serie von Problemen, die das Selbst autonom managen kann« (Opitz 2004, 152, kursiv i. O.).
Die Therapie fungiert damit auch als Angebot. Am Ende entscheidet das Individuum selbst, was es daraus macht. Die Eventualität eines Scheiterns wird darin zum eigenunternehmerischen Schicksal.

Internalisierung oder Inszenierung des Normalzustandes?
Markus Mayer sagt im Interview, dass er den Begriff der Selbstverantwortung und Selbstmotivation nicht sehr gelungen findet:

»Also das ist schon eine gewisse Leistung, die da erbracht wird und die wird so, glaube ich, gar nicht gesehen. Auch eine organisatorische Leistung. Und ich glaube, dass die merken, man kann so was und ich hätte es mir bis dahin zugetraut, das mag für einige zutreffen. Aber wie gesagt, das scheint mir die Minderheit zu sein und ich habe den Eindruck, dass viele das schon entweder bisher mal taten oder vorher konnten. Und dann vielleicht doch die Erfahrung machen, diese Regelmäßigkeit hat gewisse Vorzüge.«
Das Erfüllen der Auflagen durch die Überwachten wird als Leistung von der Familie oder dem Umfeld »honoriert«, generiert so »Anerkennung durch andere«.81 Woher aber kommt dieser stete Rekurs auf die Fälle von Sozialisation, die Markus Mayer als Minderheiten des Projektes kennzeichnet? Also auf jene, denen die Normalität erst schmackhaft gemacht oder »eingeimpft« werden soll:
»Man verspricht sich ja davon: Es wird sozusagen dieser Lebenswandel vollzogen oder zumindest simuliert oder er wird beibehalten. [...] Also zum einen ist es nicht so unregelmäßig und bei denen, wo es unregelmäßig ist, versucht man diese Normalität zu simulieren. Und das gelingt mehr oder weniger gut.« (Markus Mayer)
Daniela Jessen kennzeichnet dies als das »Training des bürgerlichen Normalzustandes«. Der Clou: Erst wird den Überwachten der Boden für eine Simulation von »Fassadennormalität« weggezogen (vgl. VIII.2.), um so ins verwundete System die Matrix der Normalitäts-Rituale einzuspeisen. Findet hier eine freiwillige Unterwerfung der Subjekte (vgl. Althusser 1973) oder doch nur ein Trainieren von Oberflächen als weiche Form von Subjektivierung statt? Eine der beiden südhessischen Bewährungshelferinnen wertet die Maßnahme als »reine Konditionierung«, die Frankfurter Projektbeauftragte als »Unterstützung«, hält es aber auch nicht für sinnvoll, die Maßnahme länger als sechs Monate zu praktizieren, »weil da spielen sich dann auch bestimmte Rituale ein, ja das wird dann auch was Mechanisches.«

Ob sich diese moralischen Unternehmungen wirklich in die Lebenspraktiken der Überwachten einschreiben, bleibt für den Projektbeauftragten spekulativ: »Das ist unsere Hoffnung, über die sechs Monate hinaus. Und das soll die wissenschaftliche Begleitung erforschen« (Projektbeauftragter). Der Strafrichter setzt ebenfalls große Erwartungen in die Ergebnisse des Max-Planck-Institutes und hofft auf eine Bestätigung des Erfolges von »Zeitdisziplin, Eigenverantwortlichkeit, und und und. Ich warte mal, was die Leute vom MPI dazu sagen, denn das war, hoffe ich jedenfalls der Kernpunkt der Evaluation«. Ich halte es hier für wenig sinnvoll, zu beurteilen, ob in einem halben Jahr Internalisierungen stattfinden, auch weil dieser Begriff eher eine Domäne der Verhaltenswissenschaften ist. Anthropologie hat ihre Stärke in der Untersuchung dessen, was in der Praxis vor sich geht und wie Bedeutung innerhalb von heterogenen moralischen Landschaften hergestellt wird. Was an diesen Orientierungen zumindest deutlich wird, ist, dass der Ort, zu dem die Trainingsabsolventen geführt werden sollen, eine Vorstellung von »kleinbürgerlicher Normalität« (Markus Mayer) als angepasster Lebensweise ist. Fabriziert durch einem Cocktail aus deskriptiven Normen, dem was Mehrheiten tun oder was man als massenkonformes Handeln annimmt, aufgefüllt mit »gesundem Menschenverstand« (Common Sense).

