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elektronisch gefesselte?

IX. »IT'S NOT ONLY HUMANITY«

In diesem letzten empirischen Kapitel werde ich einen Ausblick auf die Rolle der intermediaten Straftechniken in den Konjunkturen von Sicherheitspolitiken und einem neoliberalen Umbau postfordistischer Staatlichkeit sowie sie flankierender Regierungstechniken bieten.84 Will ich im ersten Abschnitt die sich in Montage befindende neue Straftechnik im Feld der Strafkulturen »grounden«, geht es im zweiten Abschnitt um die Flexibilität des Gefüges, dessen »Effizienz« in heterogenen moralischen Landschaften verhandelt wird: im internen Diskurs von Justiz, Bewährungshilfe, dem Beitrag der wissenschaftlichen Begleitforschung und in der öffentlichen Darstellung auf der politischen Ebene. Ging es bisher in der Darstellung darum, wie die Assemblage gestaltet wird und gestaltend wirkt, also vornehmlich um den Gebrauchswert des neuen Produktes Electronic Monitoring, verschiebt sich der Blick nun mehr zum Tauschwert, nämlich der (im-)materiellen und affektiven Marktförmigkeit der Ware.

IX.1 Etablierung von intermediären Straftechniken, Paradigmenwechsel in der Sozialarbeit, Faktizität des Gefängnisses

»Hintergrund der Elektronischen Fessel ist meiner Meinung nach ganz klar Haftkosten einsparen. Ich persönlich bezweifle manchmal die Überlegungen, die auch das Ministerium vorgetragen hat, dass man auch davon getragen sei, ne bessere Resozialisierung einzuleiten. Ich glaube auf Seiten des Justizministeriums steht absolut im Vordergrund der ökonomische Aspekt.«
So wie hier der Strafrichter schätzen die meisten Interviewten den Hauptgrund für die Einführung der Elektronischen Überwachung ein. Der niederländische Bewährungshelfer spricht zwar den sekundären Aspekt der Resozialisierung an, betont aber auch: »Electronic Monitoring is cheaper than somebody in jail. That's true. It's not only humanity«. Auf der anderen Seite hat diese intermediate Straftechnik in keinem der Länder, wo sie implementiert wurde, die Gefängnisse entleert. So steigt parallel zu ihrer ersten Anwendung in den 1980er Jahren, die Zahl der Gefangenen weltweit an. Die Projektbeauftragte bezieht sich auf die von der Begleitforschung dargestellte Einsparung an Haftkosten (vgl. Mayer 2002, 14),85 schränkt aber ein:
»Also dadurch würden keine Abteilungen im Vollzug geschlossen werden, selbst wenn wir mehr Leute haben. Aber ich denke jeder Einzelne, der nicht in den Vollzug muss, dem die Möglichkeit gegeben wird, sich elektronisch überwachen zu lassen, betreuen zu lassen und es positiv zu durchlaufen, das ist einer weniger, der im Vollzug war. Es wird dadurch nichts besser, ja.«
Trotzdem etablieren sich die intermediaten Straftechniken. Und auch wenn »sich die Erwartungen nicht erfüllt haben«, wie es die Projektbeauftragte enttäuscht darstellt, so ist die Fußfessel im Zwischenraum von Haftstrafe und Bewährung gelandet. Das gekaufte Equipment von ElmoTech wird wohl kaum verschrottet werden, auch wenn vielleicht gerade kein Geld da ist, mehr als 36 Fesseln anzuschaffen. Trotz »kritischer« Arbeiten und Vorbehalte (vgl. I.3.) wurde ein Modellversuch gestartet, der zumindest keine durchweg negative Medienpräsenz erfährt. Die neue Straftechnik ist so ein Supplement und sie unterteilt den Bereich zwischen Bewährung und Haftstrafen neu ein; Electronic Monitoring legt sich zusammen mit anderen Maßnahmen mehr schützend als abschaffend vor die Einsperrungszone des Gefängnisses:
»Die den Gefängnisbetrieb regulierende, für alle Eingeschlossenen immer gleiche Routine ist mit EM auf eine auf jeden Unterworfenen unmittelbar zugeschnittene Kontrolle erweitert worden.« (Lindenberg 1997, 170)
Electronic Monitoring organisiert also einen neuen Raum oder vielmehr einen anderen Aggregatzustand von flexibler Überwachung statt Verwahrung. Es stützt sich dabei auf von der Bewährungshilfe bereits entworfene Muster und Inventarien einer Verheißung von Besserung, droht aber denen, die in ihr als »allerletzter Chance« oder Prüfung auch noch zu scheitern vermögen, wieder mit der Hölle des Strafvollzuges. Die Maßnahme bildet so ein Amalgam von moderner »protestantischer Ethik« (Fremd- und Selbstdisziplinierung) und der katholischen Vorstellung eines »Fegefeuers« als Ort bzw. Zustandes der Prüfung, allerdings in diesem Fall nicht im Jenseits, sondern mitten im Diesseits des öden Disziplinierungs-Feldes.86 Oder um diesen klassifizierenden Zwischenraum etwas nüchterner darzustellen:
»Ein Merkmal der Institution ›Schwäche & Fürsorge‹ liegt darin, daß sie den Raum an der Grenze zur Ausschließung ordnet, ohne je übersichtlich zu machen, was normal, was eine zu kontrollierende Abweichung wäre. Zur Verwaltung des Grenzgebietes bildete sich ein ideologischer Staatsapparat heraus, das Vokabular der sozialen Degradierung wurde systematisiert und dadurch vielseitig durch kollektive Akteure verwendbar. [...] Die Institution ›Schwäche & Fürsorge‹ organisiert keine soziale Ausschließung, sie organisiert den Verbindungsprozeß zwischen Inklusion und Exklusion der Klassifikation.« (Cremer-Schäfer & Steinert 1998, 62)

