Dialektik der "Guten Nachricht"

Gerade in einer Zeit, in der die Gefahren des fundamentalistischen Islamismus beschworen und die Toleranz des Christentums als Errungenschaft des aufgeklärten Abendlandes gefeiert werden, scheint es notwendig, auf einige theologische Basics hinzuweisen. Die entscheidende christliche Botschaft lautet: Erlösung. Geschichte ist Heilsgeschichte, die auf ein Ende hinsteuert. Und am Ende steht das Jüngste Gericht, wo das Korn von der Spreu geschieden und damit ein endgültiges Urteil für das Jenseits (Paradies oder Hölle) gefällt wird. Doch vor diesem Ereignis kommt der Antichrist. Er wird, so verkündet der Apostel Paulus, all diejenigen verführen und schließlich ins Verderben stürzen, die "die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben". Dann erst erscheint der Herr und tötet den Widersacher "mit dem Hauch seines Mundes".

Doch wann "enthüllt sich das Sein" (= Apokalypse)? Im apokalyptischen Denken der frühen Christen wird das Ende nicht bloß ersehnt, man weiß, dass es im Kommen ist. Eine Vorstellung, die der römischen Amtskirche zunehmend peinlicher wurde. Die mobilisierende Kraft messianisch-apokalyptischer Überlieferungen lies sich allerdings nie ganz verdrängen. Immer wieder kamen Bewegungen auf, - wie etwa die "Wiedertäufer" zur Beginn der Neuzeit - die von der Überzeugung durchdrungen waren, dass die Ankunft des Erlösers unmittelbar bevorstehe und damit auch der Errichtung eines tausendjährigen messianischen Königreiches auf Erden. Vor allem über die Figur des Antichristen überlebte das Wissen um die Apokalyptik alle Jahrhunderte.



"Hardliner des Herrn", HR-Doku zu "Christlichen Fundamentalisten in Deutschland" (Ausschnitte)

Mit der Aufklärung setzte in Westeuropa ein Säkularisierungsprozess ein, der schließlich dazu führte, dass das Böse auf keinen heilsgeschichtlichen Nenner mehr zu bringen war. Ebenso verstärkten sich vor allem im (europäischen) Protestantismus Bestrebungen, das Alte Testament aus der Bibel zu entfernen. Der jüdische Schöpfergott, mit seiner gewalttätigen Willkür und Rachsüchtigkeit konnte nicht mit dem "Lamm Gottes" der reinen Liebe identisch sein. Dieses Auseinanderdividieren von Schöpfer-Gott und Erlöser-Gott wirkt bis heute nach: Dafür steht der süßliche Latschen-Hippie Jesus, der alle Menschen ganz, ganz lieb hat.

Die Wiederkehr des Verdrängten: Moderne US-evangelikale Apokalyptik

Doch weiterhin gibt es relevante christliche Strömungen, für die das Alte Testament und die Apokalyptik handlungsrelevant sind. Vor allem die Vereinigten Staaten konnten sich in den letzten Jahrhunderten zu einem Fluchtraum für diverse Sekten entwickeln. An erster Stelle sind die "Evangelikalen" zu nennen. Bei diesen Christen handelt es sich um eine einflussreiche Minderheit, die seit den späten 1970er Jahren ihren Einfluss auf die Politik systematisch verstärkt haben. Etwa die Hälfte aller Protestanten - um die 80 Millionen - nennt sich selbst "Wiedergeborene".

Symptomatisch für das fundamentalistische Klima in den USA ist der publizistische Erfolg des evangelikalen Predigers Tim LaHaye. Seine Endzeit-Romane unter dem Obertitel "Left Behind" ("Zurückgelassen") haben sich bislang mit mehr als 55 Millionen Exemplaren verkauft: Die Message: Beim Anbrechen der Endzeit stürzen Flugzeuge ab und kollidieren Autos, weil "wiedergeborene" Piloten und Fahrer in den Himmel "entrücken". Die "Zurückgelassenen" begreifen dann, dass sie endgültig verloren sind, wenn sie nicht doch noch zu Jesus finden. Schließlich kommt es zum Weltgericht. Der Messias kehrt auf die Erde zurück und vernichtet alle Nichtchristen des Planeten.