Markus Mayer bemerkt, dass dieser Anpassungs-Weg »genügend Unannehmlichkeiten mit sich bringe [...], dass man es als Sanktion verstehen kann.« Die Maßnahme schaffe keine »künstliche Insel« [Gefängnis], sondern operiere sofort mit den Regeln von »draußen«, dem Nachgehen einer regelmäßigen Tätigkeit und der Befolgung von Regeln, ironisch skizziert als »das, was wir von unseren treuen Staatsbürgern erwarten.« Damit bewegt er sich zwischen präskriptiven und deskriptiven Normen, »und zwar vom Inhalt der sozialen Gewohnheiten, die wir von den Leuten erwarten«. Denn wer »davon abweicht, dann ist ja das Misstrauen hoch, dass er ein Normbrecher sein könnte.« Überwachten im Status der U-Haft-Vermeidung wurde laut Markus Mayer ein »Erscheinen als orientiert an sozialen Gewohnheiten des bürgerlichen Lebens« ermöglicht. Sie hatten dadurch in der Hauptverhandlung »bessere Karten«, die Anpassung an die Maßnahme stellte ihnen sozusagen ein »gutes Zeugnis« aus: »kriminell oder weniger kriminell erscheinen«. Dieses Beispiel führt wieder zurück zum Ausgangspunkt, dass nicht allein die Tat, sondern auch die Person des Angeklagten gerichtet wird. Der zweite Clou: In manchen Fällen scheint das Projekt eine Simulations-Fassade anzubieten. Und nie vergessen: Die »big criminals« machen die besten Absprachen.

VIII.4 Bewährungshilfe zwischen Effizienz und Empathie

Elektronische Überwachung als Bewährungsarbeit ist vor allem innerhalb des eigenen Berufsstandes umstritten. Die Projektbeauftragte bemerkt, dass Personen mit Fußfessel-Weisung oft »in der normalen Bewährungshilfe gescheitert sind«, und meint damit auch, dass durch die Fußfessel nun Personen betreut werden, die vorher durch Inhaftierung gar keine AdressatInnen von Bewährungshilfe gewesen wären. Sie sieht die Maßnahme deswegen nicht als »Konkurrenz« zur normalen Bewährungshilfe. Gleichwohl generalisiert sie als Befürworterin (aus der vergleichenden Praxis) der Maßnahme deren Vorteile:

»Dieses ›sich verstecken hinter bestimmten Dingen‹ kommt bei der Fußfessel sehr viel schneller ans Licht als in der normalen Bewährungshilfe. Also ich empfinde das, ich könnte mir sogar vorstellen, dass das immer ne Alternative sein sollte, wenn es um eine Bewährung geht. Dass es, dass man sich den einzelnen Fall angucken müsste, ob nicht dieses, ich sag jetzt mal Training, dieses Trainieren bestimmter Verhaltensweisen und Strukturen, ob das nicht effizienter ist für einen Einstieg in eine Betreuungssituation als wenn man den, ja laufen lässt.«
Dieses Plädoyer für die Fußfessel als »effizienten Einstieg« in eine Bewährungsarbeit von der Projektbeauftragten deckt sich mit Markus Mayers Einschätzung, durch die Fußfessel »näher an das heranzukommen, was wir eigentlich wollen«, die Durchsetzung und Kontrolle von Sanktionen. Das impliziert, dass dies in der regulären Bewährungsarbeit so nicht leistbar ist. Die LAG Hessen hält dem eine »Erfolgsquote von 70% positiv beendeter Bewährungen« (LAG Position 2002)82 entgegen und sieht die Fußfessel als »kurzfristige Konditionierung« (ebd.). Eine der beiden südhessischen Bewährungshelferinnen führt diese Kritik genauer aus und stellt dem ihre Definition von Bewährungshilfe gegenüber:
»Unsere Arbeit besteht ja wirklich in erster Linie aus Hilfe und Betreuung bei Problemen aller Art. Und das hin und her Ge-Faxe, nur weil einer eine Viertelstunde früher nach hause kommt, ist für mich einfach keine Arbeit, die ich als Bewährungshelferin machen möchte, ich denke, es gehört auch nicht zu meinem Job. Natürlich muss ich auch kontrollieren, das ist ganz klar, aber die Kontrolle bezieht sich auf Auflagen und Weisungen und hier in dem Fall bei Fußfessel konzentriert sich alles auf Kontrolle in einer bestimmten Auflage, ja. Und das kann es in meinen Augen nicht sein. [...] Und ich habe wirklich meine ganz großen Zweifel weiterhin, ob die Leute damit eine Struktur lernen, wenn sie zu bestimmten Zeiten raus müssen und zu bestimmten Zeiten wieder rein müssen.«
Dagegen setzt sie auf das alte linksliberale Prinzip: »Sozialpolitik ist die bessere Kriminalpolitik« (vgl. Cremer-Schäfer & Steinert 1998, 75)83 - Problemlösung und Prävention ist die (individuellen) Ursachen in den Griff zu kriegen:
»Ich denke, ganz grundsätzlich orientiert sich das, was wir tun an den Bedürfnissen der Klienten. Das ist denke ich mal, oberstes sozialarbeiterisches Gesetz. Klar, da sind Leute von der Norm abgewichen, sind dafür bestraft worden und werden jetzt vom Richter hier zu uns geschickt. An uns die Aufforderung, bitte seht zu, dass der in die Lage versetzt wird, ein Leben, also ein zukünftiges Leben ohne Straftaten zu führen. So, dieses in die Lage versetzen, das ist mir jetzt wichtig, weil es gibt, ich will jetzt überhaupt keine Straftaten entschuldigen, um Gotteswillen, aber wenn sie manchmal sehen mit welcher Art von Leuten wir hier zu tun haben, wo so vieles im Argen ist.«
Als Beispiele für Hilfestellungen nennt sie Schuldnerberatung, dann, vor allem bei Jugendlichen, Familientherapie oder Anti-Aggressionstraining, um Verantwortung bei Körperverletzungsdelikten zu übernehmen. Dem effizienten Management des Verhaltenstrainings setzt sie so die Hermeneutik des Einzelfalls und Ursachenanalyse entgegen. Dafür möchte sie Zeit haben, anstatt mit Zeit zu disziplinieren:
»Das Positive an der Bewährungshilfe ist auch, dass ich zunächst auch mal Zeit habe und mir diesen Menschen erst mal angucken kann, ihn ein Stück kennen lernen kann, mit samt seinem Umfeld kennen lernen kann und dann geeignete Maßnahmen vorzuschlagen, durchzuführen, im Einvernehmen mit dem Gericht, auch mal vorschlagen, der sollte vielleicht das und das und das machen, ja, also da ist so ein Stück Zeit. So was vermisse ich jetzt bei der Fußfessel, denn der kriegt nur diese Pünktlichkeit, das kriegt ein derartiges Übergewicht. Natürlich möchte ich auch, dass meine Probanden auch ohne Fußfessel pünktlich sind, gut aber es passiert jetzt nicht gleich das große Drama, wenn der zu spät kommt. [...] Also am Einzelfall orientiere ich mich, gucke, was muss ich da machen, ja und wie gesagt, ich habe aber nicht den Druck, dass innerhalb von drei Wochen zu regeln, kann ich auch gar nicht, denn Verhaltensweisen, die sich über Jahrzehnte, Jahre und Jahrzehnte aufgebaut haben, da bilde ich mir nicht ein, die innerhalb von vier Wochen verändern zu können, ja. Das wäre ein Unding. Ich habe aber auch ein Stück Zeit, da jetzt mal zu gucken und dann zu intervenieren.«
Diese empathische Perspektive, die Erklärungen für die Normabweichung im »Einzelfall« zu suchen und auf das individuelle Problem einzugehen, ist auch ein Versuch, sich gegen die Technik der Fußfessel bei der gleichzeitigen Einforderung von kleineren Betreuungsverhältnissen in der Bewährungshilfe, abzugrenzen. Die Frankfurter Projektbeauftragte weist das Argument, dies könne auch ohne Fußfessel erreicht werden, zurück:
»Das glaube ich aber nicht. Also es macht nicht nur die reduzierte Fallzahl aus, sondern es macht tatsächlich die Kombination aus. Ja dieses Ding da unten löst was aus. Und das dann sinnvoll eingesetzt macht das.«
Aus den Argumentationen der beiden Projektbeauftragten wird deutlich, dass sie von klientenorientierter Arbeit nicht abrücken, sie aber anders und »effektiver« einsetzen wollen: vermischt mit der post-disziplinären Rhetorik des Managements, aber immer noch am Einzelfall klebend - durch die »besondere Art der Interaktion«. Im Projekt wird die Intention nur anders umgesetzt, indem die rigide Versuchsanordnung über die Überwachten sehr viel Wissen generiert und ihnen entzieht. Für den Anfang eines Überwachungsverhältnisses konzentriert sich so die Bewährungshilfe mit Fußfessel zuerst auf die Veränderung des individuellen Verhaltens. Die »klassische« Bewährungshelferin hingegen will erst an die Ursachen des Problems ran, bevor sie, individuell abgestimmt, interveniert. Das Projekt Fußfessel erklärt dazu, durch die »zeitnahe« und frühe Intervention, komme man aber näher an die Probleme ran, die man sonst gar nicht mitbekommen würde. Hier treffen zwei unterschiedliche Vorstellungen vom Zugriff auf die »Klienten« aufeinander. Die Bewährungshilfe wünscht sich eine Person, an die man mit Verstehen langsam an die Sachen, die da »im Argen« liegen, rankommt. Das Projekt eher jemanden, der darüber vielleicht gar nicht reden will, aber permanent durch Wochenplan, Aushandlung, verbindliche Kommunikation mit »etwas« konfrontiert wird, was bestenfalls sein Problem ist und das sich dann wieder über sozialarbeiterische Hilfestellung bearbeiten lässt. Die Maßnahme mit Fußfessel wirkt, weil sie zuerst die Bereitschaft der Überwachten zu Mitarbeit und Verhaltensanpassung erwartet - individualisierender als die traditionelle Ursachen-zentrierte Sozialarbeit. Sie interveniert zuerst in die persönliche Lebensführung der Subjekte, indem sie diese anruft: »Erstmal musst Du dich ändern!« Die Kritik wäre vielleicht eher an dieses autoritäre Modell zu richten, was nicht bedeuten soll, dass ich die reguläre Bewährungshilfe für eine anti-autoritäre Einrichtung halte. Insofern liegt die Bewährungshilfe - solange sie in der öffentlichen Debatte in erster Linie die Methode und den Technik-Einsatz des Projekts kritisiert - dennoch auf demselben Argumentationsstrang des »Erfolges« eines engmaschigeren Betreuungs-Kontroll-Netzes. Derselbe Ansatz, eine andere Methode? Oder passt sich die »effizientere Methode« besser in die gegenwärtige Kriminalpolitik ein?