Effizienz und affektiver Tauschwert, Auswirkung auf Sozialarbeit
Pragmatismus überwiegt die soeben polemisierten Leidenschaften der Besserungstechnologie. Denn was sich durchsetzt, hängt von der Einbettung in eine »effiziente« Problemlösungsstrategie ab. Für kriminalpolitische Reformen ist der Tauschwert des montierten Gefüges entscheidend. Effizienz wird nicht nur darüber fabriziert, ob sich das Produkt in absoluten Zahlen ökonomisch trägt, sondern ob sein affektiver und immaterieller Tauschwert sich einpassen lässt in genau die Politiken, die das suggerieren. Eine von einer Bewährungshelferin als Gegenmodell geforderte Arbeit mit »niedriger Fallbelastung« erscheint darin als ein Zurück zum fordistischen Wohlfahrtstaat, aber kaum als ein viel versprechender Gang an die Börse. Ihre Kollegin fügt hinzu, dass gerade durch »die Sparmaßnahmen« die ganzen Zusatzangebote »angefangen von der Schuldnerberatung, über Frauenhäuser, über andere Projekte bis hin zu Ausbildungen, die bisher vom Arbeitsamt finanziert wurden«, zunehmend weg brechen. Der Amsterdamer Bewährungshelfer sieht die Entwicklung in den Niederlanden zum mittelbaren Abbau der dortigen Bewährungshilfe (Reclassering) führen:

»The Reclassering in Holland is doing less and less for clients because the Ministry of Justice doesn't give us money anymore for that. [...] We are no social workers anymore. The people who need social work we have to send them away to other organizations. But we do hardly anything anymore for clients. It's a pity but it is true. And especially since a few months ago the government decided to spend less on the Reclassering in Holland. That means that a lot of colleagues of mine will be fired because there is no money anymore. And we have to do a lot more work in less time. [...] Well, in earlier times we tried to help people find a job, rent a house, all kind of things, make sure they get their social security. We can't do that anymore now. We don't have the time; we do not get enough time paid from the government. At the moment we write a lot of reports. [...] But helping people, we don't do that anymore.«
Das einzige, was bleibt, ist das Elektronisch Toezicht (ET) Programm, was sich allerdings mehr an Inhaftierte, die mit der »back-door«-Variante früher entlassen werden, richtet: »During the ET time we are doing things we are not doing anymore for the other clients«. Die mit Effizienz aufgeladenen Programme lassen sich scheinbar besser durch die Politik verkaufen als herkömmliche Sozialarbeit, bei der die Akteure dann als »Labertaschen« dastehen, wie es die eine Bewährungshelferin mit bitterer Ironie bezeichnet. Sozialarbeiterische Fürsorge wird durch technisch gestützte Ansätze zur Selbstdisziplinierung ersetzt. Allerdings lassen sich auf lokalem Niveau (noch) nicht alle Maßnahmen, die als effizient gelten, umsetzen. Daniela Jessen unterstreicht im Gespräch die Effizienz von »Community Corrections« wie dem »boot camp«.87 Als ich angesichts dieser Vorstellung angewidert mein Gesicht verziehe, sagt sie, »aber es scheint zu funktionieren«, es wäre in Europa aber »kulturell nicht durchsetzbar«.

Keiner mag es, aber das Gefängnis bleibt die pragmatische Lösung
Das Gefängnis bleibt. Seine Durchsetzung als faktische Straf-Form war, gegenüber den die Macht des Souveräns ausspielenden Martern, geprägt von technokratisch-ökonomischer Anpassung (vgl. Foucault 1977, 93ff.). Von den utilitaristischen und christlichen Besserungstechnikerinnen wurde es mit moralischen Intentionen aufgeladen (vgl. Foucault 2003, 78ff.). Im Vergleich zur Fußfessel wird es von den von mir interviewten Akteuren überhaupt nicht mit leidenschaftlichen Konnotationen verbunden, vielmehr wird gar sein Sinn in Frage gestellt. Oder wie es der Haftrichter normativ ausdrückt: »Eine exakte Begründung für die Freiheitsstrafe gibt es nicht«. Aber er fügt hinzu: »Eine Alternative? Sehe ich nicht«. »Theoretisch in vollem Umfang«, sei die Resozialisierung oberstes Ziel des Strafvollzuges, betont der Strafrichter, grenzt jedoch ein: »Vielleicht schwirrt auch in den Köpfen mancher Leute rum, Strafe soll Strafe sein, richtig als Strafe verstanden«. Und alle beobachten den »bad outcome« der »good intentions« - »People don't get better in jail«, wie es der Amsterdamer Bewährungshelfer formuliert. Die südhessische Bewährungshelferin argumentiert im politischen Kontext: »Resozialisierung hat keine Konjunktur, was gefragt ist, ist Kontrolle und Verschärfung«. Der Strafrichter bemerkt über Reformen des Strafvollzuges: »Also im Moment sind die Diskussionen darüber, ja mehr oder weniger versiegt. So in den 60ern rum, da hatte man massive Vorstellungen«.

Eine abolotionistische (oder zumindest eine linksliberale) Vorstellung von einer Gesellschaft ohne (oder zumindest weniger) Knast scheint versiegt. Auch der niederländische Bewährungshelfer erklärt nüchtern: »No, I don't think of a society without jails, maybe ET front-door a bit more«. Die Institution Gefängnis bleibt also als die »pragmatische Lösung« bestehen: »Für eine schlichte Logik genügt es, daß die Inhaftierung des Individuums, zumindest für deren Dauer, von weiteren Straftaten abhalten soll« (Krasmann 2003, 109). Das wirft eine Frage auf: Wenn schon Akteure aus der Justiz das Gefängnis eigentlich gar nicht gutheißen, warum steigt dann die Gefangenenzahl rapide?