Die Pfingstbewegung: Religiöse Globalisierung

Aus der Tradition der US-amerikanischen Evangelikalen ist auch die "Pfingstbewegung" hervorgegangen. Insbesondere die Heiligungswunder und die Prophetie, aber auch das Zungenredengelten gelten als ihr Markenzeichen. Im Mittelpunkt steht das Streben nach einer tatsächlichen Umkehr der Gläubigen. Sie sollen im Alltag die Sünde, also etwa Alkohol oder Drogen meiden. Wo der evangelikale Fundamentalismus seine Gewissheit aus der Unfehlbarkeit der objektiv gegebenen Heiligen Schrift bezieht, finden die "Pfingstler" ihre Gewissheit "innerlich", in der subjektiv-persönlichen Begegnung mit dem Heiligen Geist.

Die Pfingstbewegung zeichnet sich durch einen ausgeprägten kapitalistischen Ethos aus. Insbesondere gibt es eine vorbehaltlose Akzeptanz der religiösen Kommerzialisierung, indem man etwa ein besonderes Schwergewicht auf die Heilungswunder und andere Showeffekte legt. Derzeit handelt es sich bei den "Pfingstlern" um die am schnellsten wachsende christliche Konfession überhaupt, und zwar nicht allein in angelsächsischen Welt, sondern weltweit. Insofern kann man sie auch als Religionsform der Globalisierung bezeichnen. Vor allem im Trikont besticht diese Bewegung durch rasant ansteigende Bekehrungsraten.

Heute bekennen sich beispielsweise in Afrika zwischen 20 und 30 Prozent der Christ/innen zu einer fundamentalistischen Strömung. Allein in Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, konkurrieren mehr als 2000 christliche Kirchen um Anteile auf dem Erlösungsmarkt. Häufig denunzieren Eltern ihre Kinder als "Hexen, um sie in die überlebenssichernde Obhut einer Sekte oder einer Hilfsorganisation zu übergeben. Keine archaisches Phänomen also, sondern hochmodern und rational. Ein Zuwachs christlicher Fundamentalisten ist vor allem in jenen Ländern zu beobachten, die sich jahrzehntelang im Bürgerkrieg befanden aber auch - wie das Beispiel Simbabwe zeigt, als Reaktion auf gescheiterte Befreiungsbewegungen zu sehen. Wenn es ein Geschäft gibt, das in Simbabwe erfolgreich ist, dann ist es der Glaube.

Im 21. Jahrhundert werden voraussichtlich vor allem die Pfingstbewegung und die Evangelikalen das Christentum prägen. Auch in Deutschland: Schon heute lehnen hierzulande mehr als 1,3 Millionen Evangelikale die Evolutionslehre ab. Und deutsche Christen entdecken wieder verstärkt die Freuden der Mission. Sowohl in heimischen Gefilden wie in der Fremde. Bekannt berüchtigt ist in dieser Hinsicht beispielsweise der christliche Hassprediger Reinhard Bonnke aus Frankfurt am Main, der einen Heiligen Krieg im Namen des Kreuzes führt. Er predigt in Nigeria vor Hunderttausenden Anhängern - AIDS-Heilung und Teufelsaustreibung inbegriffen.
Die Frage ist, ob nicht auch in Europa der christliche Fundamentalismus zu einer ernsten Gefahr für die Errungenschaften der französischen Revolution wird?

Dienstag, 27. November 2007, 19.30 Uhr
Atelier Frankfurt, Hohenstaufenstrasse 13-27

>> script > Klaus Ronneberger, Die Dialektik der "guten Botschaft" (pdf)

> link >> HR-Doku: Die Hardliner des Herrn (Video)
> link >> Selber Satan! Das Reinhard Bonnke Watchblog
> link >> B. Grill: Die Mähdrescher Gottes (Bonnke u.a. in Nigeria)
> link >> Wolf Schmidt: Um Gottes willen! (Evangelikale in Deutschland)

Nit-Flyer: Dialektik der 'Guten Nachricht'