Der Heilige Geist und St. Marx

Apokalypse, Eschatologie und Messianismus

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Die Arche, in der Noah mit den Seinen und auserwählten Tieren die Sinnflut überlebte, symbolisiert nicht nur die Rettung vor der Katastrophe (wörtlich: "Umkehr", "Wendung"), sondern steht zugleich für den Zorn Gottes auf seine eigene Schöpfung: "Da sprach Gott zu Noah: Das Ende allen Fleisches ist bei mir beschlossen worden, denn die Erde ist voller Frevel von ihnen; und siehe, ich will sie verderben mit der Erde." (1.Moses 6).

Die Vorstellung vom Jüngsten Gericht, wo ein endgültiges Urteil für das Jenseits - entweder Para­dies oder ewige Ver­damm­nis - gefällt wird, von Apokalypse ("Ent­hüllung, Offenbar­ung") und Eschatolo­gie ("die Lehre der Letzten Dinge") hat das "abendländische" Denken und Handeln ent­scheid­end mit ge­prägt. Die eschatolog­ische Chrono­logie setzt voraus, dass die Zeit, in der sich alles abspielt, kein bloßes Nacheinander ist, sondern auf ein Ende hinsteuert. Die Geschichte, die notwendigerweise Heilsgeschichte ist, vollzieht sich nicht im Kreislauf, sondern gleicht einem gespannten Bogen, der von einem Anfang aufsteigt, und sich über die Zeit hinwölbt, bis er sich zu einem Ende niedersenkt, wo kein Geschehen sich mehr vollzieht (Erlösung).

Gegen alle Säkularisierungsbehauptungen der Moderne hat sich das apokalyptisch-messianische Denken behaupten können. Während in (West-)Europa das Böse scheinbar auf keinen heilsgeschichtlichen Nenner mehr zu bringen ist und den meisten hiesigen Theologen die Figur des "strafenden Gottes" eher peinlich ist, kann man behaupten, dass gegenwärtig in den Vereinigten Staaten der fundamentalistische Messianismus nicht nur der Macht nahe ist, sondern mit Präsident Bush den Weltenlauf mit bestimmt. Bibeltreue Christen, so genannte Evangelikale, haben in den letzten Jahrzehnten ihren Einfluss auf die Politik systematisch verstärkt, mit dem Ergebnis, dass kein Präsidentschaftskandidat ohne Zustimmung der Evangelikalen gewählt wird. Deren (außen)politischen Vorstellungen leiten sich mehr oder weniger direkt aus der Apokalypse des Johannes ab. Zur Zeit des Ost-West-Gegensatzes war die Sowjetunion für sie das Reich des Bösen, heute gilt ihnen der Islam als das Reich des Satans.

Die Spuren der Eschatologie finden sich aber auch im Marxismus. Im Gegensatz zur transzendenten Perspektive geht es aber nicht um die "Erlösung von oben", sondern um die "Befreiung von unten". Marx ersetzt das Jenseits der Wahrheit durch die Wahrheit des Diesseits. Durch das Inventar seiner sozialökonomischen Analysen tönte das Grollen einer unausbleiblichen Katastrophe. Denn die Akkumulation von Reichtum auf der Kapitalseite führt zugleich zur Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit und moralischer Erniedrigung auf dem Gegenpol, d. h. auf Seiten der Klasse, die ihr eigenes Produkt als Kapital produziert. Während die besitzende Klasse gezwungen ist, sich selbst zu erhalten und damit ihren Gegensatz, das Proletariat, zu erhalten, ist das Proletariat als Proletariat gezwungen, sich selbst, und damit seinen bedingenden Gegensatz, der es zum Proletariat macht, das Privateigentum aufzuheben. Die Emanzipation der Ausgebeuteten birgt in sich die Möglichkeit einer universalen Befreiung.

Auch wenn der Zusammenbruch der kapitalistischen Gesellschaft nicht stattgefunden hat, lässt sich an der Geschichte der Unterdrückten ablesen, dass der "Ausnahmezustand" die Regel ist, die Normallage des Menschen in der Welt, ein Not-Stand ist. Die Katastrophe besteht somit darin, dass das Alltägliche gerade so weitergeht. Um es mit Derrida zu sagen: die Analyse marxistischen Typs bleibt unerlässlich und zugleich unzureichend, da der Marxismus trotz aller Religionskritik eine messianische Eschatologie in sich schließt. Aber an der Erfahrung der emanzipatorischen Verheißung, einem Messianischen ohne Messianismus, an einer Idee der Gerechtigkeit, muss festgehalten werden.

Am Messianischen ohne Messianismus arbeitet die Gruppe "Nitribitt - Frankfurter Ökonomien" seit vier Jahren. Nitribitt lädt ein zum Gespräch an neuralgischen Punkten der Stadt. Nitribitt ist kleiner als eine Partei und größer als ein Salon. Die Themen springen vom Hundertsten ins Tausendste, von critique sociale & critique artiste zum Holocaust-Mahnmal, von Ali G. zu Sandra Bernhard, vom Irak in die Weserstraße, von zeitgenössischer Kunst in Afrika zu Fragen der Politisierung instrumentaler Musik. Musik ist immer dabei und die emanzipatorische Verheißung bleibt stets fest im Blick.

Klaus Ronneberger / Klaus Walter (-Replikant)

Samstag, 18. Februar 2006, 22.15 Uhr

im Rahmen von "I will survive! Arche 2006 – Kunst, Theorie und Praxis zur Rettung der Welt" im schauspiel frankfurt, Glas Haus. Der Veranstalter erhebt für den Eintritt ein Entgelt über 14,- €, erm. 10,- €, Programm ab 19 Uhr

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Der heilige Geist und St. Marx.