Kann man für die Zeit des späten Fordismus in den 1960er und 1970er Jahren einen Rückgang oder zumindest eine relative Konstanz der Inhaftierungszahlen feststellen, so gibt es in den USA seit Mitte der 1970er einen exponentialen Anstieg, der sich in den 1980ern auch auf Europa überträgt, wenn auch nicht in dieser Dimension. So werden auch in Hessen weitaus weniger Haftstrafen zur Bewährung ausgesprochen88 und neue Gefängnisse gebaut wie aktuell in Hünfeld die erste teil-privatisierte JVA Deutschlands. Der Haftrichter sieht eine Parallele zum Autobahnbau, das bedeute auch nicht gleich weniger Verkehr. Dabei sind die Richter (als Auftraggeber von Haft) doch eigentlich formell unabhängig. Aber sie sind erstens mit der Konjunktur polizeilicher Maßnahmen konfrontiert (Foucault würde sagen kolonisiert), besonders im Betäubungsmittel-Bereich, wo die Delikte in der Regel nicht durch Anzeige zur Justiz kommen, sondern mit der Dichte polizeilicher Ermittlung zu tun haben, wie es mir der Haftrichter erklärt. Und zweitens handeln sie nicht im luftleeren Raum eines souveränen Ideals, sondern innerhalb eines Diskurses um Kriminalität und Sicherheit, in dem die Stimmen von harten Technokraten die »moralischen Landschaften« dominieren.89

IX.2 Weiche & harte Technokraten, Rolle der Begleitforschung

De Marinis und Krasmann beobachten innerhalb der »neuen Pönologie« eine »Entmoralisierung der Kontrolle«: Kontrollen werden durch Technisierung anonymisierbar und standardisierbar und dadurch egalitärer: Entscheidend, ob sich eine Zugangssperre öffnet, ist ein »valides Ticket« (Krasmann 2003, 101). Dies mag für bestimmte Zonierungen des Raumes, z. B. Kameraüberwachung, kurz den Bereich der synoptischen Überwachung zum Teil stimmen. Aber gerade im Bereich der Strafe stelle ich das Egalitäre dieser Paßform-Logik in Frage. Hier bedeutet der Einsatz verschiedener Überwachungs- und Kontroll-Techniken je nach moralischer Konjunktur entweder Exklusion oder Inklusion. Lindenberg geht davon aus, dass sich nicht allein das Rationale oder Effektive durchsetzen wird, weil Strafe immer »mit moralisch Haltungen imprägniert« (Lindenberg 1997, 203) ist. Im Diskurs um Strafe als soziale Kontrolle lassen sich die Gruppen der »weichen Technokraten«, die den Moment der Strafe als »Gelegenheit für Integration« nutzen wollen, und der »harten Technokraten«, die »sich für Maßnahmen der sozialen Ausschließung einsetzen«, unterscheiden (Cremer-Schäfer & Steinert 1998, 44).90 In der Diskussion über die neuen Straftechniken lassen sich im Feld der BefürworterInnen also drei Gruppen ausmachen. Auf der einen Seite sind dies die weichen Technokraten des Projekts, die ihre Position vielmehr im internen oder Spezialdiskurs innerhalb von Justiz und der ablehnenden Bewährungshilfe als Rettung der Resozialisierung durch Effizienz verhandeln und deren Position ich in Kapitel VIII. hinreichend dargestellt haben. Auf der Seite der harten Technokraten, werde ich mich auf das Beispiel der hessischen Landesregierung bzw. des Justizministers konzentrieren, der die Maßnahme auch für Hardliner und ein in der »Bevölkerung« ausgemachtes Begehren nach effizienter Sicherheitspolitik und hartem Durchgreifen, schmackhaft machen will. Schließlich werde ich mich auf die Rolle der wissenschaftlichen Begleitforschung des MPI, zwischen Politikregulativ und kommunikativer Warenform, beziehen.

