Las Vegas am Lake George

Melting Pot, Ghetto, Themenpark - The Sound Of New Orleans ein Jahr nach der Flut, Part II

von Klaus Walter PDF-Download Download PDF


Sound Of New Orleans als Standortfaktor

"River In Reverse". Geschichte fressen Gegenwart auf

"Ohne die Ignoranz des Rassismus". Die ethnische und soziale Säuberung New Orleans'



"Eine der am wenigsten natürlichen Naturkatastrophen, die es je gab", sah der weiße Stadtforscher Mike Davis und fragte: Wer hat wo und wann welche Dämme geöffnet? In welchem Zustand waren die Dämme? Warum kam die Hilfe der Politik so spät? Warum war plötzlich Dritte Welt mitten in den USA? Die Antwort gab der Rapper Kanye West: "George Bush interessiert sich nicht für Schwarze. Die Regierung versucht den Schwarzen so langsam wie möglich zu helfen, je ärmer sie sind, desto langsamer." Die Bilder gingen um die Welt und viele träumten schon von einer neuen Bürgerrechtsbewegung mit Kanye West als Martin Luther King. West hat sich inzwischen auf sein musikalisches Kerngeschäft zurückgezogen, die einzige Bewegung ist heute die Armutsmigration.

Sound Of New Orleans als Standortfaktor

Mit einer Glücksspiel-Lizenz soll die dank Katrina saubergeschrumpfte Stadt wiederauferstehen als Dixieland-Las Vegas. Alte Geschäftsviertel im Zentrum werden dem "Hyatt Jazz District" weichen. Hier entsteht ein geräumiges Jazz-Center nebst Hotel, Nachwuchsakademie und Themenpark. Das bringt Arbeitsplätze und Touristen. Schließlich gilt Lake George als die Wiege des Jazz. Lake George? So tauften die Bewohner ihre Stadt nach der unterbliebenen Hilfeleistung durch die Regierung George W. Bush. Der Flughafen von Lake George trägt Louis Armstrongs Namen. Nirgendwo, außer vielleicht in Jamaika, definiert sich das Image einer Region so stark über die Musik. Nirgendwo spielt die Musik im Alltag eine so bedeutende Rolle. Nicht nur der umstrittene (hell-)schwarze Bürgermeister Ray Nagin setzt auf den Sound Of New Orleans als Standortfaktor. Dass im Zuge einer groß angelegten Aufhübschung der Stadt im Namen der Musik Tausende von Musikern vertrieben, zahllose Musikkneipen von der Landkarte gespült wurden - das folgt der Logik der kulturalistisch aufgeladenen Gentrifizierung, hier allerdings beschleunigt durch Katrina.

Wie immer fällt das Totschlagwort von der Disneyfizierung. Wie immer greift es zu kurz? Disneyfiziert werden kann nur, was sich dafür anbietet. Und ist der musikalische Themenpark im Sound Of New Orleans nicht bereits angelegt? Wird der Mythos vom Melting Pot nicht schon länger strapaziert, um Touristen anzulocken? Mardi Gras & Voodoo, Marching Bands & Beerdigungstänze, Tipitina & Bourbon Street, Cajun & Zydeco, Wild Magnolias & Tchoupitoulas, Dr.John & Professor Longhair, Gumbo & all that Jazz? Die verführerische Lüge vom multilingualen Big Easy mit samt ihrer pittoresken Folklore schreit nach kulturindustrieller Verwertung. Alles so schön authentisch hier! Ist die Begeisterung weißer Musik-Gourmets für den bunten Patchwork-Sound von N´awlins nicht eine besonders abgeschmeckte und abgeschmackte Sorte Multikultikitsch? Und was machen wir hier eigentlich? Sind nicht genau diese Gourmets - ich, du, wir? - die nützlichen Idioten für das, was Politik und Wirtschaft hier anvisieren: eine Sezession der Wohlhabenden, Flut sei Dank? Es ist ein bisschen wie in dem Witz, den Richard Pryor gern erzählt hat: "Warum haltet Ihr Schwarzen eigentlich immer Euren Schwanz fest? - Weil Ihr Weißen uns alles andere genommen habt." Hier halten sie sich an der Musik fest.