VIII.5 Good intentions: Moderne Märchen?

»Good Intentions«, ein vom britischen Kriminologen Stanley Cohen geprägter Begriff, ist das Stichwort für dieses Resümee. In diesem Kapitel habe ich gezeigt, wie die TechnikerInnen der Praxis Sinn und Bedeutung für die Maßnahme herstellen. Dabei begreifen die »good guys (and girls)« aus Bewährungshilfe und Gericht die Fußfessel, »als letzte Möglichkeit« oder als »allerallerletzte Chance« (Projektbeauftragte): »Immer sind die Leute unheimlich froh, dass sie in das Projekt reinkommen, weil die alle nicht blöd sind. Die wissen alle, was die Alternative wäre« (Projektbeauftragter). Nachdem sie den eigentlich zur Galeere (Gefängnis) Verdammten diese Gnadenschonung noch eingeräumt haben, wollen sie im Großen und Ganzen nur »ihr Bestes«, also deren Besserung, Integration und Aktivierung. Dazu gehört, wie ich im letzten Abschnitt unterstrichen habe, dass hier eine defizitäre Lebensführung bzw. Selbstdisziplin zur Angriffsfläche wird, da diese als Ursache für das jeweils begangen Delikt angesehen wird - als Ansatzpunkt der Therapie, wie es auch Lindenberg anhand des schwedischen Fußfessel-Projekts beschreibt:

»Dabei begreifen sie den Zwangscharakter ihrer Arbeit nicht als Hemmschuh dieses Ansatzes, sondern im Gegenteil als Ermöglichung, als eine Initialzündung, die ihren Klienten den notwendigen Antrieb gibt, unter ihrer fachkundigen Anleitung erste Schritte als selbstverantwortliche, entscheidungsfreie Individuen zu versuchen, indem sie den Zwang annehmen und aus dieser Situation heraus ihren Bewährungsverlauf selbst gestalten« (Lindenberg 1997, 161).
Der Erfolg wird in Quoten bestimmt, wie viel Überwachte des Projekts durchhalten. Der Amsterdamer Bewährungshelfer sagt, dass nur »one or two per cent each year« die Rote Karte gezeigt bekommen. Und dann aber auch an den Geschichten, die sich nicht nur auf den »Besserungserfolg« beziehen, sondern darauf, dass einige der Überwachten eben wirklich die Überwachungssituation als Möglichkeit annehmen. So erzählt der Projektbeauftragte von zwei heroinabhängigen Frauen, die auf Methadon-Substitution ins Projekt kamen und selbst beantragten, dass die elektronische Überwachung verlängert wird:
»Also irgendwie auf dem Weg zum Ausstieg waren und gesagt haben: wir fühlen uns noch nicht stark genug. Also wir wollen noch ein bisschen den Stiel ins Kreuz haben, damit wir das weitermachen können. Und das fand ich natürlich bombastisch: also ich will weiter dieses Regulativ, diese Kontrolle haben.«
Anerkennung durch Leistung ist auch ein zentrales Motiv der Erfolgsgeschichten:
»Dass sie daran auch irgendwie Spaß finden, etwas leisten zu können und nicht nur irgendwie Leistungsempfänger zu sein. Das ist unsere Hoffnung, über die sechs Monate hinaus. Und das soll die wissenschaftliche Begleitung eben erforschen« (Projektbeauftragter).
Und die sagt dazu, dass Anerkennung durch Familie, Lebenspartner und durch die Projektmitarbeiter erfolgt und dadurch Konformität entsteht - ebenfalls durch die Honorierung von Leistung durch Arbeit oder gemeinnütziger Arbeit, wie es Markus Mayer durch eine Rollenidentifikation mit den Überwachten schildert:
»So was scheint mir auch eine viel größere Rolle zu spielen als diese technische Disziplinierung. Dass sie halt merken, diese Fähigkeit, die ich da einbringe, obwohl ich nicht dafür bezahlt werde, die wird anerkannt. Man fragt mich dann, ob ich vielleicht auch später noch mal kommen kann oder ich werde dafür gelobt gegenüber meinem Bewährungshelfer.«
Alles wird gut? Sind dies moderne Märchen, die glauben machen, dass Gefallene durch Besserung wieder aufgenommen werden in die »gesunde« Gemeinschaft, die sie dann auch noch mit offenen Händen empfängt und partizipieren lässt? Nein, denn diese Geschichten werden immer nur bis zu dem Punkt erzählt, wo das gebesserte Schäfchen bereit ist, wieder in die Herde einzutreten. Die Sozialarbeiterinnen (aus ihrer täglichen Praxis), Soziologen (aus ihrem Blick auf die Gesellschaft) und Juristinnen (von den gefallenen Schafen, über die sie urteilen) wissen, dass die Herde gerade auf gar unfruchtbaren Ebenen weidet:
»Es ist auch für den Bewährungshelfer nicht einfach, wenn sie einen Probanden haben, der vom Arbeitsamt das fünfte Bewerbungstraining vermittelt bekommt, ja die hundertste Mappe abgeschickt hat, die man mit ihm zusammen erstellt hat - und es kommt keine Rückmeldung.«(Projektbeauftragte)
Markus Mayer schildert, wie im ersten Jahr des Projektes noch Leute in den zweiten Arbeitsmarkt über Zeitarbeitsfirmen vermittelt wurden, die Zeitarbeit jetzt aber auch das Personal abbaut, so dass der Effekt, ob »jemand eine Arbeit hat, nicht nur vom Modellprojekt abhängig ist oder von der Person.« Der Projektbeauftragte spricht anhand der Arbeitslosenzahl von immer mehr sozialem Ausschluss, fügt aber hinzu, dass ihm »jetzt keine Kraft bekannt ist, die so einen Ausschluss eigentlich will«. Als Grund für das Scheitern der »Einzelfälle«, mit denen er konfrontiert ist, führt er an:
»Und ich bin immer mit Einzelfällen konfrontiert, ich bin mit bestimmten Leuten beschäftigt, die nicht können. Die deswegen nicht können, weil sie es nie gelernt haben. Und da haben alle Instanzen versagt, alle gesellschaftlichen. Das fängt mit den Eltern an, mit der Schule, im Kindergarten, Steuerzahler, die die Kohle nicht rausgerückt haben, damit irgendwie was gefördert werden kann, alles hat versagt. Ne, und das Ergebnis habe ich hier und was ich machen will, ist einfach die Leute erst mal die Leute damit konfrontieren, dass sie auch was durchhalten können. Das sie einfach mal sehen, ob das besser ist, als das Leben, das sie bisher geführt haben. Und dann sollen sie entscheiden.«
Resozialisierung als Versprechen, das nicht nur an Normen, sondern auch am »Minimalkonsens« durch »einlösbare Identitätsversprechen« (Faßler 1991, 147) ausgerichtet war, verschiebt sich darin zu neoliberalen Subjektivierungen. Auf der einen Seite werden die aktiven, unternehmerischen Anteile der Subjekte angerufen, um eine Chance zu haben, fit zu bleiben, für das, was da noch so kommt. Auf der anderen Seite sind die einlösbaren Versprechungen so minimal, dass es scheint, als wäre die ganze Disziplinierung und Normierung reiner Selbstzweck: wie Rasenmähen im Winter. Der niederländische Bewährungshelfer hält die Maßnahme für die, die damit früher aus dem Gefängnis entlassen werden, für einen Transitionsprozess, einen »sidekick«, »that they get another chance from society«. Er fügt an: »Getting back in society, dealing with society again is smoother, is easier«, relativiert diesen Prozess aber sogleich, da die Gesellschaft oft gar nicht bereit ist, diese Chance zu geben: »Once a thief is always a thief.« Parallel kann die Maßnahme so auch als ein Schutz der Überwachten vor den abweichenden Anteilen ihres selbst und den Gefahren, die da draußen in den »kriminogenen Situationen«, der »Crime Zone«, lauern, gelesen werden. Im Gefängnis, da ist man sich einig, werde Delinquenz produziert, die »neue Pönologie« soll durch Maßnahmen wie die Fußfessel dagegen wirken. So wird die Maßnahme von Anwendern wie dem Projektbeauftragten als Erfolg bestimmt:
»Wenn man merkt, es geht uns nicht darum, jemanden zu gängeln, sondern es geht uns darum, jemanden zu verändern, dass er keine Probleme mit der Justiz mehr hat und wir dann auch noch erfolgreich sind, dann kommt das bei allen gut an.«
Es geht mir nicht darum, diese Geschichten als Fabulierkunst zu denunzieren. Aber, da mit ihnen Politik durch leidenschaftliche Überzeugungsarbeit gemacht wird, geht es darum, den Geschichten gegenüber »wachsam zu sein, wenn Wissen universale Geltung beansprucht, wo es sich bloß als kontingent erweist« (Rabinow 2004, 96). Es wäre ein zu einfaches Wahrheitsspiel, nur die Aussagen der Akteure auf ihre Posivitäten zu untersuchen. Es geht darum, sie in den Kontexten, in denen die spezifischen Assemblages zusammengesetzt werden oder agieren, zu reflektieren und sie daraufhin zu befragen, wie sich durch sie die Dispositive und Diskurse verwandeln. Im Kontext der Bewährungsarbeit funktioniert so für die »good guys« die Fußfessel als Erfolg, gar als Hoffnung: »good intentions must still be taken seriously« (Cohen 1983, 105). Aber: »An appreciation of how reforms are implemented shows that the original design can be systematically - not incidentally - undermined by managerial and other pragmatic goals« (ebd.). Deshalb ist für eine Kritik am "Social-Control Talk" und der Praxis von Disziplinartechniken ein "Begriff der Entzauberung" wichtiger als ein reines Abarbeiten oder Zurückweisen des Gesprochenen, der Geschichten über »Correctional Change«:
»But in one side, the debate is phoney because each side is obsessed with the same quixotic search for fit, congruence and consistency. Everything we know about the way social-control ideologies originate and function should warn us about the delusion of ever expecting a synchronisation of words with deeds. If one side is like the child who believes that fairy stories are actually true and those who tell them always good, the other side is like the adult who laboriously tries to prove that fairy stories are not really true and that those who tell them are always bad« (ebd., 126).