»Bei der Sicherheit machen wir keine Kompromisse«
Rückblende: Vor der Einführung der Fußfessel kristallisierte sich eine von Lindenberg als »Weißbier-Front« gekennzeichnete Fraktion neokonservativer Fußfessel-GegnerInnen heraus, zurückgehend auf eine Aussage des bayrischen Justizministers, dass »dem Bürger nicht zu vermitteln sei, daß ein Straftäter seine Haft zu Hause beim Weißbier absitzt« (zit. nach Lindenberg 1999, 95). Der hessische Justizminister Christean Wagner transportiert diese Vorstellung vom »in seiner Wohnstube bei Bier und Fernsehen« absitzenden Straftäter (vgl. FAZ 03.05.2000, 4) ins Apfelweinland Hessen und wirbt für Deutschlands »härtesten Strafvollzug« (Das Parlament 26.04.2002). Hessen startet eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Wortlauts von § 2 des Strafvollzugsgesetzes. Vor dem dort festgeschriebenen Ziel der Resozialisierung soll dann an erster Stelle der »Schutz der Allgemeinheit« verankert werden: »Resozialisierung darf niemals auf Kosten der Sicherheit der Bevölkerung betrieben werden« (Hessisches Ministerium der Justiz 2004).91

Trotzdem wurde das Projekt Elektronische Fußfessel unter der jetzigen Regierung gestartet. Einpassen lässt es sich in deren Sicherheitspolitik in der Diktion von »zeitnaher und konsequenter Vollstreckung« (ebd.). Für die harten Technokraten wird die Fußfessel durch ihre Methode und virtuelle Durchschlagskraft salonfähig: um die »innovativen Potentiale« (ebd.) der hessischen Politik herauszustreichen und um auf ein effizientes Management von Kriminalität zu verweisen.92 In einer für die Veranstaltung »Hessen leuchtet in Berlin« erstellter Präsentation zum Projekt Elektronische Fußfessel wird sie für diese Politik des »Durchgreifens« kompatibel gemacht. Die Fußfessel schließe als »schnelle und sofortige Reaktion« eine Lücke in der Bewährungshilfe und sei daher keine Sanktion und »kein Strafvollzug light«. Des Weiteren stehe die »Sicherheit der Bevölkerung« vor der »Resozialisierung der Betroffenen« (Hessisches Ministerium der Justiz 2003).

Markus Mayer sagt zu diesen Außendarstellungen auf der politischen Ebene, dass dort überhaupt nicht »das dargestellt wird, was im Projekt tatsächlich passiert«, dass die Konzeption mit den Pressemitteilungen nicht deckungsgleich ist und dass die »Attitüde« des Justizministers und die Maßnahme »eigentlich nicht so recht miteinander ins Bild passen«. Der »Gebrauchswert« scheint nicht identisch mit dem virtuellen »Tauschwert«. Doch in der politischen Darstellung braucht es eine andere Signifikanz, bedient werden simple Vorurteile. Von diesem Marketing bleibt der »Gebrauchswert« aber nicht unberührt. So spielt die permanente Betonung der Verpflichtung zu (gemeinnütziger) Arbeit, um die Maßnahme doch etwas »un-heimlicher« zu machen, auf ein komplexes Set von kulturellen Kontrollen - »the way of conceptualizing society« (vgl. Nader 1997, 721) - an. Wenn da plötzlich Leute ihre Strafe in ihrer eigenen Freizeit absitzen, könnte es die eigentlichen Unfreiheiten und Zwänge der Arbeitenden konterkarieren. Mit ein Grund des populistischen Ressentiments, sich über Fernseher und andere »Vergünstigungen« im Knast aufzuregen, denn damit sind »die da drinnen« doch relativ gleich zu »denen draußen«.