Der Sound Of New Orleans begleitet den Umbau der Stadt und lindert den Schmerz - symbolisch und real. Gleich nach der Flut springt die Benefizmaschinerie an, über Konzerte und Plattenverkäufe wird Geld gesammelt, das den Notleidenden zu Gute kommt - oder auch nicht. Derweil versickern staatliche Gelder im Nirvana oder bleiben ganz aus. Im materiellen Elend wird die große Musiktradition der Stadt beschworen und viele Protagonisten dieser Tradition beteiligen sich wohl oder übel an solchen Good Will-Programmen. Dabei nehmen sie ihre Selbstfolklorisierung in Kauf. Noch einmal werden alle Trademarks des Sound Of New Orleans durchs zerstörte Dorf gejagt. Für Benefizplatten wie "Higher Ground" treten die alten Helden zusammen und künden von versunkenen Welten. "Go to the Mardi Gras" fordern zwangsoptimistisch die Neville-Brüder, Wynton Marsalis bläst ein bisschen Dixieland und - hallo jüngere Zielgruppe! - Norah Jones haucht Randy Newmans todtrauriges "I think it´s gonna rain today". Hier klingt New Orleans wie ein Museum seiner selbst, Trost bringt nur der Blick zurück. Beste Voraussetzungen für die Verwandlung einer Stadt zum Themenpark.

"River In Reverse". Geschichte fressen Gegenwart auf

Wie aber umgehen mit der Gegenwart? Nehmen wir exemplarisch für die Aporien einer übermächtigen Tradition und des um sich greifenden, selbstredend supergutgemeinten N´awlinsismus das neue Album von Elvis Costello & Allen Toussaint (so und nicht umgekehrt steht es auf dem Cover: Elvis Costello & Allen Toussaint). Es heißt "The River In Reverse" und wird von den Lordsiegelbewahrern des Rock als Meisterwerk gefeiert - von Mojo bis Rolling Stone. Wichtiger als die Platte selbst ist einmal mehr das Making Of. Keine vier Monate nach Katrina gehen der weiße Costello und der schwarze Toussaint gemeinsam ins Piety Street Recording Studio in New Orleans. Nebenan fließt der Mississippi. Toussaints Haus im nahe gelegenen Gentilly wurde überflutet, sein Musikarchiv zerstört. Dem großen Rockpublikum ist der Name Costello vertrauter, dabei hat der fast 70-jährigen Allen Toussaint dem Soul und Funk aus New Orleans in den vergangenen 50 Jahren so viel gegeben. Auch wer seinen Namen nicht kennt, kann seine Songs mitpfeifen: Lee Dorsey machte "Working in coalmine" zum Hit, mit "We can can" waren die Pointer Sisters erfolgreich und Toussaints hinreissendes "Hercules" wurde in der Version der Neville Brothers zu einem der meistgesampleten Songs im HipHop.

Für "River In Reverse" nahm Toussaint mit Costello einige seiner Klassiker auf, dazu ein paar neue Songs. Bis ins Detail rekonstruieren sie den historischen Sound of New Orleans, unter der Wucht der Geschichte verschwindet die Gegenwart. Eine Art Entlastung durch Regression, kein Einzelfall, wie die hysterische Rezeption der jüngsten Alben von Johnny Cash und Bob Dylan durch Midlifecrisis-getriebene Männer belegt. Garant für den abgehangenen Vintage-Sound ist der weiße Produzent Joe Henry, der sich offenbar auf geschmackvoll neoklassizistische Comebacks von schwarzen Soul-VeteranInnen spezialisiert hat - auch Ann Peebles, Bettye Lavette und Solomon Burke zählen zu seiner Kundschaft.