 

up

76 Auch in den Darstellungen des Projektes beschränkt sich die technische Darstellung auf die Sender-Empfänger-Technologie. Der Eintritt von Informatisierung in die Disziplinarpraktiken wird dabei meist ausgeblendet bzw. nicht thematisiert: Die Simulation von körperlicher Präsenz der Überwachten (vgl. Mainprize 1996) und deren Kodierung durch die Software als additionelle Körper oder »data doubles« (Haggerty & Ericson 2000, 613). Dies scheint ein Hinweis darauf zu sein, dass durch neue kulturelle Formen wie Strafpraktiken noch lange kein neues Bewusstsein oder Übersetzung entsteht.

77 Diese Passage von Foucault wurde sehr oft als angebliche Proklamation des Todes des Subjekts interpretiert, dabei geht es ihm aber nicht um die ontologische Frage, was der Mensch ist, sondern wie die Idee vom Menschen konstituiert wurde. Und dieser humanistische Diskurs kann sich ja auch verändern (vgl. auch Bröckling 2003, 77ff.).

78 Unter »Sprechen« fasse ich hier nicht nur das artikulierte Wort, sondern auch den Einsatz des Körpers in Gesten, Blicken, Habitusformationen, allerdings immer in einer überprüfenden Distanz. Die Formen der Exekutive, die diese Körpergrenzen überschreiten (dürfen) sind - mit Ausnahme der »Technik« beim Anlegen der Fessel - im Fall der härtesten Konsequenz Polizeikräfte.

79 »Community Control is not individualistic, not segregative, not behind walls, not in a specially created institution. In the hagiology and demonology of crime-control talk, the contrast is between the good community - open, benevolent, accepting - and the bad institution - damaging, rejecting, stigmatising. [...] The causes of deviance, so the theory runs, lie in the community, especially in the form of weak or defective social control exercised by the family, school, religion, neighbourhood and other such institutions. The state therefore has to compensate by creating new external controls.« (Cohen 1983, 110)

80 Das heißt nicht, dass diese Disziplinierung dann Erfolg hat. Interessant finde ich eher die Habhaftwerdung durch Institutionen und Instanzen. Die Verurteilten stehen mit all ihren Schandmalen (fixiert in Akten und Datenbänken) vor der Justiz. Das Auge des Gesetzes tritt als Gottheit auf, der nichts verborgen bleibt.

81 Axel Honneth kennzeichnet in einer Kontroverse mit Nancy Fraser drei Sphären der Anerkennung: Liebe, Recht und Leistung, worin Leistung die »einzige normative Ressource [ist], die der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft zunächst zur Verfügung steht, um die extrem ungleiche Verteilung von Lebenschancen oder Gütern moralisch zu rechtfertigen«, durch die »ethisch-religiöse Aufwertung der Arbeit« (Honneth 2003, 175).

82 Über die Erfolgsquoten will ich mich hier überhaupt nicht auslassen, denn in beiden Modellen wird Erfolg an Rückfallquoten erläutert, was auch der populistischen Kriminologie als einzige Messlatte dient. Für die »Konstante« Kriminalität existieren dabei zwei übereinander gelagerte Codes. So beruht der »Code, der offiziell definiert, was kriminell ist, auf einem zweiten Code«, »der ›Kriminalität‹ aus einer ungeregelten Lebenshaltung ableitet, sie durch eine undisziplinierte, riskante Lebensweise verursacht sieht und sie mit einer fehlenden Familienbindung von Personen erklärt« (Cremer-Schäfer & Steinert 1998, 69).

83 Wobei Cremer-Schäfer und Steinert dieser Vorstellung eine Absage erteilen, da sich schon längst Kriminalpolitik statt Sozialpolitik durchgesetzt habe.

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