Wissenschaft zwischen Politikregulativ und kommunikativer Ware
Markus Mayer wünschte sich, dass das Ministerium »mehr wissenschaftliche Erkenntnisse zu Kenntnis genommen« hätte. Er sagt, dass auf der administrativen Ebene das Projekt anders wahrgenommen wurde als in der Außendarstellung des Ministeriums. Auf der anderen Seite zweifelt er an der Möglichkeit der wissenschaftlichen Einflussnahme und sieht Begleitforschung in einer Position von Bereitstellung von verschiedenen Szenarien für politische EntscheidungsträgerInnen:

»Wir können sagen, wenn man das eine tut, passiert dies, wenn man das andere tut, passiert dies, aber ihr müsst euch entscheiden, was ihr haben wollt. Und ihr kriegt vielleicht den Effekt und ihr kriegt gewisse Nebenwirkungen und dann müsst ihr euch entscheiden, ob ihr die in Kauf nehmen wollt. Aber das Ziel der Maßnahme ist letztendlich eine normative Entscheidung, also eine Entscheidung, die auf Werten beruht. [...] Okay, man kann Gefüge sichtbar machen. Dass man jetzt sagt, okay, wenn ihr hier jetzt eine stark vergeltende Strafjustiz aufbaut wie in Amerika, dann wird das dazu führen, dass die Knäste auseinander brechen oder überfüllt sind und dass wir ganz viele Leute kriminalisieren und dass wir womöglich auf Dauer mehr Kriminalität haben. Aber trotzdem kann man sagen, ja ich will das, das nehme ich in Kauf.«
Was bei dieser Reflexion ausbleibt, ist, dass mit solch positivistischem Verständnis des Ausrechnens von Effekten und Wirkungen, sich Wissenschaft darauf zurückzieht, Daten zur Verfügung zu stellen. Dabei arbeitet wissenschaftliche Begleitforschung nicht allein im traditionellen ökonomischen Feld von Angebot und Nachfrage, der Verwertungsprozess wird vor allem bestimmt durch
»Konsumtion von Information. Sie ist nicht länger bloße ›Realisierung‹ eines Produkts, sondern der reale gesellschaftlich Prozeß im eigentlichen Sinn, der für den Augenblick als Kommunikation definiert ist« (Lazzarato 1998, 54, kurs. i. O.)
Zwar berechnet das MPI dem Ministerium keine monetären Kosten, aber dessen Expertise wird durch die Profilierung mit politisch relevanten Themen wie Electronic Monitoring oder dem Gutachten zur Telefonüberwachung als Kommunikationsmittel und Wissensarbeit von der Politik nachgefragt und konsumiert. Markus Mayer sieht darin die Ambivalenz von Forschung und nachgefragter Expertise. So hatte durch ihn das Ministerium zum Beispiel für Veranstaltungen
»eine neutrale Stelle, die ein stückweit natürlich auch unverdächtig ist. [...] In solchen Fällen schon als Experte, aber das ging dann eher als Experte gegenüber Dritten und nicht so sehr als Experte gegenüber dem Ministerium.«
Für das Ministerium hat die Begleitforschung einen immateriellen Wert in Form »offensiver Inanspruchnahme wissenschaftlicher ›Objektivität‹ durch die Politik, indem immer wieder betont wird, wie ›ergebnisoffen‹ man sich externen Überprüfungen stellt« (Brüchert 2002, 34). Lindenberg kritisiert diese Warenform kriminologischer Forschung:
»Im Gegensatz zu BI [Boulder Industries, Anbieter von Electronic Monitoring], die unmittelbarer Ausdruck dieser Warenform ist, aus ihr hervorgeht und sich ihr nicht entziehen kann, muß sich die Forschung nicht notwenig in die Warenform zwingen lassen. Doch große Teile der Profession hoffen auf ihre geistige und finanzielle Einbindung in gesellschaftliche Machtbildungsprozesse, weil sie einfach nicht in der Lage sind, ihre wissenschaftliche unabhängige Lage anders als ein sinnloses Vakuum aufzufassen und mit einer Existenz als Nicht-Nachgefragte nicht umgehen können.«

IX.3 Fazit: Ein flexibles Produkt

Für die PraktikerInnen der Maßnahme scheinen die Außendarstellungen der Hardliner für ihre interne Verhandlung innerhalb der dem Projekt gegenüber kritischen Bewährungshilfe kontraproduktiv zu sein. Die Frankfurter Projektbeauftragte drückt es vorsichtig aus: »Sie müssen mal sehen, es kommt darauf an, wer das Projekt in der Öffentlichkeit darstellt.« So werden aus dem Dreieck Kostenersparnis - Sicherheit - Resozialisierung heraus jeweils verschiedene Schwerpunkte gesetzt.