Hier aber muss der Produzent allerlei Divergenzen unter einen Soundhut bringen: unterschiedliche Typen, Stimmen, Hautfarben, Zielgruppen. Und die Stimme Costellos ist nun mal eine äußerst markante. Elf der zwölf Songs hat Toussaint komponiert oder wenigstens mitkomponiert, ein einziger stammt von Costello. Aber der gibt dem Album den Titel. So wird "River in Reverse" am Ende doch eine Costelloplatte. Toussaint übernimmt die Nebenrolle, der jüngere, auf dem weissen Markt bekanntere Costello ist der Star. Das entspricht den Gesetzen des Marktes und spiegelt die rassistische Struktur von Katrina. Und es zeugt von den Fallen, die lauern, wenn berühmte weiße Musiker mit weniger bekannten schwarzen zusammenspielen. Der wohlmeinende Weiße ringt mit seinem Helfersyndrom und dem Vorwurf der Blaxploitation.

Dass diese Konstellation im Sumpf von New Orleans nicht einfacher wird, das haben sie auch beim Mojo-Magazin begriffen. Neben der Rezensionshymne steht der relativierende Cartoon: Costello im knatschbunten Touristen-Outfit mit Bermudas und "Big Easy"-Strohhut, in der Hand eine Straßenkarte des French Quarter. Toussaint gibt den Fremdenführer im blauen Anzug, legt die Hand auf Elvis´ Schulter und trägt ein Fähnchen mit der Aufschrift "New Orleans Fonk Tour". So waten sie durch eine braune Brühe, leere Flaschen hier, ein Trompetenhals da. "Ferien in anderer Leute Elend" hieß das vor 30 Jahren bei den Sex Pistols.

"Ohne die Ignoranz des Rassismus". Die ethnische und soziale Säuberung New Orleans'

Aber: Wer das Drama von Katrina nur an der Colour-Line festmacht vernachlässigt die Ökonomie. Auch der afroamerikanische Mittelstand will Land gewinnen und schwarze Elendsviertel hinter sich lassen. Einer der wichtigsten Repräsentanten dieser aufwärtsorientierten Klassen ist der Jazz-Trompeter Wynton Marsalis. Das Time-Magazine zählt den Pulitzer-Preisträger, UNO-Botschafter und Leiter des mit viel Prestige und Macht ausgestatteten Lincoln Jazz Center in New York zu den 25 einflussreichsten Amerikanern. Als solcher verkörpert Marsalis, 1961 in New Orleans geboren, das Dilemma des afroamerikanischen Leaders: hin und her gerissen zwischen Country und Community, Blackness und Patriotismus verkündet er staats- und kirchetragende Durchhalteparolen: "Es geht ja längst nicht nur um den Wiederaufbau meiner Heimatstadt, sondern um die Seele Amerikas", salbadert Marsalis in Christian Broeckings Interview-Band "Black Codes" (Verbrecher Verlag). "Das ist eine Bewährungsprobe für das gute Amerika, wir brauchen Gebete und Geldbeutel der Menschen und vor allem ihren Willen, der Welt zu zeigen, wozu der moderne Amerikaner in der Lage ist, und dann werden wir New Orleans wieder aufbauen, und es wird sogar schöner sein als zuvor - ohne die Ignoranz des Rassismus, die beklagenswerten Bedingungen der Armut und den Mangel an Bildung und Ausbildung, jener Fäulnis eben, die sich seit der Sklaverei in vielen amerikanischen Großstädten ausgebreitet hat." Dekorativ gesprochen. Mit der Abwesenheit von Rassismus könnte es sogar klappen, wenn wie geplant die überwiegend schwarzen Träger der Fäulnis draußenbleiben. Wenn die Mauern des neuen New Orleans stabiler sind als die Dämme des alten. Dann war das viele Wasser doch für etwas gut: für ethnische und soziale Säuberung.

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