Für Resozialisierung stehen die weichen Technokraten: Die Fußfessel widerlege die »nothing works«-These, der zufolge Resozialisierung eine Chimäre sei. Die Maschine Electronic Monitoring fungiere als Schlüssel zum verloren geglaubten Garten der Resozialisierung. Die Praxis der Assemblage Elektronische Fußfessel verwirkliche das Ideal endlich. Aus der Sicht der Begleitforschung klingt es trockener, im Abschlussbericht wird sich des Begriffs Resozialisierung enthalten:

»Schließlich ermöglicht es die elektronische Überwachung den Probanden, ihre Bereitschaft, soziale Gewohnheiten in Alltagssituationen einzuhalten, unter Beweis zu stellen. Sofern ihnen das gelingt, ist es zu erwarten, dass von Seiten der Projektmitarbeiter bzw. der Justiz generalisierend von der Einhaltung sozialer Gewohnheiten auf eine positive Legalbewährung geschlossen wird, was sich für die Probanden als Vorteil erweisen kann« (Mayer 2004, 18).
Ohne je zu klären, was Resozialisierung denn eigentlich sein soll - Straffreiheit, Besserung oder das Verändern von Verhalten und Lebensführung -, können die weichen Technokraten hier einen Punkt machen. Auf der anderen Seite scheint sich die hessische Politik durchzusetzen. Dass mehr Haftstrafen ohne Bewährung verhängt werden, ist eine Konsequenz davon. Die RichterInnen, formell unabhängig, sind wohl von diesem Sog ergriffen. Electronic Monitoring hat flexible Produktqualitäten; es kann je nach Konjunktur für verschiedene Politiken benutzt werden. Die erfolgreiche Vermarktung steht nicht mehr unbedingt den Bedenken linksliberaler Kritik (BürgerrechtlerInnen, DatenschützerInnen - die üblichen Verdächtigen) noch den moralischen Unternehmungen der »Weißbier-Fraktion« entgegen: Alle lassen sich irgendwie bedienen - gerade wenn der Konflikt nur auf der Ebene von Technologie-Kritik ausgetragen wird. Affirmative oder populistische Kriminologie bedient dabei den Mythos von Electronic Monitoring als Heilmittel für überfüllte Gefängnisse und als Rehabilitation des Resozialisierungs-Begriffes durch eine Mischung aus post-disziplinärer Effizienz und disziplinärem Arbeits- und Normen-Ethos. Wenn Kriminologie das Projekt einer »Kritik an der Kriminologie« (Cremer-Schäfer & Steinert 1998, 239) aufgibt, tritt Straf-Instrumentalität in den Vordergrund.

 

up

84 Wobei Regierung immer mehr meint als politische Exekutive, sondern Techniken und Programme der Lenkung und Führung wie sie in der Analytik einer »Gouvernementalität der Gegenwart« herausgearbeitet werden (vgl. Kap. III.4.).

85 Diese Einsparung wird im vorliegenden Abschlussbericht dahin relativiert, dass das Projekt mehr Auslastung bräuchte, um den Vergleichswert bei Inhaftierung zu unterbieten (vgl. Mayer 2004, 17).

86 Die Vorstellung des Fegefeuers wurde im Glauben der abendländischen Christen zwischen 1150 und 1250 etabliert. Es ist »ein intermediäres Jenseits, in dem bestimmte Tote eine Prüfung zu bestehen haben« (Le Goff 1990, 14). Für die moderne katholische Theologie ist das Fegefeuer kein Ort, sondern ein Zustand (vgl. ebd., 24). Nach Jacques Le Goff setzt diese Vorstellung wegen der Möglichkeiten von Strafnachlässen und Verkürzungen die »Projektion eines komplexen Rechts- und Strafsystems voraus« (ebd., 15). Das Konzept des Intermediären (zwischen Paradies und Hölle), der Übergang von einem binären zu einem ternären Schemata, kennzeichnet nach Claude Leví-Strauss einen wichtigen Schritt in der Organisation des Denkens und weist auf die Entstehung einer Mittlerkategorie und neuen Klassen wie dem Dritten Stand (vgl. ebd., 17). Dante liefert in der Göttlichen Komödie eine eher örtliche oder greifbare Vorstellung dieses Zwischenreiches: das Purgatorium auf dem »Läuterungsberg«. Der deutsche Begriff Fegefeuer ist teils irreleitend, denn es handelt sich im Gegensatz zur Hölle um einen lichtdurchfluteten Ort, in dem Prüfungen für eine temporäre Phase, aber nicht in aller Ewigkeit ausgeübt werden müssen - dabei gilt es die Zeit intensiv zu nutzen: »Nun komm mein Sohn! Gestrenger einzuteilen/Gilts und zu nützen die bemeßne Frist« (Dante 2002, 256). Und so klingt es in der Protestantischen Ethik: »Zeitvergeudung ist also die erste und prinzipiell Schwerste aller Sünden« (Weber 1947, 167).

87 vgl. FN 31, S.28

88 So wurden in Hessen 1999 noch 57,95 % der Freiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt, 2000 waren es nur noch 42,04 % (aus Materialien vom 26. Strafverteidigertag in Mainz 2002, entnommen einer Landtagsanfrage der GRÜNEN/Bündnis 90).

89 Deutschland hatte durch die Wiedervereinigung seine Inhaftierungsrate gar minimiert. Bis Ende der 1990er stieg sie in alten und neuen Bundesländern wieder stark an. Hartmut-Michael Weber sieht als Grund die Moralpaniken um organisierte Kriminalität (»Russen-Mafia« und »Rumänenbanden«) und um »Sexualverbrecher« und »Kinderschänder«, die sich in entsprechender Gesetzgebung niederschlugen (Weber 2000, 17). Weber kritisiert die »hemmungslose Vervielfältigung« (ebd., 19) dieser Moralpaniken durch die Massenmedien und »daß auch Richter und Staatsanwälte nicht immun sind gegenüber der zunehmenden dramatisierenden Berichterstattung« (ebd., 17).

90 Cohen bezeichnet die Gruppe der harten Technokraten als Neo-Konservative oder »the new right«, die vor allem für einen Abbau des Sozialsystems und für »law and order« stehen (Cohen 1983, 117). Anfang der 1980er Jahre stehen vor allem der »Thatcherism« oder die »Reaganomics« für den Beginn dieser neoliberalen und neokonservativen Politiken.

91 Die Konsequenzen dieser Politik in den Haftanstalten, wie Streichung von Hafturlauben, Vollzugslockerungen und Telefongesprächen, häufige Zellenrazzien und Urinkontrollen, hat die Vereinigung Hessischer Strafverteidiger dem Justizminister in mehreren Schreiben vorgeworfen, die er als »unbegründet« ansieht und den »unangemessen Ton« beanstandet. Die Strafverteidiger werten Wagners Gefängnispolitik als reinen Verwahrungsvollzug mit dem Ziel »die Lufthoheit über die Stammtische zu gewinnen«, der eigentlichen Kontroverse weiche er aber aus (vgl. Vereinigung Hessischer Strafverteidiger e. V. 2002).

92 Wagners RedenschreiberIn unterstreicht dies mit der Diktion: »die Landesregierung unter Ministerpräsident Koch hat das Steuer konsequent und wirkungsvoll herumgerissen« (Hessisches Ministerium der Justiz 2004). Allein diese Metapher vom Lenker, der das Steuer konsequent herumreißt, deutet auf die populistische und patriarchale Niederträchtigkeit dieses Dokuments: Eine Gesellschaft voller potentieller Kriminalitätsopfer, gerettet durch die harte Hand der Steuer-MÄNNER, die konsequent einsperren und abschieben.

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